Dannerer, Monika; Dirim, İnci; Döll, Marion; Grabenberger, Hanna; Perner, Kevin Rudolf; Weichselbaum, Maria: Variation im Deutschen. Grundlagen und Vorschläge für den Regelunterricht. Münster: Waxmann, 2021 (FörMig Material, 11). – ISBN 978-3-8309-4404-1. 124 Seiten, € 24,90.

„Die Vielfalt des Deutschen stellt Deutschlernende in verschiedenen Lebenskontexten, auch in der Schule, vor große Herausforderungen“ (8). Diese Problemlage findet in der didaktisch-methodischen Literatur bislang wenig Berücksichtigung. Das Autor*innenteam aus drei renommierten österreichischen Hochschulen rund um Monika Dannerer nimmt sich dieses Desiderats im vorliegenden 2021 erschienenen elften FörMig-Materialband an, wobei es nicht darum geht, Dialekte als Hindernis für den Erwerb der Standardsprache zu thematisieren oder produktive Dialektkompetenz zu vermitteln, sondern vielmehr um einen Zugang zu den Besonderheiten der Variation und Vorschläge für einen bewussten Umgang mit ihr. Als didaktisch-methodischer Beitrag zur Unterrichtskommunikation und Vermittlung des Deutschen unter Berücksichtigung der Variation des Deutschen wendet er sich mit fünf Kapiteln samt Unterpunkten, die von einer Einführung und einem Ausblick gerahmt werden, an Lehramtsstudierende und Lehrpersonen aller Unterrichtsfächer in fast allen Bildungsinstitutionen vom Elementar- bis hin zum Tertiärbereich (vgl. 8).

Im Anschluss an ein einleitendes erstes Kapitel widmet sich das forschungsstandbezogene zweite Kapitel den terminologisch-historischen Grundlagen zur sprachlichen Variation im Deutschen, insbesondere unter Einbezug des dtv-Atlas’ Deutsche Sprache von König, Elspaß und Möller (2019). Dabei legen die Autor*innen die Entwicklungen nicht nur vom Deutschen der Neuzeit bis hin zur Gegenwart (vgl. 12–15) sehr prägnant dar, sondern beziehen auch regionale Ent„wicklungen in Nord-, Mittel- und Süddeutschland bzw. Österreich und der Deutschschweiz sowie den Sprachgebrauch in Stadt und Land ein (vgl. 15–17). Sie versäumen es nicht, zentrale Sprachformen konkret zu benennen und ausführlich zu erläutern (vgl. 17–26) sowie den Zusammenhang von Deutschvermittlung bzw. Deutschlernenden mit dem Modell des Dialekt-Standard-Kontinuums darzulegen (vgl. 27). Weiterhin gelingt es, sowohl die Bezeichnungen Code Switching und Code Shifting einander gegenüberzustellen (vgl. 28 f.) als auch die Herausforderungen des gesprochenen und geschriebenen Deutsch aus Perspektive von Deutschlernenden abzubilden (vgl. 29–31). Die theoretische Hinführung zeichnet sich durch eine sinnhafte Gliederung aus, welche sich hervorragend mit den nachfolgenden Kapiteln verbinden lässt. Positiv hervorzuheben sind die Verständlichkeit und Prägnanz, mit denen die Verfasser*innen den Forschungs„überblick zusammenstellen und relevante Termini definieren. Visuelle Her„vorhebungen der Begriffserläuterungen in Informationskästen dienen einer übersichtlichen Darstellung. Darüber hinaus legt dieses Kapitel eine Liste empfohlener Überblickswerke für eine weiterführende gezielte Auseinandersetzung mit der Thematik vor (vgl. 11).

Die systematische Darstellung der wichtigsten Phänomene bildet die Basis für das dritte Kapitel (vgl. 32–50). Der Schwerpunkt liegt dabei „auf der Gesamtheit der varietären Phänomene“ (33). Es gelingt die Skizzierung verschiedener Ausprägungen von Variation im deutschsprachigen Raum, wobei eine (konkrete) Benennung des jeweiligen Sprachraums bzw. der jeweiligen Region ausbleibt. Der Verzicht auf IPA-Zeichen tut der Darstellung keinen Abbruch. Die Autor*innen benennen explizit die Abweichung der Variation von der Standardsprache und positionieren sich gegen die „Abwertung von gesprochener Sprache oder z. B. von Dialekten [...] [und gegen eine] Verkennung der historischen Entwicklung“ (33; eigene Hinzufügung). Eine Zusammenfassung der Phänomene in Unterkapiteln zu Phonetik und Phonologie, Morphologie, Lexik und Semantik sowie Syntax schafft eine sinnvolle und übersichtliche Struktur, wobei, ausgehend von linguistischen Fachbegriffen des jeweiligen Bereichs, Beispiele systematisch bzw. linguistisch eingeordnet werden. Vergleichsweise kurz fällt hierbei das Kapitel zur Lexik aus (vgl. 44 f.). Abschließend erfolgt ein Hinweis auf Quellen zur Vertiefung und zum Einsatz im Unterricht (vgl. 49 f.). Darüber hinaus bietet dieses Kapitel zahlreiche Hervorhebungen und Grafiken, welche sich später sehr gut mit dem empirischen Abschnitt verknüpfen lassen bzw. der weiteren Veranschaulichung dienlich sind.

Im vierten Kapitel geht es beispielhaft um Sequenzen aus dem Unterricht verschiedener Regionen des deutschsprachigen Raums. Die Autor*innen stellen insgesamt sieben Beispiele verschiedener Forscher*innen anhand von Transkriptionsausschnitten nach GAT-2-Transkriptionskonventionen vor und untersuchen diese (vgl. 51–68). Die Analysen von linguistischen Phänomenen und die Interpretationen sind sorgfältig und mit prägnanter, komprimierter Sprache ausgeführt. In diesem methodischen Teil wird auf das zuvor eingeführte theoretische Vorwissen zurückgegriffen. Die Verfasser*innen finden deutliche Worte für die sprachliche Unterrichtsgestaltung und beschreiben, dass dialekt- und standardnahe Formen zwingend klar erkennbar zu machen, Unterschiede explizit zu thematisieren sind, um so das Sprachbewusstsein zu stärken und die soziale Integration zu erhöhen (vgl. 68).

Sprachliche Variation als soziale Praxis bildet den Schwerpunkt des fünften Kapitels, indem sie in Verbindung mit den Konzepten Zugehörigkeit, Macht und Migration in Verbindung gesetzt wird (vgl. 69–81). Konkret beschreiben die Autor*innen, dass ebenso wie die jeweiligen Migrantensprachen Dialekt-Standard-Kontinua „Bestandteile der Aushandlung sozialer und gesellschaftlicher Zugehörigkeitsordnungen bzw. [...] Teil der Konstitution der migrationsgesellschaftlichen Zugehörigkeits- und Differenzordnung [sind]“ (72). Ein herausragendes Merkmal dieses Kapitels ist die Anschaulichkeit, mit der die Autor*innen die Herausforderung der Dialekt-Standard-Kontinua für DaZ-Lernende aus sozialer Perspektive beschreiben, den Forschungsüberblick zusammenstellen und relevante Termini erläutern. Für die Darstellung des Spannungsfelds Migrationssprache und Variation des Deutschen greifen sie u. a. auf migrationspädagogische Perspektiven nach Mecheril (2010) zurück (vgl. 70 f., 76–78, 80 f.) und untermauern diese durch Beispiele sowie weitere empirische Daten bzw. Belege.

Im sechsten Kapitel widmen sich die Autor*innen dem „Unterrichtsprinzip kritisch-reflexiver Variationsgebrauch“ (82). Es gelingt, den Forschungsstand in gewohnter Prägnanz darzulegen und Tajmels (2017) Modell der kritisch-reflexiven Sprachbewusstheit von Lehrenden um den Umgang mit Variation im Dialekt-Standard-Kontinuum zu ergänzen (vgl. 83–87). Im gesamten Kapitel greifen sie immer wieder auf Abbildungen und Tabellen zur Veranschaulichung zurück. Eine besondere Stärke des Kapitels liegt in der Darstellung individueller Sprachbildungspläne und in den Leitfragen für die Unterrichtsplanung bzw. -gestaltung (vgl. 87–102). Aufbauend auf der theoretischen Grundlage, nennen die Verfasser*innen organisatorische und didaktische Prinzipien, anhand derer eine Fokussierung erfolgen kann. Dannerer et al. bilden vorhandene Unterrichtsmaterialien und Konzepte ab, mit denen etablierte Möglichkeiten für den Deutschunterricht mit Sekundarstufenschüler*innen präsentiert werden (vgl. 103–107), die sich mit Variation des Deutschen (kontrastiv) auseinandersetzen bzw. Grundlage für Diskussion und Reflexion bilden.

Das siebte Kapitel führt die Ergebnisse des Bands in einem Ausblick zusammen. Der Schlussteil macht deutlich, wie omnipräsent Variation in Schulen deutschsprachiger Länder ist, zeigt aber zugleich, wie ihre Bedeutung für den Lehr- und Lernprozess im deutschsprachigen Unterricht bislang vernachlässigt wird. Die Autor*innen betonen die Relevanz der Variation des Deutschen für Schüler*innen, die im Aneignungsprozess des Deutschen sind und sich mitten im variationsgeprägten Alltag befinden. Ziel muss es demnach sein, sie „bestmöglich darin zu unterstützen, in dieser Gesellschaft sprachlich handlungsfähig zu werden bzw. weiterhin zu bleiben“ (108).

Bei dem vorliegenden FörMig-Materialband handelt es sich um einen ersten Versuch, die Variation des Deutschen systematisch für Sprachförderung und sprachliche Bildung an Schulen der deutschsprachigen Länder zu nutzen. Ein großer Mehrwert dieser Publikation liegt in ihren didaktisch-methodischen Vorschlägen und ihrem beispielbasierten Charakter, wodurch die Variation des Deutschen als Thema für Sprachförderung und sprachliche Bildung an Schulen der deutschsprachigen Länder konkret wird. Sie gibt eine Übersicht über eine Fülle von Termini und Aspekten der Variationslinguistik. Eine transparente Gestaltung mit differenzierter Gliederung, Infokästen, Abbildungen, Fußnoten und Hervorhebungen unterstützen die Lesbarkeit. Der Band kann daher allen Lehrenden und Philolog*innen Impulse für den Umgang mit Variation im Unterricht sowie die eigene Forschung geben. Schon allein deshalb ist dieser Materialband, neben der fachlichen Wissenserweiterung, eine überaus wertvolle und empfehlenswerte Lektüre.