Jürgen Kilian, Des Kaisers Gouverneure. Sozialprofil, Deutungsmuster und Praktiken einer kolonialen Positionselite, 1885–1914. (Global- und Kolonialgeschichte, Bd. 21.) Bielefeld, Transcript 2024

Jens Ruppenthal

doi:10.1515/hzhz-2025-1154

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Jürgen Kilian, Des Kaisers Gouverneure. Sozialprofil, Deutungsmuster und Praktiken einer kolonialen Positionselite, 1885–1914. (Global- und Kolonialgeschichte, Bd. 21.) Bielefeld, Transcript 2024

Jens Ruppenthal

Veröffentlicht/Copyright: 2. Juni 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 3

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Jürgen Kilian, Des Kaisers Gouverneure. Sozialprofil, Deutungsmuster und Praktiken einer kolonialen Positionselite, 1885–1914. Global- und Kolonialgeschichte, Bd. 21. 2024 Transcript Verlag Bielefeld, 978-3-8376-7205-3, € 65,–

Seit rund 25 Jahren fristet die deutsche Kolonialgeschichte in der Forschung kein Nischendasein mehr. Anfangs entstanden vielfach Untersuchungen zu Kolonialpolitik und -verwaltung, später dann stärker kulturhistorische Arbeiten zu Erinnerungskultur oder Wissenschaftsgeschichte. Dabei überrascht es, dass die deutschen Kolonialgouverneure bislang nur vereinzelt Forschungsgegenstand waren. Jürgen Kilians Studie über die kaiserlichen Spitzenbeamten unter den men on the spot knüpft thematisch an die älteren politik- und verwaltungshistorischen Arbeiten an. Sein Ziel ist eine strukturierte Gesamtschau dieser „Positionselite“. Sein Forschungsdesign legt er dagegen kulturwissenschaftlich an und stützt seine Analyse auf Pierre Bourdieus Habituskonzept: Damit verfolgt er einen gruppenbiographischen Ansatz, um Lebensläufe, Deutungsmuster und Handlungspraktiken seiner 25 Protagonisten qualitativ zu untersuchen.

Der Autor gliedert seine Studie in fünf Abschnitte: Die Einleitung dient der gewohnten Vorstellung von Forschungsstand, Fragestellung und Quellengrundlage. Die knappen „Schlussbetrachtungen“ bieten eine gebündelte Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, die bereits im Wesentlichen in „Zwischenergebnissen“ am Ende der drei Abschnitte des Hauptteils zu finden sind. Im ersten dieser drei Hauptabschnitte geht es um „Dispositionen“ – gemeint ist das im Untertitel des Buches genannte „Sozialprofil“ der Personengruppe. Der zweite Hauptabschnitt thematisiert mit den „Deutungen des ‚Andern‘“ die Vorstellungen, Wahrnehmungen und Bewertungen der Menschen und Landschaften in den Kolonien durch die Gouverneure. Während der Autor diesen Themenblöcken jeweils ungefähr 100 Seiten widmet, gilt sein Augenmerk auf rund 280 Seiten den „Herrschaftspraktiken“. Mehr als die Hälfte des Gesamttextes dient so der Analyse von Aufbau, Ausbau und Konsolidierung der staatlichen Macht in den als Kolonien beanspruchten Ländern in Übersee. Das wohl zentrale Merkmal der Herrschaft, das Kilian in nahezu allen Fällen herausarbeitet: Trotz zunehmender „Professionalisierung, Wissensakkumulation und infrastruktureller Verdichtung“ (S. 483) konnte das deutsche Kolonialregime bis zuletzt keine flächendeckende Beherrschung erreichen.

Alle Gouverneure verfügten über ähnliche Voraussetzungen für ihre Karrieren in der höheren Kolonialverwaltung. Unterschiedlich waren freilich individuelle Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Neben den Vorgaben der Zentrale in Berlin waren persönliche Kontakte und Beziehungen zu Förderern und Konkurrenten sowie die Gegebenheiten vor Ort wesentliche Faktoren für das Wirken der Beamten. Ihre übergeordnete Aufgabe, nämlich die Etablierung deutscher Herrschaft über Menschen in Übersee, nahmen sie durchgehend von einem festen Standpunkt der zivilisatorischen Überlegenheit aus wahr. Die rassistische Grundhaltung konnte variieren, wenn sozialdarwinistische und biologistische Sichtweisen zu erkennen waren, vorherrschend war jedoch ein ungebrochenes kulturmissionarisches Überlegenheitsbewusstsein. Kilian arbeitet all dies differenziert heraus und präsentiert seine Befunde immer gut nachvollziehbar. Allerdings entsteht der Eindruck, der Autor sei sehr um Vollständigkeit bemüht. Die Ausführungen geraten bisweilen sehr kleinteilig, manche Schilderungen erscheinen mit Blick auf die Erkenntnis redundant.

Die 2023 an der Universität Bayreuth angenommene Habilitationsschrift umfasst gut 500 Seiten Text, ergänzt um fast 50 Seiten tabellarischer Kurzbiographien der untersuchten Personengruppe sowie um ein Quellen- und Literaturverzeichnis von 45 Seiten. In Anbetracht des Gesamtumfangs wäre ein Personenregister wünschenswert gewesen. Erschienen ist der Band in der Reihe „Global- und Kolonialgeschichte“, was angesichts des Themas völlig naheliegt. Zugleich zielt die Reihe laut „Editorial“ darauf, die Verflechtungsgeschichte zu stärken und „eurozentrische Perspektiven zu überwinden“. Diesem Anspruch wird Kilians Buch nur bedingt gerecht, zu wenig kommt die Perspektive der Kolonisierten zur Geltung, zu knapp fallen vergleichende Bezüge zu anderen Kolonialmächten aus. Den Wert der Untersuchung als minutiöse und gehaltvolle Kollektivbiographie der deutschen Kolonialgouverneure mindert das jedoch nicht.

Online erschienen: 2025-06-02

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