Chelsea Schields, Offshore Attachments. Oil and Intimacy in the Caribbean. Berkeley, CA, University of California Press 2023

Mischa Suter

doi:10.1515/hzhz-2025-1230

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Chelsea Schields, Offshore Attachments. Oil and Intimacy in the Caribbean. Berkeley, CA, University of California Press 2023

Mischa Suter

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Chelsea Schields, Offshore Attachments. Oil and Intimacy in the Caribbean. 2023 University of California Press Berkeley, CA, 978-0-520-39080-5, € 88,50

Die Geschichte des Kapitalismus geht weder einfach in Wirtschaftsgeschichte noch in Globalgeschichte auf. Kapitalismusgeschichte eröffnet dann neue Blickwinkel, wenn sie zeigen kann, wie die ökonomischen Kreisläufe des Kapitals abhängen von den weiteren Bahnen gesellschaftlicher Reproduktion: Bahnen, auf denen Arbeitskraft genährt und erhalten wird, auf denen Formen der Fürsorge soziale Bande schaffen oder auf denen Emotionen Produktions- und Konsumregime stützen. In ihrem Buch bezieht Chelsea Schields das Energiesystem des Ölzeitalters auf die Energien von Sex und Affekten, indem sie herausarbeitet, wie zentral die Regulierung von Intimität für die Arbeitsorganisation der Ölindustrie in der niederländischen Karibik war. Stets durchwirkten dabei, so Schields, Ideen über „Rassen“ die Formen der Intimität, welche Firmen wie Shell oder Esso zu diktieren suchten und welche die angesprochenen Subjekte – Raffineriearbeiter, Sexarbeiterinnen, Ehefrauen, alleinerziehende Mütter – aufgriffen, abwandelten oder anfochten.

Basierend auf Quellen, die über Firmenarchive hinausgehen (staatliche Unterlagen, Zeitschriften, sozialwissenschaftliches Schriftgut, einzelne Tagebücher und Oral History), lotet das Buch ein weites Terrain an Intimität aus – Prostitution, eheliche Bindung, Reproduktionspolitik, Manifeste der sexuellen Revolution und Kontroversen über angeblich spezifisch afrokaribische Familienmuster. Ab dem Zweiten Weltkrieg avancierten Curaçao und Aruba als koloniale Inseln von strategischer Bedeutung zu Knotenpunkten der weltweiten Ölindustrie, auf denen Rohöl, hauptsächlich aus Venezuela, raffiniert wurde. Mit rechtlichen Ausnahmeregelungen wurde 1949 auf Curaçao ein offizielles Bordell errichtet, um migrantische Arbeitskräfte zu pazifizieren. Indem sie hellhäutige lateinamerikanische Sexarbeiterinnen rekrutierten, folgten staatliche Stellen einem rassifizierten Skript der Begehrlichkeit. Auf Aruba demonstrierten 1951 Frauen gegen ähnliche Bordellpläne und verlangten dabei eine Teilhabe an „weißer“ Respektabilität, die im Modernitätsversprechen der Ölindustrie mit eingeschlossen war. Auf Grundlage dieser Beispiele macht Schields in den ersten zwei Kapiteln deutlich, wie die Regulation von Sex weitaus mehr als einen Nebenschauplatz in Company towns darstellte. Kapitel 3 geht auf Debatten zur Familienplanung ein. Bereits in den 1950ern sorgten Automatisierung und neu errichtete Raffinieren in Venezuela für steigende Arbeitslosigkeit auf den niederländischen Antillen; Ängste vor Überbevölkerung übersetzten sich in Debatten über Verhütung. Während die Stichworte „68“ und „sexuelle Revolution“ bislang in der Forschung mit dem Globalen Norden verbunden wurden, zeigt Kapitel 4, wie in den Streiks und Protesten auf den niederländischen Antillen – 1969 kam es auf Curaçao zu einem Aufstand – sexuelle Emanzipation auf einer Linie mit wirtschaftlicher und politischer Dekolonisierung debattiert wurde. Dabei bezogen radikale Aktivist:innen – das ist speziell für den karibischen Kontext – auch für gleichgeschlechtliches Begehren Stellung. Das letzte Kapitel folgt den Wanderungsbewegungen nach Europa, die die Krisen der Ölindustrie anschoben. Im schrumpfenden niederländischen Wohlfahrtsstaat der 1980er geriet die zahlenmäßig kleine Gruppe der afrokaribischen Niederländer:innen zum Objekt massiver Kontrolle. Sozialwissenschaftliche Expert:innen machten eine „matrifokale“ Haushaltsstruktur alleinerziehender Frauen verantwortlich für eine sogenannte „Kultur der Armut“. Hier kam ein „Rassismus ohne Rassen“ zum Vorschein, wonach kulturellen Mustern eine solche Wesenhaftigkeit zugeschrieben wurde, dass „Kultur“ jene Zuschreibungen zukam, die vormals im Begriff „Rasse“ gebündelt gewesen waren.

Als vorbildliches Buch feministischer Geschichtswissenschaft verbindet die Studie die Geschichte von race und Kapitalismus mit spezifisch kolonialen Formen der Intimität in der Petro-Moderne. Mit theoretischen Überlegungen ist Schields zurückhaltend. Der titelgebende Ausdruck „Offshore“ – also die für den Regelbetrieb konstitutive Ausnahme – könnte an Kapitalismusmusanalysen anschließen, die, wie der von Rosa Luxemburg postulierte Zusammenhang zwischen Kapitalismus und nichtkapitalistischem „Milieu“ oder wie Kalyan Sanyals „capital’s internal other“, nicht nur betonen, dass Kapitalismus auf gesellschaftlicher Reproduktion beruht, sondern den Finger auf die Widersprüchlichkeit legen, durch die hindurch sich das Kapital in diesem Prozess am Leben erhält. Aber das bleibt von der Verfasserin höchstens angedeutet. Umso mehr regt das Buch zu weiteren Überlegungen an.

Online erschienen: 2025-08-01

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