Sarina Hoff, Der lange Abschied von der Prügelstrafe. Körperliche Schulstrafen im Wertewandel 1870–1980. (Wertewandel im 20. Jahrhundert, Bd. 8.) Berlin/Boston, De Gruyter 2023

Alexander Kraus

doi:10.1515/hzhz-2025-1212

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Sarina Hoff, Der lange Abschied von der Prügelstrafe. Körperliche Schulstrafen im Wertewandel 1870–1980. (Wertewandel im 20. Jahrhundert, Bd. 8.) Berlin/Boston, De Gruyter 2023

Alexander Kraus

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

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Sarina Hoff, Der lange Abschied von der Prügelstrafe. Körperliche Schulstrafen im Wertewandel 1870–1980. Wertewandel im 20. Jahrhundert, Bd. 8. 2023 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 9783110627619, € 79,95

Die körperliche Züchtigung galt noch bis zu ihrem endgültigen Verbot in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik als ultima ratio der schulischen Erziehung: Wenn angesichts vorgeblich hartnäckiger Lernverweigerung, ungebührlich empfundenen Verhaltens oder eines drohenden Autoritätsverlustes der Lehrkraft nichts mehr zu helfen schien, blieb immer noch der Griff zu Rohrstock, Lederriemen, Rute oder anderen Formen der Körperstrafen. Dass diese Praxis der Erziehungsgewalt trotz eines bereits im Kaiserreich einsetzenden Diskurses über deren Unrechtmäßigkeit über einen solch langen Zeitraum immer wieder Billigung fand, auch und nicht zuletzt seitens der Eltern, nimmt Sarina Hoff in ihrer Mainzer Dissertation zum Anlass, um nach den Gründen für dieses vielmalige Scheitern zu fragen. Schließlich blieben die wiederholt unternommenen Versuche eines Verbots dieser Körperstrafen, so sie denn gelangen, meist allein von kurzer Dauer. In ihrer Arbeit wird deutlich, wie sehr sich die geäußerte scharfe Kritik am „‚despotischen Schulterrorismus‘“ (S. 53) wie auch die Argumentationsmuster der vehementen Verteidiger körperlicher Schulstrafen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg jeweils ähnelten. Der von ihr vornehmlich anhand von Volksschulen untersuchte Wertewandel hatte offenbar einen gut hundertjährigen Vorlauf, wobei Hoff in ihrer Rekonstruktion anschaulich zu zeigen vermag, wie wenig die Entwicklung des Diskurses über körperliche Schulstrafen wie auch deren soziale Praxis an die politischen Systeme gekoppelt war. So arbeitet sie beispielsweise für den Nationalsozialismus heraus, dass die Debatte über die Prügelstrafe zwar weitestgehend verebbte, aber eben nicht komplett verstummte.

Die beeindruckende Bandbreite der von ihr untersuchten Quellen reicht von pädagogischen Lexika, Hand- und Lehrbüchern sowie einer Vielzahl an Fachzeitschriften über die Vereinspresse, Versammlungsprotokolle und die Mitgliederkorrespondenz von Lehrerverbänden und -vereinen bis hin zu rechtswissenschaftlicher Fachliteratur, Gesetzeskommentaren, Verordnungen und Urteilsbegründungen. Darüber hinaus behandelt sie Erziehungsratgeber und pädagogische Sachbücher gleichermaßen wie Akten aus Kultusministerien und Verwaltungsbehörden, aber auch Beschwerden von Eltern oder aktenkundig gewordene Verfehlungen, sprich: Disziplinarverfahren. Hinzu kommen im Verlauf der Untersuchung zentrale neue Akteure aus der medizinischen, soziologischen und vor allem psychologischen Forschung, die den Diskurs mit anderen Akzenten und Positionierungen vielfach neu zu prägen wussten. Angesichts dieser Quellen- und Akteursvielfalt verwundert allerdings das Fehlen jener Stimmen, die von den schulischen Körperstrafen unmittelbar betroffen waren. Die Verfasserin begründet diese Entscheidung durch ihren Fokus auf die „theoretischen Debatten der Erwachsenen“, auf die sie interessierenden „rechtliche[n] und gesellschaftliche[n] Normen“, mit ihrem Forschungsinteresse an den sich verändernden Bewertungen der körperlichen Strafen. Es gehe ihr vor allem um „deren Rechtfertigung“ und eben dezidiert nicht um deren „Erleben“ (S. 31). So hat es allerdings den Anschein, als habe eben dieses Erleben der Gewalt keinerlei Einfluss auf den Diskurs gehabt, obgleich doch aus einstigen Schüler*innen sehr wohl Pädagog*innen, Mediziner*innen oder Psycholog*innen wurden, deren spätere Diskursbeiträge sich möglicherweise durchaus aus dem eigenen Erfahren bzw. Beobachten speisten.

Hoff gelingt es dessen ungeachtet auf anschauliche Art und Weise nachzuzeichnen, wie wenig geradlinig die vielstimmigen und vielfältigen Aushandlungsprozesse über das Für und Wider von schulischen Prügelstrafen verlaufen sind und wie wichtig die spezifische Akteurskonstellation aus Politik, Bürgerrechtsbewegung, Elternvertretern, der Presse und der pädagogischen Forschung für die endgültige Abschaffung gewesen ist. Dabei unternimmt sie für ihre Rekonstruktion der mannigfach gebrochenen Entwicklungslinien eine Vielzahl an Fallstudien, wobei sie vor 1945 Preußen, Sachsen und Bayern untersucht, danach den Blick auf Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern lenkt. So gelingt es ihr eindrücklich und in wünschenswerter Deutlichkeit, den regional stark voneinander abweichenden Umgang mit dem Thema anhand sprechender Fallbeispiele zu veranschaulichen. Angesichts der Vorreiterrolle, die gerade Sachsen im Diskurs über die Abschaffung der Prügelstrafen gespielt hatte, wo bereits 1922 ein vollständiges Verbot körperlicher Schulstrafen in Gesetzesform erlassen wurde, hätte der forschende Blick in die DDR interessiert. Denn bereits 1945 war in der SBZ ein Erlass erfolgt, der Körperstrafen an Schulen uneingeschränkt verbot. Hoff verzichtet indes aufgrund der „kaum vergleichbaren Rahmenbedingungen des öffentlichen Diskurses“ auf eine Einbeziehung der DDR (S. 21), obgleich doch gerade die gegenseitige Rezeption mit Blick auf die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz aufschlussreich hätte sein können – nicht zuletzt, da der Diskurs um die Abkehr von der Prügelstrafe in der Bundesrepublik auch mit einer solchen vom „‚Untertanengeist‘ des Nationalsozialismus“ verbunden war (S. 357), der Schulunterricht als solcher demokratisiert werden sollte.

In ihrem faszinierenden abschließenden Kapitel bricht Sarina Hoff sodann aus der ihrem Buch Struktur verleihenden chronologischen Vorgehensweise aus und verdichtet einzelne Untersuchungsfelder in historischen Längsschnitten zu Themenfeldern wie „Ehre“ „Menschenwürde“ oder „Gewalt(-losigkeit)“. Sie vermag beispielsweise zu zeigen, wie eng verknüpft und von Wechselwirkungen geprägt die schulische Strafpraxis mit Körperstrafen in der familiären Praxis war: So erkannten viele Lehrkörper die Duldung von Körperstrafen in der familiären Erziehung einerseits als für deren Abschaffung im Schulkontext hinderlich, wie sie andererseits den Befürwortern zur Legitimation des Gewohnheitsrechts der Züchtigung diente. Sodann zeichnet Hoff den gravierenden Bedeutungsverlust des einst elementaren Erziehungsideals des „Gehorsams“ nach. Dessen zunehmende Infragestellung ging infolge einer aufkommenden „Unterscheidung von erzwungenem und freiwilligem Gehorsam“ (S. 442) mit einer begrifflichen Neusetzung – Einordnung statt Unterordnung – einher, bis auch diese schließlich durch den der „Autorität“ abgelöst worden sei. Sarina Hoff hat eine anschauliche bildungshistorisch und gesellschaftsgeschichtlich relevante Studie vorgelegt, die vor allem durch ihre detailreichen Analysen besticht.

Online erschienen: 2025-08-01

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