Zusammenfassung
Dieser Text bricht mit der breit akzeptierten Forschungsannahme, dass in der Antike Ehen nur zwischen Frauen und Männern bestehen konnten, indem er untersucht, ob Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern im Römischen Reich existiert haben. So wird an mehreren dokumentierten Fällen und Quellenpassagen, die teilweise bisher nicht in der Forschung berücksichtigt wurden, gezeigt, dass Personen intendiert im Konsens ihrer Zeitgenossen ihren sozialen Geschlechtsstatus wechseln konnten und im Rahmen ihrer neuerworbenen geschlechtsspezifischen Privilegien eine Ehe mit einer Person des gleichen biologischen Geschlechts führen konnten. Damit verbunden wird auch die Einordnung des Phänomens durch zeitgenössische Autoren nachverfolgt, denen diese Praktik zumindest teilweise gut vertraut war und die sie auch ausgiebig kritisierten. Warum diese Formen der Geschlechtsfluidität und der gleichgeschlechtlichen Ehen trotz der Kritik zunächst Bestand hatten und Duldung erfuhren, dann in der Spätantike kriminalisiert wurden und damit als Phänomen die Antike nicht überdauern konnten, wird abschließend besprochen.
Abstract
This text breaks with the widely accepted research assumption that marriages in antiquity could only exist between women and men by examining whether marriages between same-sex partners existed in the Roman Empire. Using several documented cases and source passages, some of which have not yet been considered in research, it is shown that people could intentionally change their social gender status with the consent of their contemporaries and could marry a person of the same biological gender as part of their newly acquired gender-specific privileges. In connection with this, the classification of the phenomenon by contemporary authors, who were at least partially familiar with this practice and who also criticized it extensively, is also traced. Why these forms of gender fluidity and same-sex marriages existed and were tolerated at first despite criticism but were then criminalized in late antiquity and thus could not survive antiquity as a phenomenon, will be discussed in conclusion.
I. Einleitung
„Wann ist ein Mann ein Mann?“[1] – mit dieser und weiteren Liedzeilen stellte Herbert Grönemeyer 1984 in seinem prominenten Lied „Männer“ tradierte stereotype maskuline Rollenbilder und gesellschaftliche Ansprüche an diese infrage und zeigte, wie wenig sie mit der facettenreichen Lebensrealität der Geschlechter zu tun haben. Rund 40 Jahre nach diesem Hit hat die Diskussion um geschlechtliche Normbilder kein Ende gefunden; vielmehr polarisieren heutzutage die Fragen danach, welche Charakteristika ein Geschlecht definieren, ob man sein Geschlecht wechseln kann und welche Geschlechtsvertreter miteinander den Ehebund eingehen dürfen, unsere Gesellschaft in noch viel größerem Maße.[2] Insbesondere der letzte Punkt – die gleichgeschlechtliche Ehe – ist in den letzten Jahrzehnten ein Politikum gewesen, das hitzige Debatten hervorrief. Vehement wurde und wird immer noch in vielen Ländern der Welt für die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare gekämpft. Seit den 2000ern kann man beobachten, dass sukzessiv mehrere, vor allem westliche Regierungen diesen Bitten und Forderungen nachkamen und die gleichgeschlechtliche Ehe in ihren Staaten einführten und legalisierten. Trotz dieses Wandels vielerorts wäre es aber illusorisch, davon zu sprechen, dass dies mit einer breiten, allgemeinen Akzeptanz einhergeht. Weder die Zahl der Andersdenkenden noch die der Anfeindungen, die queere Menschen erleben, ist gering. Nicht selten sprechen konservativ gesinnte Kritiker Homosexuellen das Heiratsrecht mit dem Verweis auf die Geschichte der Ehe ab, deren Tradition sich bis in das Altertum nachverfolgen und deren konzeptioneller Ursprung sich dort auch verorten lässt.
So kannte das römische Recht eine unmissverständliche Definition für die Ehe, die über ein Jahrtausend Gültigkeit haben sollte: „Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau und eine Vereinigung für das ganze Leben, eine Gemeinschaft göttlichen und menschlichen Rechts.“[3] Der Fall scheint klar: Der Ehebund kann nach diesem Gesetz nur zwischen Mann und Frau bestehen. Ex negativo daraus zu schließen, dass gleichgeschlechtliche Ehen in Europa demnach nicht in dieser frühen Epoche der Menschheitsgeschichte existierten und als ein Novum des 21. Jahrhunderts mit den historischen, gesellschaftlichen Traditionen heutiger Kulturen brechen, wäre jedoch allzu naiv und kurzsichtig. Es ist die römische Jurisprudenz selbst, die uns zeigt, dass dieses Gesetz wohl lange nicht so eindeutig war, wie es zunächst scheinen mag, denn erst im 4. Jahrhundert n. u. Z. wurde es laut dem Codex Theodosianus unter Strafe gestellt, „wenn jemand, obwohl er ein Mann ist, wie eine Frau heiratet“[4] und damit folglich einen anderen Mann ehelichte. Ebendieser Befund konfrontiert uns im Umkehrschluss mit den beiden Fragen, die auch diesen Text motivieren, ob es für Personen im Römischen Reich vor der Verabschiedung dieses Gesetzes möglich war, ihr soziales Geschlecht[5] zu wechseln und biologisch gleichgeschlechtlich zu heiraten.
Ein erster Blick auf die Forschungsliteratur und die von ihr ausgewerteten Quellen scheint dahingehend ernüchternd. Es ist mannigfach belegt und gut erforscht, dass Formen der gleichgeschlechtlichen Sexualität, Liebe und Partnerschaft im antiken Griechenland und dem Römischen Reich praktiziert wurden.[6] Auch das Phänomen homosexueller Ehen taucht zwar in den altsprachlichen Texten auf, jedoch sind diese Quellenausschnitte jeweils mit einem sehr diffizilen Interpretationsprozess verbunden. Für die Forschungsdiskussionen über die gleichgeschlechtliche Ehe in der Antike werden immer wieder die drei skandalbehafteten römischen Politiker M. Antonius[7], Nero[8] und Elagabal[9] herangezogen, denen nicht wohlgesinnte Personen jeweils diffamierend zuschrieben, dass sie einen anderen Mann geheiratet und dabei selbst eine weibliche Rolle eingenommen haben sollen. Nachvollziehbar ist in der Forschung gezeigt worden, dass es sich bei diesen Vorwürfen nicht um sachliche Beobachtungen, sondern um gezielte, wahrscheinlich fingierte Rufschädigungen handelte.[10] Alleinstehend eignen sich somit diese Quellenstellen schwerlich als seriöse Indizien für die Praktik gleichgeschlechtlicher Ehen in der alten Welt und erregen vielmehr großen Zweifel daran, dass jenseits der Imagination solche Eheformen existierten.[11]
Trotz dieser komplizierten Quellenlage hielten einige Historiker eheähnliche Formen bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht für ausgeschlossen: Paul Veyne veranlassten die gleichgeschlechtlichen Ehen, die Kaiser Nero zugeschrieben wurden, zur Annahme, dass dies eine weiter verbreitete Praktik im ersten Jahrhundert gewesen sein könnte.[12] John Boswell stellte die Vermutung auf, dass es einige Formen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Zeremonien gab, die gezielt heterosexuelle Ehen imitierten und ein Äquivalent zu ihnen darstellen sollten, auch wenn sie wohl aus rechtlicher Perspektive keine gleichgeschlechtlichen Ehen waren.[13] Ähnlich vermutete Craig Williams, dass es wohl heiratsähnliche Zeremonien für gleichgeschlechtliche Paare gab, aber er sprach diesen keine rechtliche Bedeutung oder Akzeptanz zu.[14] Diese Annahmen konnten sich in der Forschung bisher weder durchsetzen noch einen breiteren Konsens finden. So negieren, unter anderem mit Verweis auf die angesprochene Quellenproblematik, zum Beispiel Danilo Dalla, Eva Cantarella, Hans Obermayer, Caroline Vout, Karen Hersch und Filippo Carlà-Uhink prononciert die Existenz der gleichgeschlechtlichen Ehe in der Antike.[15]
Trotz des geschilderten Quellenproblems und der vielfach in der Forschung formulierten Leugnung der Existenz gleichgeschlechtlicher Ehen in der Antike, möchte dieser Artikel einen Beitrag zu dieser Forschungsdiskussion leisten: In Orientierung an dem obigen Strafgesetz der Caesaren Constans und Constantius II. wird nachfolgend eruiert, inwiefern sich im Quellenmaterial Indizien bzw. Beweise für den Wechsel von sozialen Geschlechterrollen und damit verknüpfte biologisch gleichgeschlechtliche Eheschließungen[16] im römisch-griechischen Kulturkreis finden lassen. Dafür wird der Text sich nicht in die vorangegangenen Versuche anderer Althistoriker einreihen, die sich auf die Quellen zu den Beziehungen von M. Antonius, Nero und Elagabal konzentrierten und diese ausgewertet haben. Stattdessen werden vorwiegend Quellen betrachtet, die, soweit ich sehe, bisher komplett bei der Frage nach der Existenz von gleichgeschlechtlichen Ehen ignoriert wurden. So werden in diesem Text insgesamt 17 Fälle von Geschlechtsstatusänderungen, die im Kontext von Eheschließungen auftraten und tabellarisch im Anhang gelistet sind, aus der griechisch-römischen Literatur untersucht und diskutiert. Zuerst werden Beschreibungen von Geschlechtstransformationen und damit verknüpften Eheplanungen in den Wunderaufzählungen von Plinius dem Älteren und Phlegon von Tralleis behandelt, die sich für diese Analyse vor allem dadurch qualifizieren, dass sie weitgehend frei von intendierter politischer Färbung und historischer Bedeutung für die Zeitgenossen waren und somit gerade nicht von jenen Problemen betroffen sind, die die eben kursorisch angeschnittenen Quellen zu den genannten Politikern teilen. So wird an die Wunderbeschreibungen jeweils die Frage herangetragen, ob sie historisch dokumentierte Fälle von gleichgeschlechtlichen Ehepartnern wiedergeben. Auf diesen Abschnitt folgt eine Auseinandersetzung mit mythologischen Vorbildern und Präzedenzfällen aus dem hellenistischen Osten, an denen nachvollzogen wird, warum Plinius und Phlegon wahrscheinlich reale Ehen mit Partnern des gleichen Geschlechts und Geschlechtsverwandlungen trotz der möglichen Überprüfbarkeit als Wunder klassifizierten. Daran anknüpfend werden mögliche kritische Reaktionen in der kaiserzeitlichen Literatur, vor allem bei Martial, Iuvenal und Lukian, auf gleichgeschlechtliche Ehen und Geschlechtstransformationen besprochen und es wird diskutiert, ob sie als Indiz bzw. Beweis für die zeitgenössische Existenz von gleichgeschlechtlichen Ehen taugen können. In Verbindung mit den vorigen Quellenuntersuchungen werden abschließend einerseits kurz die Quellen zu M. Antonius, Nero und Elagabal reevaluiert und andererseits das bereits zitierte Strafgesetz sowie weitere Quellen aus dem 4. Jahrhundert n. u. Z., die wahrscheinlich auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften reagierten, betrachtet. Hieran wird erörtert, wann und warum es zu sozialen und juristischen Formen der Ablehnung gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen und Geschlechtsstatusänderungen kam und an der jeweiligen Tabuisierung diskutiert, ob das Tabuisierte als existent angesehen werden darf.
Bei der Betrachtung der 17 Fälle sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: Es werden nach Möglichkeiten die biologischen und sozialen Geschlechter der Geschlechtswandler und Ehepartner rekonstruiert, um adäquat zwischen konventionellen und gleichgeschlechtlichen Ehepaaren unterscheiden zu können. Damit verknüpft werden mehrfach moderne biologische Erklärungsmuster sowie das antike medizinische Wissen herangezogen, um die antiken Beschreibungen der Geschlechtsverwandlungen korrekt einordnen zu können. Daran anschließend wird auch diskutiert, warum wahrscheinlich reale Personen, deren Geschlechtseigenschaften und Ehepaare unbeständigen Geschlechts mehrfach als Wunder interpretiert wurden. Zusätzlich wird vielfach nachverfolgt, ob und warum der neue soziale Geschlechtsstatus einzelner Individuen geduldet, sozial akzeptiert und/oder rechtlich anerkannt wurde. Ganz ähnlich wird auch an entsprechenden Stellen erörtert, ob Ehen bzw. als Ehe geführte Beziehungen mit Partnern des gleichen sozialen Geschlechts jeweils als solche sozial anerkannt wurden und rechtlich gültig sowie mit damaligen (Ehe-)Normen vereinbar waren und daher auf Toleranz stoßen konnten, obwohl es für sie keine gesetzliche Grundlage gab. Hingegen wird bei der Auswertung der Quellen bewusst davon Abstand genommen, das psychische Geschlecht[17] der untersuchten Personen zu rekonstruieren. Dies ist einerseits darin begründet, dass die althistorische Emotionsforschung deutlich die methodischen Schwierigkeiten zeigen konnte, die sich ergeben, wenn man die Gefühle und Selbstwahrnehmungen historischer Personen bestimmen und rekonstruieren möchte, über die wir nur in den seltensten Fällen sicheren Aufschluss gewinnen können.[18] Andererseits eignen sich insbesondere die hier behandelten Quellen, die keine Selbstzeugnisse sondern Wahrnehmungen und Urteile anderer Individuen darstellen, nicht dazu, ein „gefühltes“ Geschlecht der untersuchten Personen zu erfassen. So können sie nur Aufschluss über das öffentlich ausgelebte Geschlecht geben.
II. Wundersame Verwandlungen des Geschlechts in Plinius’ „Naturalis Historia“
Die enzyklopädisch gestaltete „Naturalis Historia“ ist eine bemerkenswerte Quelle, die es uns erlaubt, Einblick in das umfassende, zusammengetragene Gelehrtenwissen zu Naturphänomenen und auch zu damit verknüpften Kulturleistungen sowie dessen Beurteilung durch Plinius zu nehmen. Das siebte Buch dieser Sammlung, das uns Einsicht in den Wissensstand des späten 1. Jahrhunderts n. u. Z. gewährt, widmet sich der Anthropologie und beschreibt zahlreiche außergewöhnliche Erscheinungen, die im Konnex mit dem menschlichen Körper stehen. Für unser Untersuchungsziel ist vornehmlich die folgende Passage von Interesse, die dokumentierte Geschlechtsverwandlungen listet:
„Daß Frauen in Männer verwandelt werden, ist keine Fabel. […] Licinius Mucianus hat berichtet, er habe zu Argos einen gewissen Areskon gesehen, der früher Areskusa geheißen und als solche auch geheiratet habe, an dem aber bald der Bart und männliches Wesen zum Vorschein gekommen seien und der dann auch eine Frau genommen habe; einen Knaben gleichen Geschicks habe er auch zu Smyrna gesehen. Ich selbst sah in Afrika den L. Consitius, einen Bürger aus Thysdrus, der sich an seinem Hochzeitstage in einen Mann verwandelte.“[19]
Beim Lesen dieser Passage fällt sofort auf, dass im Kontext der beschriebenen Fälle von Geschlechtsverwandlungen auch Ehen erwähnt werden. Es wird suggeriert, dass die Geschlechtstransformationen bedeutsam für die extra erwähnten ehelichen Verbindungen waren, die demzufolge keinen konventionellen Charakter hatten und somit Potential für unser Untersuchungsinteresse aufweisen. Obwohl die Passage bei Plinius in die Aufzählung von menschlichen Wundern zu zählen ist und etwa Arthur Stein dazu veranlasst hat, die erwähnten Personen schlicht als „Wunderwesen“[20] zu verstehen und zu bezeichnen, erscheint es lohnenswert, die Erzählung analytisch zu betrachten und auf einen historischen Gehalt zu prüfen, da Plinius entschieden behauptet, dass die Fälle eben nicht fabulosus seien.[21] Dass es leichtsinnig wäre, sie als reine Fiktion oder einen Publikumsfang abzutun, legt uns auch Aulus Gellius nahe. In der mirabilia-Liste seiner „Noctes Atticae“ gibt er mit explizitem Verweis auf Plinius die oben zitierte Passage wieder. Die dort enthaltenen Informationen nimmt er nicht nur ernst, sondern betont die Autorität von Plinius und schreibt ihm zu, dass er diese Erzählungen nicht durch reines Lesen und Hörensagen zusammengetragen habe, sondern selbst sehend diese Geschichten geprüft und gewusst habe, dass sie wahr seien. Aulus Gellius ergänzt hierzu noch, dass die beschriebene Person L. Consitius ein bekannter, lebender Zeitgenosse von Plinius gewesen sei.[22] Ebendiese Verifizierung lässt es legitim erscheinen, sich mit den beschriebenen Fällen auseinanderzusetzen.
Beginnen wir mit jener Person aus dem Zitat, die Plinius selbst gesehen hat und für deren wahre Geschichte Aulus Gellius bürgt: L. Consitius soll sich erst am Tag seiner Hochzeit in einen Mann verwandelt haben. Wenn wir die oben erwähnte juristische Festlegung bedenken, dass Ehen nur zwischen Männern und Frauen geschlossen werden dürfen[23], dann müsste Consitius an diesem Tag als frisch gebackener Mann eine Frau geehelicht haben. Damit liegt ein Paradoxon vor: Im Umkehrschluss ist Consitius vor seiner/ihrer Transformation ebenfalls eine Frau gewesen und dürfte folglich eine homosexuelle Beziehung zu seiner/ihrer Verlobten gehabt haben, deren Heirat höchstwahrscheinlich nicht erst am Hochzeitstag selbst geplant wurde. Akzeptieren wir diese Prämisse, dann müssten diese beiden Frauen bereits vor dem Hochzeitstag und dem Wunder der erlangten Männlichkeit diese Heirat als ein gleichgeschlechtliches Paar geplant haben. Gleichermaßen wäre es vorstellbar, dass es sich um zwei Männer handelte, von denen sich einer vor der Hochzeit als Frau ausgab, um die Ehe mit dem anderen Mann zu vollziehen und der nach dem Eheschluss seine Männlichkeit der Öffentlichkeit offenbarte. Nach dem Ehekonzept dieser Zeit war solch eine Heirat zwischen zwei Frauen oder Männern und die damit verbundene Planung dieser Hochzeit undenkbar. Warum sollten zwei Personen eine gemeinsame Heirat planen, wenn sie keine Chancen hätten, sie zu verwirklichen? Dies scheint sich zu widersprechen.
Zu diesem Problem gesellt sich eine weitere Paradoxie, die ein jeder Mensch mit dem Allgemeinwissen des frühen 21. Jahrhunderts erkennen mag: Wenn wir den Wandel des Geschlechts nicht als göttliches Wunder oder Ähnliches begreifen wollen und stattdessen versuchen, es mit unserem heutigen Wissen über die Biologie des menschlichen Körpers rational zu erklären, stoßen wir schnell an eine Grenze. Menschen können nicht spontan innerhalb eines Tages ihr biologisches Geschlecht wechseln bzw. die Geschlechtschromosomen ihres Körpers verändern. Personen, die heutzutage anstreben, ihre äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zu verändern, durchlaufen langwierige und aufwendige Hormontherapien und/oder medizinische Behandlungen, wie operative Eingriffe, um dieses Ziel erreichen zu können. Diese medizinischen Möglichkeiten, die heute in Anspruch genommen werden können, um die körperliche Erscheinung nachhaltig zu transformieren, gab es vor zwei Jahrtausenden noch nicht und es darf zu Recht bezweifelt werden, dass L. Consitius sogar in einem noch kürzeren Zeitraum diese Veränderungen an seinem/ihrem Körper evozieren konnte, als es unsere Zeitgenossen können. Wenn wir demnach aus biologischer Perspektive schließen dürfen, dass L. Consitius seinen/ihren Körper nicht innerhalb eines Tages von einem weiblichen in einen männlichen Körper verwandelt hat, dann verbleibt folglich die Möglichkeit, dass diese Person wohl nur ihr soziales Geschlecht verändert hat und dieser Wechsel von den Zeitgenossen toleriert wurde.
Nehmen wir diese Schlussfolgerung an, dann würde diese Erzählung ihre wunderlichen und paradoxen Züge verlieren: Es wäre die Geschichte eines gleichgeschlechtlichen Pärchens, das den Plan verfolgte, heiraten zu dürfen, obwohl gleichgeschlechtliche Paare von diesem Privileg ausgeschlossen waren. Auch wenn die raren Informationen bei Plinius es kaum zulassen zu rekonstruieren, wie dieser Wandel der sozialen Geschlechterrolle ablief, so darf man davon ausgehen, dass eine der Frauen bzw. Männer es erfolgreich schaffte, in ihrem sozialen Umfeld in der jeweils anderen Geschlechterrolle akzeptiert zu werden und in dieser Geschlechterrolle den biologisch gleichgeschlechtlichen Partner zu ehelichen. Die wundersame Verwandlung am Hochzeitstag ermöglichte somit eine gleichgeschlechtliche Ehe, die unter dem Deckmantel einer konventionellen, heterosexuellen Ehe stattfand.
Dies mag eventuell zunächst wie eine spekulative Interpretation wirken, jedoch weist die andere zitierte Geschichte von Plinius nicht nur den gleichen Indizienstrang auf, sondern bestätigt auch noch unmissverständlich eine gleichgeschlechtliche Ehe: Areskusa aus Argos soll im ersten Teil ihres Lebens als Frau gelebt und auch geheiratet haben. Nach antiker Ehekonzeption müsste sie folglich zuerst einen Mann geehelicht haben. Zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben soll sie ein Mann geworden sowie als solcher akzeptiert worden sein und fortan den Namen Areskon getragen haben. Plinius ergänzt zu dieser Information, dass diese Person als männlicher Areskon auch noch eine Ehefrau hatte. Wenn wir nach den obigen Überlegungen auch hier davon ausgehen dürfen, dass Areskusa bzw. Areskon mit den damaligen Mitteln schwerlich Einfluss auf das eigene, angeborene Geschlecht nehmen und nur die ihr/ihm attribuierte soziale Geschlechterrolle wechseln konnte, dann müssen wir unweigerlich eine gleichgeschlechtliche Beziehung annehmen. Unabhängig davon, mit welchem Geschlecht diese Person geboren wurde, kann man festhalten, dass sie mit einer Person des gleichen und mit einer Person des anderen biologischen Geschlechts verheiratet war. Auch hier scheint es so zu sein, dass eine Frau im späteren Verlauf ihres Lebens anscheinend eine andere Frau heiraten wollte und ebendies durch den Wechsel der Geschlechterrolle ermöglicht wurde.
Zusätzlich gibt uns Plinius Hinweise darauf, wie ihr das gelang. Er spricht davon, dass bei ihr eine barba und die virilitas zum Vorschein kamen. Es waren also äußerliche, körperliche Merkmale, die den Wandel der Geschlechterrolle rechtfertigten; die veränderte, äußere Erscheinung erlaubte das Einnehmen einer anderen Geschlechterrolle. Wie Areskusa ihr Aussehen glaubhaft veränderte, wissen wir leider nicht. Da der männlich identifizierte Bartwuchs besonders hervorgehoben wird, ließe sich eine biologische Erklärung erwägen: Laut dem medizinischen Nachschlagewerk Pschyrembel sind 5–10 Prozent der Frauen vor der Menopause von Hirsutismus betroffen, eine Krankheit, die man im Volksmund nicht selten Damenbart nennt. Das heißt, dass nicht wenige junge, erwachsene Frauen damals und heute verstärkten Haarwuchs an Teilen ihres Körpers erleb(t)en, insbesondere im Gesicht, an denen Haarwachstum nur für Männer typisch ist.[24] Auch das polyzystische Ovarialsyndrom, von dem durchschnittlich 8–13 Prozent der Frauen im reproduktiven Alter betroffen sind, kann solche typisch männlichen Haarwuchssymptome hervorrufen, zu einem unregelmäßigen bzw. ausfallenden Zyklus führen und durch eine Steigerung des Androgenspiegels die Virilisierung des Körpers – die Ausprägung männlicher Körpermerkmale – fördern.[25] Obwohl in der antiken Medizin diese Krankheitsbilder noch nicht verstanden wurden, sind ihre Symptome in den medizinischen Schriften von Hippokrates dokumentiert. Er schreibt von Frauen, die im Erwachsenenalter einen starken Bart- und Körperhaarwuchs bekamen und teilweise auch nicht mehr menstruierten und attribuierte daher ihren Körpern explizit Maskulinität.[26] Wenn diese Veränderungen bereits für einen antiken Arzt ausreichten, um einer Person die Weiblichkeit abzusprechen, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch andere Frauen mit diesen Körperphänomenen öffentlich für sich Männlichkeit beanspruchen konnten. Eventuell war Areskusa eine dieser Frauen, die solch ein Krankheitsbild im Erwachsenenleben ereilte, und konnte dadurch ihr soziales Umfeld glaubhaft davon überzeugen, dass sie eigentlich ein Mann sei.
Neben dieser möglichen biologischen Rekonstruktion des männlichen Aussehens könnte man vielleicht intuitiv darauf verfallen, an das Klischee eines angeklebten Bartes und der Herrenverkleidung zu denken, das man aus dem Theater oder Film kennt. Der Transvestitismus ist auch in der Antike ein weit verbreitetes Phänomen gewesen und gut dokumentiert. Insbesondere Frauen, die durch die Veränderung ihres Äußeren männliche Privilegien beanspruchen konnten, sind bekannt.[27] Prominent ist dafür unter anderem die griechische Ärztin Agnodike, die ca. 300 v. u. Z. lebte. Sie schor ihr Haar kurz, trug männliche Kleidung, imitierte männlich konnotierte Verhaltensformen und übte performativ das soziale Rollenbild eines Mannes aus. Dadurch konnte sie in ihrer maskulinen Rolle Medizin studieren und später auch als Arzt praktizieren, obwohl Frauen von sowohl dieser Berufspraxis als auch diesen Studien zu dieser Zeit ausgeschlossen waren.[28] Es ist denkbar, dass Areskusa, genau wie Agnodike, durch die gezielte Veränderung ihrer äußeren Erscheinung sowie die Nachahmung männlich konnotierter Rollenbilder glaubhaft eine männliche Rolle für sich in der Gesellschaft beanspruchen sowie männliche Privilegien erlangen konnte.[29] So ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass die Heimat der/des bärtigen Areskusa/Areskon, Argos, laut Plutarch dafür bekannt war, dass Frauen bei der Heirat eine männliche Rolle einnahmen und dafür wohl nicht selten einen falschen Bart trugen.[30] Es scheint naheliegend, diesen Geschlechterrollenwechsel im Rahmen dieser lokalen Sitte zu deuten, jedoch verbleibt es spekulativ, wie sich das Äußere von Areskusa/Areskon änderte.
Möglicherweise ist man an dieser Stelle versucht, von derlei rekonstruierenden Erklärungsmustern Abstand zu nehmen und diese abenteuerliche Geschichte in das Reich der Fabeln zu verweisen. Auch hier erschiene solch eine Diskreditierung der Quelle freilich unangemessen, denn nicht nur Plinius und Aulus Gellius plädieren für den wahren Charakter.[31] Plinius kann selbst noch einen Gewährsmann für diese Geschichte anführen, der Areskusa bzw. Areskon selbst gesehen und diese Geschichte geprüft haben soll. Er spricht von C. Licinius Mucianus, einem namhaften zeitgenössischen Politiker, der in der modernen Althistorie bisweilen als Vespasians Mitregent in Rom bezeichnet wird und der unter anderem dafür bekannt ist, dass er den hellenistischen Osten bereist und mehrere der ihm dort bekannt gewordenen Wunder in seinen eigenen „Mirabilia“ festgehalten hat.[32] Ähnlich wie bei L. Consitius handelt es sich demnach nicht um eine obskure Erzählung aus ferner Vergangenheit, sondern um eine überprüfbare Geschichte über einen Zeitgenossen von Plinius, dem ein zeitgenössischer Politiker persönlich begegnet war. Ebendieser Umstand scheint es erforderlich zu machen, diese Geschichte in der Tat ernst zu nehmen.
Wenn wir demnach die Geschichten von L. Consitius und Areskusa/Areskon als real ansehen und den dort beschriebenen Geschlechtswandel nicht als eine Veränderung des biologischen Geburtsgeschlechts, sondern als einen Wandel des sozialen Geschlechts verstehen wollen, dann zeichnet sich bei beiden Fällen das gleiche Paradigma ab: Eine Frau nimmt die soziale Rolle eines Mannes mitsamt seinen geschlechtsspezifischen Privilegien ein und kann in dieser Rolle eine andere Frau heiraten. Pro forma wird jeweils eine konventionelle, heterosexuelle Ehe geschlossen, die de facto aber einen gleichgeschlechtlichen Charakter hat. Der Wechsel der Geschlechterrolle hätte somit homosexuellen Paaren die Heirat ermöglicht. Dass Plinius bei diesen Wunderbeschreibungen explizit auf diese Ehen verweist, scheint zu unterstreichen, wie besonders es war, dass eine Person, die selbst einst eine Frau war, später eine Frau zur Gattin nahm. Folgen wir dieser Interpretation, dann wären L. Consitius und Areskusa/Areskon beide Belege für weibliche, gleichgeschlechtliche Ehen. Im Hinblick auf den aktuellen Forschungsdiskurs ist dies von besonderem Interesse, da es grundlegend abgestritten wird, dass es überhaupt Indizien für Ehen zwischen Frauen gibt.[33] Ebendies würde durch diese beiden Fälle widerlegt werden. Offen gesprochen ist es aber fraglich, inwiefern diese beiden extraordinären Fälle bei Plinius repräsentativ für eine weiter verbreitete Praktik solcher gleichgeschlechtlichen Ehen sein können. Zu unserem Glück ist er nicht der einzige Autor, der von solchen Phänomenen und Paradigmen berichtet.
III. Eine Ehe und geplante Hochzeiten mit unbeständigem Geschlecht in den „Mirabilia“ von Phlegon von Tralleis
Der Freigelassene und Hofbeamte von Kaiser Hadrian, Phlegon von Tralleis, teilte mit Plinius dem Älteren das Interesse an exzeptionellen Naturphänomenen, die er akribisch sammelte und zu Papyrus brachte. Hierzu gehören auch Geschlechtstransformationen, die er, wie Plinius, im Kontext von Eheschließungen auflistet.[34] So berichtet Phlegon von einem Fall, den er mit eigenen Augen gesehen habe:[35]
„Ebenso gab es im syrischen Laodikeia eine Frau namens Aitete, die – solange sie noch mit ihrem Mann zusammen lebte – einen Wandel ihrer Gestalt erlebte und, zum Mann geworden, Aitetos hieß. Dies geschah als Makrinos Archon in Athen und Lucius Lamia Aelianus sowie Sextus Carminus Veterus Konsuln in Rom waren (116 n. Chr.). Ich selbst habe diese Person gesehen.“[36]
Nach dieser Schilderung schloss eine Frau namens Aitete einen Ehebund mit einem Mann und lebte mit diesem zusammen.[37] Im Verlauf des ehelichen Zusammenlebens veränderte sich ihre äußere Erscheinung so sehr, dass sie als männlich wahrgenommen und akzeptiert wurde und die Möglichkeit hatte, die männliche Rolle und damit verknüpft den Namen Aitetos für sich zu beanspruchen. Wenn wir hier das gleiche Maß anlegen und davon ausgehen, dass sich nicht das biologische, sondern lediglich das soziale Geschlecht mitten im Leben verändern konnte, dann gibt es zwei Möglichkeiten, den beschriebenen Fall aufzulösen. Die erste Möglichkeit wäre, dass Aitete eine Frau war, die durch eine geschickte Veränderung ihres Äußeren anstrebte, in eine männliche Rolle zu schlüpfen und damit verbunden in den Genuss männlicher Privilegien zu kommen und/oder eventuell gar die nicht mehr rechtskonforme Ehe mit ihrem Mann legitim auflösen zu können. Die zweite Möglichkeit wäre, dass die Person, die Phlegon nach eigener Aussage selbst kennenlernte, bereits auch vorher ein Mann gewesen war. Demnach hätte er eine weibliche Rolle angenommen, um einen anderen Mann zu heiraten, und zu einem späteren Zeitpunkt wieder seine Männlichkeit offenbart bzw. sie nicht mehr verheimlichen können. Folgen wir dieser Interpretationsoption, dann würde auch diese Geschichte die Existenz einer biologisch gleichgeschlechtlichen Ehe abbilden. Da die erste Möglichkeit jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, verbleibt zwangsläufig das Verständnis dieser Passage nicht so eindeutig wie die zuvor beschriebenen Fälle bei Plinius. Die Geschichte ist somit zwar kein Beweis, aber definitiv ein Indiz für eine gleichgeschlechtliche Ehe.
Phlegon berichtet noch von zwei weiteren Fällen des Geschlechtswechsels im unmittelbaren Ehekontext, die jedoch eine Variation zu den bisher vorgebrachten Beispielen darstellen, da sie wohl die Heiratspläne der Paare torpedierten. Die erste Geschichte ereignete sich während der claudischen Ära (53 n. u. Z.) in einem Anwesen der Kaiserfamilie und dürfte daher wohl einem breiteren Publikum bekannt gewesen sein; zumindest Plinius kannte anscheinend die aus Smyrna stammende Person, die er in der oben zitierten Passage auch kurz aufgriff:
„Es gab auch einen Androgynen in Mevania, einer Stadt in Italien, in dem Landhaus der Agrippina Augusta, als Dionysodoros Archon in Athen und Decimus Iunius Silanus Torquatus sowie Quintus Haterius Antoninus Konsuln in Rom waren (53 n.Chr.). Ein Mädchen namens Philotis, das aus Smyrna stammte, war im heiratsfähigen Alter und von ihren Eltern mit einem Mann verlobt, als männliche Genitalien an ihr erschienen und sie zu einem Mann wurde.“[38]
Bei diesem Ausschnitt ist es von elementarer Bedeutung, zunächst das griechische Vokabular anzusprechen, da es zwei verschiedene Deutungen zulässt. Phlegon spricht zu Beginn von einem ἀνδρόγυνος – wortwörtlich einem Mannweib. Dies war eine gängige Bezeichnung für Hermaphroditen bzw. nach heutigem Vokabular für intersexuelle Menschen.[39] Der Autor signalisiert aber nicht eindeutig, ob er damit meint, dass diese Person von Geburt an intersexuell war oder dass sie erst zu solch einem Hermaphroditen wurde, als sie im Verlobungskontext ihre wundersame Verwandlung erlebte.[40] Da Phlegon vor dieser Transformation von einer παρθένος – einem Mädchen – spricht, welches einen Mädchennamen trug und diese Erzählung in einer Auflistung von Geschlechtsverwandlungen steht, kann man wohl zur zweiten Variante tendieren.[41]
In diesem Fall war Philotis als Mädchen geboren und im heiratsfähigen Alter mit einem Mann verlobt worden. Nach der Verlobung veränderte sich ihr Äußeres so sehr, dass sie als Mann wahrgenommen und in dieser männlichen Rolle akzeptiert wurde. In dieser Geschichte sind zwei Details hervorzuheben: Erstens verweist Phlegon ausdrücklich auf die initiierende Rolle der Eltern, die ihre Tochter verlobt hatten. Für die in diesem Fall passive Philotis wird hingegen kein Ehewunsch explizit erwähnt. Phlegon suggeriert somit, dass die geplante Hochzeit sowie die Wahl des Ehemannes auf die Eltern zurückging und nicht zwingend den Wünschen ihrer Tochter entsprach. Zweitens wird bei Philotis nur von einer Verlobung gesprochen und nicht etwa von einer Hochzeit, Ehe oder Lebensgemeinschaft wie bei den vorigen Beispielen. Dies impliziert wohl, dass es nach diesem Geschlechtswechsel zu keiner Trauung mehr kam. Juristisch wäre dies nachvollziehbar, da zwei Personen, die in der Gesellschaft als Männer galten, nicht einander heiraten durften. Demnach hätte diese Geschlechtstransformation die Ehe von Philotis verhindert. Wenn wir dieses Paradigma zusammenfügen und die gleichen biologischen Prämissen an diesen Fall legen, dann ergibt sich die folgende mögliche Erklärung für die Geschichte: Vielleicht hatte Philotis kein Interesse an der von den Eltern gestifteten und geplanten Ehe. Auch wenn wir nicht genau rekonstruieren können, wie sie es tat, täuschte sie wohl erfolgreich den Wandel ihres Geschlechts vor, sodass sie als biologische Frau die Rolle des männlichen Geschlechts einnehmen und damit das Ziel der Verlobung – die Heirat mit dem erwählten Mann – sabotieren konnte. Als Mann konnte sie ja keinen anderen Mann heiraten. Gleichermaßen wäre es auch denkbar, dass ihre Eltern im Verlobungszeitraum aus uns nicht näher bekannten Gründen ihre Meinung zum Ehevorhaben änderten, es verhindern wollten und daher zusammen mit ihrer Tochter den beschriebenen Wechsel des Geschlechtsstatus planten, umsetzen und damit ohne Gesichtsverlust die Vermählung stoppten. Nach beiden Deutungen wäre intendiert vor der Trauung eine Gleichgeschlechtlichkeit evoziert worden, die eine Eheschließung unmöglich gemacht hätte.
Wenn wir die zweite Interpretation des Vokabulars annehmen, dass Philotis eine intersexuelle Person war, dann kommen wir zwar mit Blick auf das römische Recht zu einem vergleichbaren Ergebnis, das aber auch für die anderen Fälle eine neue, aufschlussreiche Facette öffnet: Das römische Rechtswesen berücksichtigt zwar das biologische Phänomen von Intersexualität, aber erkennt das dritte Geschlecht juristisch nicht an. So existiert in den Digesten eine Passage, die explizit vorschreibt, dass es erforderlich sei, dass Hermaphroditen entweder dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden. Entscheidendes Kriterium sei hierfür gewesen, welche Geschlechtsmerkmale bei der Person dominanter ausgeprägt seien. Diese Zuordnung implizierte auch die Zuweisung geschlechtsspezifischer Privilegien.[42] Dass Intersexuelle somit vor dem Gesetz als gleichberechtigte Männer oder Frauen gelten konnten, wird aus einer anderen Digestenpassage deutlich. Hier wird es ausdrücklich Hermaphroditen – wenn sie vorwiegend männliche Geschlechtsmerkmale haben – erlaubt, das männliche Privileg wahrzunehmen, einen eigenen Erben zu ernennen. Folglich dürfte diese Geschlechtszuordnung auch andere geschlechtsspezifische Rechte, wie das Heiratsrecht, betroffen haben.[43] Aus diesem Rechtsexkurs ist somit festzuhalten, dass im römischen Recht bereits ein Spielraum für die Zuordnung von Geschlechterrollen, die nicht identisch mit dem biologischen Geschlecht sein mussten, verankert war. Dieser konnte wohl von Personen genutzt werden, die nicht eindeutig nach dem binären Geschlechtersystem der Römer zugeordnet werden konnten. Wenn wir folglich annehmen, dass Philotis bereits eine intersexuelle Person war, dann wäre es nach römischem Recht möglich gewesen, sie zunächst bei einem vorherrschenden femininen Äußeren dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, sie entsprechend zu verloben und diese Geschlechtszuordnung zu revidieren sowie die geplante Hochzeit zu stoppen, wenn sie zuvor unübersehbare dominierende männliche Züge zeigte.[44] Dass Philotis und/oder ihre Eltern nach dieser Interpretation damit gezielt die Trauung sabotierten, wäre vorstellbar, aber verbleibt spekulativ. Wichtiger erscheint an dieser Interpretation aber, dass das, was für Philotis vorstellbar ist, auch von Relevanz für die anderen bisher besprochenen Personen gewesen sein kann: Eventuell haben sie durch geschickte Verkleidung, Imitation oder biologisch verursachte Körperveränderungen ebenjenen geschilderten rechtlichen Spielraum der Geschlechterzuordnung nutzen können, um die Privilegien des anderen Geschlechts sowie die legitime Grundlage zu erlangen, einen Partner des gleichen biologischen Geschlechts heiraten zu dürfen.
Im Kontext dieser Überlegungen ist zu bemerken, dass Phlegon von noch einem weiteren Fall berichtet, der dem bei Philotis erfassten Paradigma zu entsprechen scheint und sich nur wenige Jahre zuvor (45 n. u. Z.) in Antiochia am Mäander ereignet habe: Dort gab es laut dem Autor eine gutaussehende Frau aus vornehmer Familie, die viele Verehrer hatte. Wie im Fall von Philotis suchten auch für dieses dreizehnjährige Mädchen die Eltern den zu heiratenden Mann aus. Dass diese Auswahl dem Wunsch der Tochter entsprach, wird an keiner Stelle erwähnt. Stattdessen erfahren wir von Phlegon, dass die Braut am Tag der geplanten Trauung, kurz bevor sie ihr Familienhaus verlassen sollte, plötzlich Bauchschmerzen überkamen, die ununterbrochen drei Tage lang anhielten und die geplante Hochzeit nicht zuließen. Am vierten Tag habe sich der Grund für diese Schmerzen offenbart, denn sie soll sich zu einem Mann transformiert und dessen äußere, männliche Geschlechtsmerkmale gehabt haben. Fortan wurde die einstige Frau nun in der Gesellschaft als Mann anerkannt und wir haben keinen Hinweis darauf, dass die fast vollzogene Eheschließung noch stattfand.[45]
Wenn wir erneut diese Geschichte nicht bloß als einen großen Zufall oder ein Wunder abtun und den gleichen biologischen Maßstab wie bei den vorigen Erzählungen anlegen wollen, dann kommen wir schnell zu einem ähnlichen Erklärungsmuster wie bei Philotis. Unabhängig davon, ob die Person von Geburt an ein Mädchen war, das ihre männliche Transformation erfolgreich vortäuschte, oder eine intersexuelle Person, die ihre männlichen Körpermerkmale erst zum richtigen Zeitpunkt der Öffentlichkeit zeigte, kommen wir zu dem gleichen Schluss, dass diese Person anscheinend gezielt ihren sozialen Geschlechtsstatus wechselte.[46] Diese Veränderung des Geschlechts stoppte somit wahrscheinlich das geplante Ehevorhaben. Auch hier suggeriert das Paradigma, dass ebendies der Plan hinter der Geschlechtstransformation war, die durch die entstandene Gleichgeschlechtlichkeit der Verlobten die Eheplanungen der Eltern torpedierte. Ob dieser Statuswechsel allein von der Verlobten geplant und intendiert war oder vielleicht Elternteile in diesen Prozess involviert waren, die ein Interesse daran hatten, die einst geplante Ehe nicht mehr zustande kommen zu lassen, muss an dieser Stelle spekulativ verbleiben.
Zusammenfassend scheinen all die besprochenen Textstellen von Plinius und Phlegon zu beweisen, dass Personen gezielt ihren sozialen Geschlechtsstatus gewechselt haben, um Eheschließungen zu ermöglichen oder, wie anscheinend in den letzten beiden Beispielen, zu verhindern. Demnach hätte dieser bewusst vorgenommene Geschlechtswandel es homosexuellen Paaren ermöglicht, miteinander Ehen einzugehen, und es Verlobten erlaubt, ungewünschte Hochzeiten mit dem anderen Geschlecht zu verhindern. Somit würden die behandelten Fälle, auch wenn sie zu verschiedenen Ergebnissen führten, gleichermaßen zeigen, dass grundlegend der Wandel des sozialen Geschlechtsstatus möglich sowie entscheidend für die Möglichkeiten der Eheschließung sein konnte.[47] Auch wenn bei all den von Phlegon und Plinius beschriebenen Fällen mehr Detailinformationen wünschenswert wären und wir nicht die Reaktionen und Urteile jedes individuellen Zeitgenossen rekonstruieren können, lassen sich hiervon einige grundlegende Annahmen über die Gültigkeit dieser Phänomene ableiten:
Unabhängig davon, ob einige, alle oder kein einziger der Zeitgenossen die hier postulierten, identifizierten Formen der Täuschung bei den Verwandlungen und Eheschlüssen durchschaute(n), kann konstatiert werden, dass anscheinend kurz- und langfristig der neue soziale Geschlechtsstatus nach der öffentlichen Geschlechtstransformation sowie die Ehen der Personen unbeständigen Geschlechts im heimischen, sozialen Umfeld der betreffenden Individuen geduldet und von den Autoren C. Licinius Mucianus, Plinius, Phlegon und Aulus Gellius wohl als gültig erachtet wurden. In keiner der Passagen lässt sich ein Indiz darauf finden, dass zeitnah oder später die Geschlechtsstatus öffentlich angezweifelt oder revidiert wurden oder die Gültigkeit der Ehen infrage gestellt wurde. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man an den oben gestreiften Fall von Agnodike denkt, die lange als männlicher Arzt in Athen praktiziert hatte. Nachdem in der Öffentlichkeit ihre Scharade bekannt wurde, ist sie, auch wenn erfolglos, für ihre Täuschung angeklagt worden.[48] Dies zeigt, dass diese Aktion zumindest kurzzeitig von einer größeren Masse als Affront wahrgenommen und mit sozialer Ablehnung bestraft wurde, die in ein Gerichtsverfahren mündete. Gewiss dürfen wir auch bei den hier besprochenen Fällen davon ausgehen, dass zeitgenössische Zweifler das neue soziale Geschlecht und die modifizierten Ehekonstellationen kritisch beäugten, aber die generelle, langfristige Durchsetzung dieser individuellen Veränderungen spricht stark dafür, dass auf sozialer Ebene der neue Geschlechts- und Ehestatus jeweilig konsensfähig war und Gültigkeit für die Mehrheit der Zeitgenossen besaß. Von den oben angesprochenen Regelungen bezüglich Hermaphroditen im römischen Recht ausgehend, scheint es naheliegend anzunehmen, dass mit dem neuen sozialen Geschlecht auch jeweils geschlechtsspezifische Privilegien und Rechte einhergingen und auch die Ehen folglich rechtsgültig waren, aber das lässt sich aufgrund der unzureichenden Informationen hierzu nicht mit Sicherheit feststellen. Erschwerend kommt hinzu, dass Zentralitalien, Thysdrus, Argos, Laodikeia und Antiochia am Mäander von verschiedenen lokalen Rechtskulturen und auch -systemen geprägt waren, die wahrscheinlich keine identische rechtliche Einordnung der beschriebenen Fälle vornahmen.
Ungeachtet dieser noch offenen Rechtsfrage scheint ein Ansatz von Christoph Lundgreen, der sich unter anderem mit Normenkonflikten und Normenabweichungen in Rom auseinandergesetzt hat, geeignet zu sein, um diesen Befund präzise einzurahmen. Er unterscheidet die institutionelle Gültigkeit einer Norm – die Gültigkeit nach einer öffentlich verankerten Regel, zum Beispiel einem Gesetz, das wie nach einem binären Code entweder eingehalten oder gebrochen werden kann – und die soziale Gültigkeit einer Norm – die empirisch messbare Einhaltung und Berücksichtigung der Norm durch eine Normengemeinschaft, die nicht selten von der institutionellen Regel abweichen kann.[49] Überführen wir die Beobachtungen zu den Quellenstellen in dieses Modell, kommen wir zu folgendem Ergebnis: Obwohl in den römischen und griechischen Normengemeinschaften keine nachweisbaren Regeln – Gesetze – existierten, die den aktiven Wechsel des Geschlechtsstatus oder das gleichgeschlechtliche Heiraten erlaubten oder gar als möglich ansahen, und die institutionelle Norm darin bestand, dass Personen ein Leben lang das gleiche Geschlecht behielten und nur Personen des anderen Geschlechts heiraten konnten, können wir dennoch die Billigung der besprochenen Fälle sowie eine soziale Toleranz ihnen gegenüber beobachten. Die neuen Geschlechtsstatus und die biologisch gleichgeschlechtlichen Ehen wären folglich zwar nicht institutionell, aber sozial gültig und mit den Ansprüchen der jeweiligen Normengemeinschaft vereinbar gewesen. Damit wären die Personen, die gezielt ihr Geschlecht wechselten und damit ihre Eheoptionen beeinflussten, wenn man an dieser Stelle das Spieltheoriekonzept von Johan Huizinga aufgreifen möchte, Falschspieler gewesen – Personen, die zwar die Normen und Regeln ihrer Gemeinschaft anerkennen, jedoch bewusst solche Regelsysteme beugen, ihre Lücken ausnutzen und heimlich Prinzipien nicht einhalten, um sich Vorteile und Privilegien zu verschaffen.[50] Egal ob erkannt oder unerkannt ist dieser unorthodoxe Umgang der Falschspieler mit den institutionellen Normen sozial toleriert worden.
Diese interpretativen Schlüsse mögen an dieser Stelle manche Leser noch nicht überzeugen und zum Gegenargument anregen, dass solche Formen der gleichgeschlechtlichen Ehe und der Veränderung des sozialen Geschlechts aus einer modernen, von aktuellen Entwicklungen geprägten Perspektive auf die Quellen projiziert werden und den antiken Zeitgenossen als Konzepte fremd waren. So schließen sich zwangsläufig zwei Fragen an diese Zwischenergebnisse an: Erstens, warum wurden solche Fälle als Wunder dokumentiert, wenn es sich hierbei wahrscheinlich um durchschaubare, intendierte Täuschungen handelte und das römische Recht anscheinend sogar Spielräume für die Geschlechtszuordnung bot, die den Zeitgenossen wohl bekannt gewesen sein dürften? Zweitens, warum finden sich abseits der hier behandelten Quellenstellen nirgendswo in der antiken Literatur Hinweise oder Reaktionen auf die beschriebenen Praktiken, die die vorangehenden Gedanken bestätigen könnten? Auch wenn sich wohl kein Autor von den Einflüssen seines Zeitgeistes exkulpieren kann, so können und werden dennoch mit Gewissheit diese Fragen in den nachfolgenden Abschnitten beantwortet. Es wird zunächst illustriert, dass Plinius und Phlegon sich an Vorlagen und Präzedenzfällen orientierten, die die Klassifizierung der besprochenen Fälle als Wunder nachvollziehbar machen, auch wenn sie es nach heutigen Maßstäben nicht waren. Anschließend wird nachverfolgt, dass die analysierten Formen der gleichgeschlechtlichen Ehe und des Wandels des sozialen Geschlechts ihren Zeitgenossen sehr wohl vertraut waren und mehrfach in ihren Texten zu finden sind. Hiermit soll nicht nur die Plausibilität der vorangegangenen Gedanken geprüft, sondern auch die Verbreitung der behandelten Phänomene nachverfolgt werden.
IV. Mythologische und historische Vorbilder für Geschlechtsfluidität und Präzedenzfälle für gleichgeschlechtliche Ehen aus dem hellenistischen Osten
Die Frage danach, warum Plinius und Phlegon die gelisteten Fälle zu übernatürlichen Wundern zählten, erschließt sich schnell, denn sie kaschieren ihre Quellen und Assoziationen zu diesem Thema nicht. Phlegon beginnt seinen Abschnitt zu den Geschlechtsverwandlungen mit der Erzählung des mythischen Geschlechtswandlers Teiresias, dessen Verwandlungen jeweils als göttlich beeinflusste Wunder verstanden wurden, und fährt mit dem Mythos von der Geschlechtstransformation von Caenis/Caeneus fort.[51] Wenn solche Geschichten aus der griechisch-römischen Mythologie folglich die Einordnung und Wahrnehmungen der beschriebenen realen Fälle prägten[52], dann kann man konstatieren, dass es viele Mythen gab, die solche Verwandlungen des Geschlechts als übernatürliches Wunder klassifizierten: Man denke an die Geschichte von Attis bei Catull, der durch die Göttin Kybele eine Frau wurde[53], die bereits erwähnte Frau Caenis, die Ovid zufolge von Neptun in einen Mann verwandelt wurde[54], oder an den Mann Leukipp, der laut Antoninus Liberalis durch die Göttin Leto in eine Frau verwandelte wurde[55]. Insbesondere der Iphismythos, in welchem das Mädchen Iphis einen Weg sucht, um ihre Geliebte Ianthe heiraten zu können, durch göttliche Hilfe in einen Mann verwandelt wird und direkt nach der erlangten Männlichkeit ihre Herzensdame ehelicht, gleicht von der Struktur nahezu den zuvor behandelten Quellenstellen und erinnert stark an den Fall von L. Consitius.[56]
Der angesprochene Konnex zwischen Geschlechtstransformationen und neuen Möglichkeiten der Eheschließung taucht in den Mythen und Religionen noch häufiger auf, als man zunächst annehmen mag. Illustrativ ist dafür etwa eine Inschrift, die 1995 in der Nähe der Stadt Halikarnassos bei jenem Quell namens Salmakis gefunden wurde, in dem bereits in der Antike die Entstehung des Gottes Hermaphroditos verortet und kultisch verehrt wurde.[57] Die dort angebrachte, wahrscheinlich aus hellenistischer Zeit stammende Inschrift überliefert ein Gedicht, das schildert, warum Halikarnassos ein von den Göttern geliebter Ort sei, und damit verbunden all die schönen Vorzüge und Errungenschaften der Stadt auflistet. Die überschwänglichen Verse kommen dabei nicht ohne ein Lob auf den lokal gebürtigen Gott Hermaphroditos aus, der vor Ort verehrt wurde[58]:
„And Halicarnassus settled the delightful hill beside the stream of Salmakis, sung of as dear to the immortals, and her domain includes the desirable home of the nymph, she who once received our child in her kindly arms and reared Hermaphroditos the all-excellent, he who invented marriage and was first to bind together wedded couples by his law, and she herself beneath the holy waters in the cave that she pours forth makes gentle the savage minds of men.”[59]
Jene Gottheit, die wohl wie keine andere die Veränderung des Geschlechts bzw. der Geschlechterrolle und das Abweichen von gängigen Geschlechtsvorstellungen repräsentierte, wird hier explizit als Erfinder der Ehe, als Gott, der Paare durch das Gesetz vermählte, charakterisiert. Dies ist kein Einzelfall; viele weitere Quellen legen uns nahe, dass Hermaphroditos als ein Hochzeitsgott verehrt und verstanden wurde.[60] Was spezifisch Hermaphroditos dazu qualifizierte, ein Gott der Hochzeit zu sein, konnte bisher jedoch nicht befriedigend erklärt werden. Blickt man auf die zuvor besprochenen Fälle, dann drängt sich der Gedanke auf, dass solche Fälle von Geschlechtsverwandlungen und darauf aufbauenden Eheschließungen gerade solch eine Assoziation mit der Gottheit befruchtet haben könnten, aber das bleibt spekulativ.
Wichtiger erscheint, dass vor solch einem Hintergrund verständlich wird, warum Plinius und Phlegon die zuvor analysierten Fälle in ebenjene Wundertradition stellten und in ihren Werken darunter listeten, auch wenn sie in der Realität wahrscheinlich allzu profan waren. Personen, die das Schicksal einer Iphis teilten und durch eine Geschlechtstransformation eine geliebte Person des gleichen Geburtsgeschlechts heiraten durften, wurde eine Gabe zuteil, die man ansonsten aus Mythen kannte, als Götterwirken identifizierte, vielleicht gar als ein Geschenk des vielgeschlechtlichen Hochzeitsgottes Hermaphroditos ansah. Dass die Narrative solcher mythologisch geprägten Texte, deren Lektüre zum klassischen Bildungsweg der damaligen Oberschicht gehörte[61], die Wahrnehmung ihrer Leser bei vergleichbaren Phänomenen in ihrer realen Lebenswelt stark beeinflussten, wäre auch kein Unikum. Jon Lendon konnte zum Beispiel plausibel zeigen, dass die Narrative rhetorischer Texte, die zur üblichen Bildung in Rom gehörten, großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Caesars Diktatur in der römischen Nobilität hatten und die Deutung des Diktators als Tyrannen sowie dessen Ablehnung förderten.[62] Vergleichbare Wirkungen dürfen wohl auch bei den hier angesprochenen Texten, die Teil des antiken Unterrichtes waren, erwartet werden und würden die Einordnungen von Plinius und Phlegon nachvollziehbar werden lassen.
Neben der Welt der Mythen mag für die beiden Gelehrten relevant gewesen sein, dass bereits vor ihrer Zeit zahlreiche Autoren reale Fälle von Geschlechtsabweichungen dokumentiert und sie gleichermaßen als übernatürlich klassifiziert haben. So sind aus dem republikanischen Italien mehrere Fälle von Menschen bekannt, die nicht eindeutig in duale Geschlechtervorstellungen passten oder ihr Geschlecht wechselten und daher als übernatürlich oder göttlich beeinflusst verstanden und eingeordnet wurden.[63] Wohl auf einige dieser Fälle bezugnehmend spricht auch Plinius davon, dass in früheren Zeiten Hermaphroditen als prodigia gedeutet wurden, während sie zu seiner Zeit als deliciae behandelt wurden.[64] Zusätzlich berichtet Plinius von der dokumentierten Verwandlung eines Mädchens in einen Jungen im italischen Casinum unter dem Konsulat von P. Licinius Crassus und C. Cassius Longinus (171 v. u. Z.), die er explizit ernst nimmt.[65] Das zeigt unverkennbar die Auseinandersetzung mit derlei vorkaiserzeitlichen Quellen und scheint nahezulegen, dass sich wohl Plinius und Phlegon in diese Deutungstradition einreihten, auch wenn sie weitaus positiver von diesen Geschichten schrieben.[66]
Unter diesen „Vorläufern“ wird wohl Diodor eine besondere Bedeutung zugekommen sein, der bereits zuvor detailreich solche Geschlechtsverwandlungen festgehalten hatte.[67] Wir wissen mit Sicherheit, dass Plinius mehrfach sein Werk als Quelle nutzte und auch für Phlegon ist dies bereits vermutet worden.[68] Daher erscheint ein Exkurs zu den von Diodor geschilderten Fällen angebracht, um die Bedeutung dieser Vorlage evaluieren zu können. Er berichtet im Kontext der Ermordung des seleukidischen Monarchen Alexander I. Balas im Jahr 145 v. u. Z. im arabischen Ort Abai[69], dass in dieser Lokalität eine Person lebte, die sich kurz vor dem Tod des Königs von einer Frau zu einem Mann verwandelt habe. Diese Transformation ist nicht nur als ein wundersames Omen für das darauffolgende Ereignis gedeutet, sondern auch äußerst detailliert festgehalten worden: Die bereits verheiratete Frau Herais soll nach einem Jahr Ehe sehr krank geworden sein. Ihr Genitalbereich habe sich stark entzündet, sei angeschwollen und den restlichen Körper sollen Fieberanfälle heimgesucht haben. Die Ärzte, die diesen Fall behandelten, probierten, sie mit Heilmitteln zu kurieren und mussten am siebten Tag der Krankheit überrascht feststellen, dass die Oberfläche der Haut im Genitalbereich riss und aus dem ehemals weiblichen Geschlechtsorgan unverkennbar ein männliches Glied und Hoden hervortraten. Nachdem sie medizinisch versorgt und wieder stabil gewesen sei, habe Herais ihre unerwünscht erlangte Männlichkeit unter ihrer weiblichen Kleidung verborgen und insbesondere den Sex mit ihrem Ehemann Simiades lange herausgezögert. Simiades hatte dafür laut der Überlieferung wenig Verständnis und initiierte nach langer Ungeduld einen Gerichtsprozess, da seine Frau ihren Ehepflichten nicht nachgekommen sei. Beim Prozess offenbarte Herais unverhüllt ihren nackten Körper vor den Richtern und vielen weiteren Anwesenden und fragte diese provokativ, ob man denn einen Mann, wie sie einer sei, zwingen dürfe, mit einem anderen Mann in Ehe zusammenzuleben. Dieser gezielt evozierte Schockzustand im Gericht rettete sie nicht nur vor einer Verurteilung, sondern verschaffte ihr einen neuen Geschlechtsstatus. Die eingeforderte Männlichkeit wurde akzeptiert und mehrere Ärzte begannen nun chirurgisch die Form ihres Genitalbereiches nachzubearbeiten, da Teile des männlichen Geschlechtsorgans noch in der Haut und in den Resten des weiblichen Geschlechtsorganes eingeschlossen gewesen seien. Anschließend nahm Herais den männlichen Namen Diophantos an, trug männliche Tracht, trat in die königliche Reiterei ein und kämpfte an der Seite von Alexander I. Balas.[70] Folglich hatten der Wandel des Geschlechts und die damit einhergehenden, sichtbaren dominanten männlichen Geschlechtsmerkmale am Körper es Herais/Diophantos ermöglicht, im Konsens mit ihrer/seiner Normengemeinschaft sozial gültige, männliche Privilegien und einen neuen Geschlechtsstatus wahrzunehmen. Somit wiederholt sich hier das bereits bei den Digesten besprochene sowie identifizierte Muster, dass sich das soziale Geschlecht anpassen lässt, wenn das Äußere einer Person ebendies für die Zeitgenossen rechtfertigen kann.[71] Dass die äußeren Veränderungen wohl tatsächlich zu einer Statusänderung der Person führten, mag man auch am Ausgang des Eheverhältnisses, das ab diesem Zeitpunkt wohl zwischen zwei Männern bestand, sehen: Der einstige Ehemann Simiades soll sich aus Liebeskummer und Scham für die praktizierte homosexuelle Ehe das Leben genommen haben.[72]
Laut Diodor habe sich ein identischer Fall dreißig Jahre später in Epidauros zugetragen. Dort habe eine bereits zwei Jahre lang verheiratete Frau namens Kallo auch kein konventionelles weibliches Geschlechtsorgan besessen. Stattdessen habe sie bei den Schamhaaren eine Röhre gehabt, die in das Becken führte und ihr zwar erlaubte, Flüssigkeiten auszuscheiden, aber nicht wie eine Frau den Geschlechtsverkehr auszuüben. Genau wie beim vorigen Fall hätten sich auch die Schamteile dieser Frau entzündet, sich dort eine Geschwulst gezeigt und starke Schmerzen hervorgerufen. Nachdem ein Apotheker einen Einschnitt an der Geschwulst vornahm, sollen ein Penis inklusive Hoden hervorgetreten und erkennbar geworden sein. Der Apotheker befreite die Genitalien von der umliegenden Haut und schnitt ein Loch in die Penisspitze, welches das Genital voll funktionsfähig gemacht habe. Nach dieser Prozedur sei Kallo als Mann anerkannt worden und habe den männlichen Namen Kallon angenommen sowie fortan männliche Tracht getragen.[73] Auch hier hat Kallo/Kallon durch ihre/seine operative Offenbarung und durch den Konsens ihrer/seiner Zeitgenossen das soziale Geschlecht wechseln können und war dadurch in ein gleichgeschlechtliches Eheverhältnis geraten.[74] In diesem Fall wissen wir leider nicht, ob die Ehe nach der Verwandlung noch Bestand hatte. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, dass auch Diodors Zeitgenosse, der in Herculaneum lebende und wirkende epikureische Philosoph Philodemos, wohl denselben Fall kannte und in seinen Schriften auf ihn rekurrierte. Er berichtet ebenfalls von einem Mädchen in Epidauros, das nach seiner Hochzeit zu einem Mann wurde.[75] Insbesondere diese Parallelüberlieferung lässt es legitim erscheinen, das Geschilderte zunächst durchaus ernst zu nehmen.
So mögen diese Geschichten zwar allzu abenteuerlich klingen, intuitiv dazu verleiten, sie in das Reich der Fiktion zu verbannen, aber vor allem dadurch überraschen, dass sie sich komplett mit einem der modernen Medizin wohlbekannten Phänomen decken[76]: Der Pseudohermaphroditismus kann genau die Symptome und die körperliche Entwicklung aufweisen, die uns Diodor schildert. Wenn ungeborene männliche Kinder während der Schwangerschaft einen Mangel der Steroid-5α-Reduktase erleiden, kann das dazu führen, dass ihre Genitalien im Beckenraum verbleiben und in dem Körperbereich, wo sie normalerweise zu sehen sein sollten, ein Loch klafft, das fälschlicherweise für ein weibliches Geschlechtsorgan gehalten werden kann. Es ist ein üblicher Verlauf, dass während der Pubertät und der damit einhergehenden Veränderung des Hormonhaushaltes die männlichen Genitalien dann verspätet aus dem Beckenraum hervortreten und nach außen hin sichtbar werden.[77] Auch in der Altertumswissenschaft sind die beschriebenen Parallelen bemerkt und nachvollziehbar die Schlussfolgerung gezogen worden, dass Diodor ebendieses medizinische Phänomen, das bei seinen Zeitgenossen auftrat, beschrieben hat.[78]
Obwohl die antiken Beobachter den Pseudohermaphroditismus wohl noch nicht verstanden und daher fälschlich von einem Wandel des biologischen Geschlechts ausgingen, so war diese Geschlechtstransformation dennoch nach dem Stand der kaiserzeitlichen Medizin erklärbar: Der in Rom tätige Arzt Galen ging in seinen Schriften davon aus, dass das männliche und das weibliche Geschlechtsorgan identisch seien und ganz der Säftelehre folgend allein durch die verschiedenen Säfte und Temperaturen der männlichen und weiblichen Körper entweder nach innen oder außen gestülpt seien; ähnliche Dependenzen zwischen der Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen und Körpersäften und -temperaturen hatte zuvor auch Hippokrates in seinen medizinischen Schriften angenommen.[79] Wenn es zu einem langanhaltenden Missverhältnis bzw. zu einer Umstrukturierung dieser Elemente im Körper käme, wäre es nach diesem Modell zumindest denkbar, dass sich somit auch äußerliche Körpermerkmale veränderten und unter anderem eine Umstülpung des Geschlechtsorganes stattfinden könne. Berücksichtigt man diese medizinischen Annahmen der Kaiserzeit und die real erfahrbaren/beobachtbaren Veränderungen des Genitalbereiches, von denen Diodor berichtet und die sich nach dem damaligen Kenntnisstand als Geschlechtstransformation deuten lassen, dann ist es sehr plausibel, dass Plinius und Phlegon sehr wohl davon überzeugt sein konnten, dass solche Transformationen des biologischen Geschlechts existierten und dass diese als Wunder zu deuten waren.[80]
Zusammen ergibt sich ein konsistentes Bild: Unabhängig davon, ob jeweils Plinius, Phlegon oder das soziale Umfeld der Geschlechtswandler die wahrscheinlich stattgefundenen Täuschungen durchschauten, sie für medizinisch-biologisch erklärbar hielten oder es als Wunder ansahen, existierte bereits in den Mythen und der antiken Literatur ein etablierter Deutungskanon für solche Phänomene, der eine Auflistung solcher Fälle als mirabilia legitim erschienen ließ. Die Parallelen zum Iphismythos und den Schilderungen Diodors und Philodemos’ sind unübersehbar und die damit einhergehende Einordnung nachvollziehbar. Selbst wenn manch Zeitgenosse oder die Autoren selbst erkannten, dass kein göttliches Wunderwirken für die neuen Geschlechterrollen verantwortlich war, muss man sich fragen, wer ein Interesse an einer Korrektur dieser Interpretation gehabt haben könnte, wenn anscheinend bereits ein Konsens über die soziale Gültigkeit der individuellen Veränderung in der Normengemeinschaft bestand. Nach den besprochenen Quellen zu urteilen handelte es sich bei keinem der Ehepartner um eine Person von Rang und Namen, der eventuell ein (politischer) Kontrahent oder Ähnliches hätte schaden wollen, wie es bei der Ärztin Agnodike der Fall war, die aufgrund ihrer Beliebtheit bei weiblichen Kunden von ihrer männlichen Konkurrenz angeklagt wurde.[81] Anders als die Ärztin waren sie wohl keine Personen des öffentlichen Lebens oder der wohlhabenden Oberschicht, für deren Privatleben sich zahlreiche Menschen interessiert hätten. Dass diese Personen abseits der Wundererzählungen nirgendwo im Quellenmaterial auftauchen, spricht dafür, dass sie jenseits dieser Kategorie irrelevant für die Öffentlichkeit waren und sie demnach auch nicht attraktiv für investigative, rufschädigende Überprüfungen waren. Da sich wohl niemand an ihnen und ihren biologisch gleichgeschlechtlichen Ehen störte, könnte man eventuell von einer gewissen konsensualen Toleranz gegenüber diesem Phänomen bei den „Eingeweihten“ ausgehen. Dies mag wohl auch daran liegen, dass von diesen Fällen kein Druck ausging, die üblichen Konventionen infrage zu stellen oder gar die Regeln und Normen zu verändern. Für Plinius und Phlegon waren diese Geschichten wahrscheinlich sogar überaus reizvoll, da sie sich einerseits wunderbar für ihre mirabilia und den oben geschilderten Deutungsrahmen eigneten und andererseits für ihre Leser auch schwerlich zu überprüfen waren, zumal die meisten Fälle in der römischen Peripherie verortet waren.[82] Gleichermaßen kann es daher aber auch für die beiden Gelehrten schwierig gewesen sein, diese Geschichten penibel über lange Zeiträume zu überprüfen, sodass es nicht unwahrscheinlich bleibt, dass sie selbst vielleicht allzu gutgläubig die Narrative der Ehepartner übernahmen oder intuitiv ihre Geschichten in den skizzierten Deutungskanon einordneten.
V. Ein allzu bekanntes und gern kritisiertes Phänomen. Geschlechtsverwandlungen und gleichgeschlechtliche Ehen in der kaiserzeitlichen Literatur
Nachdem zuvor die erste Frage beantwortet wurde, gilt es nun in diesem Abschnitt, auf die zweite Frage eine Antwort zu finden, warum sich nämlich abseits der bereits behandelten Quellenstellen nirgendwo in der antiken Literatur Hinweise oder Reaktionen auf die rekonstruierte Praktik der gleichgeschlechtlichen Ehe finden lassen. Dafür eignen sich die nachfolgend auszuwertenden Autoren Seneca, Euenos von Athen, Martial, Iuvenal und Lukian von Samosata.
Insbesondere die Wahl des letztgenannten Autors mag zunächst verwundern, denn Lukian ist nicht primär für das Zusammentragen von mirabilia oder der Analyse von Naturphänomenen bekannt; vielmehr rühmt ihn sein bissiger Humor und seine sprachliche Raffinesse. Der Reiz seiner komödiantischen Schriften liegt in der zeitgenössischen Reflexion. So konnte in der Forschung herausgearbeitet werden, dass Lukian in diesen Werken mit Witz sehr bewusst auf gesellschaftliche sowie soziale Probleme seiner Zeit reagierte, sie thematisierte und auch nicht selten in seinen Späßen klandestine Kritik übte.[83] Vor diesem Hintergrund zeitgenössischer Kritik sind insbesondere die Hetärengespräche, eine Sammlung fingierter dialogischer Miniaturen, die uns als Alltagsdramen Einblicke in Themen gewähren, die wohl auch Lukians Zeitgenossen beschäftigten und ihnen vertraut waren, für die Untersuchung von Interesse.
Bemerkenswert ist insbesondere der fünfte Dialog, in dem das Phänomen einer gleichgeschlechtlichen Ehe aufgegriffen wird. In diesem Dialog erzählt die Frau Leaina ihrer Freundin Klonarion von ihren sexuellen Erfahrungen mit Megilla von Lesbos, die Leaina nach der Art der Männer geliebt hat. Bereits die Ansiedlung von Megilla auf Lesbos – jener Insel, die mit den homoerotischen Gedichten von Sappho assoziiert wurde – verweist auf den homosexuellen, nicht konventionell femininen Charakter dieser Person. So spricht auch Klonarion, als sie von der Insel Lesbos hört, gleich von den maskulinen Weibern, die dort leben. Das Gespräch über Megilla offenbart aber nicht nur, dass sie eine homosexuelle Frau ist, sondern auch, dass sie beim zärtlichen Vorspiel mit Leaina männliche Verhaltensmuster pflegte und eine Perücke trug. Ebendiese Perücke nahm sie beim Küssen ab, sodass Leaina die darunter kurz geschorenen Haare erblickte, die sie sofort als eine typisch männliche Frisur der Athleten identifizieren konnte und die sie überraschte. Auf diese Verwunderung reagiert Megilla im Dialog mit der folgenden Frage[84]:
„,Hast du schon je einmal, Leaina, einen so hübschen jungen Mann gesehen?‘ ,Aber ich sehe ja gar keinen jungen Mann hier, Megilla‘, erwiderte ich. Darauf sie: ,Mache aus mir kein Weib, denn ich heiße Megillos und habe seinerzeit diese Demonassa geheiratet und sie ist meine Frau.‘“[85]
Nicht weniger verwirrt fragt hierauf Leaina die bisweilen männlich auftretende Frau, ob sie ein Hermaphrodit sei. Megilla negiert dies entschieden und erklärt, dass ihr Körper genauso gebaut sei wie der aller anderen Frauen. Sie unterscheide sich von den anderen Frauen nur dadurch, dass sie die Einstellung, die Begierde und das Verhalten der Männer pflege. Der Dialog endet damit, dass Leaina ihrer Freundin Klonarion bezeugt, dass Megilla sie wirklich wie ein Mann im Bett geliebt habe.[86]
Diese kleine Geschichte entsprang dem Esprit Lukians und diente wohl in erster Linie dem Amüsement seiner Leser. Obwohl die Erzählung für die Unterhaltung angefertigt worden war, darf man im Hinblick auf die obige Beobachtung, dass Lukians Dialoge auf soziale und gesellschaftliche Phänomene seiner Zeit reagierten und sie thematisierten, auch hier davon ausgehen, dass der Witz und Charme dieses Dialoges davon lebten, dass die Leser zu den beschriebenen Inhalten eine Verbindung herstellen konnten und ihnen zumindest einige der dort beschriebenen Elemente als Referenz bekannt waren. Wenn wir dies annehmen, dann darf man wohl davon ausgehen, dass sich die geschilderte Geschlechtsverwandlung und die damit einhergehende gleichgeschlechtliche Heirat von Megilla, die parodiert werden, auch auf reale Fälle wie zum Beispiel die oben besprochenen bezogen. Somit würde die Lukianpassage ein weiteres Indiz für die breiter bekannte (wenn auch nicht häufige) Existenz gleichgeschlechtlicher Ehen darstellen und könnte beim Verständnis der oben besprochenen Geschlechtstransformationen und Eheschließungen helfen. Ähnlich urteilte bereits John Boswell, der ebenso die zuvor summarisch wiedergegebene Passage als Reflexion zeitgenössischer Liaison- und Eheformen verstand und sie folglich als gewichtiges Indiz für gleichgeschlechtliche Beziehungen und der zeitgenössischen Imitation heterosexueller Hochzeitsrituale deutete.[87] Blickt man in das Vokabular der Passage, scheint es Lukian jedoch wohl nicht, wie Boswell es vermutet, nur um eine Nachahmung zu gehen. So spricht Megilla/Megillos entschieden davon, dass „[…] γεγάμηκα πρόπαλαι ταύτην τὴν Δημώνασσαν“.[88] Sie/Er hat sie wortwörtlich vor langer Zeit geheiratet und Demonassa ist explizit ἐμὴ γυνή – ihre/seine Ehefrau. Das erklärt auch die verwunderte Reaktion der Gesprächspartnerin Leaina, die sich sofort nach dem wahren Geschlecht ihres Gegenübers erkundigt, weil sie sich anscheinend solch eine offizielle Ehe zwischen zwei Frauen nicht vorstellen kann und es sich für sie wohl nicht nur um eine simple Imitation heterosexueller Paare handelt. Vor diesem Hintergrund scheint es legitim, Lukians Erzählung mit denen von Plinius und Phlegon zu vergleichen.
Obwohl diese Autoren für verschiedene Literaturgattungen stehen, weisen ihre Schilderungen von Geschlechtsverwandlungen und Ehen frappierende Parallelen auf, wenn wir nun die Transformation von Megilla nachverfolgen. Dem Dialog zufolge war sie von Geburt an eine biologische Frau ohne körperliche Unterschiede zu anderen Frauen. Auch wenn sie ihr biologisches Geschlecht nicht veränderte, so schaffte sie es, ihr soziales Geschlecht zu ändern und die Rolle des männlichen Megillos anzunehmen und in dieser auch akzeptiert zu werden. Dies konnte sie durch eine Veränderung ihrer äußeren Erscheinung, wie die männlich gelesene Athletenfrisur, die virtuose Imitation von männlich konnotiertem Verhalten sowie die performative Inanspruchnahme des männlichen Namens Megillos, erreichen. Bemerkenswert ist, dass sie durch ihre maskuline Rolle auch das männliche Privileg wahrnehmen konnte, eine Frau zu ehelichen. Als Megillos heiratete sie Demonassa und blieb mit ihr ein Leben verbunden, obwohl sie anscheinend nicht dauerhaft in ihrer männlichen Rolle verblieb, wenn Leaina sie zunächst als weibliche Megilla mit femininer Perücke kennenlernte. Wenn wir auf die behandelten Fälle bei Plinius und Phlegon zurückblicken, dann scheinen nicht wenige dieser rekonstruierten Eheschließungen, wie etwa die von Areskusa/Areskon, dem Paradigma zu entsprechen, das Lukian an Megilla/Megillos präsentiert. Es wirkt so, als ob Lukian gezielt auf diese Praktik seiner Zeitgenossen verspottend reagierte und sie in diesem Dialog widerspiegelte.
Skeptisch könnte man an dieser Stelle anbringen, dass Lukians Geschichte nun schlicht auf die Wundererzählungen bei Phlegon und Plinius projiziert wird und alleinig noch kein Beweis für die gleichgeschlechtlichen Beziehungen sein kann, die dort zuvor verortet wurden. Zu unserem Glück ist Lukian aber nicht der einzige zeitgenössische Autor, der auf die identifizierten Muster gleichgeschlechtlicher Ehe reagierte und sie verarbeitete. Als Beispiel könnte man den Dichter Martial anführen, der nicht weniger gesellschaftskritisch und alltagsbezogen in seinen Schriften war als Lukian. Für unseren Untersuchungsgegenstand ist es von Interesse, dass er in einem seiner Epigramme offen das Konzept der gleichgeschlechtlichen Ehe angriff:
„Der bärtige Callistratus hat sich dem steifen Afer vermählt nach dem üblichen Brauch, wie sich dem Mann ein Mädchen vermählt. Fackeln leuchteten voran, ein Brautschleier verhüllte sein Gesicht, und es fehlten auch nicht, Talassus, die Rufe auf dich. Sogar die Mitgift wurde festgelegt. Scheint dir das, Rom, noch nicht genug? Wartest du etwa darauf, daß er auch Kinder bekommt?“[89]
Martial lastet in diesen Versen dem Mann Callistratus an, dass er sich mit einem anderen Mann, Afer, explizit in der Rolle einer jungfräulichen Braut vermählt habe und ebendas offiziell qua lege – nach den gesetzlichen Vorgaben, obwohl sein Bart und damit seine Männlichkeit eigentlich unübersehbar seien. Hier taucht also das bereits bekannte Muster auf, dass eine Person ihren sozialen Geschlechtsstatus wechselt, um im heterosexuellen Deckmantel eine gleichgeschlechtliche Ehe einzugehen. Auch wenn somit Martial nur die männliche Version von Lukians Geschichte anzubieten scheint, birgt sie zwei neue aufschlussreiche Facetten für unseren Untersuchungsgegenstand: Im Gegensatz zu den Frauen bei Lukian sind diese beiden Männer wohl nicht fiktiv, sondern reale Zeitgenossen gewesen. Callistratus und Afer tauchen vielfach in den Epigrammen auf, werden bewusst von Martial adressiert und werden auch immer wieder für ähnliche Themen und Verschmähungen herangezogen.[90] Callistratus wird etwa von Martial offen für seine Homosexualität und seine passive Rolle beim Analverkehr angegangen.[91] Afer wird hingegen dafür desavouiert, mit was für einer „Frau“ er seine Zeit verbringe, anstatt nachts zu schlafen.[92] Unweigerlich suggerieren diese Epigramme in ihrer Kombination und Anzahl, dass Martial nicht für einen Spaß oder das Schmieden einiger wohlklingender Verse auf diese Namen rekurrierte, sondern gezielt sowie bewusst dieses ihm bekannte homosexuelle Pärchen und deren Verhältnis bzw. Ehe angriff. Dafür spricht auch die Beobachtung von Hans Peter Obermayer, dass Martial beim Aufbau des zitierten Epigramms aus seinem eigenen gewohnten, verlachenden Schreibstil ausbricht; vielmehr ernste, empörte Worte der Kritik wählt, um diese Ehe zu beschreiben.[93]
Ein zweites Element dieses Gedichts scheint den Eindruck zu bestärken, dass Martial wirklich eine geschlossene Ehe zwischen zwei Männern kritisierte und dass dieses Phänomen wohl kein Einzelfall war. Am Ende appelliert der Dichter an die Bewohner Roms, solche Eheverbindungen nicht hinzunehmen, wenn er darauf anspielt, dass diese beiden Herren nie Kinder bekommen werden und damit einem Charakteristikum nicht gerecht werden können, das damals als zentraler Bestandteil von Ehen verstanden wurde. Wie mit dem Hinweis auf den Bart direkt am Anfang des Epigramms macht er somit auf die Absurdität sowie die Grenzüberschreitung dieser Eheverbindung und der mit ihr einhergehenden Täuschung aufmerksam.[94] Zusätzlich grenzt er durch die Erwähnung des Bartes Callistratus von anderen homosexuellen Männern ab, die Martial in anderen Epigrammen für ihre sorgfältige Enthaarung im Gesicht und in anderen Körperbereichen als effeminiert karikiert.[95] Während andere Homosexuelle demnach ihre männlichen Körpereigenschaften kaschieren, macht sich Callistratus nicht einmal die Mühe, sein Äußeres an den für sich beanspruchten weiblichen Geschlechtsstatus anzugleichen. Man mag sich an dieser Stelle fragen, wozu Martial an seine Leser appellieren und warum er sich bemühen sollte, die Falschheit solch einer Ehe zu zeigen, wenn diese allein seiner eigenen Imagination entspringen sollte. So erscheint solch ein Appell, jene Kritik nur nachvollziehbar, wenn sie tatsächlich einen Bezugspunkt hat, der sowohl dem Autor als auch den Lesern geläufig war. Folglich wäre dies ein weiteres Indiz für die reale Existenz solcher gleichgeschlechtlichen Ehen, die wohl Martial und seinem Publikum bekannt waren.
Dafür spricht auch der Fakt, dass dieses Thema mehrfach in Martials Gedichten aufkommt und diese Gedichte sich nicht nur allein auf das Pärchen Callistratus und Afer beziehen. Decianus, ein hispanischer Rechtsanwalt und persönlicher Freund von Martial[96], wird in einem der Epigramme vor solchen falschen Bräuten gewarnt:
„Decianus, siehst du jenen Mann da mit den ungekämmten Haaren, dessen finsteren Blick du selber auch fürchtest, der nur von Curiern spricht und Camillern, Roms Rettern? Trau nicht seinem Gesicht: Gestern spielte er die Braut.“[97]
Diese paar Zeilen scheinen das gleiche Paradigma wie das vorige Gedicht abzubilden. Martial warnt Decianus vor einem biologischen Mann, der gestern noch die Rolle einer Braut einnahm und in dieser wohl implizit einen anderen Mann ehelichte, und klassifiziert ihn wegen dieser Handlung als einen nicht vertrauenswürdigen Lügner.[98] Auch bei dieser sehr kurzen Anspielung auf eine gleichgeschlechtliche Ehe würde es stark verwundern, dass sie ohne weitere Erklärung verstanden worden wäre, wenn es für Autor und Leser keinen Referenzpunkt gegeben hätte.
Die herangezogenen Hinweise auf gleichgeschlechtliche Ehen bei Martial weisen aber einen zentralen Unterschied auf. Während die vorangegangenen Quellenstellen andeuten, dass die neue in der Gesellschaft eingenommene Geschlechterrolle langfristig von einem Ehepartner ausgeübt wurde, wird der Rollenwechsel von Martial als durchschaubar und episodenhaft charakterisiert. Es gibt für ihn keine Zweifel daran, dass der Interaktionspartner von Decianus ein Mann ist, obwohl er gestern noch eine Braut war, und auch ist es kein Geheimnis für ihn, dass die Braut von Afer, Callistratus, ein Mann mit entsprechenden körperlichen Charakteristika ist. Ihm ist bewusst, dass diese Personen stets aus einer biologischen Perspektive männlich waren, und es scheint so, als hätten diese Personen auch ihre Männlichkeit nach der geschlossenen Ehe nicht verheimlicht. Martial suggeriert damit, dass diese Männer nur für den Tag der Eheschließung und die damit verbundene Hochzeit ihr soziales Geschlecht und folglich beim Eheschluss auch das rechtliche Geschlecht wechselten, um ebendiesen Prozess zu ermöglichen. Nehmen wir das an, dann würde sich bei Martial noch im stärkeren Ausmaß als bei den vorigen Autoren abzeichnen, dass der beschriebene Wandel der Geschlechterrolle es homosexuellen Paaren ermöglichte, nach den üblichen Konventionen zu heiraten, auch wenn für andere Personen, wie Martial, wohl der gleichgeschlechtliche Eheschluss offensichtlich war, da anscheinend manche Ehepartner nach dem kurzzeitigen Geschlechtswechsel die Indizien für ihre alte Geschlechterrolle nicht kaschierten.
Hierin besteht ein Unterschied zu den vorigen Fällen aus den Provinzen, die die stadtrömischen Autoren nicht im gleichen Maße lange und penibel beobachten und untersuchen konnten wie jene aus dem heimischen Umfeld. Personen wie Afer und Callistratus konnten Autoren und deren Adressaten aus ihrer eigenen Heimatstadt wohl nicht langfristig täuschen und hatten das vielleicht nicht einmal vor, da sie wohl keine schwerwiegenden negativen Folgen bei der Enttarnung fürchteten. So gibt es auch keine Hinweise darauf, dass die von Martial attackierten und entlarvten Falschspieler, abgesehen vom Hohn des Dichters und seiner Leser, mit irgendwelchen Sanktionen bestraft wurden. Dass die behandelten Männer kein Interesse am Aufrechterhalten einer weiblichen Rolle hatten, während die oben besprochenen Frauen anscheinend an der angenommenen männlichen Rolle festhielten, ist durchaus nachvollziehbar: Wie am Beispiel der Ärztin Agnodike veranschaulicht wurde, konnte es für Frauen in den antiken patriarchalen Gesellschaftsstrukturen durchaus attraktiv sein, die Privilegien langfristig zu wahren, die mit einem männlichen Status in der Öffentlichkeit einhergingen. Der weibliche Status bot hingegen Männern nach dem Eheschluss wohl kaum Vorteile und hätte auf Dauer eher ein Verzicht auf Privilegien bedeutet, die mit ihrem Geburtsgeschlecht einhergingen.
Auch muss hier die Frage gestellt werden, ob es für den rekonstruierten Ehetrick überhaupt notwendig war, ein Leben lang oder zumindest noch nach der Eheschließung die gewandelten Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten. Für den Wirkungsraum des römischen Rechts kann dies wohl negiert werden, da dieses durchaus flexibel und tolerant mit Rechtsakten umgehen konnte, bei denen sich erst im Nachhinein herausstellte, dass sie unter falschen Prämissen geschlossen wurden bzw. das Recht falsch angewendet haben. So spricht M. Terentius Varro davon, dass rechtliche Entscheidungen von Prätoren an den sogenannten dies nefasti Gültigkeit hatten und behielten, auch wenn sich herausstellen sollte, dass die jeweilige Entscheidung an diesem Tag gar nicht hätte getroffen werden dürfen.[99] Prominenter als die Varrostelle mag die Geschichte des Prätors Barbatius Philippus (39 v. u. Z.) sein, der auch viele bedeutende rechtliche Entscheidungen während seiner Amtszeit traf und bei dem sich erst im Verlauf seiner Amtsausübung herausstellte, dass er die für das Amt notwendige Voraussetzung, ein freier römischer Bürger zu sein, nicht erfüllte, da er ein Sklave war. Obwohl die Wahl zur Prätur als klarer, zu ahndender Rechtsbruch verstanden wurde, blieben die Entscheidungen sowie Amtshandlungen des Prätors nach dieser Entdeckung anscheinend weiterhin rechtskräftig, auch wenn sie unter falschen Prämissen getroffen worden waren.[100]
Orientiert man sich an diesen Maßstäben, so wäre es gut vorstellbar, dass auch geschlossene Ehen im römischen Recht, bei denen sich erst im Nachhinein herausstellte, dass sie unter falschen Voraussetzungen bzw. in falschen Geschlechtskonstellationen getroffen wurden, ihre Gültigkeit behielten. So existierten keine offiziellen Eheregister oder Institutionen bzw. Akteure, die nach dem Eheschluss die Gültigkeit der Ehe kontrollierten und sie bei Bedarf auflösten. Folgt man den römischen Juristen, musste die Ehe drei Kriterien – affectio maritalis (eheliche Zuneigung), mens coentium (den Willen der Ehepartner) und consensus perseverans (andauernden Konsens) – erfüllen, damit sie ihre Gültigkeit behielt und die auch wohl ohne Probleme „enttarnte“ gleichgeschlechtliche Paare erfüllen konnten.[101] Folglich wäre der Wandel der Geschlechterrolle vor allem für den Tag der Hochzeit von Relevanz, nach dem Eheschluss jedoch von geringerer Bedeutung gewesen, wenn wir annehmen, dass die behandelten Fälle rechtlich gültige Ehen waren. Ebendas würde auch die Phänomene bei Martial nachvollziehbar werden lassen, denn es scheint so, dass sich die von ihm kritisierten gleichgeschlechtlichen Paare nach der Heirat nicht mehr darum bemühten, eine soziale Geschlechterrolle auszuleben, die sich von ihrem biologischen Geschlecht unterschied, da dies wohl keine Gefahr für die bereits geschlossene Ehe darstellte und die Ehepartner wohl auch keine rechtlichen Strafen zu fürchten hatten.
Jene rechtliche Interpretation scheint eine Bestätigung bei einem Freund Martials zu finden, der ganz ähnliche Ehemuster schildert und vergleichbare Kritik an diesen übt: Iuvenal schrieb in seiner zweiten Satire von sexuellen Devianzen, die er in Rom verortete und harsch kritisierte, da sie aus seiner Sicht die römischen Werte und Sitten verletzten bzw. beschmutzten.[102] Nach einer Passage, in der er einige Männer für ihr effeminiertes Verhalten sowie ihr weibliches Äußeres (Kleidung, Haartracht, körperliche Attribute) und damit folglich ihre fehlende Maskulinität angreift[103], folgt dieser Ausschnitt, der für unseren Untersuchungsgegenstand relevant ist:
„Gracchus gab 400 000 Sesterzen als Mitgift dem Hornbläser – vielleicht hatte der auch mit der geraden Trompete geblasen. Gesiegelt ist der Ehekontrakt, man sagte ,Viel Glück!‘, eine riesige Gesellschaft sitzt bereit zum Mahl, im Schoß des Ehemanns hegt die ,Jungvermählte‘. Ihr edlen Herren, brauchen wir einen Censor oder eher einen Sühnepriester? Würde man etwa mehr schaudern oder es für eine größere Naturwidrigkeit halten, wenn eine Frau ein Kalb oder eine Kuh ein Lamm gebären würde? Das Prachtgewand, die langen Kleider und den Brautschleier legt der an, der die wippenden heiligen Geräte an geweihtem Riemen trug und unter dem Salierschild schwitzte. Vater der Stadt, woher gelangte so großer Greuel zu Latiums Hirten? Woher, Gradivus, kam es, daß diese Nessel deine Enkel stach? Sieh doch, da wird einem Mann ein Mann, ausgezeichnet durch Adel und Reichtum, in die Ehe gegeben, und du schüttelst nicht den Helm und stößt nicht mit der Lanze auf die Erde und beklagst dich nicht vor deinem Vater.“[104]
Betrachtet man ohne viel Interpretation zunächst allein den beschriebenen Ablauf der Ehe, dann finden wir auch in diesem Ausschnitt ein altbekanntes Muster wieder: Nach Iuvenals Schilderung strebte ein gewisser Gracchus, ein Spross einer altehrwürdigen republikanischen gens, danach, einen uns namentlich nicht näher bekannten Hornbläser[105] zu heiraten. Die beiden Männer taten dies aber nicht in ihrer angeborenen maskulinen Geschlechterrolle. Gracchus wechselte für die Hochzeit in die weibliche Rolle der Braut und als solche trug er Brautschleier und -kleid und brachte nach der Brauttradition auch eine Mitgift zur Hochzeit.[106] Nach diesem Narrativ erlaubte somit die öffentliche Bekleidung der weiblichen Geschlechterrolle es Gracchus, seinen erwählten Hornbläser zu heiraten.
Da neben Iuvenal kein anderer Autor von solch einer Skandalhochzeit aus der gens Cornelia/Sempronia berichtet, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine fiktive Erzählung handelt, die an eine historische Person herangetragen wird. Fraglich bleibt aber, ob der beschriebene Inhalt, die gleichgeschlechtliche Ehe, gleichermaßen der Phantasie des Satirenschreibers entspringt. Dass sich Iuvenal allein zum Amüsieren und Verstören seiner Adressaten solch eine Ehe ausgedacht hat, wie Karen Hersch es vermutet[107], scheint eher unwahrscheinlich, wenn man sich den Aufbau dieser Passage en détail anschaut. Sie ist gänzlich von einem moralischen Urteil geprägt, welches an einer klaren Polarisierung deutlich wird: Als nobilis aus einer angesehenen alten Familie müsste Gracchus sowohl als censor als auch als Priester der Salii Palatini – einer Priestergruppe, deren Gründungsursprünge sich bis in die frühe Königszeit Roms zurückverfolgen lassen – wie kaum ein anderer Quirite republikanische Sitten und Traditionen verkörpern. Anstatt republikanische Inbrunst auszustrahlen und die Bräuche seiner Heimat zu wahren, kontrastiert und befleckt er sie nach dieser Darstellung. Gracchus wahrt weder die Tradition der heterosexuellen Ehe noch bleibt er seinem Geburtsgeschlecht und seiner öffentlichen männlichen Rolle treu; er verrät seine Geschlechtsidentität und den mos maiorum selbst, über den er wachen soll. Iuvenal charakterisiert seine Ehe als eine widernatürliche Monstrosität, ein Gräuel für Latium und seine Bewohner und steigert ebenjenes Urteil noch dadurch, dass er an den römischen Gott Mars appelliert, dem der Priester dient, diese Schande nicht zu ignorieren und dagegen einzuschreiten.[108] Die gleichgeschlechtliche Ehe wird unübersehbar als Frevel gegenüber den römischen mores und ihren Werten gekennzeichnet. Es ist Craig Williams zuzustimmen, dass dieser Aufruf sowie das moralisierende Urteil offensichtlich eine Reaktion beim Leser provozieren und dazu veranlassen sollen, sich selbst zu diesem Thema zu positionieren und der Meinung des Autors zu folgen.[109] Nehmen wir diese Interpretation an, dann ergibt sich zwangsläufig die Frage, warum Iuvenal auf eine Reaktion, eine moralische Bewertung und die Zustimmung seines Lesers hoffen sollte, wenn solche gleichgeschlechtlichen Ehen abseits seiner Satiren nicht existent waren. Wozu sollte er etwas verurteilen, das ohne Realitätsbezug und dem Erfahrungshorizont seiner Leser unbekannt war? Ähnlich wie bei Martial scheint solch ein Appell, solch eine harsche Beurteilung nur nachvollziehbar und gerechtfertigt, wenn es eine Referenz für den dazugehörigen kritisierten Gegenstand gab.[110] Somit suggeriert auch diese Passage bei Iuvenal die zeitgenössische Existenz solcher gleichgeschlechtlichen Ehen, auf die der Satirenschreiber eingehen und sein Publikum reagieren konnte.
Dass Iuvenal nicht mit einem fiktiven Phänomen nach ein paar Lachern haschte, wird noch deutlicher, wenn man nach dem zitierten Ausschnitt weiterliest, denn die identifizierte Kritik wird in einem weiteren, abstrakteren Anlauf noch ein zweites Mal, nun direkter geübt:
„Zieh’ also von dannen und weiche vom Boden deines gestrengen Feldes, das du geringschätzt. ,Eine Verpflichtung muß ich morgen bei Sonnenaufgang im Tal des Quirinus erfüllen.‘ Der Grund der Verpflichtung? ,Was fragst du? Ein Freund wird Gattin und lädt nur wenige ein.‘ Falls ich nur am Leben bleibe: solches wird, ja es wird öffentlich bekannt gemacht werden, sie werden wünschen, daß es auch in die Zeitung kommt. Vorerst bleibt es für diese Bräute eine beharrliche gewaltige Qual, daß sie nicht gebären und durch die Geburt die Ehemänner an sich fesseln können. Aber es ist besser so, daß die Natur den Wünschen kein Recht über den Körper gewährt: unfruchtbar sterben sie […].“[111]
Dem bereits bekannten Paradigma entsprechend schreibt Iuvenal in diesem fingierten Dialog davon, wie ein männlicher amicus zeitnah in der Rolle der Braut einen anderen Mann heiraten wird.[112] Erneut wechselt also hier eine Person ihre öffentliche, soziale Geschlechterrolle, um einen Ehebund mit einer Person des gleichen biologischen Geschlechts einzugehen. Nach dieser Schilderung wird aber nicht einmal mehr kaschiert, dass es sich hierbei um eine List handelt, um die üblichen, heterosexuell geprägten Ehekonventionen zu umgehen. Vielmehr spielt Iuvenal mit der Angst, dass dieser Eklat von den Mitbürgern nicht nur nonchalant wahrgenommen und toleriert wird, sondern auf solch eine akzeptierte Bekanntheit stoßen könnte, dass die acta diurna – die „Zeitungen“[113] – vom Erfolg und der Methode dieses Eheschlusses berichten könnten. So suggeriert der Satirenschreiber prononciert dem Leser, dass er ebendies nicht zulassen darf, dass diese gleichgeschlechtlichen Ehen nicht eine konsensuale Normalität werden dürfen und aktiv dagegen vorgegangen werden muss. Er verurteilt zutiefst diese Praktik, wenn er die fehlende Gebärfähigkeit dieser „falschen Bräute“ betont und ebendies noch als das Beste an diesen gleichgeschlechtlichen Ehen klassifiziert, die er als Farce identifiziert. Unweigerlich drängt diese harsche Kritik wieder zu dem Schluss, dass Iuvenal wohl auf reale Beobachtungen, auf tatsächlich geschlossene Eheverbindungen von gleichgeschlechtlichen Paaren reagierte und sie vor einer Leserschaft desavouierte, für die mindestens teilweise dieses Phänomen bekannt war.
Für die breitere Bekanntheit des Geschilderten spricht auch ein Epigramm des frühkaiserzeitlichen Dichters Euenos von Athen, der wohl über derlei Ehen witzelte:
„Einstmals hob ich als Jungfrau die Hände betend zu Kypris, Hochzeit mit Fackelgeleucht sehnte ich flehend herbei. Ja, ich löste bereits die bräutlichen Mädchengewänder, da erwuchs mir im Schoß plötzlich das Zeichen des Manns. Bräutigam heiße ich nun statt Braut; und statt Aphrodite habe ich Ares, ich hab Herakles’ Altar bekränzt. Theben nannte mich einst Teiresia; nun ich die Mitra gegen die Chlamys vertauscht, achtet mich Chalkis als Mann.“[114]
Euenos scheint sich mit dem hier untersuchten Muster einen Spaß zu erlauben und daher selbstredend auf den prominenten Geschlechtswandler Teiresias anzuspielen: Das lyrische Ich, eine junge, heiratswillige Frau, ruft Aphrodite an, um die ersehnte Ehe eingehen zu können. Es scheint, dass die Göttin die Frau erhört, die ihr Brautgewand löst, männliche Genitalien in ihrem Schoß erblickt und nun anstatt als Braut als Bräutigam wohl eine Ehe schließen kann. Sie wechselt folglich zur männlichen Kleidung, der Chlamys, und lebt anscheinend fortan anerkannt als (Ehe-)Mann in Chalkis. Die Parallelen sind unübersehbar und es scheint, dass der Epigrammdichter auf die gleichen Phänomene rekurriert sowie reagiert, die auch Lukian, Martial und Iuvenal beschreiben. Gleichermaßen scheint er die Existenz sowie die Kenntnis von Geschlechtsverwandlungen und damit verbundenen Ehen vorauszusetzen, auf die sein Gedicht anspielt, und somit die Hypothese dieses Artikels zu stützen.
Zuletzt deutet auch ein Zeitgenosse von ihm in dieselbe Richtung, der, abgesehen von seiner Schmähschrift auf Kaiser Claudius[115], kaum für witzige, eher für seriöse Überlegungen in seinen Schriften bekannt ist: Der jüngere Seneca gibt in seinen Briefen über Ethik an Lucilius nicht nur Einblicke in seine eigenen philosophischen und moralischen Vorstellungen, sondern auch in das Alltagsleben Roms, auf das seine Überlegungen immer wieder reagieren und es in ethische Fragen einbinden. In einem der Briefe spricht Seneca über naturwidriges Verhalten von Menschen und veranschaulicht an mehreren Beispielen die Verwerflichkeit von Verhaltensmustern, die nicht der Natur oder den gesellschaftlichen Konventionen folgen.[116] In dieser Aufzählung findet sich auch diese Passage: „Scheinen Dir nicht jene Männer naturwidrig zu leben, die ihre Kleidung mit Frauen tauschen?“[117]
Seneca klassifiziert es als unnatürlich und wider die Sitten, dass es Männer gibt, die Frauenkleidung tragen. Intuitiv ist man vielleicht an dieser Stelle dazu verleitet, diese Passage im zeitgenössischen historischen Kontext zu lesen und das Beschriebene als Bezug auf den kaiserlichen Freigelassenen Sporus zu verstehen, der von Nero in eine Frau „verwandelt“ wurde und fortan in weiblicher Tracht in Rom zu sehen war, oder die Passage als Kritik auf episodenhafte Formen des Transvestitismus zu begreifen.[118] Achtet man auf die genaue Wortwahl Senecas, scheint beides aber nicht plausibel. Er nutzt den Plural für die Männer und scheint somit nicht eine spezifische Person, wie den prominenten Sporus, direkt zu adressieren. Auch scheint das Verb vivere zu implizieren, dass es nicht um eine kurzzeitige Verkleidung zu einem besonderen Anlass geht und stattdessen ein langes Leben in femininer Tracht, in der Kleidung des anderen Geschlechts, gemeint ist. Auch wenn Seneca hier nicht explizit von Männern spricht, die öffentlich ihr soziales Geschlecht veränderten, um einen anderen Mann heiraten zu dürfen, so legt das Zitat nahe, dass es für Seneca offensichtlich Männer gab, die ihr Äußeres an das von Frauen anpassten und in dieser Form öffentlich auftraten und lebten. Auffallend ist, dass Seneca noch in einem anderen Brief ähnliche Geschlechterinversionen bei einigen zeitgenössischen Frauen identifizierte, die nach seiner Schilderung auch lebhaft die Verhaltensformen der Männer imitierten und dadurch ganz in der männlichen Rolle aufgingen.[119] Auch wenn Seneca in diesen Passagen gleichgeschlechtliche Ehen nicht erwähnt und sie somit schwerlich als Beweis für ebendiese zu nutzen sind, stellen seine Beobachtungen dennoch ein starkes Indiz dafür dar, dass die beschriebenen Phänomene bei Martial, Iuvenal und Lukian von Samosata zumindest nicht gänzlich fiktiv waren und der Wechsel von sozialen, öffentlichen Geschlechterrollen zu ihrer Zeit praktiziert wurde. Es scheint naheliegend, dies in den Kontext des bereits skizzierten gleichgeschlechtlichen Eheparadigmas einzuordnen, dennoch verbleibt das bei Seneca spekulativ.
An dieser Stelle sei noch kurz ergänzt, dass auch das Inschriftenmaterial aus dem kaiserzeitlichen Rom die Beobachtungen der Autoren zu stützen scheint, dass Beziehungen, die nicht konventionell heterosexuell waren, zu ihrer Zeit verbreitet und anscheinend auch so toleriert waren, dass diese öffentlich kommuniziert werden konnten. So berichtet die prominente Grabinschrift der Freigelassenen Allia Potestas unverblümt von einer Dreierbeziehung zwischen zwei Männern und ihr, die sie wohl lange geführt hatten.[120] Auch wenn hier der Begriff der Ehe nicht fällt, zeigen uns solche Funde, wie divers die Beziehungsmuster im Untersuchungszeitraum sein konnten und dass es wohl reale Vorlagen und Bezüge im Lebensumfeld der zuvor besprochenen Autoren gegeben hat.
Zusammenfassend kann man für die in diesem Abschnitt behandelten Autoren konstatieren, dass für sie der Wechsel der öffentlichen, sozialen Geschlechterrollen ein bekanntes, zeitgenössisches Phänomen war, das parodiert und kritisiert werden konnte. Für Lukian, Martial und Iuvenal war es auch vorstellbar, dass die Annahme der anderen Geschlechterrolle es Paaren des gleichen biologischen Geschlechts ermöglichte, sich als Braut und Bräutigam zu ehelichen, auch wenn ihre Geburtsgeschlechter ebendies nicht zugelassen hätten. Sie begriffen demnach die (teilweise nur zeitweilige) Veränderung der Geschlechterrolle als Methode, um althergebrachte, gesetzlich verankerte Ehekonventionen zu umgehen und gleichgeschlechtlich zu heiraten. In der näheren Betrachtung der Textstellen ist erkennbar geworden, dass diese drei Autoren wohl nicht nur zeitnah auf dieselbe fiktive Idee kamen. Vielmehr scheinen die Passagen deutlich zu suggerieren, dass das von ihnen beschriebene Phänomen einen realen und zeitgenössischen Bezug in ihrem Lebensumfeld hatte und sie mit ihren Texten bewusst darauf reagierten und es bewerteten.[121]
An dieser Stelle ist es weiterführend, die bei Plinius und Phlegon angewandten Konzepte aus der Spieltheorie und zur institutionellen und sozialen Gültigkeit von Normen auch zum Bewerten dieses Befunds zu nutzen: Insbesondere an Martial, Iuvenal und Lukian wird als partes pro toto sichtbar, dass Angehörige bzw. Spieler der Normengemeinschaften zumindest einige der in ihrem Umfeld stattfindenden Täuschungen bemerkten, die betreffenden Personen als Falschspieler – als nutznießerische Abweichler, die sich nicht an die gängigen Konventionen und Regeln zum Geschlechtsstatus und zur Ehe hielten – identifizierten, als solche enttarnten und als aktive Akteure im dazugehörigen Diskurs dieses Falschspiel kritisierten. Wenn Seneca, Martial und Iuvenal betonen, dass die kritisierten Personen zu den gesellschaftlichen Konventionen, zum mos maiorum oder gar einer natur- oder göttergegebenen Geschlechtsordnung im Widerspruch stehen, dann möchten sie deutlich zeigen, dass dieses Verhalten als unvereinbar mit den institutionellen Normen des kaiserlichen Roms bewertet werden muss. Das Falschspiel kann ihrer Kritik zufolge keine institutionelle Gültigkeit besitzen. Aufschlussreicher sind diese kritischen Stimmen noch für die soziale Gültigkeit des neuen Geschlechtsstatus und die gleichgeschlechtlichen Ehekonstellationen. Wenn Martial und Iuvenal aktiv an die Leser appellieren, sich ihrer Kritik und ihrer Ablehnung anzuschließen, und sie von der Unvereinbarkeit des Phänomens mit den bestehenden Normen überzeugen wollen, dann scheinen sie bei der Mehrheit ihrer Leser bzw. Zeitgenossen vorauszusetzen, dass sie wohl dieselbe Geisteshaltung noch nicht teilen oder ihr zumindest nicht genügend aktiven Ausdruck verleihen. Der eingeforderte Dissens spricht dafür, dass wohl aus der Sicht dieser Autoren zu viele Personen das Phänomen tolerierten und zuließen und dieses daher eine unverdiente soziale Gültigkeit genoss. Wenn Martial bei einer der Ehen betont, dass sie „qua lege“[122] geschlossen wurde, wird deutlich suggeriert, dass diese und wahrscheinlich noch weitere Ehen wohl zusätzlich auch eine rechtliche Gültigkeit besessen haben könnten. Nehmen wir dies an, würde das bedeuten, dass trotz der Enttarnung einiger Fälle und der öffentlichen Kritik daran der Großteil der Normengemeinschaft diesen Phänomenen soziale Gültigkeit zugestand oder sie zumindest soweit hinnahm und tolerierte, dass über die Kritik hinaus wohl keine stärkeren Formen der aktiven sozialen Ablehnung oder strafrechtlichen Sanktion folgten, die das Kritisierte beendeten. Dafür sprechen auch die prominenten Fälle von Agnodike und P. Clodius Pulcher, die beim Wechsel ihres Geschlechtsstatus enttarnt wurden. Zwar folgte auf die jeweiligen Täuschungen ein formeller Gerichtsprozess, jedoch konnten die Angeklagten ohne Verurteilung jeweils das Gericht gänzlich straffrei wieder verlassen. Im Fall von Agnodike wurde sogar ihr Verhalten honoriert, indem es anschließend offiziell allen Frauen in Athen gestattet wurde, die ärztliche Laufbahn einzuschlagen.[123]
VI. Die Kriminalisierung und Skandalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehen als spiegelnder Existenzbeweis?
Nachdem gezeigt wurde, dass der Wandel des Geschlechtsstatus und die damit einhergehende Möglichkeit der Eheschließung zahlreich bei den kaiserzeitlichen Autoren des 1. und 2. Jahrhunderts Beachtung sowie Kritik erfuhren, verbleibt abschließend die Frage, wie die eingangs erwähnten Quellen, die mit derlei Ehezuschreibungen Politiker diffamierten oder diese Eheform gar aktiv verboten, in die gewonnenen Zwischenergebnisse einzuordnen sind. Damit verknüpfen sich zudem die Fragen, wie lange das hier behandelte Phänomen existierte und toleriert wurde und warum diese Eheform offensichtlich nicht bis in die heutige Zeit überdauern konnte.
Beginnen wir mit den anfangs skizzierten Fällen von M. Antonius, Nero und Elagabal, denen diffamierend vorgeworfen wurde, gleichgeschlechtliche Ehen eingegangen zu sein. Nachvollziehbar ist von mehreren Forschern konstatiert worden, dass diese infamen Zuschreibungen wahrscheinlich fingiert oder stark verzerrt sind und uns damit wenig Aufschluss über das Liebes- und Eheleben dieser Römer geben.[124] Dass Redner und Historiker trotzdem die Unterstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe nutzten, um deren öffentliches Image zu schädigen, sagt uns somit zwar kaum etwas über den Wahrheitsgehalt dieser Vorwürfe, aber dafür viel über die Referenzen der Rufschädigung. So konnte sich eine Diffamierung nur wirksam entfalten, wenn sie tatsächlich auf existente und denkbare Phänomene aufbauen konnte und wenn der Vorwurf selbst nicht vollkommen absurd und phantastisch, sondern der zugeschriebene Fauxpas zumindest denkbar war und bekannten unrühmlichen Mustern folgte.[125] Wendet man sich mit dieser Vorüberlegung nun den drei genannten Fällen zu und rekonstruiert die konkrete Diffamierung, dann kann man Verbindungen zu den zuvor besprochenen Fällen wiederfinden:
Cicero warf in seinen Philippischen Reden dem Triumvir M. Antonius vor, seine männliche Rolle abgelegt, stattdessen ein Frauengewand angelegt und damit die Rolle einer Frau angenommen zu haben. Als solch eine Frau soll sich Antonius nicht nur prostituiert haben, sondern als Ehefrau auch mit C. Scribonius Curio ein „matrimonium“[126] eingegangen sein.[127]
Laut Tacitus habe sich Nero 56 n. u. Z. einen Brautschleier anlegen lassen und in der Rolle der Braut seinen Sklaven Pythagoras geehelicht.[128] Diesem Muster folgend schreibt auch Sueton dem Kaiser zu, dass er als Braut mit seinem Freigelassenen Doryphoros vermählt wurde.[129] Eine Inversion dieses Musters gibt es bei dem Freigelassenen Sporus, dessen Körper Nero durch operative Eingriffe verändern ließ und den er dann öffentlich zur Frau erklärte.[130] Dieser biologische Mann, der die soziale Rolle einer Frau übernahm, wurde laut Sueton und Cassius Dio in einer späteren Heiratszeremonie als Braut mit Kaiser Nero, der der Bräutigam gewesen sei, vermählt.[131]
Vergleichbar mit den diffamierenden Geschichten, die um Nero kursierten, wurde auch Kaiser Elagabal zugeschrieben, als Frau gleichgeschlechtliche Ehen eingegangen zu sein. Laut der „Historia Augusta“ und Cassius Dio habe er sich explizit als Braut und seiner eigenen Männlichkeit prononciert entsagend mit dem Athleten Aurelius Zoticus vermählt, der sein Ehemann geworden sei.[132] Gleichermaßen schreibt Cassius Dio ihm zu, dass er seine Männlichkeit abgelegt, sich weiblich geschminkt sowie gekleidet und eine feminine Rolle eingenommen habe, um als Braut den Rennwagenfahrer Hierokles als seinen Ehemann heiraten zu können.[133]
Unabhängig davon, welche möglichen realen Geschichten und Halbwahrheiten hinter diesen Zuschreibungen stecken mögen, sind alle aufgelisteten Fälle vom selben Paradigma geprägt, das uns bereits in den besprochenen Quellenstellen begegnet ist: Den biologisch männlichen Politikern (ausgenommen die Inversion bei Nero und Sporus) wird ein Ablegen ihrer sozialen männlichen Rolle und die Annahme einer weiblichen sozialen Rolle zugesprochen. Mit diesem neuen Geschlechtsstatus sollen sie Personen des gleichen biologischen Geschlechts geheiratet haben. Ihnen wurde das vorgeworfen, was bei all den zuvor besprochenen Texten immer wieder identifiziert und herausgearbeitet wurde. Diese parallelen Übereinstimmungen in verschiedenen Quellengattungen und bei diversen Autoren aus verschiedenen Jahrhunderten kann man wohl schwerlich als eine Vielzahl von Zufällen verstehen. Auch wenn sicherlich die Geschichten, die mit M. Antonius, Nero und Elagabal verbunden wurden, zumindest zu großen Teilen fingiert waren und der Diffamierung dienten, so rekurrieren sie stets auf das gleiche Konzept bzw. das gleiche Muster, das wohl gleichermaßen Cicero, Tacitus, Cassius Dio und den Autoren der „Historia Augusta“ sowie ihren Lesern/Zuhörern anscheinend so plausibel erschien, dass man es als rufschädigenden, nicht vollkommen unglaubhaften Vorwurf gegen eine hochprominente Person formulieren konnte. Ebendiese Parallelen sprechen einerseits dafür, dass für sie gleichermaßen das geschilderte Paradigma grundlegend denkbar war, und andererseits dafür, dass für sie wahrscheinlich auch eine bekannte Referenz der gleichgeschlechtlichen Ehepraktik existierte, die es erst ermöglichte, dass unabhängig voneinander immer wieder Autoren darauf rekurrieren konnten. Konzise formuliert ist der Skandal ein starkes Indiz dafür, dass das Skandalisierte denkbar und auch existent war. Folglich würden diese Diffamierungen in der antiken Literatur die zuvor herausgearbeiteten Indizien und Interpretationen zur gleichgeschlechtlichen Ehe stützen und keineswegs im Widerspruch dazu stehen.
Zusätzlich spricht dies für die im letzten Abschnitt vorangegangene Deutung des Phänomens: So wie Iuvenal und Martial deutlich seine Unvereinbarkeit mit institutionellen Normen zeigen und es daher kritikfähig und negativ bewertbar machen, qualifiziert es sich auch für die Diffamierung durch den offensichtlichen Normenbruch und wird daher dafür genutzt. Dennoch setzt die Diffamierungspraktik voraus, dass das zu Kritisierende in einem Grad ausreichend in der Gesellschaft sozial toleriert und zugelassen wird, dass es existieren und so weit verbreitet sein kann, dass es auch für einen Politiker denkbar und zuschreibbar ist.
Ob diese herausgearbeitete grundlegende Duldung über das 1. und 2. Jahrhundert hinaus lange erhalten blieb, lässt sich aufgrund der Quellenarmut des späten 3. Jahrhunderts schwerlich erfassen. Mit Sicherheit kann hingegen gesagt werden, dass im 4. Jahrhundert unter der konstantinischen Dynastie gleichgeschlechtliche Ehen wieder in den römischen Quellen auftauchten, thematisiert und fortan viel harscher als in der Kaiserzeit behandelt wurden. Für das Verständnis dieser Zäsur, die relevant für den Untersuchungsgegenstand ist, ist es notwendig, zunächst die Entwicklung der Ehe sowie des Umgangs mit Homosexualität in dieser Zeit sowie die dazugehörige Gesetzeslage anzusprechen.
Bereits unter den nichtchristlichen Kaisern der Tetrarchie lassen sich religiös motivierte Bemühungen erkennen, die existierenden Formen der Ehe im Reich zu reformieren. So geht aus einem Edikt Diokletians und seiner drei Mitkaiser aus dem Jahr 295, das unter anderem inzestuöse Ehen verbot, hervor, dass es selbstgesetztes Ziel der Kaiser gewesen sei, die Ehen im Reich explizit wieder sowohl zu religiösen, heiligen als auch gesetzlichen Idealen zurückzuführen.[134] Derlei Initiativen der Ehedefinition und -reform setzten sich im christlicher werdenden Imperium Romanum des frühen 4. Jahrhunderts fort. Insbesondere in den christlichen Quellen jener Zeit kann man beobachten, dass die Abstimmung der bereits lange existierenden römischen Ehekonzeption auf die neuen, sich durchsetzenden christlichen Gesellschaftsvorstellungen und die damit einhergehende Frage, wie eine korrekte Ehe zu definieren sei, ein brisantes Thema war. Die überlieferten Kanones der Synoden von Elvira (ca. 300–302?), von Ankyra (314), von Arles (314) und von Neokaisareia (ca. 314/315) bezeugen alle, dass auf diesen Versammlungen nicht nur stets die Akzeptabilität bzw. Nichtakzeptabilität von Ehe- und Sexualpraktiken diskutiert wurde, sondern auch dass viele lang existierende Ehe- und Sexualtraditionen als unvereinbar mit christlichen Glaubensvorstellungen bewertet und entsprechend geächtet und verboten wurden. Diese Debatten und Ergebnisse von christlichen Autoritäten waren auch für politische Entscheidungsträger von Relevanz. Kaiser Konstantin I., der aktiv mit Kirchenvertretern zusammenarbeitete und sie förderte, wirkte zum Beispiel bei der genannten Synode von Arles mit und überführte einige der auf den Synoden beschlossenen Normen und Verbote in die reale Lebenswelt seiner Zeitgenossen.[135]
Laut dem Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus sei Konstantin I. ein Erneuerer und Umgestalter der alten Gesetze und überkommenen Sitten gewesen und habe ebendiesen neue Formen gegeben.[136] Ganz ähnlich, mit einem prononciert christlichen Anstrich, berichtet der Biograph des Kaisers, Eusebius von Caesarea, davon, dass Konstantin gezielt auf ungezügelte Wollust, ausgelassene Unzucht und sittenwidriges Verhalten reagiert und neue Gesetze geschaffen habe, die auf Sittsamkeit bedacht gewesen seien und alte Gewohnheiten gänzlich verboten.[137] Dass es sich hierbei nicht schlicht um euphemistische oder topische Zuschreibungen handelt, konnte Judith Evans Grubbs in ihrer Studie zur Familiengesetzgebung Konstantins zeigen. Sie hat herausgearbeitet, dass er mit seinen Gesetzen weitreichend und nachhaltig in die Gesellschaftsstrukturen seiner Zeit eingriff. Kennzeichen dieser Eingriffe war es, dass er zum einen alte Gesetze restituierte, wie die als streng geltenden Sittengesetze des ersten Kaisers Augustus[138], und zum anderen neue Gesetze und Bräuche einführte, die stark von christlichen Wert- und Moralvorstellungen geprägt waren.[139] Dieser christliche Einfluss macht sich insbesondere bei der juristischen Konzeption der Ehe bemerkbar. Konstantin und seine Nachfolger konturierten die Rahmenbedingungen der Ehe durch eine Reihe von Gesetzen neu, skandalisierten und kriminalisierten nicht wenige alte Ehebräuche und führten damit die römische Ehe näher an christliche Idealvorstellungen heran.[140] Zusätzlich wurden auch etliche, insbesondere homosexuelle Formen der Partnerschaft und Sexualität, die diesem Ideal nicht entsprachen, geächtet und durch ein sich etablierendes Sexualstrafrecht rigoros bestraft.[141] Dafür boten sowohl das Alte als auch das Neue Testament mehr als genügend Passagen, die solch ein Vorgehen legitim erscheinen lassen konnten.[142]
Im Kontext dieser kaiserlichen Bestrebungen, die Ehe und Sitten von als lasterhaft wahrgenommenen Praktiken zu reinigen, begegnen uns wohl nicht zufällig jene Phänomene wieder, die bereits ausführlich besprochen wurden. So berichtet Eusebius von Caesarea davon, dass Konstantin I. bei seinen Bemühungen, Laster zu bekämpfen und Sittenreinheit herzustellen, auch gezielt gegen Personen vorging, die nicht den gesellschaftlichen Normen gerecht wurden, die an ihr biologisches Geburtsgeschlecht herangetragen wurden. Eusebius exemplifiziert dies an einem der Aphrodite geweihten Hain und Tempel in Aphaka in Phönizien, der vom Kaiser als Sündenpfuhl bewertet wurde[143]:
„Das war geradezu eine Schule des Lasters für alle Ausschweifenden und für solche, die durch gänzliche Zügellosigkeit ihren Leib zugrunde gerichtet hatten. Weibische Männer, die gar keine Männer mehr waren, verleugneten die Würde ihrer Natur und suchten durch unnatürliche Unzucht die Göttin sich geneigt zu machen; hinwiederum pflegte man in diesem Tempel wie in einem Lande ohne Gesetz und ohne Herrscher gesetzwidrigen Umgang mit Weibern und ehebrecherische Unzucht und man beging unaussprechliche und abscheuliche Schandtaten.“[144]
Eusebius spricht in diesem Ausschnitt von γύννιδες – von weiblichen/verweiblichten Männern, die nach außen hin gar keine Männer mehr waren und ihr biologisches Geburtsgeschlecht verleugneten bzw. kaschierten. Es scheint, dass der Autor damit ausdrücken möchte, dass in Aphaka Personen existierten, die, ganz ähnlich nach den obigen Beispielen, ihre soziale, öffentliche Geschlechterrolle wechselten. Als noch frevelhafter bewertet er, dass die dortigen Personen entgegen den allgemeinen Normen, spezifisch auch gegen die Konventionen ihres Geburtsgeschlechtes, unzüchtigen Umgang miteinander pflegten.
Was Eusebius damit konkret meinte, ergibt sich erst bei näherer Betrachtung seines Vokabulars. Zentral erscheint der Terminus κλεψίγαμος, der genutzt wird, um das als sündig klassifizierte Verhalten zu beschreiben. Dieser Begriff taucht äußerst selten in griechischen Texten auf und ist daher auch nicht einfach eindeutig zu übersetzen. Im „Greek-English Lexicon“ von Liddell/Scott/Jones wird er etwa mit „seeking illicit love“[145] übersetzt. In deutschen Übersetzungen findet man meist Formulierungen wie „unerlaubte Liebe suchend“[146] oder „ehebrecherisch“.[147] Auch wenn der verbotene Charakter der bezeichneten Handlung deutlich wird, gewinnt die Beschreibung durch diese Übersetzung nicht viel an Präzision. Hilfreicher ist es wohl, sich dem Terminus über dessen Wortwurzeln zu nähern. Die zweite Worthälfte γάμος bedeutet alleinstehend „Hochzeit“, „Heirat“, „Ehe“ oder „Vermählung“ und deutet unmissverständlich auf einen Ehekontext hin. Gleichermaßen deutet das dazugehörige Verb γαμέω – „heiraten“ – auf denselben Rahmen hin. Der erste Wortstamm lässt sich hingegen vom Wort κλέπτω – „stehlen“, „täuschen“, „betrügen“ oder „heimlich etwas tun“ – herleiten und bietet nun in Kombination mit der zweiten Worthälfte eine interessante Interpretationsmöglichkeit: Mit κλεψίγαμος könnte Eusebius eventuell, nah an den Grundbedeutungen orientiert, Formen der Heiratstäuschung bzw. Ehetäuschung oder des Heiratsbetruges bzw. Ehebetruges gemeint haben. Folgen wir dieser Interpretation, könnte man die Passage als eine Kritik daran verstehen, dass Personen ihr soziales Geschlecht wechselten und in dieser Rolle Formen der Heirat und Ehe praktizierten oder vortäuschten, die für ihr biologisches Geburtsgeschlecht verboten gewesen wären. Eventuell wiederholt sich hier das Phänomen, dass Personen ihre soziale Geschlechterrolle wechseln, um biologisch gleichgeschlechtliche Personen zu heiraten und mit ihnen eine Ehe zu führen, die sie sonst ohne diesen Statuswechsel nicht ehelichen dürften. Nehmen wir diese Interpretation an, dann würde diese Eusebiuspassage nicht nur belegen, dass die oben besprochenen Phänomene bis in das frühe 4. Jahrhundert existent waren, sondern auch zeigen, dass sie in der Zeit der Konstantinischen Wende nun auch stigmatisiert, skandalisiert und kriminalisiert wurden.
Sicherlich ließe sich das Wort und damit verbunden der Inhalt auch etwas anders verstehen, jedoch sind die rigorosen Maßnahmen des Kaisers, die Eusebius nachfolgend listet, gegen diese Abweichungen von Geschlechts- und Verhaltensnormen unbestritten. Konstantin habe, nachdem er von den als Frevel klassifizierten Praktiken gehört habe, den Ort, an dem alles geschah, komplett zerstören und durch Soldaten „reinigen“ lassen. So spricht der Biograph explizit davon, dass die Soldaten im Namen des Kaisers die dortigen Menschen bedrohten und sie zwangen, zu einem nach seiner Ansicht keuschen Leben zurückzukehren. Dieser Schilderung fügt Eusebius noch die Bemerkung hinzu, dass Aphaka kein Einzelfall war und noch an anderen Orten Griechen derlei Erfahrungen machen mussten, da sie laut dem Autor auch dem Wahn verfallen waren.[148] Auch wenn im Detail von der Wortinterpretation abhängt, ob gleichgeschlechtliche Ehen gemeint sind und auch andernorts praktiziert wurden, so wird zumindest deutlich, dass Personen, die ihrer angeborenen biologischen Geschlechterrolle nach damaligen Vorstellungen nicht gerecht wurden, sowohl in Aphaka als auch andernorts nicht toleriert wurden und kaiserliche Restriktionen sowie Gewalt durch Soldaten fürchten mussten. Derlei Formen der Ablehnung gegenüber Abweichungen vom biologischen Geschlecht und der sozialen Geschlechterrolle sowie allgemein von der patriarchal gedachten Geschlechtshierarchie waren bei christlich geprägten Menschen in der Antike nicht unüblich.[149]
Wenn wir uns nun wieder der konstantinischen Dynastie im frühen 4. Jahrhundert zuwenden, finden wir diese Verurteilung von Menschen, die christliche Geschlechter- und Ehevorstellungen herausforderten, auch in der Gesetzgebung dieser Zeit. So mag insbesondere ein Gesetz, das zu Beginn dieses Textes bereits Erwähnung fand, die Eusebiusinterpretation weniger gewagt erscheinen lassen und vielmehr das dort entwickelte Bild sehr schnell verdichten und plausibilisieren: Konstantins Söhne und Nachfolger, die Kaiser Constans und Constantius II., haben im Jahr 342 ein Gesetz erlassen, das einen spezifischen Ehefall mit Rollentausch maßregelte:
„Die Kaiser Constantius und Constans an das Volk. Wenn jemand, obwohl er ein Mann ist, wie eine Frau heiratet und sich damit gegen eine Frau richtet und so als Frau zugleich die Männer missachtet und begehrt, wo also (die Zugehörigkeit zu einem) Geschlecht den (rechten) Ort verloren hat, wo ein Verbrechen vorliegt, das zu kennen keinerlei Nutzen hat, wo Venus eine andere Gestalt annimmt, wo Liebe gesucht, aber nicht gesehen wird, befehlen wir, dass die Gesetze einschreiten müssen, dass das Recht sich mit dem Racheschwert rüste, so dass die, die ihre Würde verloren haben, ausgesuchten Strafen unterworfen werden, weil sie schon schuldig sind oder es werden.“[150]
Bereits in der ersten Wortgruppe begegnet uns ein Terminus, der bereits oben im gleichen Kontext bei Martial und Iuvenal Verwendung fand: Es wird ein Rechtsfall beschrieben, in dem ein Mann „nubit“[151] – nach der Art einer Frau heiratet. Das darauffolgende „in feminam“[152] scheint diesen Rollentausch bei der Eheschließung deutlich zu unterstreichen. Das heißt, dass bereits diese erste Wortgruppe deutlich kommuniziert, dass ein Gesetz für den Fall geschaffen wurde, wenn das soziale und biologische Geschlecht bei einer Heiratszeremonie und einem daraus resultierenden Ehebund nicht übereinstimmten. Ebendies wird eindeutig als unvereinbar mit den Ehekonventionen beschrieben, als inakzeptabel bewertet und als strafbar klassifiziert.
Selbst wenn man nun alle vorangegangenen Interpretationsschritte und Annahmen vor dieser Quellenstelle ablehnen oder zumindest infrage stellen würde, dann geriete man nun in die unbequeme Notwendigkeit zu erklären, warum solch ein Gesetz im 4. Jahrhundert existierte, das aktiv die Annahme anderer Geschlechterrollen beim Eheschluss und die damit einhergehende Praktik der gleichgeschlechtlichen Ehe verbot. Schwerlich lässt sich aus dem aktiven Verbot die Nichtexistenz dieses Phänomens herleiten. Vielmehr ist man versucht, dem polemischen Tenor eines Friedrich Nietzsche zu folgen, der einst das folgende treffende Aperçu formulierte:
„Man vergreift sich sehr, wenn man die Strafgesetze eines Volkes studirt, als ob sie ein Ausdruck seines Charakters wären; die Gesetze verrathen nicht Das, was ein Volk ist, sondern Das, was ihm fremd, seltsam, ungeheuerlich, ausländisch erscheint.“[153]
Die im Aphorismus liegende Weisheit, dass Strafgesetze in der Regel nur formuliert werden, wenn es tatsächlich identifizierte Missstände oder, allgemeiner gesprochen, bekannte Phänomene gibt, auf die sie reagieren und einwirken können, scheint auch für die Betrachtung dieses Gesetzes relevant zu sein. Dieses ergibt nur Sinn, wenn dem Aperçu folgend tatsächlich bekannte Fälle existierten, die Anlass zu dieser Strafregelung gaben, wie sie zum Beispiel der bereits oben besprochene Eusebius von Caesarea beschrieb.[154] Folgen wir diesem Schluss, dann beweist dieses Strafgesetz ebendas, was es verbietet: die Existenz gleichgeschlechtlicher Ehen im Römischen Kaiserreich.
Diese Interpretation des Gesetzes ist nicht ohne Parallele. Während einige Historiker und Juristen, die sich mit dieser Gesetzespassage auseinandergesetzt haben, auf die fehlenden, unbekannten Präzedenzfälle in der antiken Literatur hinwiesen und daher dazu tendierten, das Gesetz nicht allzu ernst zu nehmen, den Text als verzerrt ansahen oder bisweilen den Inhalt mit missverstandenen Metaphern zu erklären suchten[155], kamen andere Forscher zu Konklusionen, die der hier vorgeschlagenen Schlussfolgerung ähneln. So deutete auch Craig Williams den Gesetzestext als ein wichtiges Indiz darauf, dass zumindest einige Männer gemeinsam Hochzeitszeremonien praktizierten, wobei er jedoch die Frage offenließ, ob es sich hierbei auch um rechtlich gültige Vermählungen handelte.[156] Zuvor wies auch William Eskridge darauf hin, dass das Gesetz implizieren könnte, dass gleichgeschlechtliche Ehen im Römischen Reich vorher keine Seltenheit gewesen waren. Auch ihm fehlten aber Belege im Quellenmaterial, um ebendies beweisen zu können.[157]
Diese Lücke können die bisherigen Zwischenergebnisse dieses Artikels füllen und das Quellenproblem auflösen. Wenn wir die Eusebiusinterpretation annehmen oder davon ausgehen, dass die an den kaiserzeitlichen Autoren herausgearbeiteten Phänomene bis in das 4. Jahrhundert Bestand hatten, dann entsprechen diese nahezu alle dem im Gesetz formulierten Strafbestand, auch wenn das Strafgesetz nur auf Männer ausgerichtet war. Das Gesetz scheint folglich auf ebendiese Praktiken reagiert zu haben, die im noch nicht von christlichen Moralvorstellungen geprägten Prinzipat verbreitet und möglich waren. Diese besprochenen Fälle aus der Kaiserzeit und wahrscheinlich viele mehr, die uns nicht mehr überliefert sind, konnten folglich als Präzedenzfälle für das Gesetz dienen, das neuen christlichen Ehevorstellungen folgend mit dem neuen Zeitgeist unvereinbare alte Ehepraktiken wie gleichgeschlechtliche Ehen verbot.
Liest man im Codex Theodosianus nach der zitierten Stelle ein paar Zeilen weiter, stößt man in dieser Kompilation, die sich auf die lex Iulia de adulteriis bezieht, auf ein Gesetz aus der Regierungszeit von Theodosius I., das sich auf den 1. August 390 datieren lässt und den hergestellten Konnex zu bestätigen scheint:
„Alle Personen, die die schändliche Sitte ausüben, den männlichen Körper zu verdammen, indem sie ihn als einen weiblichen vorstellen und ein ihnen fremdes Geschlecht auf sich nehmen (denn sie scheinen sich in nichts von Frauen zu unterscheiden), sollen ein solches Verbrechen vor den Augen des Volkes durch die rächende Strafe des Flammentodes sühnen.“[158]
Dieses Strafgesetz kriminalisiert unmissverständlich das Phänomen, das beim vorher behandelten Gesetz angenommen wurde, und zwar dass Personen das andere biologische Geschlecht so virtuos imitieren und darbieten konnten, dass sie öffentlich eine andere Geschlechterrolle überzeugend verkörpern konnten. Ebendas zeigt erneut, dass das zu Verbietende im 4. Jahrhundert existent war, als zu bekämpfendes Problem angesehen wurde und das zuvor behandelte Gesetz aus dem Jahr 342 wohl keine missverstandene Metaphernkonstruktion war und vielmehr auch auf die angesprochenen Phänomene rekurrierte. Insbesondere die Verschärfung der Strafmaßnahmen, die öffentliche Verbrennung jener Geschlechtswechsler, zeigt nicht nur eine Nulltoleranzpolitik gegenüber Personen, die nach damaligen Vorstellungen ihrem biologischen Geschlecht nicht gerecht wurden, sondern ist vor allem ein Indiz dafür, dass für Theodosius I. die Maßnahmen der vorangegangenen Kaiser Konstantin, Constantius II. und Constans anscheinend nicht wirkungsvoll genug gewesen waren, um die mit christlichen Geschlechter- und Ehevorstellungen konfligierenden Lebenspraktiken zu eliminieren. Dieses Strafgesetz von Theodosius I. würde sich somit in eine Linie zu den Bemühungen der vorigen Kaiser stellen, eine Steigerung dessen darstellen und somit die vorangegangene Interpretation stützen und bestätigen.
Zusammenfassend scheinen sowohl die besprochenen Diffamierungen als auch die Strafgesetze und Verfolgungen des 4. Jahrhunderts die Existenz von Personen, die ihren Geschlechtsstatus wechselten, und von gleichgeschlechtlichen Ehen und die damit verknüpften Überlegungen aus den vorigen Abschnitten zu bestätigen. Ferner zeigen uns die Quellen des 4. Jahrhunderts einerseits die Langlebigkeit der untersuchten Phänomene und andererseits wahrscheinlich die Gründe, warum die einstige Duldung einem aktiven Verbot wich. Bemerkenswert ist hieran, dass die Unvereinbarkeit des Untersuchten mit den institutionellen Normen, die bereits kaiserzeitliche Autoren kritisierten, durch das Verbot nun rechtlich bestätigt, noch stärker institutionalisiert und öffentlich kommuniziert wurde. Solche mehrfachen Institutionalisierungen von bereits vorhandenen Normen, wie sie die Strafgesetze des 4. Jahrhunderts darstellen, sind Anzeichen dafür, dass die soziale Geltung der Normen als unzureichend wahrgenommen wurde.[159] Ebendies würde für die obige Vermutung sprechen, dass vor diesen Gesetzen Fälle von Geschlechtsstatusänderung und gleichgeschlechtlichen Ehekonstellationen wohl von der Mehrheit der jeweiligen Normgemeinschaften toleriert wurden und ihnen soziale Gültigkeit beschieden war. Die Gesetze des 4. Jahrhunderts wären demnach Kipppunkte im Umgang mit dem Phänomen und Indiz dafür, dass sich die institutionelle und die soziale Gültigkeit der Geschlechts- und Ehenormen parallelisierten und nicht mehr in einem Spannungsverhältnis zueinander standen. Zusätzlich sind die Strafgesetze ein Indiz dafür, dass es sich nicht um kurzzeitige Spielereien mit Transvestismus oder nur private Imitationen von bestehenden Ehezeremonien handelte, wenn in den Strafgesetzen nicht von Travestie oder Nachahmungen die Rede ist, sondern explizit die gleichgeschlechtliche Heirat oder das langfristige Kaschieren des Geburtsgeschlechts verboten wurde. Es sind wohl langanhaltende Phänomene, welche die Rechtssphäre berührten und wahrscheinlich zuvor auch rechtliche Gültigkeit und damit auch Relevanz besaßen, die hier kriminalisiert wurden. Rückprojiziert auf die besprochenen Fälle der Kaiserzeit liegt hier die Vermutung nahe, dass auch diese von rechtlicher Relevanz, vielleicht sogar rechtlich gültig waren, wie es etwa auch Martial mit seiner qua lege-Formulierung angedeutet hat.[160]
VII. Schlussfolgerungen
In dieser Untersuchung ist deutlich geworden, dass bereits in der Antike nicht immer Klarheit darüber bestand, wann ein Mann ein Mann ist, und die Kategorien des sozialen sowie des biologischen Geschlechts nicht immer identisch sein mussten. So konnte an Textstellen von Plinius dem Älteren, Aulus Gellius, Phlegon von Tralleis, Diodor sowie Philodemos gezeigt werden, dass der Wandel des menschlichen Geschlechts bzw. von Geschlechterrollen nicht nur eine mythische, also fiktive Vorstellung für diese Autoren und ihre Zeitgenossen war, sondern es real erfahrbare und dokumentierte Fälle von Personen gab, die vermeintlich ihr Geschlecht bzw. ihre Geschlechterrollen verändern konnten und daher legitim als Vertreter eines anderen Geschlechts angesehen wurden und dessen Privilegien wahrnehmen durften. Aufbauend auf der allgemein in der Forschung anerkannten Prämisse, dass Menschen nicht spontan oder in kurzen Zeiträumen ihr biologisches Geschlecht verändern können, wurde herausgearbeitet, dass die beschriebenen Geschlechtsverwandlungen bei Diodor, Plinius, Aulus Gellius und Phlegon nicht die Veränderung des biologischen Geschlechts, sondern nur einen Wechsel des sozialen Geschlechtsstatus bei ihren Zeitgenossen dokumentieren. Folglich müssen die damit verknüpften Eheschließungen und -planungen großteilig als gleichgeschlechtlich verstanden werden. Teilweise geschah dies, wie bei den von Diodor geschilderten Vorfällen von Herais/Diophantos und Kallo/Kallon, wohl unbewusst, wenn beispielsweise ein Ehepartner vom Pseudohermaphroditismus betroffen war und das biologische Geschlecht falsch zugeordnet wurde, sodass in Folge des Missverständnisses zwei biologische Männer mit verschiedenen sozialen Geschlechtern vermählt wurden. Insbesondere bei Plinius und Phlegon fanden sich mehrfach Indizien darauf, dass diese Wechsel des sozialen Geschlechts im Ehekontext auch intendiert hervorgerufen wurden, wenn zum Beispiel L. Consitius erst am Hochzeitstag ein Mann wurde und dadurch wohl ihre/seine Herzensdame heiraten konnte oder wenn nach Phlegons Überlieferung eine junge Frau kurz vor der Vermählung zum Mann wurde und damit die geplante Hochzeit verhindern konnte. Personen konnten also durch eine gezielte Veränderung ihres sozialen Geschlechtsstatus das gleiche biologische Geschlecht ehelichen oder auch Ehevorhaben mit dem anderen Geschlecht sabotieren. Ganz im Sinne des eingangs zitierten Liedes von Herbert Grönemeyer war es dafür entscheidend, wann eine Person dem klar benennbaren stereotypen Bild eines Mannes oder einer Frau entsprach, um als solche/r wahrgenommen und behandelt zu werden sowie deren geschlechtsspezifische Privilegien nutzen zu können. Bemerkenswert ist hieran vor allem, dass trotz der Abweichungen von antiken Geschlechts- und Ehenormen bei den genannten Autoren jeweils deutlich wurde, dass diese Veränderungen des Geschlechtsstatus als Einzelfälle wohl auf Konsens und soziale Geltung bei den Zeitgenossen stießen und der neue Geschlechtsstatus und die damit einhergehende Ehekonstellation soziale Gültigkeit besaßen oder zumindest im ausreichenden Maße geduldet wurden.
Als plausible Erklärungsmuster für das Vorgehen bei diesen Geschlechtsverwandlungen haben sich zwei Strategien herausgestellt, für die mannigfache Parallelen im antiken Quellenmaterial dokumentiert sind. Erstens konnten biologische Veränderungen des Körpers, wie ausgeprägter Hirsutismus, das polyzystische Ovarialsyndrom oder Pseudohermaphroditismus, Anlass dazu geben, das andere soziale Geschlecht für die eigene Person zu beanspruchen oder dieses zumindest glaubhaft nach außen zu verkörpern. Zweitens war es möglich, dass Personen durch das Tragen von geschlechtlich konnotierter Kleidung, geschlechtsspezifischen Frisuren und durch die generelle Imitation von Verhalten und Aussehen des anderen Geschlechts erfolgreich eine andere soziale Geschlechterrolle beanspruchen bzw. vortäuschen konnten. Diese Methoden des Wechsels des sozialen Geschlechterstatus haben es wohl mehreren biologisch gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht, miteinander anerkannt den Ehebund einzugehen. Das mag allein performativ die Person Areskusa/Areskon beweisen, die sowohl einen Mann als auch eine Frau geheiratet hatte und dadurch zwangsläufig einmal gleichgeschlechtlich verheiratet gewesen sein muss. Solche Personen und derlei Täuschungen profitierten im römischen Rechtsraum wahrscheinlich von zwei Eigenheiten des römischen Rechts: Erstens konnten Personen, die nicht eindeutig binären Geschlechtskategorien entsprachen, abhängig von ihren dominanten Geschlechtsmerkmalen einem sozialen bzw. juristischem Geschlecht zugeordnet werden, welches mit ihrem biologischen nicht übereinstimmen musste. Es existierte folglich ein rechtlicher Spielraum für Geschlechtsstatusänderungen. Zweitens konnten rechtliche Entscheidungen, wie eine Eheschließung, Gültigkeit bewahren und weiterbestehen, auch wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass diese unter falschen Prämissen entstanden waren. Dies macht auch nachvollziehbar, warum diese Fälle trotz ihrer Abweichung von institutionellen Normen soziale Geltung haben und auf Tolerierung stoßen konnten. Dieses Tolerieren des Phänomens war gerade auch möglich, da es wohl weder zur Schädigung individueller Interessen noch des Gemeinwohls kam und es daher keinen Anlass für die Mehrheit oder einzelne Akteure des römischen Rechtssystems, das keine Offizialdelikte kannte, zur strafrechtlichen Verfolgung gab.
Obwohl die Wunder wahrscheinlich intendierte Täuschungen waren, konnte im dritten Untersuchungsabschnitt gezeigt werden, dass die Deutung dieser Phänomene als Wunder durch die besprochenen Autoren nachvollziehbar war. Einerseits gab es viele antike Mythen, wie den Iphismythos, die frappierende Parallelen zu den Wundergeschichten aufwiesen und sich als Deutungsvorlage dafür ideal eigneten; als Rahmung der Varianten gab es das Konzept der Metamorphose. Andererseits existierten auch medizinische Berichte und Untersuchungen von Geschlechtsverwandlungen, wie jene, von denen Diodor erzählt, die gleichermaßen das Beobachtete als übernatürliche Wunder klassifizierten und ihm eine reale, glaubhafte Existenz zuschrieben. Dieser Hintergrund hat die Einordnung der besprochenen Fälle verständlich werden lassen.
Bei einer Untersuchung der Autoren Martial, Iuvenal und Lukian von Samosata hat sich dennoch gezeigt, dass den Zeitgenossen die Idee, dass eine Person ihre soziale Geschlechterrolle wechseln und dadurch eine biologisch gleichgeschlechtliche Person heiraten konnte, nicht fremd war. Wahrscheinlich waren ihnen solche Fälle bekannt oder zumindest sehr gut vorstellbar. Ferner hat sich bei allen drei Autoren abgezeichnet, dass sie diesem Phänomen keineswegs neutral gegenüberstanden. Lukian parodierte es bissig, Martial und Iuvenal verurteilten es scharf, skandalisierten es und appellierten an ihre Zeitgenossen, es nicht zu dulden. Hieran zeigte sich wohl nicht nur eine Kenntnis der beschriebenen Geschlechtsänderungs- und Ehepraktik, sondern auch eine partielle gesellschaftliche Reaktion, die anscheinend in einer sozialen Verurteilung und Ablehnung jener Paare mündete, die diese Scharade nicht geheim halten konnten/wollten. Zugleich ist der aktive Appell der Autoren an ihre Leser, ebenso diese Praktik als unvereinbar mit den institutionellen Normen zu beurteilen und sie nicht zu dulden, Indiz dafür, dass die aktive Ablehnung kein voraussetzbarer Regelfall war und vielmehr das Phänomen trotz möglicher Enttarnung und Kritik sozial zugelassen und toleriert wurde. Der eingeforderte Dissens spricht für den Bestand einer mehrheitlichen Tolerierung. Um das skizzierte Verhältnis dieser kaiserzeitlichen Autoren und ihrer Zeitgenossen, die wohl zumindest teilweise ihre Meinungen geteilt haben dürften, adäquat zum Untersuchungsgegenstand zu beschreiben, könnte der von Thomas Bauer geprägte Begriff „Ambiguitätstoleranz“[161] geeignet sein. Obwohl die besprochenen Paare geschickt mit Tricks entgegen den Rahmenlinien der Ehegesetze und den Vorstellungen von Geschlechtskategorien und damit diametral entgegen der institutionellen Normen handelten – nach Huizingas Terminologie Falschspieler waren –, wurde diese Widersprüchlichkeit, diese Mehrdeutigkeit im Umgang mit Gesetzen und Geschlechtskategorien in mehreren Fällen von den Zeitgenossen immer wieder erkannt und zugelassen; die Ambiguität des Geschlechtsstatus und der Ehe wurde folglich toleriert.[162] Dass diese Duldung möglich war, mag wohl auch daran gelegen haben, dass es sich, nach den behandelten Quellen zu urteilen, um kein Phänomen der Oberschicht oder der Elite handelte, sondern vor allem Personen diesen Praktiken nachgingen, die nicht von öffentlicher oder gesellschaftlicher Relevanz waren. Insbesondere Martial und Iuvenal zeigen, dass dieses Tolerieren aber keineswegs mit Akzeptanz, dem Gutheißen des Phänomens, verwechselt werden darf. Sie zeigen, dass es aus der Oberschicht durchaus Ablehnung gegenüber den gleichgeschlechtlichen Ehepaaren und den Personen mit neuem Geschlechtsstatus gab. Jedoch ist deutlich geworden, dass diese Ablehnung wohl nicht in dem Maße verbreitet und schwerwiegend genug war, als dass daraus auch tatsächlich aktive Verfolgungen, Strafmaßnahmen oder Sanktionen gegenüber den betreffenden Personen hätten erwachsen können.
Das gleiche Bild zeichnet sich bei jenen Autoren ab, die Angehörige der obersten Elite für ihre angeblichen homosexuellen Ehen desavouierten. Auch wenn sich bei M. Antonius, Nero und Elagabal der Wahrheitsgehalt hinter den Vorwürfen schwerlich prüfen lässt, hat sich an ihren Beispielen gezeigt, dass auch für ihre verbalen Angreifer die geschilderte Ehepraktik und Geschlechterinversion sehr wohl denkbar, zuschreibbar und kritikwürdig war und sie daher diese zur Rufschädigung nutzen konnten. Ebendas würde erneut für die Deutung als Ambiguitätstoleranz sprechen: Trotz der Kollisionen der illustrierten Praktiken mit den institutionellen Normen wird ihre mögliche Existenz und soziale Duldung angenommen. Gerade wegen dieser tolerierten, negativ konnotierten Widersprüchlichkeit qualifizieren sie sich für den Rufmord. Das würde auch für eine härtere Verurteilung dieser Praktiken bei der Oberschicht als bei den Fällen von gesellschaftlich weniger relevanten Personen, wie die von Plinius und Phlegon geschilderten Fälle, sprechen.
Eine Verschärfung und Vereinheitlichung des Umgangs mit diesem Phänomen vollzog sich im 4. Jahrhundert.[163] Hier konnte unter anderem an Eusebius gezeigt werden, dass die konstantinische Kaiserdynastie entschieden gegen Personen, die nicht den christlich geprägten zeitgenössischen Vorstellungen von Geschlecht, Partnerschaft und Sexualität entsprachen, im Reich vorging und ihre Beziehungsmodelle als illegal erklärte. Sichtbar wurde dies auch beim besprochenen Gesetz der Kaiser Constans und Constantius II., das explizit Männern verbot, in der Rolle einer Frau einen anderen Mann zu heiraten – also biologisch gleichgeschlechtlich zu heiraten. Auch das von Kaiser Theodosius I. geschaffene Verbot des öffentlichen Auslebens eines anderen Geschlechtsstatus weist in die gleiche Richtung. Diese Gesetze demonstrieren zum einen damit, dass das zu Bestrafende – der Wechsel des Geschlechtsstatus und die gleichgeschlechtliche Ehe – wohl ein bekanntes und existentes Phänomen war, und zum anderen eine Bestrebung, die institutionelle Ungültigkeit des zu Bestrafenden auch in eine soziale Ungültigkeit zu überführen und diese Grenzüberschreitungen aktiv zu sanktionieren. Sie markieren das Ende der (Ambiguitäts-)Toleranz. Und schließlich zeigt sich an den Gesetzen, dass wohl schon vor diesen Verboten diese Praktiken von rechtlicher Relevanz waren und vielleicht sogar rechtliche Gültigkeit besaßen. Auch wenn zusätzlich Martial mit seiner qua lege-Formulierung in diese Richtung deutet[164], lässt sich dies auf der vorhandenen Quellengrundlage aber nicht mit Gewissheit bejahen oder negieren.
Im Römischen Reich konnten also einerseits vielfach Personen öffentlich anerkannt ihren sozialen Geschlechtsstatus wechseln und andererseits mit Personen des gleichen biologischen Geschlechts verheiratet sein, auch wenn diese Ehen vor der Öffentlichkeit als konventionelle, heterosexuelle Ehen geschlossen und geführt wurden. Obwohl konzeptionell die gleichgeschlechtliche Ehe in der Antike nicht existent, erlaubt und gültig war, wurde sie damit sehr wohl aktiv praktiziert. Diese gleichgeschlechtliche Ehepraktik lässt sich mit Plinius dem Älteren und Phlegon von Tralleis für das 1. und 2. Jahrhundert sicher datieren. Nehmen wir das eben erwähnte Gesetz aus dem Jahr 342 als Anlass zur Annahme, dass bis zu diesem Jahr solche Geschlechtsstatuswechsel und Eheformen praktiziert wurden, dann dürfte man legitim über den frühen Prinzipat hinaus die Existenz dieses Phänomens bis in das 4. Jahrhundert annehmen. Umgekehrt stellt die Verurteilung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch Cicero im 1. Jahrhundert v. u. Z. ein Indiz dafür dar, dass diese Eheform eventuell bereits vor der Kaiserzeit vereinzelt gepflegt wurde. Zumindest die von Diodor und Philodemos beschriebenen Fälle veranschaulichen, dass bereits im 2. Jahrhundert v. u. Z. durch Geschlechtermissverständnisse versehentlich Ehen zwischen Personen des gleichen Geschlechts geschlossen wurden. Während somit die Existenz sowohl der Geschlechtsfluidität als auch von gleichgeschlechtlichen Ehen in der Antike als bewiesen angesehen werden darf, verbleiben die dahinterstehenden Intentionen bei vielen der präsentierten Fälle noch nebulös. Ob man naiv von homosexuellen Liebeshochzeiten ausgehen darf oder ein geschickter, opportuner Umgang mit Erb- und Heiratsrecht oder der Wunsch nach Privilegien des anderen Geschlechts oder die Anerkennung einer Geschlechtsidentität die geschilderten Phänomene motivierte, muss aufgrund der dürftigen Quellenlage offenbleiben, auch wenn alles denkbar ist. Mit Sicherheit kann dennoch konstatiert werden, dass gleichgeschlechtliche Ehen kein Novum unserer Zeit sind und sie sehr wohl Wurzeln und Vorläufer in der griechisch-römischen Antike haben, während die aktive, rechtliche Negation gleichgeschlechtlicher Ehen wohl ein Erbe der spätantiken christlichen Transformation zu sein scheint.
Zusammenfassung
Dieser Text bricht mit der breit akzeptierten Forschungsannahme, dass in der Antike Ehen nur zwischen Frauen und Männern bestehen konnten, indem er untersucht, ob Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern im Römischen Reich existiert haben. So wird an mehreren dokumentierten Fällen und Quellenpassagen, die teilweise bisher nicht in der Forschung berücksichtigt wurden, gezeigt, dass Personen intendiert im Konsens ihrer Zeitgenossen ihren sozialen Geschlechtsstatus wechseln konnten und im Rahmen ihrer neuerworbenen geschlechtsspezifischen Privilegien eine Ehe mit einer Person des gleichen biologischen Geschlechts führen konnten. Damit verbunden wird auch die Einordnung des Phänomens durch zeitgenössische Autoren nachverfolgt, denen diese Praktik zumindest teilweise gut vertraut war und die sie auch ausgiebig kritisierten. Warum diese Formen der Geschlechtsfluidität und der gleichgeschlechtlichen Ehen trotz der Kritik zunächst Bestand hatten und Duldung erfuhren, dann in der Spätantike kriminalisiert wurden und damit als Phänomen die Antike nicht überdauern konnten, wird abschließend besprochen.
Widmung
Den Professoren Christoph Lundgreen, Cristina Rosillo-López und Tassilo Schmitt danke ich sehr für ihr reges Interesse an meiner These sowie das Feedback zu meinem Text, von dem das Manuskript sehr profitiert hat. Auch bin ich den weiteren Probelesern für ihre hilfreichen Anmerkungen und Anregungen sehr dankbar: Oliver Bräckel, Jakob Debelka, Justine Diemke, Anna-Lisa Fichte, Sven Kretschmar, Fabian Schellhaas, Lea Schönfeld, Noreen Stühmer, Leonie Weber.
Anhang
In dieser Tabelle wird eine Übersicht über die im Artikel besprochenen antiken Fälle von Geschlechtsstatusänderungen und damit verknüpften biologisch gleichgeschlechtlichen Ehekonstellationen gegeben. Das männliche, weibliche und intersexuelle Geschlecht wird in der Tabelle mit „m, f, i“ und die Annahmen fiktiv und nicht fiktiv mit „f“ und „nf“ abgekürzt. Veränderungen des Geschlechts im Kontext der Ehe werden mit einem „à“ markiert.
|
Nr. |
Person(en), die im Kontext einer geplanten Heirat oder während einer bestehenden Ehe ihr Geschlecht gewechselt haben sollen |
biologische Geschlechtskonstellation |
soziale Geschlechtskonstellation |
Datierung |
Ort |
Wahrscheinlich fiktiv/nicht fiktiv |
Quelle(n) |
|
1 |
L. Consitius |
w – w |
m – w |
Mitte/Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Thysdrus |
nf |
Plin. nat. 7, 36; Gell. 9, 4, 13–15 |
|
2 |
Areskon/Areskusa |
1. w – m 2. w – w |
1. w – m 2. m – w |
Mitte/Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Argos |
nf |
Plin. nat. 7, 36; Gell. 9, 4, 13–15 |
|
3 |
Aitete/Aitetos |
w – m / m – m |
w – m à m – m |
116 n. u. Z. |
Laodikeia |
nf |
Phleg. Mir. 9 = FGrH 257, 36, 4, 9, |
|
4 |
Philotis |
w/i – m |
m – m |
53 n. u. Z. |
Smyrna/Mevania |
nf |
Phleg. Mir. 7 = FGrH 257, 36, 4, 7 |
|
5 |
Name unbekannt |
w/i – m |
m – m |
45 n. u. Z. |
Antiochia am Mäander |
nf |
Phleg. Mir. 6 = FGrH 257, 36, 4, 7 |
|
6 |
Herais/Diophantos |
m – m |
w – m à m – m |
Mitte 2. Jh. v. u. Z. |
Abai |
nf |
Diod. 32, 10, 2–8 |
|
7 |
Kallo/Kallon |
m – m |
w – m à m – m |
Ende 2. Jh. v. u. Z. |
Epidauros |
nf |
Diod. 32, 11; Philod. sign. col. 4 = P. Hercul. 1065, col. 2, 9–11 |
|
8 |
Megilla/Megillos |
w – w |
m – w |
Mitte/Ende 2. Jh. n. u. Z. |
Lesbos |
f |
Lukian. Dial. meretr. 5 |
|
9 |
Callistratus |
m – m |
w – m |
Mitte/Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Rom |
nf |
Mart. 12, 42 |
|
10 |
Name unbekannt |
m – m |
w – m |
Mitte/Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Rom |
nf |
Mart. 1, 24 |
|
11 |
Gracchus |
m – m |
w – m |
Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Rom |
f |
Iuv. 2, 116–131 |
|
12 |
Name unbekannt |
m – m |
w – m |
Ende 1. Jh. n. u. Z. |
Rom |
f |
Iuv. 2, 131–142 |
|
13 |
Teiresia |
w – w |
m – w |
1. Jh. v. oder n. u. Z. |
Theben/ Chalkis |
f |
Anth. Gr. 9, 602 |
|
14 |
M. Antonius |
m – m |
w – m |
24. Oktober 44 v. u. Z. |
Rom |
f |
Cic. Phil. 2, 45 |
|
15 |
Nero |
m – m |
w – m |
56 n. u. Z |
Rom |
f |
Tac. ann. 15, 37; Suet. Nero 29; Cass. Dio 63, 22, 4 |
|
16 |
Sporus/ Sabina Poppaea |
m – m |
w – m |
ca. 66–68 n. u. Z. |
Rom |
nf |
Suet. Nero 28–29; Cass. Dio 62, 28, 2–3; Cass. Dio 63, 22, 4 |
|
17 |
Elagabal |
m – m |
w – m |
ca. 218–222 n. u. Z. |
Rom |
f |
Cass. Dio 80, 15–16; SHA Heliog. 10, 2–5. |
© 2025 Walter de Gruyter, Berlin/Boston
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Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Aufsätze
- Wann ist ein Mann ein (Ehe-)Mann? Der Nachweis gleichgeschlechtlicher Ehen und der Geschlechtsfluidität in der römischen Kaiserzeit
- Dort schafft man die Kronjuwelen fort ... Objekt-Perspektiven auf die 1848er Revolution
- Historische Forschung – Archiv – Verwaltung. Eine zu entdeckende Dreiecksbeziehung als Schicksalsgemeinschaft in digitalen Zeiten
- Notker Hammerstein (1930–2024)
- Im Blick der Historie
- Rezensionen
- Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer (Eds.), Historical Culture by Restitution? A Debate on Art, Museums, and Justice. Köln, Böhlau 2023
- Aram Mattioli, Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA. Stuttgart, Klett-Cotta 2023
- Simon J. Barker / Christopher Courault / Javier Á. Domingo et al. (Eds.), From Concept to Monument. Time and Costs of Construction in the Ancient World. Papers in Honour of Janet DeLaine. Oxford, Archaeopress 2023
- Christian Laes / Irina Metzler (Eds.), „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. Turnhout, Brepols 2023
- Jan-Markus Kötter / Maria Osmers / Dorothea Rohde u. a. (Hrsg.), Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. Stuttgart, Steiner 2024
- Daniel Fallmann, Der Rand der Welt. Die Vorstellungen der Griechen von den Grenzen der Welt in archaischer und klassischer Zeit. (Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachbarn, Bd. 220.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
- Irene F. de Jong / Miguel John Versluys (Eds.), Reading Greek and Hellenistic-Roman Spolia. Objects, Appropriation and Cultural Change. Leiden, Brill 2023
- Giustina Monti (Ed.), Alexander the Great. Letters: A Selection. Liverpool, Liverpool University Press 2023
- Ian Worthington, The Last Kings of Macedonia and the Triumph of Rome. Oxford, Oxford University Press 2023
- Christian Marek, Rom und der Orient. Reiche, Götter, Könige. München, Beck 2023
- Paul V. Kelly, The Financial Markets of Roman Egypt. Risk and Return. Liverpool, Liverpool University Press 2023
- Christian Meier, Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wilfried Nippel und Stefan Rebenich. Bd. 1: Zur römischen Geschichte. Stuttgart, Steiner 2024
- Francisco Pina Polo (Ed.), The Triumviral Period. Civil War, Political Crisis and Socioeconomic Transformations. (Libera Res Publica, Vol. 2. Monografías sobre aspectos institucionales, políticos, sociales económicos, historiográficos, culturales y de género en la Républica romana.) Universidad de Zaragoza 2020
- Anthony A. Barrett / J. C. Yardley, The Emperor Caligula in the Ancient Sources. Oxford, Oxford University Press 2023
- Guy MacLean Rogers, For the Freedom of Zion. The Great Revolt of Jews against Romans, 66–74 C. E. London, Yale University Press 2021
- Clare Rowan, Tokens and Social Life in Roman Imperial Italy. Cambridge, Cambridge University Press 2023
- Andrew Wilson / Nick Ray / Angela Trentacoste (Eds.), The Economy of Roman Religion. Oxford, Oxford University Press 2023
- Heinz Erich Stiene (Bearb.), Die Gründungsgeschichte der Abtei Brauweiler. Fundatio monasterii Brunwilarensis. Köln, Böhlau 2024
- Monumenta Germaniae Historica (Hrsg.), Monumenta Germaniae Historica. Cronica Aule regie. Die Königsaaler Chronik. Hrsg. von Anna Pumprová und Libor Jan unter Mitarbeit von Robert Antonín, Demeter Malaťák, Libor Švanda und Zdeněk Žalud. (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, Bd. 40.) Wiesbaden, Harrassowitz 2022
- Anna Paulina Orłowska, Johan Pyre. Ein Kaufmann und sein Handelsbuch im spätmittelalterlichen Danzig. Darstellung und Edition. (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Bd. 77.) Köln, Böhlau 2020
- Holger Th. Gräf / Andreas Tacke (Hrsg.), Von Augsburg nach Frankfurt. Der Kupferstecher Johann Philipp Thelott (1639–1671). Marburg, Historische Kommission für Hessen 2022
- Marc A. Forster, Keeping the Peace in the Village. Conflict and Peacemaking in Germany, 1650–1750. Oxford, Oxford University Press 2024
- Georg B. Michels, The Habsburg Empire under Siege. Ottoman Expansion and Hungarian Revolt in the Age of Grand Vizier Ahmed Koeprulu (1661–76). Montreal, QC, McGill-Queen’s University Press 2021
- Jane Webster, Materializing the Middle Passage. A Historical Archaeology of British Slave Shipping, 1680–1807. Oxford, Oxford University Press 2023
- Manja Quakatz, Osmanische Kriegsgefangene im Römisch-deutschen Reich im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2023
- Martin Biersack, Geduldete Fremde. Spaniens Kolonialherrschaft und die Extranjeros in Amerika. (Campus Historische Studien, Bd. 82.) Frankfurt am Main, Campus 2023
- Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
- Boris Ganichev, Integrating Imperial Space. The Russian Customs System in the 19th Century. (Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Vol. 26.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
- Anne-Marie Kilday / David Nash, Beyond Deviant Damsels. Re-evaluating Female Criminality in the Nineteenth Century. Oxford, Oxford University Press 2023
- Andrea Pühringer / Martin Scheutz (Hrsg.), Die Kurstadt als urbanes Phänomen. Konsum, Idylle und Moderne. (Städteforschung. Reihe A: Darstellungen, Bd. 104.) Köln, Böhlau 2023
- Andreas Bohne, Studenten und Alte Herren im kolonialen Rausch. Burschenschaften und Kolonialismus vom Vormärz bis zur Gegenwart. (Global- und Kolonialgeschichte.) Bielefeld, Transcript 2024
- Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989. München, Beck 2023
- Katja Hoyer, Im Kaiserreich. Eine kurze Geschichte 1871–1918. Hamburg, Hoffmann und Campe 2024
- Mischa Suter, Geld an der Grenze. Souveränität und Wertmaßstäbe im Zeitalter des Imperialismus 1871–1923. Berlin, Matthes & Seitz 2024
- Benno Gammerl, Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. München, Hanser 2023
- Horst Möller, Deutsche Geschichte – die letzten hundert Jahre. Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie. München, Piper 2022
- Martin Platt (Hrsg.), Auf der Suche nach Sicherheit? Die Weimarer Republik zwischen Sicherheitserwartungen und Verunsicherungsgefühlen. (Weimarer Schriften zur Republik, Bd. 23.) Stuttgart, Steiner 2024
- Christhardt Henschel, Jeder Bürger Soldat. Juden und das polnische Militär (1918–1939). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
- Jürgen Court, Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bd. 4: Institute und Hochschulen für Leibesübungen 1925–1933. (Studien zur Geschichte des Sports, Bd. 29.) Münster, Lit 2023
- Manfred Görtemaker, Rudolf Hess. Der Stellvertreter. Eine Biographie. München, Beck 2023
- Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“. Göttingen, Wallstein 2021
- Gabriele Anderl / Linda Erker / Christoph Reinprecht (Eds.), Internment Refugee Camps. Historical and Contemporary Perspectives. Bielefeld, Transcript 2022
- Sebastian Rojek, Entnazifizierung und Erzählung. Geschichten der Abkehr vom Nationalsozialismus und vom Ankommen in der Demokratie. Stuttgart, Kohlhammer 2023
- Jacob Tovy, Israel and the Question of Reparations from Germany. Post-Holocaust Reckonings (1949–1953). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
- Jan Ruhkopf, Institutionalisierte Unschärfe. Ordnungskonzepte und Politisches Verwalten im Bundesvertriebenenministerium 1949–1961. Göttingen, Wallstein 2023
- Rob Waters, Colonized by Humanity. Caribbean London and the Politics of Integration at the End of Empire. Oxford, Oxford University Press 2023
- Habbo Knoch, Im Namen der Würde. Eine deutsche Geschichte. München, Hanser 2023
- Kyrill Kunakhovich, Communism’s Public Sphere. Culture as Politics in Cold War Poland and East Germany. Ithaca, NY, Cornell University Press Services 2023
- Mathieu Dubois, Die liberale Kraft Europas. Die Soziale Marktwirtschaft in der Europapolitik der Bundesrepublik, 1953–1993. Bielefeld, Transcript 2024
- Stefan-Ludwig Hoffmann, Der Riss in der Zeit. Kosellecks ungeschriebene Historik. Berlin, Suhrkamp 2023
- Detlev Brunner, Einheit und Transformation. Deutschland in den 1990er Jahren. Stuttgart, Kohlhammer 2022
- Eingegangene Bücher
- Eingegangene Bücher
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Aufsätze
- Wann ist ein Mann ein (Ehe-)Mann? Der Nachweis gleichgeschlechtlicher Ehen und der Geschlechtsfluidität in der römischen Kaiserzeit
- Dort schafft man die Kronjuwelen fort ... Objekt-Perspektiven auf die 1848er Revolution
- Historische Forschung – Archiv – Verwaltung. Eine zu entdeckende Dreiecksbeziehung als Schicksalsgemeinschaft in digitalen Zeiten
- Notker Hammerstein (1930–2024)
- Im Blick der Historie
- Rezensionen
- Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer (Eds.), Historical Culture by Restitution? A Debate on Art, Museums, and Justice. Köln, Böhlau 2023
- Aram Mattioli, Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA. Stuttgart, Klett-Cotta 2023
- Simon J. Barker / Christopher Courault / Javier Á. Domingo et al. (Eds.), From Concept to Monument. Time and Costs of Construction in the Ancient World. Papers in Honour of Janet DeLaine. Oxford, Archaeopress 2023
- Christian Laes / Irina Metzler (Eds.), „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. Turnhout, Brepols 2023
- Jan-Markus Kötter / Maria Osmers / Dorothea Rohde u. a. (Hrsg.), Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. Stuttgart, Steiner 2024
- Daniel Fallmann, Der Rand der Welt. Die Vorstellungen der Griechen von den Grenzen der Welt in archaischer und klassischer Zeit. (Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachbarn, Bd. 220.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
- Irene F. de Jong / Miguel John Versluys (Eds.), Reading Greek and Hellenistic-Roman Spolia. Objects, Appropriation and Cultural Change. Leiden, Brill 2023
- Giustina Monti (Ed.), Alexander the Great. Letters: A Selection. Liverpool, Liverpool University Press 2023
- Ian Worthington, The Last Kings of Macedonia and the Triumph of Rome. Oxford, Oxford University Press 2023
- Christian Marek, Rom und der Orient. Reiche, Götter, Könige. München, Beck 2023
- Paul V. Kelly, The Financial Markets of Roman Egypt. Risk and Return. Liverpool, Liverpool University Press 2023
- Christian Meier, Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wilfried Nippel und Stefan Rebenich. Bd. 1: Zur römischen Geschichte. Stuttgart, Steiner 2024
- Francisco Pina Polo (Ed.), The Triumviral Period. Civil War, Political Crisis and Socioeconomic Transformations. (Libera Res Publica, Vol. 2. Monografías sobre aspectos institucionales, políticos, sociales económicos, historiográficos, culturales y de género en la Républica romana.) Universidad de Zaragoza 2020
- Anthony A. Barrett / J. C. Yardley, The Emperor Caligula in the Ancient Sources. Oxford, Oxford University Press 2023
- Guy MacLean Rogers, For the Freedom of Zion. The Great Revolt of Jews against Romans, 66–74 C. E. London, Yale University Press 2021
- Clare Rowan, Tokens and Social Life in Roman Imperial Italy. Cambridge, Cambridge University Press 2023
- Andrew Wilson / Nick Ray / Angela Trentacoste (Eds.), The Economy of Roman Religion. Oxford, Oxford University Press 2023
- Heinz Erich Stiene (Bearb.), Die Gründungsgeschichte der Abtei Brauweiler. Fundatio monasterii Brunwilarensis. Köln, Böhlau 2024
- Monumenta Germaniae Historica (Hrsg.), Monumenta Germaniae Historica. Cronica Aule regie. Die Königsaaler Chronik. Hrsg. von Anna Pumprová und Libor Jan unter Mitarbeit von Robert Antonín, Demeter Malaťák, Libor Švanda und Zdeněk Žalud. (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, Bd. 40.) Wiesbaden, Harrassowitz 2022
- Anna Paulina Orłowska, Johan Pyre. Ein Kaufmann und sein Handelsbuch im spätmittelalterlichen Danzig. Darstellung und Edition. (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Bd. 77.) Köln, Böhlau 2020
- Holger Th. Gräf / Andreas Tacke (Hrsg.), Von Augsburg nach Frankfurt. Der Kupferstecher Johann Philipp Thelott (1639–1671). Marburg, Historische Kommission für Hessen 2022
- Marc A. Forster, Keeping the Peace in the Village. Conflict and Peacemaking in Germany, 1650–1750. Oxford, Oxford University Press 2024
- Georg B. Michels, The Habsburg Empire under Siege. Ottoman Expansion and Hungarian Revolt in the Age of Grand Vizier Ahmed Koeprulu (1661–76). Montreal, QC, McGill-Queen’s University Press 2021
- Jane Webster, Materializing the Middle Passage. A Historical Archaeology of British Slave Shipping, 1680–1807. Oxford, Oxford University Press 2023
- Manja Quakatz, Osmanische Kriegsgefangene im Römisch-deutschen Reich im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2023
- Martin Biersack, Geduldete Fremde. Spaniens Kolonialherrschaft und die Extranjeros in Amerika. (Campus Historische Studien, Bd. 82.) Frankfurt am Main, Campus 2023
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- Boris Ganichev, Integrating Imperial Space. The Russian Customs System in the 19th Century. (Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Vol. 26.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
- Anne-Marie Kilday / David Nash, Beyond Deviant Damsels. Re-evaluating Female Criminality in the Nineteenth Century. Oxford, Oxford University Press 2023
- Andrea Pühringer / Martin Scheutz (Hrsg.), Die Kurstadt als urbanes Phänomen. Konsum, Idylle und Moderne. (Städteforschung. Reihe A: Darstellungen, Bd. 104.) Köln, Böhlau 2023
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- Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989. München, Beck 2023
- Katja Hoyer, Im Kaiserreich. Eine kurze Geschichte 1871–1918. Hamburg, Hoffmann und Campe 2024
- Mischa Suter, Geld an der Grenze. Souveränität und Wertmaßstäbe im Zeitalter des Imperialismus 1871–1923. Berlin, Matthes & Seitz 2024
- Benno Gammerl, Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. München, Hanser 2023
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- Jürgen Court, Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bd. 4: Institute und Hochschulen für Leibesübungen 1925–1933. (Studien zur Geschichte des Sports, Bd. 29.) Münster, Lit 2023
- Manfred Görtemaker, Rudolf Hess. Der Stellvertreter. Eine Biographie. München, Beck 2023
- Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“. Göttingen, Wallstein 2021
- Gabriele Anderl / Linda Erker / Christoph Reinprecht (Eds.), Internment Refugee Camps. Historical and Contemporary Perspectives. Bielefeld, Transcript 2022
- Sebastian Rojek, Entnazifizierung und Erzählung. Geschichten der Abkehr vom Nationalsozialismus und vom Ankommen in der Demokratie. Stuttgart, Kohlhammer 2023
- Jacob Tovy, Israel and the Question of Reparations from Germany. Post-Holocaust Reckonings (1949–1953). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
- Jan Ruhkopf, Institutionalisierte Unschärfe. Ordnungskonzepte und Politisches Verwalten im Bundesvertriebenenministerium 1949–1961. Göttingen, Wallstein 2023
- Rob Waters, Colonized by Humanity. Caribbean London and the Politics of Integration at the End of Empire. Oxford, Oxford University Press 2023
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- Kyrill Kunakhovich, Communism’s Public Sphere. Culture as Politics in Cold War Poland and East Germany. Ithaca, NY, Cornell University Press Services 2023
- Mathieu Dubois, Die liberale Kraft Europas. Die Soziale Marktwirtschaft in der Europapolitik der Bundesrepublik, 1953–1993. Bielefeld, Transcript 2024
- Stefan-Ludwig Hoffmann, Der Riss in der Zeit. Kosellecks ungeschriebene Historik. Berlin, Suhrkamp 2023
- Detlev Brunner, Einheit und Transformation. Deutschland in den 1990er Jahren. Stuttgart, Kohlhammer 2022
- Eingegangene Bücher
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