Sebastian Bischoff / Christoph Jahr / Tatjana Mrowka u. a. (Hrsg.), Belgien, Deutschland und die „Anderen“. Bilder, Diskurse und Praktiken von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. (Historische Belgienforschung, Bd. 10.) Münster, Waxmann 2024

Ulrich Wyrwa

doi:10.1515/hzhz-2025-1216

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Sebastian Bischoff / Christoph Jahr / Tatjana Mrowka u. a. (Hrsg.), Belgien, Deutschland und die „Anderen“. Bilder, Diskurse und Praktiken von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. (Historische Belgienforschung, Bd. 10.) Münster, Waxmann 2024

Ulrich Wyrwa

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Sebastian Bischoff, Belgien, Deutschland und die „Anderen“. Bilder, Diskurse und Praktiken von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. Historische Belgienforschung, Bd. 10. 2024 Waxmann Münster, 978-3-8309-4828-5, € 39,90

Der 2012 gegründete Arbeitskreis „Historische Belgienforschung im deutschsprachigen Raum“, der sich die verdienstvolle Aufgabe gesetzt hat, dem in den deutschen historischen Wissenschaften noch immer vergleichsweise unterbelichteten Belgien mehr Aufmerksamkeit zu schenken, hat mittlerweile eine beachtliche Zahl von Bänden in seiner Reihe Historische Belgienforschung herausgegeben. Der erste, 2016 erschienene Band trug den prägnanten Titel: „Belgica – terra incognita?“.

Der nun vorliegende zehnte Band, hervorgegangen aus einer am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin durchgeführten Tagung, befasst sich mit den Eigen-, Fremd- und Feindbildern in der belgischen Geschichte, ihren Niederschlägen in Debatten und ihren Folgen im Handeln, wie Diskriminierungen, Ausgrenzungen und Verfolgungen. In Anlehnung an den Ort, an dem die Tagung stattfand, stellt zunächst Philippe Pierret kurz das Bildarchiv des belgischen Sammlers Arthur Langerman vor, das am Zentrum für Antisemitismusforschung angesiedelt ist. Dessen stellvertretender Direktor, Uffa Jensen, geht methodologischen Überlegungen zum Umgang mit antisemitischen Karikaturen nach und zeigt den Wandel auf, den diese im Übergang von gedruckten Bildern zum digitalen Gebrauch durchmachten. Geneviève Warland untersucht daraufhin antisemitische Karikaturen in zwei belgischen Zeitungen, von denen die erste zwischen 1881 und 1894 erschien. Die Zahl der „Zeichnung mit antisemitischen Zügen“ war jedoch gering, Warland zählt zwölf Karikaturen für diesen Zeitraum von 13 Jahren. Die zweite Zeitschrift wurde von 1933 bis 1936 gedruckt, die einen rassistischen Antisemitismus nationalsozialistischer Provenienz übernahm. Wie Warland am Beispiel dieser beiden Zeitungen zeigt, war der belgische Antisemitismus entscheidend von den Nachbarländern Frankreich und Deutschland geprägt. Weitere Beiträge untersuchen nationale Feind-, aber auch Freundbilder. Diese befassen sich sowohl mit den Bildern des belgischen Malers Antoine Wiertz (1806–1865) (Semjon Aron Dreiling) oder dem deutschen Kunsthistorikers Wilhelm Fraenger (1890–1964) (Christof Baier). Der interdisziplinäre Ansatz des Tagungsbandes zeigt sich ebenfalls in dem Beitrag von Anja van de Pol-Tegge über belgisch-deutsche Literaturübersetzungen. Die Feindbilder innerhalb der flämischen Bewegung untersucht Winfried Dolderer, und Christoph Jahr geht der bemerkenswerten Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte der flämischen und der irischen Nationalbewegung nach.

Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes liegt auf dem politischen Feld im Zeitalter der Weltkriege. Dazu zeigt zunächst Sebastian Bischoff, wie während des Ersten Weltkrieges im deutschen Kaiserreich gleichsam aus dem Nichts ein neues Feindbild Belgien geschaffen wurde, das sich aus antifranzösischen, antirussischen und antibritischen Bildelementen zusammensetzte und in nur wenigen Wochen in der deutschen Öffentlichkeit kulturelle Hegemonie erlangte. Der Frage, wie sehr dieses auch von deutschsprachigen jüdischen Intellektuellen geteilt wurde, geht Bischoff indes nicht nach. Für die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg untersucht Björn Hofmeister, welche Bedeutung Belgien zunächst in den Mitteleuropakonzepten und dann in den eine Annexion anstrebenden Kriegszielplänen des Alldeutschen Verbandes hatte. Für die Zeit des Zweiten Weltkrieges widmet sich Hubert Roland dem Antisemitismus französischsprachiger Kollaborateure, und Jakob Müller dekonstruiert die Selbststilisierung des Chefs der Militärverwaltung von Belgien und Nordfrankreich, Alexander von Falkenhausen, in seinen Memoiren als Widerstandskämpfer. Der belgische Widerstand wiederum war, wie Benjamin Pfannes zeigt, von inneren Spannungen und konträren politischen Konzepten gezeichnet. Schließlich thematisiert ein letzter Schwerpunkt das Thema Migration, einschließlich der Prozesse von Ausgrenzung und Diskriminierung, wiederum im historischen Längsschnitt vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Christina Reimann vergleicht in ihrem Beitrag, wie die Hafenstädte Antwerpen in Belgien und Rotterdam in den Niederlanden auf den durch die Entwicklung der Eisenbahn und der Dampfschifffahrt stark angestiegenen Migrationsbewegungen durch Registrieren und Identifizieren reagierten. Für die frühen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg untersucht Yasmina Zian die Bittschriften, die vor allem jüdische Ausländerinnen an die belgische Fremdenpolizei gegen die ihnen und ihren Familien drohenden Ausweisungen richteten; zumeist vergeblich, wie der Titel ihres Beitrages andeutet: „Unwirksame Briefe“. Für die Zeit der deutschen Besetzung während des Zweiten Weltkriegs untersucht Laura Stöbener die Politik der belgischen Fremdenpolizei gegenüber den als „Zigeunern“ stigmatisierten Menschen. Dabei gibt sie zugleich einen Ausblick über die belgische Diskriminierungspolitik bis in das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

Der Band zeigt noch einmal, wie verdienstvoll die Arbeit des Arbeitskreises Historische Belgienforschung für die deutschsprachigen Geschichtswissenschaften ist, indem er Aspekte belgischer Selbstwahrnehmungen, für die Geschichte Belgiens virulente Feindbilder und die vielfältigen Verflechtungen im europäischen Kulturraum zwischen Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien beleuchtet.

Online erschienen: 2025-08-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1216

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