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Jussi Backman / Antonio Cimino, Biopolitics and Ancient Thought. Oxford, Oxford University Press 2022

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Published/Copyright: June 2, 2025
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Jussi Backman, Biopolitics and Ancient Thought. 2022 Oxford University Press Oxford, 9780192847102, $ 85,–


Der Band stellt einen systematischen Versuch dar, das Konzept der „Biopolitik“ auf antike Gesellschaften zu übertragen. Wichtiger Bezugspunkt der Studie ist Michel Foucaults Definition der Biopolitik als ein Regulationsmechanismus, der die biologischen Attribute der menschlichen Spezies zum Handlungsfeld politischer Strategien macht. Während Foucault die Genealogie der Biopolitik hauptsächlich mit Blick auf die Moderne diskutiert hat, haben andere Theoretiker wie Giorgio Agamben oder Mika Ojakangas ihre Ursprünge in der Antike verortet. Der Band will vor diesem Hintergrund die Relevanz des Konzepts der Biopolitik für ein Verständnis antiker Ideengeschichte einerseits und den Beitrag antiker Texte zu gegenwärtigen theoretischen Debatten andererseits ausloten (S. 4).

Die kurze Einleitung kann dabei allerdings keine Synthese der insgesamt neun Aufsätze herstellen – weder wiederholt thematisierte Aspekte (wie die in antiken Texten anzutreffende Tiermetaphorik, die als Vergleichsfolie zu menschlichen Gesellschaften dient) noch offensichtlich widersprüchliche Positionen, die die einzelnen AutorInnen herausarbeiten, werden dort systematisch diskutiert; dabei hätte dies dem Projekt – angesichts der Ambiguität und Vielgestaltigkeit der behandelten Theorien – gewiss gutgetan. Während etwa Mika Ojakangas Platon unterstellt, er habe einer auf Gewalt gründenden Politik der Auslöschung unliebsamer Elemente in der Polis Vorschub geleistet, präsentiert uns Kathy L. Gaca ein gänzlich anders gelagertes Bild Platons, der geradezu emanzipatorische Gedanken bezüglich der Behandlung der Frauen in der Gesellschaft Athens geäußert habe. Dieses Beispiel zeigt die Problematik der Anwendung des Konzepts der „Biopolitik“ auf historische Gesellschaften auf – zumal dann, wenn innerhalb der Theorie unterschiedliche Auffassungen darüber vorherrschen, welche Rolle eigentlich der „Biologie“ in antiken Gesellschaften zukam. Die Einzelbeiträge arbeiten sich aber ungeachtet dessen – mit Detailkenntnis und anregenden Überlegungen – an modernen DenkerInnen wie Hannah Arendt, Foucault oder Agamben ab und zeigen deren Verständnis der antiken Staatsphilosophie auf, womit ein wertvoller Beitrag zur Rezeptionsgeschichte geleistet wird.

Allerdings wird keineswegs eine Ideengeschichte der „Antike“ geboten, sondern eine Diskussion, die sich größtenteils auf Platon und Aristoteles beschränkt. Es fehlt auch jede historische Kontextualisierung der komplexen staatsphilosophischen Entwürfe des 4. Jahrhunderts. Weiterführend wird es dann, wenn dezidiert andere Quellen zur Sprache kommen, wie die archaische Versdichtung Homers (Sara Brill) oder die Tragödientexte des 5. Jahrhunderts (Kalliopi Nikolopoulou), auch die hippokratischen Traktate (Adriel M. Trott) oder die Historiker Thukydides und Xenophon (Gaca). Dennoch fehlt es an einer historischen Unterfütterung, welche die konkreten Maßnahmen bezüglich einer „antiken Biopolitik“ illustrieren würde: Sowohl Erfahrungen von Epidemien als auch der Verluste großer Bevölkerungsteile durch den Peloponnesischen Krieg, die zeitgenössisch gut dokumentiert sind, finden kein Echo. Die Problematik der Bürgerrechtsverleihung und der Bestätigung des Bürgerstatus, die handfeste juristische Themenfelder darstellen, zu denen verschiedene Quellen (von Inschriften über Gerichtsreden bis hin zu historiographischen Texten) vorliegen, werden an keiner Stelle thematisiert – obgleich sich hier die Vielschichtigkeit „biopolitischer“ Maßnahmen diskutieren ließe, auch hinsichtlich ihrer Differenz zu modernen Gesellschaften. Auch die in den letzten Jahren viel beforschte Körpergeschichte wird in diesem Zusammenhang kaum beachtet – eine Ausnahme stellt der facettenreiche Beitrag von Trott dar, der die materiell-leibliche Dimension des aristotelischen Denkens beleuchtet. Das Problem der einseitigen Verengung auf athenische Texte aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. wird dabei nicht weiter thematisiert. Über andere antike Gesellschaften und Epochen erfährt man nichts. Dabei wäre es ein lohnenswertes Unterfangen, hellenistische Philosophenschulen nach deren „biopolitischen“ Konzepten zu befragen (Antonio Cimino zeigt in diese Richtung) – nicht zu sprechen von Weiterleben und -entwicklung der Gedanken unter veränderten geopolitischen Vorzeichen in späterer Zeit, als die Poleis gezwungen waren, ihre Institutionen an neue Gegebenheiten anzupassen. Hier bietet sich zweifelsohne Potential für weiterführende Studien. Der vorliegende Band mag dabei immerhin als Ausgangspunkt dienen.

Online erschienen: 2025-06-02

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

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  1. Frontmatter
  2. Aufsätze
  3. Überlegungen zum Ursprung des Losverfahrens in der politischen Praxis griechischer Poleis
  4. Revolution und Revision. Zum Verhältnis von Amerikanischer Unabhängigkeitserklärung und US-Verfassung
  5. Weimars Untergang, die Historiker und die Kapitalismuskritik. Zur Wirkungsgeschichte der „Abraham Affair“
  6. Manfred Clauss (1945–2025)
  7. Soziale Netzwerke in Mittelalter- und Renaissanceforschung. Dreißig Jahre nach „Robust Action“
  8. Rezensionen
  9. Patrick J. Geary, Herausforderungen und Gefahren der Integration von Genomdaten in die Erforschung der frühmittelalterlichen Geschichte. (Das mittelalterliche Jahrtausend, Bd. 7.) Göttingen, Wallstein 2020; Mischa Meier / Steffen Patzold, Gene und Geschichte. Was die Archäogenetik zur Geschichtsforschung beitragen kann. Stuttgart, Hiersemann 2021
  10. Milja van Tielhof, Consensus en conflict. Waterbeheer in de Nederlanden 1200–1800. (Waterstraat, Cultuur en Geschiedenis, Vol. 5.) Hilversum, Uitgeverij Verloren 2021
  11. Benedikt Stuchtey, Geschichte des Britischen Empire. München, C. H. Beck 2021
  12. Paul Knox, London. A History of 300 Years in 25 Buildings. London, Yale University Press 2024
  13. Stefan Jordan, Geschichtsschreibung. Geschichte und Theorie. (Oldenbourg. Grundriss der Geschichte, Bd. 55.) Berlin/Boston, De Gruyter 2024
  14. Megan J. Daniels (Ed.), Homo Migrans. Modeling Mobility and Migration in Human History. (The Institute for European and Mediterranean Archeology Distinguished Monograph Series. IEMA Proceedings, Vol. 11.) , SUNY Press 2022
  15. R. Bruce Hitchner (Ed.), A Companion to North Africa in Antiquity. Malden, MA, Wiley-Blackwell 2022
  16. Jussi Backman / Antonio Cimino, Biopolitics and Ancient Thought. Oxford, Oxford University Press 2022
  17. Paul Christesen / Charles H. Stocking (Eds.), A Cultural History of Sport in Antiquity. New York , Bloomsbury Academic 2022
  18. Irad Malkin / Josine Blok, Drawing Lots. From Egalitarianism to Democracy in Ancient Greece. Oxford, Oxford University Press 2024
  19. Marek Węcowski, Athenian Ostracism and Its Original Purpose. A Prisoner’s Dilemma. Oxford, Oxford University Press 2022
  20. Robin Waterfield, The Making of a King. Antigonus Gonatas of Macedon and the Greeks. Oxford, Oxford University Press 2021
  21. Julia Hoffmann-Salz, Im Land der räuberischen Nomaden? Die Eigenherrschaften der Ituraier und Emesener zwischen Seleukiden und Römern. (Studien zur Alten Geschichte, Bd. 31.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2022
  22. Josiah Osgood, Uncommon Wrath. How Caesar and Cato’s Deadly Rivalry Destroyed the Roman Republic. Oxford, Oxford University Press 2022
  23. Martin T. Dinter / Charles Guérin (Eds.), Cultural Memory in Republican and Augustan Rome. Cambridge, Cambridge University Press 2023
  24. David Hamacher, Prekäre Divinität. Untersuchungen zur Vergöttlichung des Herrschers im römischen Prinzipat. Göttingen, V&R unipress 2023
  25. Paolo Cimadomo / Dario Nappo (Eds.), A Global Crisis? The Mediterranean World between the 3rd and the 5th Century CE. (Forma Aperta – Ricerche di storia, culture, religioni, vol. 3.) Rom, L’Erma di Bretschneider 2022
  26. David Alan Parnell, Belisarius & Antonina. Love and War in the Age of Justinian. Oxford, Oxford University Press 2023
  27. Hans Hubert Anton (Hrsg.), Regesten der Bischöfe und Erzbischöfe von Trier. I, 3. Die Trierer Kirche und die Trierer Bischöfe in der ausgehenden Antike und am Beginn des Mittelalters. Bischöfe von der Wende des 4./5. Jahrhunderts bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts. Bearbeitet von Hans Hubert Anton und Friedrich Pfeiffer unter Mitarbeit von Sigrun Anton. (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 83.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2021
  28. Heinz Krieg (Hrsg.), Handlungsspielräume und soziale Bindungen von Eliten im Südwesten des mittelalterlichen Reiches. Kolloquium zu Ehren von Thomas Zotz. (Freiburger Beiträge zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 5.) Ostfildern, Thorbecke 2023
  29. David M. Freidenreich, Jewish Muslims. How Christians Imagined Islam as the Enemy. Berkeley, CA, University of California Press 2023
  30. Kathrin Henschel, „Sicut in caelo et in terra“ – Himmlische Kritik an irdischen Verhältnissen. Historisch-kritisch-exegetische Untersuchungen zu Walahfrid Strabos Visio Wettini. Ostfildern, Thorbecke 2023
  31. John B. Freed, The Falkensteins. Losers and Winners in Medieval Bavaria. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 72.) Stuttgart, Hiersemann 2023
  32. Thomas Ertl / Thomas Frank / Samuel Nussbaum (Eds.), Busy Tenants. Peasant Land Markets in Central Europe (15th to 16th Century). (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beih. 253.) Stuttgart, Steiner 2021
  33. Andreea Badea / Bruno Boute / Birgit Emich (Eds.), Pathways through Early Modern Christianities. Köln, Böhlau 2023
  34. Ted McCormick, Human Empire. Mobility and Demographic Thought in the British Atlantic World, 1500–1800. (Ideas in Context.) Cambridge, Cambridge University Press 2022
  35. Arne Bugge Amundsen / Hallgeir Elstad / Tarald Rasmussen, Norwegian Epitaphs 1550–1700. Contexts and Interpretations. (Kunst und Konfession in der Frühen Neuzeit, Vol. 7.) Regensburg, Schnell & Steiner 2023
  36. Lisa Hopkins, The Edge of Christendom on the Early Modern Stage. (Late Tudor and Stuart Drama: Gender, Perfomance, and Material Culture.) Berlin/Boston, De Gruyter 2022
  37. Roland Kanz, Skulptur des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Petersberg, Imhof 2025
  38. Simona Boscani Leoni / Sarah Baumgartner / Meike Knittel (Eds.), Connecting Territories. Exploring People and Nature, 1700–1850. Leiden, Brill 2022
  39. Bärbel Holtz / Wolfgang Neugebauer / Monika Wienfort (Hrsg.), Der preußische Hof und die Monarchien in Europa. Akteure, Modelle, Wahrnehmungen (1786–1918). Paderborn, Schöningh 2023
  40. Axel Koerner / Paulo M. Kuhl (Eds.), Italian Opera in Global and Transnational Perspective. Reimagining Italianità in the Long Nineteenth Century. Cambridge, Cambridge University Press 2022
  41. Leslie Butler, Consistent Democracy. The „Woman Question“ and Self-Government in Nineteenth-Century America. Oxford, Oxford University Press 2023
  42. Robert Shea Terrell, A Nation Fermented. Beer, Bavaria, and the Making of Modern Germany. Oxford, Oxford University Press 2023
  43. Luke Reynolds, Who Owned Waterloo? Battle, Memory, and Myth in British History, 1815–1852. Oxford, Oxford University Press 2023
  44. Eva Zimmermann, Baden-Baden, Sommerhauptstadt Europas. Eine deutsch-französische Beziehungsgeschichte, 1840–1870. Heidelberg, Heidelberg University Publishing 2024
  45. Christina B. Carroll, The Politics of Imperial Memory in France, 1850–1900. Ithaca, NY, Cornell University Press 2022
  46. Owen Davies, Troubled by Faith. Insanity and the Supernatural in the Age of the Asylum. Oxford, Oxford University Press 2023
  47. William H. Chafe, Lifting the Chains. The Black Freedom Struggle since Reconstruction. Oxford, Oxford University Press 2023
  48. Ke-Chin Hsia, Victims’ State. War and Welfare in Austria, 1868–1925. Oxford, Oxford University Press 2022
  49. Ulrich Lappenküper / Wolfram Pyta (Hrsg.), Entscheidungskulturen in der Bismarck-Ära. (Otto-von-Bismarck-Stiftung. Wissenschaftliche Reihe, Bd. 32.) Leiden, Brill 2024
  50. Beate Althammer (Ed.), Citizenship, Migration and Social Rights. Historical Experiences from the 1870s to the 1970s. London, Routledge 2023
  51. Jürgen Kilian, Des Kaisers Gouverneure. Sozialprofil, Deutungsmuster und Praktiken einer kolonialen Positionselite, 1885–1914. (Global- und Kolonialgeschichte, Bd. 21.) Bielefeld, Transcript 2024
  52. Ernst Wolfgang Becker / Frank Bösch (Hrsg.), Partizipation per Post. Bürgerbriefe an Politiker in Diktatur und Demokratie. (Zeithistorische Impulse, Bd. 16.) Stuttgart, Steiner 2024
  53. Charles S. Maier, The Project-State and Its Rivals. A New History of the Twentieth and Twenty-First Centuries. London , Harvard University Press (London) 2023
  54. Christopher Dillon / Kim Wünschmann (Eds.), Living the German Revolution, 1918–19. Expectations, Experiences, Responses. (Studies of the German Historical Institute, London.) Oxford, Oxford University Press 2023
  55. Michael Wildt, Zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918–1945. München, C. H. Beck 2022
  56. Laura Kelly, Contraception and Modern Ireland. A Social History, c. 1922–92. Cambridge, Cambridge University Press 2023
  57. Hans-Lukas Kieser, Nahostfriede ohne Demokratie. Der Vertrag von Lausanne und die Geburt der Türkei 1923. Zürich, Chronos 2023
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  59. Frank Nonnenmacher (Hrsg.), Die Nazis nannten sie „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Verfolgungsgeschichten im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik. Frankfurt am Main, Campus 2024
  60. Jörg Osterloh / Jan Erik Schulte / Sybille Steinbacher (Hrsg.), „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords. Göttingen, Wallstein 2022
  61. Richard Overy (Ed.), The Oxford History of World War II. Oxford, Oxford University Press 2023
  62. Aaron Donaghy, The Second Cold War. Carter, Reagan, and the Politics of Foreign Policy. (Cambridge Studies in US Foreign Relations.) Cambridge, Cambridge University Press 2023
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  70. Eingegangene Bücher
  71. Eingegangene Bücher
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