Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). Berlin/Boston, De Gruyter 2023

Dietmar Neutatz

doi:10.1515/hzhz-2025-1027

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Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). Berlin/Boston, De Gruyter 2023

Dietmar Neutatz

Veröffentlicht/Copyright: 1. Februar 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 1

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Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). 2023 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 9783110736977, € 79,95 / open access

In kaum einer Synthese zur russischen Geschichte fehlt der Hinweis auf die Bedeutung des Raumes und die aus seiner gewaltigen Ausdehnung resultierenden Probleme. Vor diesem Hintergrund erstaunt das Defizit an systematischer Forschung zur kartographischen Erschließung des russländischen Raumes. In diese Lücke hat sich Martin Jeske mit seiner Basler Dissertation vorgewagt – doppelt qualifiziert durch ein Studium der Osteuropäischen Geschichte und einen vorausgehenden Berufsabschluss als Vermesser. Jeske geht der Frage nach, wer die treibenden Kräfte und welches die bestimmenden Faktoren bei der topographischen Vermessung und kartographischen Erschließung des Zarenreiches im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren. Er untersucht diese Prozesse im Hinblick auf Territorialisierung und Kulturtransfer. Ihn interessieren die individuellen und institutionellen Akteure, deren Interessenlagen und Handlungslogiken, die wissenschaftlich-methodischen Grundlagen sowie die in den Kartenbildern lesbaren „mental maps“.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil setzt sich der Verfasser mit grundlegenden Fragen der Vermessung und Kartographie im Russland des 19. Jahrhunderts auseinander: Er erklärt die Zusammenhänge zwischen Astronomie und Geodäsie; er zeigt, welche Akteure die Kartographie des Reiches vorantrieben und mit ihren spezifischen Interessen beeinflussten. Wenig überraschend spielte das Militär eine zentrale Rolle, aber wie stark sich der Primat des Militärischen auf den Verlauf der kartographischen Erschließung auswirkte – und letztlich eine umfassende Vermessung des Reiches verhinderte, weil immer wieder die potenziellen Kriegsgebiete an den Rändern des Reiches Vorrang vor dem Landesinneren hatten, ist eine der zentralen Erkenntnisse des Buches. Der zweite Teil ist mehreren Kartenwerken gewidmet, die jeweils systematisch nach einem gemeinsamen Frageraster untersucht werden. Dabei geht es um die Entstehungskontexte und Quellengrundlagen der Kartenwerke, eine genaue Beschreibung derselben einschließlich einer Analyse des Kartenbildes und der sich darin spiegelnden Interessen, aber auch um die praktische Bedeutung der Karten für die Herrschaft sowie in den Kriegen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Zentrale Aussagen begegnen im Laufe der Lektüre mehrfach in Variationen. Das ist zum einen der beschriebenen Gliederung geschuldet, die bestimmten Redundanzen zwischen den beiden Hauptteilen Vorschub leistet. Zum anderen sind es aber faktische Wiederholungsstrukturen, die im Laufe der Entwicklung immer wieder wirksam wurden: der Transfer von Know-how aus dem westlichen Ausland, insbesondere aus Frankreich, nach Russland, selbst in Zeiten von Kriegen; die Konkurrenz zwischen allgemein-geographischen und militär-geographischen Interessen; die daraus und aus den Dimensionen des Imperiums resultierenden praktischen Schwierigkeiten, eine den westeuropäischen Vorbildern entsprechende komplette Landesaufnahme zu realisieren; die typischerweise im Gefolge von Kriegen von den Herrschenden als dringlich empfundene Notwendigkeit, über die Geographie des Reiches einschließlich seiner Ressourcen, Besiedlung und Verkehrswege besser Bescheid zu wissen, um effizienter regieren zu können. Daneben spielt mehrmals auch die multiethnische Dimension des Imperiums eine Rolle. Am Beispiel Polens zeigt der Verfasser, wie sich die fortschreitende Eingliederung in das Reich, insbesondere nach dem Aufstand von 1863, in der Kartographie niederschlug, am Beispiel der „Specialcharte von Livland“ wird die Sonderstellung der Ostseeprovinzen im Kartenbild greifbar. Die aufschließende Kraft von Kartenbildern ist in einem geschichtswissenschaftlichen Werk selten so überzeugend bewusst gemacht worden.

Der Verfasser hat mit diesem Buch auf einer breiten Materialgrundlage und mit großer Sachkenntnis einen gewichtigen Beitrag zur Raumgeschichte Russlands geliefert, der faszinierende Einblicke in die Welt der Landkarten und deren Bedeutung für die Beherrschung des Reiches gibt.

Online erschienen: 2025-02-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1027

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