Voerkel, Paul; Uphoff, Dörthe; Gruhn, Dorit Heike (Hrsg.): Germanistik in Lateinamerika. Entwicklungen und Tendenzen. Göttingen: Universitätsverlag, 2021 (Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 106). -- ISBN 978-3-86395-517-5. 501 Seiten, € 61,00.

Der Sammelband Germanistik in Lateinamerika -- Entwicklungen und Tendenzen, herausgegeben von Voerkel (Deutschland), Uphoff (Brasilien) und Gruhn (Mexiko), bietet eine detaillierte Darstellung von Deutsch als Fach sowie als Studien- und Lerngegenstand in Lateinamerika. Die Publikation, erschienen beim Universitätsverlag Göttingen, präsentiert historische und aktuelle Aspekte der Germanistik und betont die enge Verbindung zwischen dem deutschen und dem lateinamerikanischen Sprach- und Kulturraum. Versammelt sind Beiträge von Wissenschaftler:innen aus elf Ländern, die die Vielfalt und Dynamik der Germanistik in den verschiedenen lateinamerikanischen Kontexten reflektieren und die Wichtigkeit interkultureller Kommunikation unterstreichen. Mit der Creative Commons Lizenz, die einen kostenfreien Zugang ermöglicht, spiegelt das Werk den modernen Ansatz im Wissensaustausch wider.

Der Sammelband bietet mit seinen 21 Beiträgen einen breitgefächerten Einblick in die germanistischen Studien der Großregion Lateinamerika, von Mexiko bis Argentinien. Er deckt damit ein Spektrum ab, das von der Auseinandersetzung mit deutscher Literatur und Philosophie über Sprachenpolitik und Spracherwerb bis hin zu den kulturellen Beiträgen deutscher Einwanderer:innen in Lateinamerika reicht. Die Herausgeber:innen haben eine sorgfältige Auswahl getroffen, die die Vielschichtigkeit und Entwicklung der Germanistik widerspiegelt, eingebettet in die jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte.

Die Autor:innen der einzelnen Beiträge bringen unterschiedliche methodische Ansätze ein, von literaturkritischen Analysen bis zu empirischen Untersuchungen, und zeigen die Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit der Disziplin. Ein zentrales Thema ist die Rolle der deutschen Sprache und Kultur in der Förderung interkultureller Kompetenz und der Verbindung zwischen Lateinamerika und dem deutschsprachigen Raum. Die Beiträge diskutieren die Herausforderungen eines multilingualen und multikulturellen Umfelds und bieten innovative Ansätze für den Umgang damit.

Das Werk zeichnet sich durch seine interdisziplinäre Perspektive aus und reflektiert über die Bedeutung der Germanistik für Bildung, Gesellschaft und Kultur. Es richtet sich an ein breites Publikum, das sich für die kulturellen und sprachlichen Dynamiken Lateinamerikas interessiert und bietet auf dem aktuellen Stand der Forschung tiefergehende Einsichten in das Potenzial der deutschen Sprache und Kultur weltweit.

Die im Folgenden präsentierte Auswahl an Beiträgen spiegelt exemplarisch die Vielfalt und Reichweite der Publikation wider. Sie deckt geografische, thematische und methodische Breiten ab und repräsentiert die diversen Autoren:innenprofile. Diese Auswahl, notwendig aufgrund des begrenzten Umfangs, bietet einen repräsentativen Einblick in die germanistische Forschung und Praxis in Lateinamerika und lädt zur weiteren Erkundung des Gesamtwerkes ein.

Der Beitrag „Fünf große Damen der mexikanischen Germanistik“ von Gruhn würdigt die entscheidende Rolle von Frauen in der Entwicklung der Germanistik in Mexiko während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gruhn skizziert die akademischen und kreativen Karrieren dieser Pionierinnen und die gesellschaftlichen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, insbesondere um das Jahr 1968 herum. Sie hebt hervor, wie diese Frauen trotz der männlich dominierten akademischen Welt bedeutende Beiträge leisteten, von Literaturkritik bis zur Gründung von Studiengängen. Mittels biografischer Analysen, basierend auf Publikationen und persönlichen Dokumenten, zeichnet die Autorin ein detailliertes Bild ihrer individuellen Errungenschaften und ihres kollektiven Einflusses auf die Germanistik. Die Analyse unterstreicht die Notwendigkeit, die wissenschaftlichen Beiträge von Frauen anzuerkennen und deren vielfältige Bereicherung der Disziplin zu würdigen. Gruhns Arbeit betont die Bedeutung von Frauen in der Wissenschaft und fordert zu weiterer Forschung über weibliche Beiträge in der Germanistik auf, wobei sie die Geschichten dieser Frauen als Beispiele für Entschlossenheit und Hingabe präsentiert, die den unverzichtbaren Beitrag von Frauen zur wissenschaftlichen Gemeinschaft verdeutlichen.

Der Artikel „Publikationen der mexikanischen Germanistik im Wandel (1954–2018)“ von Gruhn und Hahn kartiert die Entwicklung der germanistischen Forschung in Mexiko anhand einer Analyse von über 1.000 Publikationen. Die Studie, die Zeitschriftenartikel und Sammelbandbeiträge als Hauptpublikationsformen identifiziert, zeigt eine thematische Expansion und methodische Diversifizierung, die auf eine lebendige und sich an globale Diskurse anpassende Disziplin hinweist. Die Autorinnen betonen die zunehmende Berücksichtigung von Intermedialität und Alterität, obwohl moderne Begriffe wie hybrid selten auftauchen. Ihre bibliometrische Methode offenbart Trends und Muster, die die dynamische Natur der mexikanischen Germanistik und ihre Reaktion auf internationale Strömungen unterstreichen, was den Beitrag zu einem wichtigen Reflexionspunkt für die Entwicklung der Germanistik in Lateinamerika macht.

Brasiliens qualitative und quantitative Führungsrolle in der Region spiegelt sich auch in diesem Sammelband wider, denn sieben der 21 Beiträge des Sammelbandes beschäftigen sich mit germanistischen Themen im größten Land Lateinamerikas. Stellvertretend sollen hier drei Beiträge kurz näher vorgestellt werden, die jeweils die Professionalisierung von DaF-Lehrenden in Brasilien als zentrales Entwicklungselement der Germanistik in den Fokus rücken.

Voerkel liefert einen historischen Abriss der Deutschstudiengänge an brasilianischen Universitäten, zeigt deren Anpassung an gesellschaftliche und bildungspolitische Kontexte und betont die Bedeutung deutsch-brasilianischer Beziehungen. Gondar, Vaz Ferreira und Bolacio erörtern die fremdsprachendidaktische Professionsbildung in Rio de Janeiro, wobei sie die Notwendigkeit einer modernen, praxisorientierten Lehrerausbildung hervorheben. Costa Pereira fokussiert auf die Germanistik im Norden und Nordosten Brasiliens, wo sie die Verbindung zwischen Lehrkräfteausbildung und Deutschunterricht unter schwierigen regionalen Bedingungen untersucht. Die methodischen Ansätze der Au-tor:innen variieren: Voerkel nutzt eine historisch-deskriptive Methode, Gondar, Vaz Ferreira und Bolacio wenden qualitative Analysen an, und Costa Pereira kombiniert quantitative mit qualitativen Methoden, um ein detailliertes Bild der regionalen Situation zu zeichnen. Die Analysen verdeutlichen die dynamische Entwicklung der Germanistik in Brasilien, die von regionalen Besonderheiten und einem Engagement für die Disziplin trotz infrastruktureller Herausforderungen geprägt ist. Die Beiträge zeigen die Anpassungsfähigkeit der Studiengänge und die Innovationskraft in der Lehrerausbildung auf und betonen die Wichtigkeit der Weiterentwicklung der Germanistik in Brasilien. Sie bieten eine solide Basis für zukünftige Forschungen zur Verbesserung der Lehrerausbildung in diesem für die Germanistik in Lateinamerika so wichtigen Land

Ullrichs Beitrag „Das Deutsche und die Deutschen in Bolivien“ ist eine detaillierte Untersuchung der deutschen Sprache und Kultur in Bolivien, die die historischen Wurzeln und die gegenwärtige Situation der deutschsprachigen Gemeinschaft und des Deutschunterrichts beleuchtet. Ullrich zeichnet die Einwanderungsgeschichte nach und identifiziert die mennonitischen Gemeinschaften als Hauptträger der deutschen Sprache heute. Sie stellt fest, dass die Zahl der Deutschlernenden wächst und beschreibt die institutionelle Landschaft des DaF-Unterrichts, von Schulen über Kulturinstitute bis hin zu Universitäten. Besonders hervorgehoben wird das Curriculum des einzigen bolivianischen Studiengangs zur Ausbildung von DaF-Lehrkräften. Der von der Autorin gewählte methodische Ansatz kombiniert historische Forschung mit der Analyse von Bildungsstatistiken und aktuellen Studien, um ein vielschichtiges Bild der deutschen Sprachpräsenz in Bolivien zu erstellen. Ihre Analyse unterstreicht die Vielfalt der deutschen Kultur in Bolivien, die von historischen bis zu modernen Bildungsinitiativen reicht, und diskutiert die Herausforderungen und Chancen für die deutsche Sprache in einem multilingualen Kontext. Der Artikel betont die Bedeutung der Integration der deutschen Sprache in das bolivianische Bildungssystem und wirft Fragen für zukünftige Forschungen auf.

Das Nachwort des Sammelbandes, verfasst von den drei Herausgeber:innen, strukturiert pointiert die zahlreichen und vielfältigen Erkenntnisse über Entwicklungen und Tendenzen der Germanistik in Lateinamerika. Dafür werden anstelle einer abschließenden Übersicht die Diskussionen über die Germanistik in elf lateinamerikanischen Ländern zusammengefasst und die Bedeutung von Vernetzung und die Identifikation von Trends betont. Ebenso wird die seit den 1990er-Jahren gewachsene Bedeutung der Germanistik in der Region, trotz Herausforderungen wie dem Mangel an schulischem Deutschunterricht und qualifizierten Lehrkräften, oder die Rolle von Germanisten im Spannungsfeld zwischen Kulturvermittlung und Sprachlehre diskutiert. Auch der oft zitierte Paradigmenwechsel wird hervorgehoben, bei dem Deutsch als Fremdsprache (DaF) nun als Wissenschaftsbereich anerkannt ist und einen integralen Bestandteil der Germanistik darstellt. Die Bedeutung des schulischen Deutschunterrichts wird unterstrichen, insbesondere in Gebieten mit starker deutschsprachiger Einwanderung, und die Aus- und Weiterbildung von Deutschlehrkräften wird als zentrale Aufgabe gesehen, wobei ein Bedarf an mehr methodisch-didaktischem Input im Studium besteht. Zudem wird festgestellt, dass eine konsolidierte germanistische Szene sich wahrscheinlich entwickeln wird, wenn Deutsch als Fremdsprache an Schulen weiter verbreitet ist und die Präsenz der deutschen Sprache in der Gesellschaft gestärkt wird. Abschließend wird auf zukünftige Herausforderungen und die Notwendigkeit einer strategischen Positionierung hingewiesen, insbesondere im Hinblick auf digitale Kommunikation und Bildung. Der Sammelband wird als Einladung zur Zusammenarbeit und als Basis für zukünftige Forschungen im Bereich DaF und Germanistik betrachtet.

Der Sammelband Germanistik in Lateinamerika -- Entwicklungen und Tendenzen liefert eine facettenreiche Darstellung der Germanistik in Lateinamerika und bereichert den aktuellen Diskurs innerhalb der und über die Disziplin. Besondere Stärken des Bandes sind seine geografische und thematische Breite sowie die Einbeziehung praktischer Anwendungen der Germanistik in Lehre und Bildung, exemplarisch bei der Diskussion zur Rolle von Deutsch als Fremdsprache und Lehrkräfteausbildung. Die Betonung der Praxisrelevanz der Germanistik in der Bildungslandschaft zeigt sich durch die Fokussierung auf die Aus- und Weiterbildung von Deutschlehrkräften. Der Band offenbart auch Herausforderungen und Chancen der deutschen Sprache und Kultur in der Region. Trotz der Stärken gibt es Raum für Vertiefung, insbesondere im Bereich der digitalen Transformation und in der strategischen Positionierung der Germanistik in digitalen Medien. Eine gewisse Herausforderung liegt in der Balance zwischen Vielfalt und Kohärenz der Beiträge, um ein klareres Bild der germanistischen Tendenzen in Lateinamerika zu zeichnen.

Der Band stellt einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion über die Positionierung der Germanistik im globalen Kontext dar, betont interkulturelle Kompetenzen und sieht die Germanistik als Brücke zwischen Kulturen. Offene Fragen bleiben in Bezug auf die internationale Vernetzung der Germanistik in Lateinamerika und ihre Rolle bei der Förderung von Mehrsprachigkeit sowie im Umgang mit globalen Herausforderungen wie Migration und kultureller Diversität. Insgesamt unterstreicht der Sammelband die Relevanz und Dynamik der Germanistik in Lateinamerika und dient als Inspirationsquelle für interdisziplinäre und interkulturelle Ansätze, wodurch er einen wertvollen Beitrag zur internationalen akademischen Landschaft leistet.