Jonas Schuster, Karl Theodor von Heigel (1842–1915). Geschichtswissenschaft in Bayern zwischen Politik und Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der wissenschaften, Bd. 113.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2024

Manfred Hanisch

doi:10.1515/hzhz-2025-1269

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Jonas Schuster, Karl Theodor von Heigel (1842–1915). Geschichtswissenschaft in Bayern zwischen Politik und Öffentlichkeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der wissenschaften, Bd. 113.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2024

Manfred Hanisch

Veröffentlicht/Copyright: 1. Oktober 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 321 Heft 2

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Jonas Schuster, Karl Theodor von Heigel (1842–1915). Geschichtswissenschaft in Bayern zwischen Politik und Öffentlichkeit. Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der wissenschaften, Bd. 113. 2024 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-525-30273-6, € 60,–

Der Untertitel „Geschichtswissenschaft zwischen Politik und Öffentlichkeit“ trifft das Kernanliegen des Buches. Es beschreibt nicht nur das Wirken eines Historikers in der Wissenschaft einerseits und in Politik und Öffentlichkeit andererseits, sondern wie das Wirken in Politik und Öffentlichkeit zur wissenschaftlichen Reputation beiträgt, mehr noch: Wie dieses zur Vorausbedingung für die wissenschaftliche Karriere wird. Das Buch handelt von Karl Theodor von Heigel, einem zu seiner Zeit im Königreich Bayern hoch angesehenen Historiker. Seine wichtigsten Ämter: Seit 1884 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität München und von 1904 an Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von der hohen Wertschätzung zeugen nicht zuletzt die vielen Auszeichnungen. Die höchste war 1897 die Verleihung des Ritterkreuzes des bayerischen Verdienstordens der Bayerischen Krone, die mit einer Erhebung in den Adelsstand verbunden war. Über den engeren Kreis der Wissenschaft hinaus wirkte er zudem in der Öffentlichkeit durch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen und viele Vorträge. Vieles spricht dafür, dass Heigel wegen seines Einflusses geradezu ein „Mandarin“ (Fritz R. Ringer) der Wissenschaft in Bayern gewesen ist. Heigels Wirkungskreis war vor allem das Königreich Bayern zur Zeit des Prinzregenten.

Außerhalb Bayerns war seine Bedeutung zwar vorhanden (Heigel war unter anderem korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften), aber nicht so ausgeprägt. Nach seinem Tod 1915 und dem Ende der Monarchie wurde es still um ihn.

Warum er in Bayern so bedeutend war und warum hauptsächlich nur zur Prinzregentenzeit– das hat Jonas Schuster in seiner Dissertation untersucht. Der Grund: Heigel vertrat die Interessen Bayerns und des Reiches gleichzeitig. Er stellte die Bedeutung Bayerns heraus und relativierte einerseits so manches borussisches Vorurteil gegenüber Bayern und seiner Geschichte. So setzte er sich zum Beispiel in einem seiner Hauptwerke mit der vermeintlichen Reichsfeindlichkeit des wittelsbacher Kaisers Karl VII. (1742–1745) auseinander. Politisch stand Heigel stets auf Seiten der bayerischen Krone. Gleichzeitig befürwortete er die Reichseinheit von 1871 und verfolgte denselben Loyalitätskurs gegenüber dem Reich wie die reichstreu eingestellte liberale bayerische Regierung, der eine Mehrheit von katholisch, konservativ-klerikalen und bayerisch-national denkenden Abgeordneten gegenüberstand. Heigel vertrat nicht die Interessen ebendieser Kräfte. Er dachte vielmehr in deutschnationalen Kategorien und befürwortete die Weltpolitik, Kolonial- und Militärpolitik des Deutschen Kaisers. Extremer deutscher Nationalismus war ihm jedoch fremd, so wenigstens die These von Schuster. Dazu passt auch Heigels Stellung zum Ersten Weltkrieg in seinem Todesjahr 1915: Bellizistischer Hurrapatriotismus und ausgreifende Annexionspläne lagen ihm fern.

Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Sturz der Monarchie ändert sich der politische Bezugsrahmen. Schusters Ausblick „Konjunkturen bayerischer Geschichtspolitik“ erklärt, warum Heigel fast in Vergessenheit geriet. Die ebenfalls einflussreichen Lehrstuhlinhaber für Bayerische Geschichte positionierten sich politisch anders: Michael Doeberl (1861–1928) war eher konservativ und weniger liberal eingestellt. Karl Alexander von Müller (1882–1964) sympathisierte offen mit dem Nationalsozialismus. Max Spindler (1894–1986) war ein Vertreter einer auf Eigenständigkeit Bayerns gerichteten Politik. Damit wurde es still um den so reichsfreundlich und gemäßigt liberalen, der Monarchie zugewandten Heigel.

Die vorliegende Dissertation ist die erste Biographie zu Heigel. Schuster gibt, soweit die Quellen es zulassen, vollständig den privaten Lebensweg und wissenschaftlichen Werdegang Heigels wieder. Aber Schusters Biographie ist nicht nur eine Biographie. Der Verfasser beleuchtet auch das politisch-gesellschaftliche Umfeld. So erweitert sich die Biographie über Heigel zu einer Monographie zu Heigel in seiner Zeit. Mit diesem Ansatz rehabilitiert er in der Einleitung den biographischen Ansatz als berechtigte Darstellungsform von Geschichte.

Man erfährt vieles über die Bedingungen, unter denen der Protagonist wissenschaftlich Karriere machte. Er pflegte von früher Jugend an Netzwerke, die bis in die höchsten gesellschaftlichen Kreise reichten und denen er den Ruf an die Universität München schließlich verdankte. Seine populärwissenschaftlichen Schriften vergrößerten seinen Bekanntheitsgrad und stießen auf das Wohlwollen im Kultusministerium wie auch König Ludwigs II. und des Prinzregenten Luitpold. Ein reines, nur durch Netzwerke abgefedertes „Glücksspiel“ um einen Ruf war es jedoch nicht, wie Schuster in einer „Zwischenbetrachtung“ festhält. Heigel sicherte seine akademischen Karriereambitionen mit einer festen Stellung im Archiv ab, verzichtete jedoch im Archivdienst auf Beförderungsmöglichkeiten, um in der Hauptstadt zu bleiben. So sind Schusters Ausführungen zum karrierefördernden Beziehungsgeflecht auch eine Studie zu den Bedingungen der Möglichkeit akademischer Karrieren mit vielen unterschwelligen Bezügen zur Gegenwart.

Zu dem Geflecht gehören auch die Vernetzungen, die sich für Heigel später als arrivierten Historiker aufgrund seiner Tätigkeit in Wissenschaftsorganisationen und Kommissionen ergaben. Ihnen widmet Schuster ein eigenes Kapitel. So war Heigel unter anderem Gründungsmitglied der Versammlung deutscher Historiker, in dessen geschäftsführendem Ausschuss er bis zu seinem Tode tätig war.

Fazit: Jonas Schusters Dissertation ist nicht nur eine Biographie zu Karl Theodor von Heigel, einem unverdient nahezu vergessenen bayerischen Historiker. Sie ist gleichzeitig eine akribisch quellenfundierte Studie zum Geflecht von Wissenschaft und Politik.

Online erschienen: 2025-10-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1269

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