Peter Martin, „Der Kuss des Judas“. Die Befreiungsbewegung schwarzer Arbeiter und die „Afrikanisierung“ der sowjetischen Außenpolitik (1919–1933). Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2024

Eve Rosenhaft

doi:10.1515/hzhz-2025-1282

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Peter Martin, „Der Kuss des Judas“. Die Befreiungsbewegung schwarzer Arbeiter und die „Afrikanisierung“ der sowjetischen Außenpolitik (1919–1933). Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2024

Eve Rosenhaft

Veröffentlicht/Copyright: 1. Oktober 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 2

Rezensierte Publikation:

Peter Martin, „Der Kuss des Judas“. Die Befreiungsbewegung schwarzer Arbeiter und die „Afrikanisierung“ der sowjetischen Außenpolitik (1919–1933). 2024 Leipziger Universitätsverlag Leipzig, 978-3-96023-587-3, € 49,–

Peter Martin ist einer der Pioniere der Erforschung der schwarzen Präsenz in Deutschland. Seine erste Monographie „Schwarze Teufel, edle Mohren“ (Hamburg 1993) setzte einen hohen Standard dafür, wie in Archiven sorgfältig recherchierte Mehrheitsbilder schwarzer Menschen sowie der Beitrag, den sie zur Gesellschaft leisteten, zu lesen sind. Während sich „Schwarze Teufel, edle Mohren“ der Frühen Neuzeit widmete, konzentrierten sich Martins anschließende Forschungen auf das 20. Jahrhundert, zu dem er Zeitschriftenartikel, Buchkapitel und zwei große Sammelbände vorlegte, welche die Arbeit einer neuen Generation von Forschenden zur Kolonialzeit, der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus präsentierten. Zu den Themen, die er in kürzeren Arbeiten adressiert hat, gehört das Verhältnis zwischen der Kommunistischen Internationale (Komintern) und den Bewegungen für die Befreiung von Kolonien und Bürgerrechte schwarzer Menschen, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die Jahrzehnte des Lesens, Forschens und Reflektierens über diese Beziehung sind in den vorliegenden Band eingeflossen.

Das Buch verfolgt die Geschichte von den ersten Verbindungen zwischen den Bolschewiki an der Macht und denjenigen, vor allem Afro-Amerikanern, die von Lenins Antikolonialismus inspiriert wurden, bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. In 49 Kapiteln unterschiedlicher Länge, von denen manche kaum mehr als Vignetten sind, führt das Buch durch die zentralen Ereignisse. Der erste Teil beschäftigt sich vor allem mit der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens in Moskau, an der Schwarze und antikoloniale Aktivisten seit 1921 ausgebildet wurden; mit der Förderung von Afrikawissenschaften in der Sowjetunion; mit dem andauernden Rassismus unter Kommunisten; mit Debatten über „Rasse“, „Klasse“ und die Verbindung mit der Arbeiterbewegung unter schwarzen Aktivisten, besonders in den USA; und der Spiegelung dieser Debatten in bolschewistischen Plänen zur Infiltration existierender schwarzer Organisationen. Zwei längere Abschnitte behandeln die Hauptinitiativen, welche die Komintern unternahm, um eine globale Bewegung von dem, was die Kommunisten „die unterdrückten Rassen und Völker“ nannten, zu schaffen, und um unabhängige schwarze Organisationen zu kooptieren: die Gründung der Liga gegen Imperialismus 1925 and des „International Trade Union Committee of Negro Workers“ (ITUC-NW) 1930. Mit ihrer internationalen Zeitschrift „The Negro Worker“ und im Rahmen globaler Kampagnen für die Opfer kolonialer oder rassistischer Ungerechtigkeit wie die Streikenden von Meerut oder die Scottsboro Boys kam das ITUC-NW den Zielen der Komintern am nächsten, bevor die Nazis das Hamburger Hauptquartier zerstörten und seine Anführer vertrieben. Das Buch ist mit zahlreichen Fotografien illustriert.

In den 2000ern war ein wachsendes wissenschaftliches Interesse an der Geschichte des diasporischen und transnationalen schwarzen Aktivismus zu beobachten. Die Einschätzung von Rolle und Einfluss, welche die Komintern sowie die sowjetischen Interessen in diesen und auf diese Bewegungen hatten, bildeten hierbei einen Aspekt der meisten Arbeiten. Die Liste der wichtigsten Veröffentlichungen wird sogar von zwei Studien eröffnet und beschlossen, die sich explizit dem Verhältnis von Kommunismus und schwarzem Aktivismus widmen: Mark Solomons Studie von Kommunisten und Afro-Amerikanern (The Cry was Unity. Jackson, MI 1998) und Hakim Adis „Pan-Africanism and Communism“ (Trenton, NJ 2013). Adis Buch ist die umfassendste Studie in englischer Sprache zu den Entwicklungen, die Martin behandelt, und sie beruht teilweise auf denselben gedruckten und ungedruckten Quellen. „Der Kuss des Judas“ bietet eine weniger kohärente Erzählung und geht inhaltlich nicht wesentlich über Adis Ergebnisse hinaus, aber Martins Buch zeichnet sich durch seinen Fokus auf individuelle Akteure und Episoden aus und vor allem dadurch, dass es seine Aufmerksamkeit auf die deutsche Szene wie auch die deutschsprachigen Aktivisten richtet.

Ein wichtiger Punkt, an dem sich Martin von Adi unterscheidet, ist die ethische Bewertung der Beziehung zwischen der Komintern und der sich herausbildenden „schwarzen Internationale“. Mit Blick auf diese Frage haben die Historiker Beschaffenheit und Folgen der kommunistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit unterschiedlich bewertet: Die Historiographie des Kalten Krieges betonte die Rolle der Komintern als Transmissionsriemen der sowjetischen Außenpolitik und den opportunistischen Charakter ihrer Praktiken. Die Öffnung des Archivs der Komintern und weiterer vormals sowjetischer Archive in den 1990er Jahren schien für viele diese Lesart zu bestätigen. Dagegen haben Forschende, die sich eher für die Handlungsspielräume lokaler Organisationen und individueller Aktivisten interessiert haben, anerkannt, dass die Komintern – vor allem in ihrer „dritten“ Periode zwischen 1929 und 1934 – einen Raum und eine Plattform für soziale Gruppen schuf, welche die sozialdemokratische Arbeiterbewegung ignorierte. Indem sie mit dieser Tradition brach, gab sie denen, die sich gegen Kolonialismus und Rassismus zur Wehr setzten, eine Stimme. Das ist, grob gesprochen, auch Adis Position.

Peter Martins Titel macht deutlich, wo er in dieser Debatte steht. Die Geschichte, die er erzählt, ist die der Manipulation und letztlich des Verrats, die von sowjetischen politischen Interessen bestimmt wurden. Sie wird mit einem Fokus auf die Organisationsinitiativen der Komintern und ihrer Motivation erzählt, und sie endet überzeugend mit einer bewegenden Darstellung der abrupten Aufgabe der Arbeit des ITUC-NW, der Aufgabe der antikolonialen Agitation und der Säuberung führender Aktivisten wie George Padmore und Tiémoko Garan Kouyaté, als sich Stalins Prioritäten in den späten 1930er Jahren änderten. Bei aller Kritik an der Komintern bleibt Martin aber aufmerksam gegenüber der subjektiven Agency schwarzer Aktivisten, und dazu gehört auch anzuerkennen – wie diese es selbst auch taten –, in welchem Ausmaß die Organisationen der Internationale dazu beitrugen, die kritischen Stimmen zu entwickeln und die Argumente zu formen, welche sie in die Nachkriegswelt tragen würden. Das waren die Folge sowohl der Unterstützung transnationaler schwarzer Räume und Publikationen wie „The Negro Worker“ und als auch der Tatsache, dass die Internationale in positiver wie in negativer Hinsicht den Marxismus der Aktivisten formte und auf die Probe stellte. „Der Kuss des Judas“ kann daher als eine kritisch-nachdenkliche und gründlich recherchierte Darstellung einer wichtigen Geschichte empfohlen werden, welche insbesondere deutsche Lesende als eine Einführung begrüßen werden und die zu weiteren Forschungen und Reflexionen anregen wird.

(Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Fahrmeir)

Online erschienen: 2025-10-01

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