Sophie Fetthauer, „Hier muß sich jeder allein helfen“. Paula, Josef und Frieda Fruchter: Briefe einer Wiener Musikerfamilie aus dem Shanghaier Exil 1941–1949. Neumünster, von Bockel 2024

Sarah Hagmann

doi:10.1515/hzhz-2025-1226

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Sophie Fetthauer, „Hier muß sich jeder allein helfen“. Paula, Josef und Frieda Fruchter: Briefe einer Wiener Musikerfamilie aus dem Shanghaier Exil 1941–1949. Neumünster, von Bockel 2024

Sarah Hagmann

Published/Copyright: August 1, 2025

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From the journal Historische Zeitschrift Volume 321 Issue 1

Rezensierte Publikation:

Sophie Fetthauer, „Hier muß sich jeder allein helfen“. Paula, Josef und Frieda Fruchter: Briefe einer Wiener Musikerfamilie aus dem Shanghaier Exil 1941–1949. 2024 Rolf von Bockel Verlag Neumünster, 978-3-95675-044-1, € 39,80

Drei Jahre nach ihrer umfassenden Monografie (S. Fetthauer, Musiker und Musikerinnen im Shanghaier Exil 1938–1949. Neumünster 2021) legt Sophie Fetthauer nun eine Briefedition einer Wiener Musikerfamilie vor. Paula und Josef Fruchter flohen im April 1941 mit ihrer Tochter Frieda nach Shanghai, von wo aus sie im Januar 1949 nach Israel weiterreisten. Die 67 Briefe, Telegramme und Rot-Kreuz-Nachrichten umfassen den Zeitraum zwischen April 1941, der Abreise von Berlin, und März 1949, kurz nach ihrer Ankunft in Israel.

Die Briefe (S. 135–285) zeugen zunächst von Themen und Beschreibungen, wie sie auch in Briefen anderer jüdischer Geflüchteter im Shanghaier Exil vorkommen (S. Hagmann, Managing Global Transit, in: LBIY 69/1, 2024, 71–88) – den Reiseeindrücken und dem Freiheitsgefühl auf der Flucht, der kontinuierlichen Orientierung, Wohnungs- und Arbeitssuche in Shanghai oder dem Gefühl des Fremdseins und der Beschreibung der Chinesen. Was diese Briefe jedoch besonders macht und wodurch die Quellenlage zum Shanghaier Exil erweitert wird, sind die Emotionen und die Perspektive der Hauptverfasserin Paula Fruchter. In ihren Briefen an die zurückgebliebene Familie, insbesondere an die (nicht jüdische und daher nicht verfolgte) Mutter in Wien ist immer wieder die Rede von der Verantwortung gegenüber Tochter Frieda – „Wir tun u. wollen natürlich unser Möglichstes tun, das[s] Friedl wenigstens etwas lernt!“ (S. 200.) Daneben ist ein wiederkehrendes Thema das der fehlenden Ausstattung in Shanghai, was Paula Fruchter als ihre Aufgabe betrachtete: „[I]ch muß mir natürlich eine Menge kaufen: Petroleumkocher (u. zu Hause hab ich den schönen Doppelkocher gehabt) […] etc. Du kannst Dir denken wie ich mich ärgere, das alles in Wien gelassen zu haben“ (S. 178). Paula Fruchters Stolz kommt in den Beschreibungen über ihren Ehemann Josef zum Ausdruck, etwa wenn sie schreibt: „Ihr könnt Euch nicht denken wie glücklich wir sind, daß der Start so gut gelungen. […] so ist es eine große Genugtuung, daß Joszi doch der große Künstler ist, an den ich, (als Einzige) immer geglaubt habe“ (S. 195). Ferner erhält man als Leser einen Einblick in Hoffnungen und Pragmatismus angesichts der Ungewissheit: „Leider haben wir viel zu lange auf Amerika gehofft. […] bis zum Herbst werden wir schon wissen, woran wir sind! Sollten wir uns absolut nicht einleben, müssen wir nach Wien, haben wir halt statt 10, 11 verlorene Jahre, das spielt schon keine Rolle!“ (S. 272.) Und schließlich kann man im Verlauf der Jahre die Entwicklung von Tochter Frieda vom achtjährigen Mädchen zu einer jungen Frau nachvollziehen, deren Briefe nicht nur an Länge hinzugewinnen, sondern auch an Witz, Selbstbewusstsein und Träumen von der Zukunft.

Den sorgsam edierten Briefen vorangestellt ist zunächst das Kapitel „Briefeschreiben im Shanghaier Exil“ (S. 15–46), in dem Sophie Fetthauer kurz die besondere Stadtgeschichte Shanghais skizziert sowie auf das dortige Musikleben und die Chancen für geflüchtete Musiker eingeht. Vor allen Dingen überzeugt ihre quellenkritische Einordnung der Exilbriefe, etwa ihre Berücksichtigung der staatlichen Zensurstellen, ihre Rücksichtnahme auf die Verwandten sowie anzunehmende Mitleser.

Der Mittelteil der Edition (S. 47–134) besteht aus dem größeren historischen Kontext und den Biografien der Fruchters, in die sich die nachfolgenden Briefe einbetten. Anhand weiterer verwendeter Quellen wie etwa von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien oder den Arolsen Archives wird in diesem Teil die weit verstreute Quellenlage deutlich.

Ergänzt durch Fotografien und Abbildungen mehrerer Briefe, die das gemeinsame Schreiben der Familie illustrieren, sowie ein Namensregister mit kurzen Steckbriefen bereichert Sophie Fetthauers Edition die bestehende Quellenlage und Forschungsliteratur zum Shanghaier Exil. Sie zeigt eindrücklich, dass viele Biografien und Aspekte noch nicht erforscht sind, die jedoch das Potenzial von Querverbindungen zur existierenden Forschung aufweisen.

Online erschienen: 2025-08-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1226

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