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Katharina Wojciech, Wie die Athener ihre Vergangenheit verhandelten. Rede und Erinnerung im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. (KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte, Bd. 35.) Berlin/Boston, De Gruyter 2022

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Published/Copyright: August 1, 2025
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Rezensierte Publikation:

Katharina Wojciech, Wie die Athener ihre Vergangenheit verhandelten. Rede und Erinnerung im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte, Bd. 35. 2022 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 9783110754803, € 99,95


Obwohl sich viele althistorische Studien in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit der Erinnerungskultur im antiken Hellas beschäftigten, fehlte bisher eine umfassende Untersuchung der Vergangenheitsbezüge in den attischen Reden. So wurden zwar einzelne Themen, Autoren oder ausgewählte Gattungen intensiver behandelt, der Einfluss der politischen Rhetorik und der Gerichtsreden auf die in Athen kursierenden Geschichtsbilder wurde jedoch nur in Ansätzen beleuchtet. Diese Lücke schließt Katharina Wojciech mit der vorliegenden Arbeit und identifiziert in ihrer Einführung die Reden sogar als zentrale Quelle, um die Vorstellungen von der Vergangenheit sowie die Dynamiken der Erinnerungsprozesse im demokratischen Athen zu rekonstruieren. Das, was als gemeinsame Geschichte wahrgenommen wurde, unterlag für sie einem stetigen Aushandlungsprozess, an dem die Redner entscheidend beteiligt waren. Daneben betont sie die Relevanz des Publikums, da den Bürgern, die im Gericht oder in der Volksversammlung anwesend waren, die vorgestellten Berichte plausibel erscheinen mussten. In diesem Sinne verfolgt Wojciech in ihrer Arbeit eine doppelte Zielsetzung: Sie möchte einerseits den Umgang der Rhetoren gerade mit der jüngeren Vergangenheit sowie deren Auswahlkriterien erhellen. Andererseits fragt sie „nach den Strategien für eine glaubhafte Übermittlung, die Bewahrung, die Konstruktion und die Umdeutung von Geschichte im politischen Alltagskontext“ (S. 2).

Im zweiten Kapitel widmet sich die Verfasserin der Frage, warum Erinnerung in den Reden überhaupt eine Rolle spielte. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die hohe Bedeutung der Geschichte für die Gemeinschaft, die in der Vergangenheit Orientierung und Sinn für die Gegenwart fand. Mit Hilfe der Rhetorikhandbücher und weiterer zeitgenössischer Quellen bestimmt sie anschließend mehrere Funktionen, welche die Erinnerung in den Reden erfüllte: Berichte über Vergangenes konnten gegenwärtige Probleme erhellen, Emotionen wecken, als abschreckendes Beispiel bzw. leuchtendes Vorbild fungieren oder als Legitimation aktueller Zustände herangezogen werden. Welche Motive dabei konkret gewählt wurden und wie (selektiv) mit diesen verfahren wurde, demonstriert Wojciech im dritten Kapitel anhand ausgewählter Beispiele. Während sie die Versöhnung des Jahres 403 im Sinne Ricœurs als „beschworenes Vergessen“ deutet, interpretiert sie die Bezüge auf die Zeit des Delisch-Attischen Seebunds als „adaptierte Erinnerung“, da nur ausgewählter Ereignisse gedacht wurde. Die Verlagerung der Ursprünge der Demokratie in eine ferne Vergangenheit deutet sie demgegenüber als „Deckerinnerung“. Trotz gewisser Kontinuitäten in der Wahl der Motive über die klassische Zeit hinweg erkennt die Autorin im 4. Jahrhundert aber auch Veränderungen aufgrund sich wandelnder Ausgangsbedingungen, persönlicher Vorlieben der Redner sowie spezifischer Schwerpunktsetzungen in der politischen Rhetorik.

Das vierte Kapitel untersucht, wie die Redner ihre Version der Vergangenheit als glaubwürdige Erzählungen etablierten und wie die Zuhörerschaft auf mögliche Widersprüche reagierte. In diesem Zusammenhang weist Wojciech zu Recht darauf hin, dass insbesondere die antike Historiographie in Athen nicht die Autorität besaß, die ihr heute oft zugeschrieben wird. Abweichende Varianten der Geschichte in den Reden sollten so nicht per se als bewusste Manipulationen oder Täuschungen interpretiert werden, sondern können auf abweichende Erzähltraditionen zurückgehen, unterschiedliche Deutungen von Zeitgenossen aufgreifen oder allgemein in der Flexibilität der Griechen im Umgang mit ihrer Vergangenheit begründet liegen.

In den beiden abschließenden Kapiteln wendet sie sich schließlich zwei weiteren Motivgruppen zu. In Kapitel 5 stehen zunächst historische oder mythische Figuren im Mittelpunkt, die in der Rhetorik als Helden oder Antihelden konstruiert wurden, wobei ihre Darstellung wiederkehrenden Mustern folgte. Zu Recht betont Wojciech in diesem Zusammenhang, dass verschiedene Entwicklungen im 4. Jahrhundert neue Dynamiken in Gang setzten und beispielsweise zu einer Frontstellung zwischen Strategen und Rhetoren führten, die sich auch in den Reden spiegelt. Das sechste Kapitel analysiert, wie die Niederlage bei Chaironeia im Nachgang in Athen gedeutet wurde: Dabei kann die Verfasserin nicht nur überzeugend Veränderungen herausarbeiten, sondern diese auch mit der jeweiligen Stimmung in Athen sowie den Intentionen der beteiligten Rhetoren verbinden. Die Arbeit endet mit einer prägnanten Schlussbetrachtung und bietet neben Quellen- und Literaturverzeichnis auch nützliche Register.

Katharina Wojciech hat eine wichtige Studie vorgelegt, die nicht nur die Erinnerungskultur im demokratischen Athen erhellt, sondern auch fundierte Erkenntnisse über die Funktionsweise der attischen Rhetorik liefert. Einzelne Punkte möchte man zwar mit der Autorin diskutieren; so bleibt unklar, warum sie das Konzept eines „master narratives“ konsequent ablehnt, obwohl auch ihre Untersuchung immer wieder zeigt, dass bestimmte Deutungsmuster der Vergangenheit – etwa die Präsentation der Athener als Freiheitskämpfer für ganz Griechenland – auch in der politischen Rhetorik besonders wirkmächtig waren. Ebenso erschließen sich die Vorzüge der vielen theoretischen Konzepte, die parallel herangezogen werden, nicht in jedem Fall. Doch diese Monita schmälern den durchweg positiven Eindruck des Werkes keineswegs, sondern regen wie das Buch insgesamt zum Diskutieren und Weiterdenken an.

Online erschienen: 2025-08-01

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  22. Christopher B. Krebs (Ed.), Caesar. Bellum Gallicum. Book VII. (Cambridge Greek and Latin Classics.) Cambridge, Cambridge University Press 2023
  23. José Luís Brandão / Cláudia Teixeira / Ália Rodrigues (Eds.), Confronting Identities in the Roman Empire. Assumptions about the Other in Literary Evidence. New York, Bloomsbury Academic 2023
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  26. Hubertus Seibert, Geschichte Europas im Mittelalter. Aufbruch in die Vielfalt. Paderborn, Brill/Schöningh 2024
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  40. Jonas Stephan, Tinte, Feder und Kanonen. Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges (1701). (Verhandeln, Verfahren, Entscheiden, Bd. 8.) Münster, Aschendorff 2024
  41. Cathal J. Nolan, Mercy. Humanity in Warfare. Oxford, Oxford University Press 2022
  42. Rainer Maaß / Rouven Pons (Hrsg.), Fürstliche Korrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts. Marburg, Historische Kommission für Hessen 2024
  43. Jörg Ernesti, Geschichte der Päpste seit 1800. Freiburg im Breisgau, Herder 2024
  44. Natalie Cornett, The Politics of Love. Gender and Nation in Nineteenth-Century Poland. Ithaca, NY, Cornell University Press 2024
  45. Miroslav Šedivý, Si vis pacem, para bellum. The Italian Response to International Insecurity 1830–1848. (Internationale Geschichte, Bd. 7.) Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2021
  46. Julian Go, Policing Empires. Militarization, Race, and the Imperial Boomerang in Britain and the US. Oxford, Oxford University Press 2023
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  50. Dagmar Herzog, Eugenische Phantasmen. Eine deutsche Geschichte. Berlin, Suhrkamp 2024
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  52. Sebastian Bischoff / Christoph Jahr / Tatjana Mrowka u. a. (Hrsg.), Belgien, Deutschland und die „Anderen“. Bilder, Diskurse und Praktiken von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. (Historische Belgienforschung, Bd. 10.) Münster, Waxmann 2024
  53. Björn Hofmeister, Anwalt für die Diktatur. Heinrich Claß (1868–1953). Sozialisation – Weltanschauung – alldeutsche Politik. Berlin/Boston, De Gruyter 2024
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  64. Lutz Kreller / Franziska Kuschel, Vom „Volkskörper“ zum Individuum. Das Bundesministerium für Gesundheitswesen nach dem Nationalsozialismus. Göttingen, Wallstein 2022
  65. Emily Marker, Black France, White Europe. Youth, Race, and Belonging in the Postwar Era. Ithaca, NY, Cornell University Press 2024
  66. Chelsea Schields, Offshore Attachments. Oil and Intimacy in the Caribbean. Berkeley, CA, University of California Press 2023
  67. Jenny Baumann, Ideologie und Pragmatik. Die DDR und Spanien 1973–1990. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 142.) Berlin/Boston, De Gruyter 2023
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  69. Eingegangene Bücher
  70. Eingegangene Bücher
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