Simon Sebag Montefiore, Der junge Stalin. Stuttgart, Klett-Cotta 2024

Alexander Trendafiloff

doi:10.1515/hzhz-2025-1215

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Simon Sebag Montefiore, Der junge Stalin. Stuttgart, Klett-Cotta 2024

Alexander Trendafiloff

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Simon Sebag Montefiore, Der junge Stalin. 2024 Klett-Cotta Stuttgart, 978-3-608-98812-3, € 20,–

Simon Sebag Montefiores „Der junge Stalin“ stellt die Vorgeschichte zu dem ebenso bekannten Werk des Autors „Stalin. Am Hof des roten Zaren“ dar. Das Buch ist chronologisch aufgebaut und in vier Teile aufgeteilt, die die wichtigsten Etappen im frühen Leben von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili nachzeichnen – von seinen Kindheitstagen als kränklicher und schwächlicher Junge, der in seiner Jugend unter dem Namen Sosso bekannt war, bis hin zum späten Jahr 1917, als der 39-jährige Stalin neben Lenin, Trotzki und anderen führenden Bolschewiki in den Anfangstagen des sowjetischen Projekts Platz nahm. Montefiores Biografie, die bereits 2007 in ihrer englischen Originalausgabe („Young Stalin“) erschien, ist sowohl Osteuropahistorikern, als auch einem breiteren Publikum bekannt, das mehr über das frühe Leben eines der berüchtigtsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts erfahren will. Seit 2024 liegt das Werk auch in einer neuen deutschsprachigen Ausgabe beim Verlag Klett-Cotta vor, was seine Relevanz und Zugänglichkeit für ein deutschsprachiges Publikum zusätzlich unterstreicht.

Was Montefiore dank seines ausdrucksstarken und fesselnden Stils als erfahrenem Autor mühelos gelingt, ist die Vermittlung eines faszinierenden und komplexen Bildes des jungen Stalin, eines Mannes, der das Priesterseminar in Tiflis und eine mögliche geistliche Laufbahn aufgab, um in die gefährliche Welt des revolutionären Untergrunds einzutauchen – eine Welt der „konspirazija“ – von geheimen Treffen, Intrigen, Decknamen, Doppelagenten, Verrat, Exil und einem ständigen Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden und der Ochrana. In diesem Milieu bewegte sich Stalin, und hier erwies er sich als nützlich für Lenin und die bolschewistische Partei, indem er Streiks organisierte, Schutzgelder eintreiben ließ und Banküberfälle plante. Laut Montefiore prägte dieses konspirative und gewalttätige Umfeld Stalin als politischen Akteur und verstärkte sein charakteristisches Misstrauen und seine Grausamkeit. Parallel zu dieser gewaltsamen Seite zeichnet der Autor auch das Bild von Stalin als leidenschaftlichem Leser und Autodidakten sowie als engagiertem Schriftsteller und Redakteur – Eigenschaften, die er bis an sein Lebensende behielt, wie Autoren wie Geoffrey Roberts behaupten (Roberts, Geoffrey, Stalin’s Library. A Dictator and his Books. New Haven, CT 2022). Das Porträt „Kobas“ – Stalin hatte sich inzwischen den Decknamen eines kaukasischen Banditenhelden gegeben – wird durch Geschichten und Episoden seiner Begegnungen mit Freunden, Gefährten, Rivalen, Familienmitgliedern und intimen Partnerinnen vervollständigt.

„Der junge Stalin“ ist nicht die einzige Biografie, die sich mit den frühen Jahren Stalins befasst. Auch neuere Werke wie die von Stephen Kotkin und Ronald Grigor Suny konzentrieren sich auf Stalins Leben, bevor er zum Herrscher im Kreml wurde (Stephen Kotkin, Stalin. Vol. I: Paradoxes of Power, 1878–1928. New York 2014; Ronald Grigor Suny, Stalin. Passage to Revolution. Princeton, NJ 2020). Montefiores Biografie ist jedoch die erste, die von der Öffnung der ehemaligen sowjetischen Archive während der sogenannten Archivrevolution profitierte – eine Chance, die früheren Forschern wie Robert Tucker nicht offenstand (Robert C. Tucker, Stalin as Revolutionary, 1879–1929. A Study in History and Personality. New York 1973).

Montefiore stützt sich auf eine vielfältige Quellenbasis, zu der auch zahlreiche Archivmaterialien gehören, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung weder bekannt noch publiziert waren und die der Autor größtenteils selbst, vor allem in Georgien, ausfindig machte. Die Einführung dieser Quellen – in Form von Tagebüchern, Memoiren, Briefen von Familienmitgliedern, Freunden und anderen revolutionären Funktionären – in den wissenschaftlichen Diskurs ist zweifellos ein bedeutender Beitrag, der Montefiore anzurechnen ist.

Dennoch gibt es einige Kritikpunkte, die in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht unerwähnt bleiben sollten. So enthalten die Fußnoten zwar wichtige und teils sehr interessante Ergänzungen zum Haupttext, doch ist das verwendete Referenzsystem nicht durchgehend zufriedenstellend. Der Autor legt den Schwerpunkt klar auf die Darstellung der Geschichte und verzichtet häufig darauf, präzise Angaben zu den verwendeten Quellen zu machen oder deutlich zuzuordnen, auf welche Abschnitte des Textes sich diese beziehen. Neben dem oft ungenauen Umgang mit dem Nachweissystem erhalten die historischen Quellen stellenweise nicht die notwendige Aufmerksamkeit hinsichtlich Einordnung und Kontextualisierung im Hinblick auf ihre Herkunft, mögliche ideologische Färbung oder den Zeitpunkt ihrer Erschaffung.

Montefiores „Der junge Stalin“ stellt eine fesselnde und gut lesbare Darstellung dar, die die prägenden Jahre Stalins detailliert beleuchtet. Dennoch bleibt die Frage weitgehend unbeantwortet, was jenseits der Gewalt und der „konspirazija“ die Weltanschauung Stalins formte und letztlich seine Politik als Führer der Sowjetunion bestimmte. Dies sollte jedoch niemanden davon abhalten, zu diesem Buch zu greifen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Simon Sebag Montefiores „Der junge Stalin“ ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für die Geschichte Russlands, der Sowjetunion und der Diktaturen des 20. Jahrhunderts interessieren.

Online erschienen: 2025-08-01

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