Christopher Dillon / Kim Wünschmann (Eds.), Living the German Revolution, 1918–19. Expectations, Experiences, Responses. (Studies of the German Historical Institute, London.) Oxford, Oxford University Press 2023

Klaus Weinhauer

doi:10.1515/hzhz-2025-1157

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Christopher Dillon / Kim Wünschmann (Eds.), Living the German Revolution, 1918–19. Expectations, Experiences, Responses. (Studies of the German Historical Institute, London.) Oxford, Oxford University Press 2023

Klaus Weinhauer

Veröffentlicht/Copyright: 2. Juni 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 3

Rezensierte Publikation:

Christopher Dillon, Living the German Revolution, 1918–19. Expectations, Experiences, Responses. Studies of the German Historical Institute, London. 2023 Oxford University Press Oxford, 9780198898207, £ 80,–

Das Interesse an der Revolution, die im November 1918 die kaiserliche Regierung entmachtete, ist seit dem 100. Jahrestag wieder gestiegen. Das Ereignis wird inzwischen deutlich positiver bewertet als in den 1980er Jahren, als zudem viele kontrafaktische Was-wäre-wenn-Fragen gestellt wurden. Jedoch wird immer noch mehr über Gesamtinterpretationen geschrieben, als dass soziale und kulturelle Prozesse vor Ort erforscht würden. Auch sind methodisch-konzeptionell und begrifflich reflektierte Fallstudien selten. Der Band gehört zu den wenigen neueren Publikationen, die ausgetretene Wege verlassen. Die Beiträge sind aus einer Tagung hervorgegangen, finanziert von der Fritz Thyssen Stiftung, durchgeführt im Oktober 2018 im Deutschen Historischen Institut (DHI) London und organisiert von den beiden Herausgebern sowie von Steven Schouten (Amsterdam) und Christina von Hodenberg (Direktorin DHI London).

Neben zwei einleitenden Aufsätzen bietet der Band zwölf Beiträge, unterteilt in vier thematische Sektionen. Die beiden Herausgeber betrachten die Revolution nicht als gescheitert, sondern als „a conspicuously successful project of civic mobilization“ (S. 18). Die Einleitung benennt zwei Ausgangspunkte, um revolutionsbezogene Erwartungen, Erfahrungen und Reaktionen zu untersuchen: Wie wird Zukunft antizipiert und welche Skripte, das heißt welche historischen Bezüge auf andere Revolutionen sowie auf damit verbundene Lernprozesse, gibt es? Wie in anderen Sammelbänden auch werden diese Anregungen in den Beiträgen unterschiedlich intensiv aufgegriffen. Die Bedeutung von Zeitungsquellen (siehe den Beitrag von Benjamin Ziemann) wird betont und ein breites Spektrum von Akteuren und deren Subjektivitäten in den Blick genommen. Analysiert werden einige bisher kaum beachtete Themenfelder, darunter Gewaltnarrative, raumbezogene urbane Aktivitäten, aber auch vernachlässigte Regionen bzw. Städte. Drei Aufsätze, die neue Perspektiven auf die gelebte Revolution andeuten, sollen hier kurz vorgestellt werden.

Christina Ewald zeigt, wie durch die Analyse der durch die Revolution politisierten Freizeit (hier: Tanzveranstaltungen) Wandlungen in der Reichweite sozialer Mobilisierung bestimmt werden können. In den Debatten um die Regulierung der Tanzveranstaltungen galt den Akteuren im Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat zunächst eine mobilisierte Gesamt(arbeiter)bevölkerung als Adressat ihrer Politik. Seit Ende November 1918 verengten USPD und SPD-Delegierte ihre Perspektive jedoch auf ihre jeweilige Anhängerschaft. Matthew Stibbe, Corinne Painter und Ingrid Sharp verdeutlichen anhand von Erinnerungen linker weiblicher Akteure, dass sie anders als männliche Protagonisten die Revolution weit positiver bewerteten als einen „triumph of (female) subjectivities and agency“ (S. 23). Fünf weitere Beiträge (Christopher Dillon, Wiebke Wiede, Mark Jones, Anita Klingler, Thomas Blanck) stellen Aspekte der Revolution in verschiedenen Städten gegenüber, ohne jedoch – Thomas Blancks Beitrag ausgenommen – konkret die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Städtevergleichs zu diskutieren. Blanck analysiert urbane Erfahrungen in München (April/Mai 1919) und in Fiume (1919/20). Beide Städte wurden zwar gewaltsam „befreit“, in Fiume jedoch mit weit weniger Toten. Erklärt wird dies durch die höchst unterschiedliche narrative Verarbeitung vorheriger Gewalt. Die Freikorps wollten in München die finale Schlacht gegen den Bolschewismus schlagen und ihren gnadenlosen Kampf gegen illegalisierte Bewaffnete fortsetzen. Demgegenüber blieb die Gewalt der Armee in Fiume eingehegter, ähnelte eher einem aus früheren Jahren bekannten Kampf gegen städtische Unruhen. Lokale Waffenstillstände wurden geschlossen mit Akteuren, die nicht radikal ausgemerzt werden sollten.

Nach Lektüre der Beiträge erscheint die Revolution als eine eingekapselte Entität, losgelöst vom Ersten Weltkrieg und von der Frühphase der Weimarer Republik. Was dem Band ein noch schärferes Profil hätte geben können, wären explizite Reflexionen sowohl zum Revolutionsbegriff als auch zu den Periodisierungsfragen – Weltkrieg, Revolution und Republik würden so enger miteinander in Beziehung gesetzt. Trotzdem vermittelt der Band wichtige neue Einsichten und gibt Anregungen für weitere Forschungen.

Online erschienen: 2025-06-02

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1157

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