Schwendemann, Matthias: Die Entwicklung syntaktischer Strukturen. Eine Längsschnittstudie anhand schriftlicher Sprachdaten erwachsener Deutschlernender mit der Erstsprache Arabisch. Berlin: Erich Schmidt, 2023. -- ISBN 978-3-503-21222-4. 343 Seiten, € 79,95.

Schwendemann fokussiert mit seiner Arbeit zu syntaktischen Strukturen im Zweitspracherwerb einerseits die bisher nur wenig untersuchte Gruppe neu zugewanderter Deutschlernender und eröffnet andererseits Perspektiven verschiedener theoretischer und methodischer Zugänge, die so für den deutschsprachigen Forschungskontext zum Teil noch nicht etabliert sind. Ziel der Studie ist es, Erkenntnisse darüber zu generieren, wie sich der Zweitspracherwerb anhand syntaktischer Strukturen operationalisieren und empirisch modellieren lässt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Zusammenspiel theoretischer Konzeptionen sowie daraus resultierender, verschiedener methodischer Zugänge, die der Autor im Besonderen anhand auftretender Variation in den Produktionsdaten herausarbeitet.

Die Kombination und Reflexion verschiedener lernerkorpuslinguistischer Methoden macht die Arbeit besonders lesenswert für Interessierte an der empirischen Modellierung lernersprachlicher Entwicklung.

In einer einleitenden Kontextualisierung und grundlegenden Motivation der Arbeit im ersten Kapitel (11–25) differenziert Schwendemann u. a. seine Forschungsfragen folgendermaßen: Anhand von Gruppen- und Einzelfalldaten soll untersucht werden, welche syntaktischen Erwerbsreihenfolge(n) sich für die Lernenden beschreiben lassen und wie sich die lernersprachliche Entwicklung charakterisieren lässt. Anhand der Gruppendaten soll außerdem betrachtet werden, inwiefern die Art der Instruktion zu Unterschieden im Spracherwerbsprozess führt -- die Lernenden wurden hierzu entweder einem Sprachkurs zugewiesen, dessen Schwerpunkt auf der expliziten Vermittlung syntaktischer Strukturen lag oder der eine implizite Sprachvermittlung mit dem Schwerpunkt Semantik durchführte.

Die Publikation beruht auf der an der Universität Leipzig eingereichten Dissertationsschrift des Autors und entstand im Kontext eines Forschungsprojektes des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Kooperation mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig. Schwendemann fokussiert zwei Subsamples aus dem Gesamtprojekt, welches Veränderungen der Hirnplastizität im Spracherwerb von 62 erwachsenen Deutschlernenden mit der Erstsprache Arabisch im Kontext verschiedener Intensivsprachkurse untersuchte (vgl. hierzu Wei et al. 2023). Zwei Projektphasen erstreckten sich dabei über eine Dauer von 18 Monaten, wobei in der ersten Phase alle Lernenden Sprachkurse mit dem Abschlussziel einer B1-Prüfung nach dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen besuchten, während in der zweiten Projektphase 42 der Teilnehmenden auf eine Prüfung zum Hochschulzugang (C1) hinarbeiteten. Schwendemann legt den Schwerpunkt seiner Arbeit mit den Subsamples auf schriftliche Textproduktionen und betrachtet zunächst eine Gruppe von 44 Teilnehmenden der ersten Projektphase (je drei Texte aus den ersten sechs Monaten) und schließt zwei Einzelfallstudien mit je 24 Texten aus dem gesamten Projektzeitraum an.

Das zweite Kapitel beschreibt den Forschungsstand (27–99) und umfasst zunächst grundlegende Bemerkungen zur Spracherwerbs- und Lernersprachenforschung sowie der Forschung zum Schreiben in der Zweitsprache. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Darstellung zweier theoretischer Frameworks der L2-Erwerbsforschung: der Processability Theory (PT; vgl. z. B. Pienemann 1998) und der Complex Dynamic Systems Theory (CDST; vgl. z. B. De Bot 2017). Schwendemann stellt für beide Ansätze jeweils Grundannahmen dar und skizziert die empirisch-methodischen Entwicklungen am Beispiel von Forschungsarbeiten zum Erwerb syntaktischer Strukturen. Zentral ist für den Autor dabei, wie Erwerbskriterien in den jeweiligen Ansätzen und konkreten Arbeiten operationalisiert werden und wie inter- sowie intraindividuelle Variation perspektiviert wird. Zusammenfassend wird außerdem die (gegenseitige) Kritik der beiden Ansätze und ihre Bedeutung für DaF-/DaZ-Kontexte dargestellt.

In Bezug auf die empirischen Grundlagen lässt sich feststellen, dass im Kontext der PT für das Deutsche als Zweit- bzw. Fremdsprache bereits verschiedene Forschungsarbeiten und mit der Profilanalyse nach Grießhaber (vgl. exemplarisch Grießhaber 2012) auch ein breit rezipierter diagnostischer Zugang zum Syntaxerwerb in der L2 vorliegen, während CDST-Ansätze in der Zweitspracherwerbsforschung bisher v. a. für das Englische Anwendung fanden.

Erfreulich umfangreich gestaltet sich Kapitel 3 (101–169), das die Datengrundlage der Gesamtstudie, die von Schwendemann fokussierten Samples sowie methodische Zugänge der Datenauswertung darstellt.

Ausführlich beschreibt der Autor Überlegungen zu und Ablauf der Rekrutierung von Studienteilnehmenden und stellt den Untersuchungsaufbau sehr reflektiert dar. Besonders hervorzuheben sind dabei die bisher weniger etablierten und zum Teil explorativen Zugänge, die neue Ansätze zu Fragen der Varianzaufklärung und den Möglichkeiten nicht parametrischer Testverfahren für deutsche Lernerdaten liefern. Konkret nutzt Schwendemann für seine Daten neben Emergenzanalysen (im Kontrast werden Emergenzkriterien nach Grießhaber bzw. Pienemann beleuchtet) auch longitudinale Clusteranalysen, welche je durch entsprechende statistische Testverfahren gestützt werden. Für die Einzelfallanalysen werden grafische Trendanalysen, einfache und gleitende Korrelationsanalysen sowie die im Kontext der L2-Forschung neue Change Point-Analyse genutzt. Die konkrete Passung zu den einzelnen Forschungsfragen stellt der Autor differenziert sowohl in diesem als auch dem folgenden Kapitel zu den Ergebnissen (171–288) dar.

Für die Gruppendaten lässt sich zunächst auf Grundlage deskriptiver wie auch prüfender Statistik ein sequenzieller Erwerbsverlauf zur Wortstellung im Sinne der Profilanalyse nachzeichnen. Werden die Lernenden der Gruppe aber individuell betrachtet, wozu Schwendemann die Emergenzkriterien von Pienemann und Grießhaber jeweils gegenüberstellt, lassen sich für die einzelnen Lernenden weder die bisher angenommenen noch alternative Erwerbssequenzen beschreiben. In den durch hohe inter- und intraindividuelle Varianz geprägten Datenreihen zeigen sich darüber hinaus Unterschiede je nach verwendetem Emergenzkriterium. Um diese Varianz im Sinne möglicher Gemeinsamkeiten verschiedener Subgruppen differenzieren zu können, schließt Schwendemann eine longitudinale Clusteranalyse an, in welcher er die Strukturen der Profilanalyse und weitere syntaktische Komplexitätsmaße (durchschnittliche Länge, Subordinationsrate und den Anteil komplexer Nominalphrasen je minimaler satzwertiger Einheit) als Variablen nutzt. In Hinblick auf die dritte Forschungsfrage, einem möglichen Einfluss des Kurstyps auf die lernersprachlichen Produktionen, lassen sich keine signifikanten Effekte beschreiben.

Die betrachteten Einzelfälle zielen vor allem auf eine Varianzaufklärung ab. Hierbei werden wiederum die erreichte Profilstufe der betrachteten Texte wie auch die in den Gruppendaten genutzten syntaktischen Komplexitätsmaße herangezogen. So beschreibt Schwendemann anhand grafischer Trend- und Change Point-Analysen, dass Veränderungen im Gebrauch der syntaktischen Strukturen immer aus Phasen großer Variabilität hervorgehen -- wobei solche Phasen nicht immer Veränderungen bedingen müssen. Die anschließenden Interaktions- und Korrelationsanalysen zum Zusammenhang der syntaktischen Maße zeigen für wenige Variablen signifikante Korrelationen. Der Zugang über die gleitenden Korrelationsanalysen macht diesen Umstand damit erklärbar, dass sich der Zusammenhang einzelner Variablen im longitudinalen Verlauf immer wieder ändert und eröffnet damit eine weitere Dimension der Variabilität lernersprachlicher Entwicklung. Die Kombination verschiedener methodischer Verfahren ermöglicht es also, verschiedene Aspekte lernersprachlicher Variation zu betrachten oder überhaupt erst sichtbar zu machen.

Im letzten Kapitel der Arbeit (289–305) diskutiert der Autor seine Ergebnisse vor allem in Bezug auf die gewählten methodischen Zugänge und deren Eignung im Kontext der L2-Erwerbsforschung. Dabei werden Eigenschaften der untersuchten Lernenden ebenso berücksichtigt wie die gewonnenen Perspektiven auf Variabilität und Beschränkungen der verwendeten Emergenzkriterien und Komplexitätsmaße zur Operationalisierung des Spracherwerbs.

Neben der grundsätzlichen Bedeutung der Arbeit im Kontext des Spracherwerbs neu zugewanderter Lernender beleuchtet Schwendemann mit seiner Arbeit hoch relevante Perspektiven auf theoretische und methodische Zugänge zu diesem Gegenstand. Dabei stellt der Autor zwei theoretische Frameworks dar und reflektiert diese konkret in Bezug auf ihre methodischen Herangehensweisen. Der empirisch-explorative Zugang schafft nicht nur interessante Erkenntnisse zur Darstellung und Aufklärung lernersprachlicher Varianz in Bezug auf den Erwerb syntaktischer Strukturen, sondern bietet durch seine forschungsmethodische Transparenz und Reflexion wichtige Anknüpfungspunkte für die Diskussion der dargestellten Methoden. Die klare Strukturierung der Publikation macht sie auch in Auszügen für verschiedene Erkenntnisziele gut lesbar. Neben Expertinnen und Experten schätze ich den Text in Teilen daher auch für interessierte bzw. fortgeschrittene Studierende als sehr lohnenswerte Lektüre ein. Dass bei diesem umfangreichen Unterfangen manche Aspekte eher überblicksartig dargestellt werden können, räumt der Autor selbst ein und ist vor dem Hintergrund des Umfangs realistischerweise auch kaum zu kritisieren. Die neue Betrachtungsweise eines relativ etablierten syntaktischen Gegenstandes der L2-Forschung durch Reflexion bestehender und Einbezug neuer theoretischer und methodischer Zugänge ist in jedem Fall innovativ und inspirierend.