Francesco Massetti, Leo IX. und die papstgeschichtliche Wende (1049–1054). (Papsttum im mittelalterlichen Europa, Bd. 13.) Köln, Böhlau 2024

Stephan Pongratz

doi:10.1515/hzhz-2025-1194

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Francesco Massetti, Leo IX. und die papstgeschichtliche Wende (1049–1054). (Papsttum im mittelalterlichen Europa, Bd. 13.) Köln, Böhlau 2024

Stephan Pongratz

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

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Francesco Massetti, Leo IX. und die papstgeschichtliche Wende (1049–1054). Papsttum im mittelalterlichen Europa, Bd. 13. 2024 Böhlau (Köln) Köln, 978-3-412-53040-2, € 120,–

Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass der seit kurzem amtierende Papst Leo XIV. sich unter seinen Namensvorgängern besonders mit Leo IX. (1049–1054) verbunden fühlt. Gleichwohl ist es auf eigentümliche Weise passend, dass erneut ein – aller Voraussicht nach – reformorientierter Pontifex dieses Namens amtiert, während sein Vorgänger aus dem 11. Jahrhundert endlich die verdiente Aufmerksamkeit der historischen Forschung findet. Denn die vorliegende Monographie über Leo IX. verfügt auch jenseits solcher tagespolitischer Bezüge und nicht nur im einzigartigen Zeithorizont der Kirchengeschichte über reichlich Aktualität. In der überarbeiteten Fassung seiner an der Bergischen Universität Wuppertal angefertigten Dissertation (2019) befasst sich Francesco Massetti mit Leo IX. im Kontext der seit Rudolf Schieffer vielbeschworenen papstgeschichtlichen Wende. Neben einer genaueren Konturierung dieser Wende geht es vor allem um die Klärung der Frage, inwiefern der oft von der Wirkungsgeschichte Gregors VII. (1073–1085) überschattete Leo zu ihr gezielt beitrug oder sie gar auslöste. Zwar hat Leo in jüngster Zeit – auch dank der Bemühungen Massettis selbst – mehr Aufmerksamkeit gefunden, doch war eine intensive Beschäftigung mit seinem Pontifikat überfällig.

Die Studie nähert sich Leos Reformeifer in zwei Teilen, wobei zuerst die theoretischen Ausarbeitungen an der Kurie und dann die praktisch-politischen Maßnahmen des Papstes zu deren Durchsetzung in den Blick genommen werden. Zwischen den Kapiteln finden sich jeweils nützliche Zusammenfassungen, die einen schnellen Zugang zu den Einzelthemen des Bandes ermöglichen. Nach einer kenntnisreichen Vorstellung von Quellenlage und Forschungsstand widmet sich der Autor zuerst Leos Ekklesiologie, wobei er dessen Privilegien (S. 43–69), die Briefe in der Auseinandersetzung mit der griechischen Kirche (S. 70–241) sowie Briefe an afrikanische Empfänger (S. 242–266) als Quellen verwendet. Dabei kann der Verfasser herausarbeiten, dass Leo nicht nur aus der Tradition schöpfte, sondern durchaus neue ekklesiologische Auffassungen formulierte. Vor allem betonte er den Primatsanspruch und die Nichtjudizierbarkeit des Pontifex in bislang ungekannter Weise. Auch das Morgenländische Schisma von 1054 sei nicht zuletzt aus dieser Dynamik heraus entstanden, denn unter Leo entfernte sich die römische Kirche weiter von den in Konstantinopel gehegten pentarchischen Ideen.

Einen etwas größeren Teil des Bandes nehmen die Handlungen Leos IX. ein, wobei ein erstes Kapitel zunächst dessen Laufbahn bis zur Papstwahl beleuchtet (S. 308–357), bevor seine Synodaltätigkeit (S. 358–539) und seine Reisen (S. 540–630) behandelt werden. Dass der eigentliche biographische Abschnitt so spät im Band steht, ist durch die Beobachtungen im ersten Teil voll gerechtfertigt, denn von seiner Ekklesiologie her betrachtet erscheint Leos Agieren in einem neuen Licht. Gleichwohl wäre ein biographischer Abriss zu Beginn des Buches womöglich zur Orientierung des Lesers hilfreich gewesen. Die Synodal- und die Reisetätigkeit identifiziert Massetti als jene beiden Bereiche, in denen Leos Reformeifer sich in neuen Verfahrenspraktiken ausprägte. Mithilfe beider Werkzeuge versuchte der Papst aktiv, wenngleich nicht immer erfolgreich, den Kampf gegen die Simonie und andere identifizierte Missstände voranzubringen. Dass er dabei einen breiten Wirkungskreis beanspruchte, weist auf sein Verständnis der päpstlichen Autorität hin. Leos Reisen versteht Massetti in Anknüpfung an seinen Doktorvater Jochen Johrendt nicht etwa analog zum Reisekönigtum als eine Art als imitatio imperii, sondern gemäß dem Modell der bischöflichen Visitation. Insbesondere durch zahlreiche Weihehandlungen und Translationsvorgänge konnte der Papst im Zuge dessen immer wieder seinen Vorrang vor den lokalen Bischöfen demonstrieren. Leos Aufenthalte in Süditalien werden demgegenüber als klar machtpolitisch motiviert gedeutet. Hier wird auch der Schlussakkord des Pontifikats mit der Niederlage gegen die Normannen und die folgende, erst durch Leos tödliche Erkrankung beendete Gefangenschaft in Benevent verhandelt.

Präzise werden die wichtigsten Ergebnisse und Thesen abschließend in einem knappen Fazit (S. 631–640) zusammengefasst. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister beschließen den Band; Kartenmaterial gibt es nicht. Formal ist an dem gut lesbaren Werk nur zu beanstanden, dass die Zweiteilung des Textes (Ekklesiologie/Handlungen) in der Gliederung fehlt, was dort vor allem bei der ersten Lektüre die Übersicht erschwert und „1.“ auf „3.“ folgen lässt (S. 6). Allzu eindeutig erscheint die Scheidung zwischen dem visitierenden Papst auf Reisen nördlich der Alpen und dem „politischen Akteur“ (S. 582) in Süditalien. Hatten nicht auch die Reisen in den Norden einen politischen, jene in den Süden einen pastoralen Charakter? (Vgl. in dieser Richtung S. 629.)

Im Ergebnis kann Francesco Massetti bilanzieren, dass Rudolf Schieffers These einer weniger nach theologischen, sondern eher nach praktischen Gesichtspunkten ausgerichteten papstgeschichtlichen Wende in Teilen zu revidieren ist (S. 631). Leo IX. wird als ein Akteur erkennbar, der sowohl in seiner Ekklesiologie als auch in seiner Amtsführung die Reformideen mit großem Eifer zu konkretisieren versuchte. Dabei arbeitete er nicht gegen die weltliche Herrschaft, emanzipierte sich aber im Sinne eines souveränen Papsttums von jeglichen Fremdeinflüssen. Damit bringt das bedeutsame Werk konzise auf den Nenner, was die Forschung zur Kirchenreform seit einer Weile ahnte. Das Buch lässt Leo IX. (weiter) aus dem langen Schatten Gregors VII. treten und widmet ihm eine überfällige Würdigung als Reformpapst eigenen Rechts. Für jede zukünftige Arbeit, die sich mit diesem Pontifex und den Anfängen der Reform befasst, ist es unverzichtbar.

Online erschienen: 2025-08-01

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