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Charles S. Maier, The Project-State and Its Rivals. A New History of the Twentieth and Twenty-First Centuries. London , Harvard University Press (London) 2023

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Published/Copyright: June 2, 2025
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Rezensierte Publikation:

Charles S. Maier, The Project-State and Its Rivals. A New History of the Twentieth and Twenty-First Centuries. 2023 Harvard University Press UK London , 9780674290143, $ 45,–


„Neue Geschichten“ und „Andere Geschichten“ sind derzeit sehr en vogue. Dabei sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass historische Darstellungen „neue“ und „andere“ Perspektiven entwickeln oder Thesen entfalten und sich dadurch von der bisherigen Forschung unterscheiden und diese ergänzen. Das liegt in der Natur von Wissenschaft, auch von Geschichtswissenschaft. Von einem eminenten Historiker wie Charles S. Maier wird man in einem Werk zur Geschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts neue Ansätze und Interpretationen erwarten können. Zwar knüpft sein neues Buch an wichtige frühere Arbeiten an, nicht zuletzt „Leviathan 2.0. Inventing Modern Statehood“ (2005) und „Once Within Borders. Territories of Power, Wealth, and Belonging since 1500“ (2015), mit denen zusammen – und verbunden durch die Frage nach der Entwicklung moderner Staatlichkeit – es durchaus eine Art Trilogie bildet. Aber Maier setzt doch einen neuen Akzent, indem er den Staat als einen zentralen Kollektivakteur analytisch in ein Verhältnis setzt zu anderen agents, die wie der Staat und zum Teil auch in Auseinandersetzung mit diesem einwirken auf politische, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen. Zu diesen agents gehören zum einen, vergleichsweise eng verbunden mit dem Staat und ebenso wie dieser territorial definiert, Imperien, deren Entwicklung Maier insbesondere in globaler Perspektive als konstitutiv für das 20. Jahrhundert erachtet. Dabei neigt er einem Narrativ von Aufstieg und Niedergang der Imperien zu, das im Licht der Gegenwart womöglich doch zu relativieren wäre. Zu Staat und Imperium treten aber, weit weniger territorial und damit durchaus eigene frühere Thesen revidierend, als historisch wirksame Großkräfte und damit als Analysekategorien noch das Kapital beziehungsweise der Markt sowie der Bereich der Governance, von Maier verstanden als die Summe oder das Netz nichtstaatlicher oder zwischenstaatlicher Organisationen mit ihren – unterschiedlich begründeten – Interventionsansprüchen im Hinblick auf politisches Handeln und gesellschaftliche Entwicklungen.

Das Verhältnis, die Interaktion und vor allem die Rivalität dieser Felder beherrschen die Darstellung, deren überwölbende Perspektive die der internationalen politischen Ökonomie ist. Das bestimmt die Darstellung, die nicht den Anspruch einer Weltgeschichte im Überblick erhebt und die deswegen auch Leerstellen aufweist, nicht zuletzt in der Geschichte der internationalen Politik, aber auch der Geschichte von Kriegen und bewaffneten Konflikten sowie – allgemeiner – der Gewalt als Signum des 20. Jahrhunderts, so sehr man Letztere aus der Idee des titelgebenden „Project-State“ entwickeln kann. Der Projekt-Staat ist argumentativ und analytisch zentral, durchaus auch in einem normativen Sinne. Das Narrativ seines Aufstiegs und seiner „eclipse“, wie Maier es nennt, bildet den roten Faden des Buches. Und gerade die Eklipse, also die Überdeckung, nicht der Niedergang des Projekt-Staates, wird mit den Kräften von Markt – analog zu Staatlichkeit könnte man auch von Marktlichkeit sprechen – und Governance erklärt. Das Verhältnis der drei Säulen sei aus der Balance geraten. Der Projekt-Staat selbst wiederum wird unabhängig von seiner konkreten politischen und herrschaftlichen Ausformung über seinen transformativen Anspruch und seine gesellschaftsreformerische Agenda definiert; er ist also weder der liberal-demokratische Staat westlicher Prägung noch der autoritäre oder gar totalitäre Staat. Viel wichtiger ist für Maier die Herausforderung des aktivistischen Staates durch nichtstaatliche Kräfte, ja seine Zurückdrängung insbesondere seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Diese – keineswegs normative – Entdifferenzierung bringt einerseits zusätzliches Erkenntnispotential, andererseits tritt damit eine globale und politisch hoch wirksame Konfliktlinie in den Hintergrund.

Was die Zäsurensetzung betrifft, lehnt sich der Verfasser, letztlich wenig überraschend, an etablierte Sichtweisen an, die durch seine Perspektivierung kaum hinterfragt, sondern eher bestätigt werden. Das bestimmt auch die Struktur des Buches, welches in seinen drei Hauptkapiteln das Zeitalter der Weltkriege, die etwa drei Jahrzehnte nach 1945 und dann die Zeit seit den 1970er Jahren behandelt. Gerade hier wird auch deutlich, wie stark die Perspektive trotz ihres globalen Erklärungsanspruchs westlich bzw. nördlich bestimmt und dadurch begrenzt ist. Selbst die Dimension der Imperialität wird primär vom Norden her gedacht. Das letzte Drittel des Buches ist nicht nur gegenwartshistorisch, es ist gegenwartsdiagnostisch. Es fragt nach den Gründen aktueller Herausforderungen und Bedrohungen der Demokratie und erkennt diese in den Dynamiken zunehmender Entstaatlichung. In einem Moment demokratischer Desillusionierung reagiert Charles S. Maier darauf mit seiner Refokussierung von Staat und Staatlichkeit. So verbindet sich die Analyse des Projekt-Staats mit einem Plädoyer für den Staat als Projekt.

Online erschienen: 2025-06-02

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  30. Kathrin Henschel, „Sicut in caelo et in terra“ – Himmlische Kritik an irdischen Verhältnissen. Historisch-kritisch-exegetische Untersuchungen zu Walahfrid Strabos Visio Wettini. Ostfildern, Thorbecke 2023
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