Jörg Osterloh / Jan Erik Schulte / Sybille Steinbacher (Hrsg.), „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords. Göttingen, Wallstein 2022

Lea Münch

doi:10.1515/hzhz-2025-1163

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Jörg Osterloh / Jan Erik Schulte / Sybille Steinbacher (Hrsg.), „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords. Göttingen, Wallstein 2022

Lea Münch

Veröffentlicht/Copyright: 2. Juni 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 3

Rezensierte Publikation:

Jörg Osterloh, „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords. 2022 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-5076-2, € 38,–

Füllt die Literatur zur Geschichte der nationalsozialistischen Krankenmorde inzwischen Bibliotheken, so versammelt der Band Beiträge zu einer Perspektive, die bisher noch kaum beleuchtet wurde. Die Herausgeber*innen Jörg Osterloh, Jan Erik Schulte und Sybille Steinbacher haben sich nichts weniger als die Erschließung der „europäischen Dimension der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Verbrechen“ (S. 16) im von NS-Deutschland besetzten Europa zur Aufgabe gemacht. Der Sammelband basiert auf der internationalen Tagung „Der nationalsozialistische Krankenmord in Europa“, die im Juni 2019 gemeinsam vom Fritz Bauer Institut und der Gedenkstätte Hadamar in Frankfurt ausgerichtet worden war. In der Einleitung wird die Veröffentlichung als „Gemeinschaftswerk von Forscher*innen aus neun Ländern“ (S. 18) beschrieben. Der Aufbau spiegelt die verschiedenen besetzten Regionen Europas wider – Böhmen und Mähren, Polen, West- und Südeuropa, die Sowjetunion sowie das Altreichsgebiet NS-Deutschlands und Österreich. Diese werden durch einen Beitrag von Walter H. Pehle zu Ernst Klees Pionierforschungen ergänzt sowie durch eine ausgewogene Einleitung der Herausgeber*innen und eine den Band abschließende, wertvolle Zusammenstellung von Paul J. Weindling vervollständigt, die einen Überblick zu den Opferzahlen in den Regionen, den Forschungsdesiderata und ein überzeugendes Plädoyer zum namentlichen Gedenken an die Opfer der NS-„Euthanasie“ in Europa bietet.

Die Herausgeber*innen verfolgen eine Ereignisgeschichte in den Jahren deutscher Besatzung, wobei die verübten Verbrechen, die Tatorte sowie Täter*innen und Opfer gleichermaßen im Fokus stehen sollen. Insbesondere die Rolle der deutschen Besatzer, die Einordnung der Morde in die regionale Besatzungspolitik, die generelle Situation der Anstaltspatient*innen, die Reaktion von Angehörigen und der lokalen Zivilbevölkerung sowie der Bezug der Krankenmorde zum Holocaust werden in den Blick genommen. Wenngleich alle Beiträge diese Fragestellungen in Grundzügen behandeln, sind in den einzelnen Abhandlungen deutliche Akzentuierungen feststellbar. Dies ist einerseits auf die inhomogene und für manche Gebiete fragmentarische Quellenlage zurückzuführen und andererseits auf den Umstand, dass es die annektierten und besetzten Regionen betreffend unabdingbar ist, zunächst die formelle und faktische Angleichung der Verwaltungsstrukturen an die Gegebenheiten im Altreich respektive das Funktionieren der örtlichen Militärverwaltung darzustellen. Ersteres trifft beispielsweise für Böhmen und Mähren und den Sudetengau zu, Letzteres vor allem für die Sowjetunion. Die inzwischen hohe Dichte von detaillierten Arbeiten zu den Krankenmorden in Deutschland in den Grenzen von 1937 ermöglich eine integrative Darstellung, bei der anhand von Patientenakten auch eine detaillierte Einbeziehung von fragmentarischen Lebensgeschichten der Opfer möglich ist, wie es im Beitrag von Gerrit Hohendorf realisiert ist. Durch die mannigfaltigen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Beiträge geht der Sammelband an vielen Stellen weit über die bloße Zusammenfassung einer Ereignisgeschichte hinaus und leistet wichtige Differenzierungen zu in den Regionen spezifisch auftauchenden Fragestellungen. Hier sei nur beispielhaft die Analyse des Verhältnisses von Besatzern und Besetzten im Beitrag über Polen von Robert Parzer genannt.

Insgesamt sind vereinzelt kleinere Redundanzen feststellbar, die durch die verschiedenen Schwerpunkte nicht nur zu entschuldigen, sondern im Hinblick auf eine Verknüpfung der einzelnen lokalen Analysen sogar unumgänglich sind. Der äußerst gelungene Sammelband ist ein unverzichtbares Standardwerk, das der Komplexität der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen in Europa gerecht wird. Der zusätzliche Vertrieb über die Bundeszentrale für politische Bildung spricht für sich und wird der wünschenswerten Verbreitung hoffentlich zuträglich sein.

Online erschienen: 2025-06-02

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