Thomas Köhler / Jürgen Matthäus / Thomas Pegelow Kaplan u. a. (Hrsg.), Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men. Unter Mitarbeit von
Annika Hartmann und Kathrin Schulte. Leiden, Brill 2023

Sven Deppisch

doi:10.1515/hzhz-2025-1224

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Thomas Köhler / Jürgen Matthäus / Thomas Pegelow Kaplan u. a. (Hrsg.), Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men. Unter Mitarbeit von Annika Hartmann und Kathrin Schulte. Leiden, Brill 2023

Sven Deppisch

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Thomas Köhler, Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men. Unter Mitarbeit von Annika Hartmann und Kathrin Schulte. 2023 Brill Leiden, 978-3-506-79282-2, € 24,90

1992 veröffentlichte Christopher R. Browning sein Buch „Ordinary Men“ im englischen Original. Im Folgejahr erschien die bahnbrechende Studie des US-amerikanischen Holocaustforschers über das Reserve-Polizeibataillon 101 aus Hamburg und seine Verbrechen im Rahmen der nationalsozialistischen Judenvernichtung auf Deutsch. Drei Jahrzehnte später wird er nicht nur durch die Tagung „Facing Police and Holocaust“, sondern auch durch den von ihr inspirierten Sammelband „Polizei und Holocaust“ dafür geehrt, die Rolle der Ordnungspolizei in Hitlers Vernichtungspolitik und damit die Direkttäter in den Fokus der Geschichtswissenschaft gerückt zu haben. Gegliedert in drei Teile beleuchten seine 16 Aufsätze, wie die maßgeblich von Browning ausgelöste Neue Täterforschung entstand und wie sie sich seither entwickelte. Auf 305 Seiten stellen sie zugleich vor, mit welchen Aspekten sich die aktuelle Forschungs- und Bildungsarbeit im Bereich Gewalt und Verbrechen im NS-Polizeistaat unter anderem beschäftigt und mit welchen Herausforderungen sie dabei konfrontiert ist. Aus Platzgründen seien folgende Beiträge exemplarisch hervorgehoben:

Christopher R. Browning rekonstruiert zu Beginn, wie sein einflussreiches Werk über die mittlerweile berühmte Polizeieinheit entstand, und geht auch schlüssig auf Kritik an seiner Studie ein. Neben den zahlreichen Lobeshymnen auf ihn und seine Arbeit wirkt indes der Beitrag von Doris Bergen deplatziert, die eine „Geschlechterproblematik in der Holocaust-Forschung“ (S. 45) des US-Amerikaners ausmacht. So wirft sie ihm vor, seinerzeit Genderaspekte missachtet und damit Frauen als Forscherinnen, aber auch als Opfer von männlichen NS-Tätern marginalisiert zu haben. Auf die Rolle von Alkoholkonsum bei den Massenverbrechen von Polizisten und SS-Männern geht sodann der stärkste Beitrag ein, in dem Edward B. Westermann das erschreckend große Ausmaß an deutschen Sexualverbrechen in Osteuropa offenlegt. Anhand von zwei Fallbeispielen bekräftigt Jürgen Matthäus, welch wichtigen Quellenwert Fotografien und Alben für die Holocaustforschung besitzen.

Thomas Pegelow Kaplan beschreibt in seinem Beitrag, wie sich in Westdeutschland und in den USA der Holocaust zu einer moralischen Referenz für angebliche und echte Verbrechen eines Staates entwickelte. Wie der Aufstieg der Gesellschaftsgeschichte die Holocaustforschung positiv beeinflusste, stellt Konrad H. Jarausch sodann in seinem Aufsatz dar. Am Beispiel der polnischen Polizei geht Jan Grabowski darauf ein, dass auch Kollaborateure häufig aus eigener Initiative heraus an Massenverbrechen an der jüdischen Bevölkerung beteiligt waren. Dass Polizisten und Militärangehörige nicht ausschließlich Täter, sondern in seltenen Fällen auch Retter von Juden waren, führt Joel Zisenwine in seinem Beitrag aus. Alfons Kenkmann und Martin Liepach zeigen, dass Brownings Arbeit auch einen Einfluss darauf hatte, wie NS-Täter in Schulbüchern dargestellt werden. Auf die Herausforderung, wie in einem multiethnischen Deutschland mit dem Holocaust umgegangen wird, geht Oliver von Wrochem ein. Derrick Angermeier legt dar, wie wichtig die Erkenntnisse aus „Ordinary Men“ dafür sein können, die rassistische Gewalt gerade von Polizisten gegen Schwarze in den USA von der Mitte des 19. zur Mitte des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich zu untersuchen.

Die meisten Aufsätze vermitteln dem Leser, wie revolutionär Brownings Studie dahingehend war, dass sich Forscher heute wie selbstverständlich mit den Vollstreckern des Judenmords besonders in der Polizei auseinandersetzen. Zudem liefern sie ihm wertvolle Einblicke in gegenwärtige Trends in Bildung und Forschung innerhalb dieses Themenfelds. Der insgesamt gelungene Band erinnert so daran, dass beide Bereiche gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen sind und unser Blick auf die Vergangenheit vom jeweiligen zeitlichen Standpunkt bestimmt wird. Seine Beiträge sind daher mehrheitlich eine Hommage an jenen Mann, der diesen Blick in die richtige Richtung lenkte.

Online erschienen: 2025-08-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1224

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