Dagmar Herzog, Eugenische Phantasmen. Eine deutsche Geschichte. Berlin, Suhrkamp 2024

Sebastian Weinert

doi:10.1515/hzhz-2025-1214

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Dagmar Herzog, Eugenische Phantasmen. Eine deutsche Geschichte. Berlin, Suhrkamp 2024

Sebastian Weinert

Veröffentlicht/Copyright: 1. August 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Dagmar Herzog, Eugenische Phantasmen. Eine deutsche Geschichte. 2024 Suhrkamp Berlin, 978-3-518-58814-7, € 36,–

Die Geschichte der Eugenik in Deutschland hat zuletzt zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Einen Anteil daran hatte Dagmar Herzog, Professorin an der City University of New York und Expertin für die Geschichte der Sexualität. Ihre aktuelle Studie geht auf die Adorno-Vorlesungen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und des Suhrkamp-Verlages aus dem Jahr 2021 zurück und ist als umfassende Synthese angelegt.

Anders als der Titel nahelegt, stellt Herzog nicht die Geschichte der Eugenik ins Zentrum ihres Buches. Vielmehr fragt sie – ausgehend von einer prägnanten Einleitung zur Geschichte der Euthanasie und Eugenik im Nationalsozialismus –, welche eugenischen Narrative die gesellschaftliche Vorstellung von Menschen mit geistiger Behinderung präg(t)en. Herzogs Untersuchung leitet die These, dass insbesondere geistige Behinderungen noch bis in die Gegenwart mit einer negativen Deutung verbunden sind. Vor diesem Hintergrund nimmt sie sich eine „Ideengeschichte der geistigen Beeinträchtigung“ (S. 28) vor, die an manchen Stellen indes etwas zu standortgebunden daherkommt.

Die Verfasserin unterteilt ihre Studie in fünf Kapitel. Kapitel 1 „Das Problem der Unheilbarkeit“ (S. 27–59) beschreibt die Situation von Menschen mit Behinderung im 19. Jahrhundert und zeichnet die Entstehung einer modernen, zunächst noch stark kirchlich geprägten Behindertenhilfe nach. Das zweite Kapitel „Liebe, Geld, Mord“ (S. 61–97) fokussiert auf die Ausbreitung eugenischer und euthanatischer Ideen am Anfang des 20. Jahrhunderts, die vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zuwendung zum „Volkskörper“ entstanden sind und durch den Ersten Weltkrieg deutlich katalysiert wurden. Im dritten Kapitel „Wie erkennt man ein Verbrechen“ (S. 99–134) widmet sich Herzog der erinnerungspolitischen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen an Menschen mit Behinderung. Sie zeichnet die Entwicklung der Erinnerungskultur von einer fast vollständigen Verleugnung der Verbrechen bis hin zur Errichtung des Gedenk- und Informationsorts für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde nach. Das vierte Kapitel „Der Faschismus in den Köpfen“ (S. 135–186) rückt den sonderpädagogischen Diskurs der Nachkriegszeit bis etwa in die 1980er Jahre ins Zentrum. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Beitrag jüngerer, eher linker und reformorientierter Sonderpädagogen, die – zusammen mit der in den 1980er Jahren entstehenden Krüppelbewegung – ein positives Narrativ von Behinderung vertraten. Das letzte Kapitel „Sozialistischer Humanismus und behindertes Leben“ (S. 187–233) zeichnet die parallele Entwicklung in der DDR nach.

Herzogs zentrales Argument ist, dass der dominante Fokus der Behindertenhilfe auf die Nützlichkeit bzw. Arbeitsfähigkeit von Menschen mit (geistiger) Behinderung – eine grundsätzlich defizitorientierte Perspektive – das Bild von Menschen mit geistiger Behinderung bis heute prägt und letztlich ein Einfallstor für eugenische oder gar euthanatische Ideen öffnete. Erst ab den 1970er Jahren brachten Reformer sowie die Krüppelbewegung eine andere, positiv gerahmte Sichtweise in die öffentliche Debatte ein. In ihrem Nachwort hebt sie hervor, dass sich ab diesem Zeitraum ein neues, positives Behinderungsbild auszubreiten begann, gerade Menschen mit Mehrfachbehinderungen sowie Kinder mit geistigen Behinderungen aber bis heute von Exklusion betroffen sind.

„Eugenische Phantasmen“ ist eine gute Synthese zu einem wichtigen Thema, das jedoch insgesamt keine besonders überraschenden Deutungen liefert, sondern sich im Wesentlichen auf einer Linie mit dem Forschungsstand bewegt. Ein bedauerlicher Nachteil des ideengeschichtlichen Ansatzes von Dagmar Herzog ist, dass sie die ökonomischen und sozialen Realitäten, die den Alltag von Menschen mit geistiger Behinderung bis heute prägen, tendenziell unterschätzt. Nichtsdestoweniger ist „Eugenische Phantasmen“ ein lesenswertes Buch, das in einem bisher noch nicht dagewesenen Umfang auf einem breiten Forschungsstand stehend einen Überblick über ein bisher zu wenig beachtetes Forschungsfeld eröffnet.

Online erschienen: 2025-08-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1214

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