Krischke, Wolfgang: Was heißt hier Deutsch? Kleine Geschichte der deutschen Sprache. 2. Auflage. München: C. H. Beck, 2022. -- ISBN 978-3-406-79158-1. 368 Seiten, € 14,95.

Der Titel stellt die zweite, aktualisierte Auflage des Werkes dar, das zum ersten Mal im Jahr 2009 erschienen ist. Der Autor ist promovierter Linguist, der als freiberuflicher Journalist (u. a. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Zeit, NDR) arbeitet und als Lehrbeauftragter für Germanistische Linguistik an den Universitäten Hamburg und Bremen Seminare zu Themen aus den Bereichen Grammatik, Sprachgeschichte, Sprachkritik, Medienlinguistik und Niederdeutsch veranstaltet hat. In diesen Bereichen liegt auch sein Forschungsgebiet. Die Breite der Forschungs- und Sprachinteressen des Autors spiegelt sich in dem rezensierten Titel wider. Das Werk behandelt nicht nur die Geschichte der deutschen Sprache, sondern auch die vielfältigen sprachlichen Prozesse, die im heutigen Deutsch verlaufen und seine lexikalischen und grammatischen Strukturen beeinflussen und formen.

Das Buch besteht aus sechs Kapiteln (9–326), Anmerkungen (327–338), Quellen und Literatur (338–362) sowie Register (363–368). In Kapitel 1 Was heißt hier «Deutsch»? schreibt Krischke über die germanischen Wurzeln der deutschen Sprache, die geheimnisvollen Runen, die ältesten deutschen Texte, über das Wort «deutsch» (27) und seine Wurzeln. Der Leser erfährt auch von der Bedeutung des Lateinischen für die Entwicklung des Deutschen und von den ersten Versuchen in der Zeit Karls des Großen, auch in dem kirchlichen Bereich die Rolle der Volkssprache zu stärken. Der Autor erläutert außerdem, wie der Name Deutschland entstand und warum es so unterschiedliche Bezeichnungen für Deutschland in anderen europäischen Sprachen gibt. Der Leser lernt die Anfänge der deutschen Literatur und die Bedeutung der Klöster für die Entwicklung der deutschen Schriftkultur kennen. Nach der Lektüre des Kapitels versteht man, warum sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine überregionale deutsche Schriftsprache zu etablieren begann, deren Orthografie sogar noch später, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, verbindlich für alle deutschsprachigen Gebiete geregelt wurde. Man erfährt viel Interessantes über die Bedeutung der Dialekte, die Lautverschiebung und die Spaltung in Frankreich und Deutschland.

Kapitel 2 Unterwegs zur Hochsprache zeichnet im Detail den Weg zum heutigen Hochdeutsch nach. Der Autor beginnt seine Ausführungen mit der mittelalterlichen Sprache der Ritterlichkeit, die als mittelhochdeutsche Literatur ihre Blütezeit in den Jahren 1150–1250 erlebte. Er weist auf die Rolle der Städte und des Handels bei der Entwicklung überregionaler Sprachvarianten und der Schriftlichkeit hin. Viele Textabschnitte werden den herausragenden Persönlichkeiten gewidmet, die auf die Vereinheitlichung der deutschen Sprache einen starken Einfluss ausgeübt haben, wie beispielsweise Martin Luther, Justus Georg Schottel, Johann Christoph Gottsched oder Johann Christoph Adelung. Man erfährt, welche Rolle bei den sprachlichen Entwicklungsprozessen der Sprachstreit zwischen den Katholiken und den Protestanten gespielt hat und warum das Niederdeutsche zum Dialekt abgesunken ist. Sehr interessante Ausführungen des Autors beziehen sich auf das allmähliche Verdrängen des Lateins als Universitätssprache und auf die Rolle des Französischen als Medium der höheren Bildung und weitläufigen Konversation im 18. Jahrhundert. Krischke antwortet ebenfalls auf die Frage, warum das Schweizerdeutsche bis heute viel mehr Prestige besitzt als andere deutsche Mundarten, wie eine einheitliche hochdeutsche Aussprache zustande gekommen ist und was verursacht, dass sich die Bedeutungen ändern.

Kapitel 3 Buchstabenkämpfe -- der Streit um die rechte Schreibung beschreibt den langen Weg, den die deutsche Orthografie seit der Zeit Christoph Martin Wielands und Friedrich Gottlieb Klopstocks zurückgelegt hat bis zur Rechtschreibreform in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Dabei kommen die Verdienste solcher prominenten Personen zur Sprache wie Jacob Grimm und Konrad Duden. Der Autor beschreibt die Bedeutung der orthografischen Konferenzen in den Jahren 1876 und 1901, die Rechtschreibreform im Nationalsozialismus und setzt sich kritisch mit den letzten Neuerungen in der Orthografie aus dem Jahr 1996 auseinander. Überdies erfährt der Leser viel über Besonderheiten der deutschen Orthografie wie die Umlaute, die Großschreibung der Substantive, das Entstehen des „Buckel-s“ (199), die Schreibung der kurzen und langen Vokale. Ganz aktuelle Themen für das digitale Zeitalter finden sich in dem lustig verfassten Unterkapitel Schreibsprech digital (212 ff.).

Kapitel 4 widmet Krischke den Problemen, die sich aus der Beeinflussung des Deutschen durch andere Sprachen ergeben. Er geht der Frage nach, wie viele Lehnwörter es im Deutschen gibt, und analysiert danach die Rolle, welche bei seiner Entwicklung solche Sprachen wie Latein, Französisch, Flämisch und Englisch gespielt haben und -- im Falle der letztgenannten Sprache -- in einem großen Umfang bis heute spielen. Der Autor stellt nicht nur die Entlehnungen aus den einzelnen Sprachen dar, sondern geht auf soziale, politische und kulturelle Prozesse ein, die dazu beigetragen haben, dass gerade diese und nicht eine andere fremde Sprache in einer bestimmten Periode zu einer Mode- bzw. Prestigesprache geworden ist und somit die lexikalischen und nicht selten auch grammatischen Strukturen des Deutschen mitgeprägt hat. Er zeigt ebenfalls, wie man in der Barockzeit und dann abermals nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches die fremden Einflüsse in der deutschen Sprache begrenzen wollte, indem man Entlehnungen aus anderen Sprachen verdeutschte, wie dies unter anderen solche Beispiele wie „kopflos“ statt „panisch“, „altertümlich“ statt „antik“, „verwirklichen“ anstelle von „realisieren“ oder „Abschrift“ anstelle von „Kopie“ veranschaulichen. Ein besonderes Augenmerk richtet der Autor auf den sprachlichen Einfluss des Englischen. Er sieht darin eine Gefahr nicht für das Deutsche als Sprache der täglichen Kommunikation, sondern für Deutsch als Wissenschaftssprache, die ein bestimmtes Fachvokabular braucht und die bei der vorherrschenden Stellung des Englischen in der globalisierten Welt allmählich absterben kann.

In Kapitel 5 Deutsch im Formtief? Grammatisches End(ungs)spiel werden grammatische Fragen besprochen. Der Autor geht dabei auf die indogermanischen Formen zurück und erklärt auf eine anschauliche Weise, warum infolge der Akzentverschiebungen die meisten Endungen im Deutschen weggefallen bzw. auf einen kurz ausgesprochenen Vokal -e reduziert wurden. Viel Interessantes erfährt man in den Unterkapiteln, die das Entstehen der schwachen Verben erklären und den Leser auf die Besonderheiten der unregelmäßigen Verben und Substantive aufmerksam machen.

Kapitel 6 Genus, Sexus, Gender: Die Vergeschlechterung der Grammatik beschäftigt sich mit den Fragen des grammatischen Genus, des natürlichen Geschlechts und der gendergerechten Sprache. Der Autor verfolgt die Entstehungsgeschichte der drei deutschen Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum und stellt unter Beweis, dass das heutige Maskulinum keineswegs eine Art sprachliche Benachteiligung der Frauen darstellt, sondern lediglich neben der Bedeutung, die sich auf die Männer einschränkt, die zweite inklusive Variante hat, die sowohl Männer als auch Frauen einschließt. Dies trifft natürlich nur auf Situationen zu, in denen mit dem Maskulinum auf eine männliche Person oder das Männchen einiger Tiere Bezug genommen wird. Das Femininum bezieht sich dann auf die entsprechende weibliche Person oder das Weibchen und hat keine inklusive Bedeutungsvariante. Sehr interessant sind Unterkapitel, in denen die Fragen der gendergerechten Sprache analysiert werden. Nach der Ansicht des Autors „[...] handelt [es] sich hier um einen Eingriff in die Struktur der Sprache, wie es ihn in diesem Ausmaß und mit dieser politischen und administrativen Rückendeckung noch nicht gegeben hat“ (326). Krischke deckt dabei mit zahlreichen Beispielen auf, dass die gendergerechten moralpolitisch aufgeladenen Signalformen (u. a. Ausrufezeichen, Unterstriche oder Lücken zum Symbol für die freie Geschlechtswahl) den Sprachgebrauch umständlicher machen und zu grammatischen Defekten führen werden.

Den Inhalt des Buches verfolgt man mit großem Interesse. Das Verstehen der komplexen sprachlichen Zusammenhänge erleichtern viele Beispiele, mit denen die lexikalischen, grammatischen, sprachhistorischen und sprachkulturellen Fragen veranschaulicht werden. Eine weitere Hilfe stellt der allgemein verständliche leserfreundliche Schreibstil des Autors dar. Die Inhalte, an denen man ein besonderes Interesse hat, findet man ohne größere Schwierigkeiten mit Hilfe des übersichtlich aufgebauten Inhaltsverzeichnisses und Registers. Diejenigen, die ihr Wissen über die deutsche Sprache noch weiter vertiefen möchten, begegnen vielen interessanten Anregungen im umfangreichen Literaturverzeichnis. Das Werk ist eine wahre Fundgrube mit Informationen über die deutsche Sprache, deren Strukturen und Wandel, die vor historisch-politischem und sozial-kulturellem Hintergrund präsentiert werden. Der Titel eignet sich ausgezeichnet als Lektüre für Germanistikstudenten, Deutschlerner und alle, die an der Geschichte der deutschen Sprache und an ihren Besonderheiten interessiert sind.