Home Dort schafft man die Kronjuwelen fort ... Objekt-Perspektiven auf die 1848er Revolution
Article Open Access

Dort schafft man die Kronjuwelen fort ... Objekt-Perspektiven auf die 1848er Revolution

  • Anna Georgiev EMAIL logo
Published/Copyright: February 1, 2025
Become an author with De Gruyter Brill

Zusammenfassung

Dass die Einbeziehung von materiellen Gesichtspunkten in die Analyse von historischen Ereignissen neue Aspekte in der Betrachtung derselben aufdecken kann, wird in dem vorliegenden Aufsatz anhand der Sicherung der Wertbestände am preußischen Hof während der Revolution 1848/49 aufgezeigt. Grundlegend ist diesbezüglich zwischen dem Staatsschatz sowie den Vermögen der Krone bzw. des königlichen Hauses zu unterscheiden. Anhand vielfältiger Stellungnahmen aus dem Umkreis des Hofes lassen sich Einzelheiten der Verbringung dieser Vermögen aus Berlin unter höchster Geheimhaltung rekonstruieren. Der damalige Prinz von Preußen – Bruder Friedrich Wilhelms IV. und späterer Kaiser und König Wilhelm I. – sah sich im Zuge der Zuspitzung des revolutionären Verlaufs genötigt, nach England zu reisen. Die Überführung auch der Kronjuwelen folgte. Im Zuge der Stabilisierung der politischen Lage kehrten diese vermutlich im Folgejahr nach Preußen zurück. Die letztwillige Verordnung Friedrich Wilhelms IV. vom April 1849 bald nach der Kaiserdeputation gibt weiterführende Hinweise auf die angespannte Gemütslage am Hof. Insgesamt lassen sich durch den verstärkten Fokus auf Objekte in der Darstellung nicht nur vertiefte Einblicke in die Abwägung von Handlungsoptionen durch das Königshaus in Reaktion auf die Entwicklung der Revolution geben, sondern auch aufzeigen, dass konkrete Belege für den später vorgebrachten Vorwurf der Veruntreuung zu dieser Zeit fehlen.

Abstract

The inclusion of material objects in the analysis of historical events can reveal new aspects in the understanding of these processes, as this essay demonstrates by examining the safeguarding of valuables at the Prussian court during the 1848/49 revolution. To gain a deeper understanding of the court’s reaction, a fundamental distinction must be made between the state treasury and the assets of the crown or the royal house. Based on various statements made by those close to court, it is possible to reconstruct the safeguarding of these treasures from Berlin. This transfer took place in the utmost secrecy. As the revolutionary process intensified, the Prince of Prussia – brother of Frederick William IV and later Emperor and King William I – was forced to travel to England. The transfer of the Crown Jewels followed. As soon as the political situation stabilised, the Crown Jewels were returned to Prussia – probably the following year. Frederick William IV’s will, written in April 1849 shortly after the arrival of the so-called Imperial Deputation, provides further evidence of the tense atmosphere at court. In conclusion, the increased focus on objects in the depiction of the 1848/49 revolution not only provides further insights into how the royal family weighed up their options in response to the development of the uprising, but also shows that there is a lack of evidence to support the accusation of embezzlement that was later made.

In seinem Buch der „Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt“ griff der Historiker Christopher Clark die 1831 publizierte Geschichte eines fiktiven Pariser Pflastersteins auf, die als Kritik an den Ergebnissen der Julirevolution zu deuten war. Nachdem der Stein auf den Barrikaden zum Einsatz gekommen war, sollte seine Geschichte ein symbolisches Ende vor dem Tuilerien-Palast im Dienst des neuen Königs finden. Die intendierte, symbolische Tragik unterstrich die historische Stellungnahme deutlich: „Et celui qui protégeait le peuple contre un roi, protégera un roi contre le peuple. Pauvre pavé!“[1] Auch wenn es sich in diesem Fall nur um einen imaginären Stein handelte, war der Reiz einer solchen Erzählung greifbar, umfasste sie doch die politischen Geschehnisse aus der Perspektive eines scheinbar „radikal unbeteiligten Augenzeugens“.[2]

Inwieweit in der Entwicklung von sozialen Prozessen Dinge zwar selbst nicht intentional in das Geschehen eingreifen können, durchaus aber in der Analyse als eigenständiger Bestandteil zu erfassen sind, lässt sich ausführlicher mit dem Soziologen Bruno Latour aufzeigen. Dieser verstand in seiner Akteur-Netzwerk-Theorie das Soziale als Geflecht, welches gesellschaftliche Mikro- und Makroebene schlüssig ineinandergreifen lässt. Zentral an Latours Konzept ist der Gedanke, dass in der Netzwerkanalyse auch die Betrachtung von Dingen zu berücksichtigen ist, wobei diese in einzelnen Momenten so handlungsleitend wirken, dass sie im Grunde selbst gewissermaßen als Akteure gelten können.[3] Auch wenn eine solche Personifizierung der Dinge den „Common Sense“ übersteigt[4], so bietet die Einbindung materieller Aspekte in die Geschichtsschreibung das Potenzial, sich historischen Prozessen aus neuer Perspektive anzunähern. Latours Gedanken regten hier dazu an, den Ablauf der 1848er Revolution in Preußen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, um zu prüfen, inwieweit dies zu einem vertieften Verständnis der revolutionären Dynamik beitragen kann. Konkret wird dabei der Verlauf der Revolution aus der Sicht des preußischen Königshauses untersucht und in diesem Kontext insbesondere der Umgang mit den Wertbeständen am Hof berücksichtigt.

Wenn in der folgenden Auseinandersetzung ein insbesondere preußischer Blickpunkt gewählt wird, treten dabei gleichwohl auch europäische Dimensionen hervor. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass der Umgang mit den preußischen Kronjuwelen und anderen Wertbeständen während der Märzrevolution eng mit derjenigen eines weiteren „Monarchen im Exil“[5] verbunden war: Der damalige Prinz von Preußen – der spätere Kaiser und König Wilhelm I. – reiste im März 1848 vornehmlich aus Sicherheitsgründen nach London. Die Umstände dieser Reise sind bereits umfangreich dargelegt.[6] Auch die Entwicklung der Revolution und ihre Folgen in Berlin, Preußen und Europa sind entsprechend ihrer politischen Bedeutung vielfach Forschungsgegenstand gewesen.[7] Der Umgang mit den Vermögensbeständen am Hof im Zuge der Revolution ist dennoch bis dato nur unzureichend bekannt.[8] So erwähnt zwar die ansonsten profunde Studie Eva Gilois zu „Monarchy, Myth, and Material Culture in Germany“ den Aufenthalt des Prinzen von Preußen in England, führte die mit der Reise in Zusammenhang stehende Überführung der Juwelen allerdings nicht weiter aus.[9] Bis in die Gegenwart bestehen so Mythen und Anekdoten über die Auslagerung der Vermögenswerte 1848 fort, so dass auch von daher diese Thematik aufzugreifen ist.

Dass eine Analyse der Revolution 1848/49 mit besonderem Fokus auf den Umgang mit den preußischen Vermögen bisher nicht stattgefunden hat, ist zudem erstaunlich, weil die Quellenlage – trotz einiger Lücken – reichhaltig ist: Auf Grundlage der DDR-Forschung lassen sich relevante Aktenbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, nunmehr mit neuer Signatur, in den Akten des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe sowie im Familienarchiv von Massow identifizieren.[10] Die Auswertung bereits publizierter Quellen ermöglicht außerdem einen weiterführenden Einblick in die Handhabe der Vermögensbestände am preußischen Hof 1848, anhand derer ebenfalls ersichtlich wird, welche Komponenten der Ereignisse als relativ gesichert und welche Angaben als unzutreffend einzuordnen sind. Zu diesen weiterführenden Quellen zählen neben den veröffentlichten Darlegungen des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz[11] vor allem die publizierten Tagebücher aus der Kronprinzenzeit des späteren Friedrich III.[12], die Aufzeichnungen des Majors August Gabriel Friedrich Oelrichs[13], die Erinnerungen des Registrators Robert Dohme[14], die Tagebücher des Publizisten Karl August Varnhagen von Ense[15] oder die ebenfalls im Druck erschienenen Angaben der Angestellten der zukünftigen Kaiserin Augusta[16]. Das der Darstellung zugrunde liegende Modell des Netzwerks trug ferner dazu bei, personelle Verflechtungen zu ergründen und somit in diesem Zusammenhang auch weniger bekannte Stellungnahmen ausfindig zu machen, wie beispielsweise den Bericht der Tochter des im Ministerium des Innern tätigen Julius von Schleinitz.[17]

Bei der Auswertung der Archivalien ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Verwendung von verschiedenen Vermögensbezeichnungen im Königshaus selbst zum Teil schwankte, sondern auch, dass diese Begrifflichkeiten mitunter in den Berichten der Beteiligten keine trennscharfe Verwendung fanden. Gleichwohl war die Finanzierung des preußischen Staates relativ klar geregelt und Aufgabe der obersten Staatsbehörden. In den Bereich des Ministeriums der Finanzen fiel unter anderem die Generalstaatskasse.[18] Dort wurden die Einnahmen und Ausgaben der staatlichen Einrichtungen betreut und so auch die Krondotation an die Kronfideikommiskasse des Ministeriums des Königlichen Hauses überwiesen.[19] Dieses Ministerium des Königlichen Hauses war auch für den Krontresor verantwortlich[20], den Friedrich Wilhelm III. einst etabliert hatte. Der Krontresor war zunächst ein Aufbewahrungsort für Gelder, die als Reserve für den Fall dienen sollten, dass „irgendein bedeutender Unglücksfall für das Königl. Hauß Eigenthum eintreten sollte“.[21] Auch „Privat Juwelen und andere Kostbarkeiten“ wurden dort gelagert.[22] Unabhängig von einem Ministerium bestand zu dieser Zeit zudem das Department des Staatsschatzes und Münzwesens, das den Staatschatz als Ersparnis des Staates betreute.[23] Erkennbar wird somit, dass auch unter Friedrich Wilhelm IV. eine Trennung zwischen dem Staatsschatz und den Vermögen der Krone bzw. des Königs und seiner Familie erfolgte.[24] Dass im Zuge der 1848er Revolution diese Gütertrennung missachtet wurde und eine unrechtmäßige Bereicherung durch den König stattgefunden hatte, legte ein Vorwurf nahe, den die Zeitschrift „Der Sozialdemokrat“ rückblickend erhob. Sie widmete sich 1881 in einer Glosse dem Gebot „Du sollst nicht stehlen!“ und verbreitete das Gerücht, dass im Zuge der Revolution Gelder aus dem preußischen Staatsschatz in der Bank von England angelegt und nie rücküberführt worden wären.[25] Inwieweit jedoch entsprach eine solche Darstellung den Tatsachen und wie erfolgte der Umgang mit den preußischen Vermögensbeständen im Zuge der Revolution?

I. Sicherung der Vermögen im Berliner Schloss

Bald nachdem im Februar 1848 die zweite Französische Republik ausgerufen worden war, sollte auch das preußische Königshaus mit massiven politischen Forderungen konfrontiert werden, die in Berlin auf Demonstrationen lauthals vorgetragen wurden. Einerseits wurde dabei für eine weiterreichende deutsche Einigung, liberale Bürgerrechte und eine Verfassung gekämpft, andererseits aber ging es – wenn auch weniger zentral – um die Verteilung von Vermögen. Teile der Bewegung waren zudem durch den Geist geprägt, den Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem Manifest der Kommunistischen Partei im Februar 1848 beschrieben hatten. Die darin angestrebte Herrschaft des Proletariats sollte der Bourgeoisie ihr Kapital „entreißen“, was nur mit Hilfe „despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht“ erfolgen könne. Zusammen mit der Bourgeoisie war indes zunächst „in Deutschland […] gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei“ zu kämpfen.[26] Gerade Marx propagierte die Hohenzollern als Feindbild: „Wer kennt nicht die Treubrüche, die Perfidien, die Erbschleichereien, durch die jene Familie von Korporälen groß geworden ist, die den Namen Hohenzollern trägt?“ Er sah als ihren Gegenspieler das Volk, das „wutknirschend auf den Moment der Erhebung wartet“.[27] Trotz zunächst geringer Verbreitung des Manifests[28], trugen die Ereignisse 1848/49 teilweise auch Zeichen des Klassenkampfes. Zu den Märzforderungen gehörte so die „Gleiche politische Berechtigung Aller, ohne Rücksicht auf religiöses Bekenntniß und Besitz“.[29] Ein Kommentar der Berliner Zeitungshalle unterstrich in diesem Sinne: „Nicht zwischen dem Königtum und der Republik ist Krieg, sondern zwischen den Besitzenden und mit ihrer Arbeitskraft zum Besitz Drängenden.“[30] Forderungen nach Umverteilung wurden auch in einem Bericht aus Berlin Mitte März 1848 ersichtlich, der die revolutionären Parolen dieser Tage wiedergab: „Woher kommt unsere Noth?“, „die Reichen [...] verprassen, was wir in unserem Schweiß erarbeiten“, „Der Hunger thut weh!“, „Für die Soldaten habt Ihr Geld, für uns [...] habt ihr nichts“ oder auch: „Im Schloßkeller liegt der Schatz für den Krieg, der muß herauß und Arbeit damit geschafft werden.“[31]

Angesichts der anhaltenden Demonstrationen hatte der König schon am Vormittag des 18. März 1848 seine bisherigen Minister entlassen und Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg den Vorsitz im preußischen Staatsministerium zugetragen.[32] Als Reaktion auf die Märzforderungen[33] gab Friedrich Wilhelm IV. zudem die beschleunigte Einberufung des Vereinigten Landtages per Flugblatt bekannt[34]. Der König setze sich jetzt ferner dafür ein, den Deutschen Bund als Staatenbund in einen Bundesstaat zu verwandeln und sprach sich unter anderem für eine deutsche Bundesflagge aus.[35] Hier schon zeigte sich, dass der König schrittweise auf die Demonstranten zuging. Auf einer Massendemonstration am Schlossplatz kündigte Friedrich Wilhelm IV. den Wandel sogar persönlich auf dem Schlossbalkon mit an: Dort ließ er unter anderem die neue Pressefreiheit bekanntgeben, befürwortete eine Verfassung und ließ verkünden, dass es sein Wunsch sei, dass Preußen sich „an die Spitze der Bewegung stelle“. Somit kam er den Märzforderungen umfassend entgegen. Doch schließlich fielen – womöglich versehentlich – zwei Schüsse, und Entsetzen, aber auch Wut breiteten sich angesichts des vermeintlichen Verrats aus. Am späten Nachmittag des 18. März war der Straßenkampf in vollem Gange. Gefangene wurden genommen, zahlreiche Demonstranten getötet.[36]

Am Abend des 18. März kam es zu einer persönlichen Unterredung zwischen Friedrich Wilhelm IV. und General Karl von Prittwitz, der erst im Laufe desselben Tages das Kommando über die Truppen übernommen hatte.[37] Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Sicherung der Wertbestände in die Planungen einbezogen werden musste. Von sich selbst in dritter Person sprechend, fasste von Prittwitz die Lage rückblickend zusammen:

„Der General war sich sehr wohl bewußt, daß in dem angenommenen Falle die Vorräte des Zeughauses, der Schatz im Schlosse, die Bank, die Seehandlung etc. gefährdet werden könnten. Er fühlte daher gar keine Eile, die Stadt zu verlassen.“[38]

Ob von Prittwitz in diesem Fall die Lage gefährlicher erscheinen ließ, als sie tatsächlich war, wurde später intensiv von Historikern diskutiert.[39] In jedem Fall sollte es zu einer Sicherung des Staatschatzes kommen. Verantwortlich für diesen war der Geheime Staatskabinetts- und Schatzminister Ludwig Gustav von Thile.[40] Er hatte am 18. März das Patent zur Einberufung des Vereinigten Landtages mitunterzeichnet. Seine entschiedene Haltung in diesen Tagen wurde später lobend hervorgehoben.[41] Er sprach sich dafür aus, den König aus Berlin fortzubringen. Die Generäle sollten eigenverantwortlich für Ordnung in der Stadt sorgen.[42] Bereits im Laufe des Tages verbreiteten sich Gerüchte über von Thiles Entlassung.[43] Die Rettung des Schatzes sollte eine seiner letzten Amtshandlungen sein.

Der König verblieb zunächst in Berlin. Statt die Lage weiter eskalieren zu lassen, verfasste er in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1848 die Erklärung „An meine lieben Berliner“. Er verkündete, dass der erste Schuss auf der Demonstration sich von selbst gelöst hatte und der spätere Gebrauch der Waffe sich aus der Zwangssituation heraus erkläre. Er forderte zum Frieden und Entfernen der Barrikaden auf. Im Gegenzug würde er das Militär von Straßen und Plätzen abziehen und die militärische Besetzung nur auf das Notwendigste – so das Schloss oder das Zeughaus – beschränken.[44]

Da sich das Vermögen der Familie und auch des Staates im Berliner Schloss konzentrierte, sich dort auch die Mitglieder der Familie aufhielten, gingen alle Sicherungsmaßnahmen entsprechend vom Schloss aus. Ein Rückzugsort fand sich neben Potsdam zunächst in der Spandauer Zitadelle. In die dortigen Kasematten wurden noch am frühen Morgen des 19. März die Gefangenen vom Vortag und der Nacht geleitet. Über die Ereignisse dieser Stunden ist ausführlich berichtet worden. Die über 500 Internierten wurden jedoch bereits am späten Nachmittag desselben Tages freigelassen. Sie wurden angewiesen, sich in Zukunft friedlich zu verhalten und mussten über den Umweg Moabit nach Berlin zurückkehren.[45]

Im Palais des Prinzen von Preußen waren derweil der sechzehnjährige Neffe des Königs und seine Schwester früh aufgestanden. Aus den Tagebüchern Prinz Friedrich Wilhelms, also des späteren Kaisers Friedrich III., erfährt man, wie er einige Erinnerungsstücke zusammenpackte, bevor er ins Schloss aufbrach:

„Vorher noch hatte ich einige meiner liebsten Bücher und Papiere zusammengestellt, damit sie im Notfall gleich fortgeschafft werden könnten; eine kleine Magnetnadel, ein kleines Büchschen mit Balsam und einen alten Ring aus Babelsberg nahm ich von meinem Pult sowie meine Brieftasche zu mir, indem ich dachte, kehrst du nicht wieder, hast du doch einige kleine Andenken bei dir.“[46]

Auch im Schloss wurde an die Sicherung der Werte gedacht. Zwar war nicht mehr von einem intensiven Kampf die Rede, doch wurde überlegt, ob der König an der Spitze der Truppen ausmarschieren sollte. Auch „von der Rettung des im Königlichen Schloße befindlichen Staatsschatzes“ wurde gesprochen.[47] Sollten nun aber auch der König und die Königin das Schloss verlassen? Wer sollte das Schloss mit seinen Kunstschätzen schützen? Oelrichs zumindest erschienen diese Fragen zweitrangig, „als ob die Erhaltung des Schlosses ein Gegenstand sei, der im Vergleich zum Staate in Betracht kommen könnte!“[48]

Auf dem Schlossplatz spitzte sich die Situation im Laufe des Tages erneut zu. Ein Menschenzug trug 30 Leichen auf Bahren dorthin. Die Wunden waren bloßgelegt. Die Menge tobte, der König trat auf den Balkon. Der Anblick soll laut den Tagebüchern des Prinzen Friedrich Wilhelm grässlich gewesen sein. Eine Schockstarre war dennoch nicht angebracht. In den Kabinetten des Königs und der Königin wurden eilig noch vorhandene Papiere und Kostbarkeiten zusammengesucht. Auch der Prinz von Preußen und seine Frau Augusta erteilten Befehle, um die entscheidenden Dinge aus ihrem Palais zu schaffen. Günstige Gelegenheiten mussten hierfür beim Schopf gepackt werden. Sein Neffe vermutete, dass der König erneut auf der inneren Schlosshofgalerie und später der Terrasse erschien, um mit einer Deputation über eine Bürgerbewaffnung zu diskutieren. Obwohl er nicht ans Fenster treten durfte, wo immer noch die Leichen aufgebahrt lagen, konnte Prinz Friedrich Wilhelm auf dem Hof sämtliche Equipagen erkennen. Er nahm an, dass die Kutscher wohl gleich ihre Hüte vor den Leichen ziehen mussten und schilderte ferner mit Datumsangabe 19. März:

„Zugleich sah man auf der Galerie die Lakaien eilig die Silberkammer fortschaffen, welche sonderbarerweise in demselben Augenblick nach Potsdam gerettet wurde. Es wurden hierzu nämlich alle Furagewagen, die den Truppen Proviant gebracht hatten, genommen, mit Heu bedecket und darunter die Gerätschaften verborgen; auch nicht ein Wagen wurde von dem Pöbel angehalten oder belästigt, und so kam alles Silber aus dem Schoß nach Potsdam, sowie eine Menge wertvoller Papiere und anderes.“[49]

Ob an diesem Tag das Gut vollständig nach Potsdam überführt wurde, ist angesichts weiterer Schilderungen fraglich. Ein 1909 in der Deutschen Revue publizierter Bericht gibt Genaueres über die Verlagerung preis, verweist dabei aber einzig auf Angaben aus „unveröffentlichten Hamburger Quellen“.[50] Es könnte sich um die Darstellung des Gesandten Preußens in Hamburg Ludwig von Hänlein handeln.[51] Der Bericht steht zudem in Bezug zu den in den 1860ern veröffentlichten Tagebüchern des Publizisten Karl August Varnhagen von Ense und ist teilweise auch in der Wortwahl vergleichbar.[52] Varnhagen von Ense erhielt seine Information ebenfalls durch von Hänlein, der ihm gegenüber mit seiner Unterstützung der Sicherungsaktion der Wertbestände geprahlt hatte.[53] Eine weitere Quelle Varnhagen von Enses war vermutlich Karl von Vincke (auch genannt Vincke-Olbendorf), der bei der Fortschaffung zumindest der privaten Güter aus Berlin persönlich beteiligt war und der mit dem Prinzen von Preußen zu dieser Zeit im Austausch stand, dementsprechend auch über Einzelheiten Bescheid wusste.[54] Die Darstellungen in der Deutschen Revue und in den Tagebüchern Varnhagen von Enses weisen minimale Diskrepanzen auf, scheinen aber ansonsten über die Angelegenheit unterrichtet gewesen zu sein. Danach soll der persönliche Adjutant des Prinzen von Preußen, Hauptmann (Franz) von Bergh[55], geschildert haben, dass er am 19. März 1848 seinen Bart abrasierte, sich als Frau verkleidete und beim Schloss kurz vor der „Leichenbeschauung“ eintraf[56]. Dort meldete er sich als Amme der Gräfin Adelaide von Hacke, der Hofdame Augustas.[57] Die Königin ließ ihn kommen. Die weiteren Ereignisse sollen sich – aus der nacherzählten Perspektive von Berghs – wie folgt zugetragen haben:

„[E]s wurde beschlossen, die Krondiamanten und einen Teil des Schatzes zu retten, erst sollte er ganz fortgeschafft werden, aber es fehlte an den Wagen, die mit vier Pferden bespannt sein mußten, und so wurde dies aufgegeben. Ich wurde mit der Kammerdienerfrau Chause [Clauce] und dem Kammerdiener Lange bestimmt, die Sachen zu begleiten, welche die Treppe nach dem Wasser heruntergebracht und auf Schiffe geladen wurden, mit denen wir nach Spandau fuhren. In Spandau konnten wir nicht bleiben, weil nur für einen Tag Munition vorrätig war, ich mußte daher Order von Potsdam haben, wo ich noch den Schmuck der Prinzessin Karl [Schwägerin des Königs, Gemahlin Prinz Karl von Preußens][58] und das Silber des Prinzen von Preußen nach Hamburg erhielt.“[59]

Diese Darlegung scheint sich – trotz einer Abweichung in der Datierung – mit dem Bericht des Obersts und Adjutanten beim Gouverneur von Berlin Graf Eduard von Waldersee zu decken. Er berichtete, dass er im Schloss eintraf, als sich die Flügeladjutanten bereits die Bärte abrasiert hatten. Auf dem Schlosshof wurden zu dieser Zeit Wagen mit Silber und anderen Wertgegenständen bepackt.[60] Der Registrator im Königlichen Hof-Marschall-Amt und der Intendantur der Königlichen Schlösser Robert Dohme sprach in seinen Memoiren zudem davon, dass der älteste Kammerdiener Königin Elisabeths mit Namen Lange am 19. März nach Spandau zur Zitadelle geschickt wurde, um dorthin einen Koffer mit Akten und Familiendokumenten zu überführen. Er sollte dort auf weiteren Befehl warten.[61] Dass eine Verlagerung der Kostbarkeiten auch mit Booten stattfand, ist zumindest denkbar. Ein damaliger Student berichtete diesbezüglich, allerdings datiert auf Mai 1848, er habe das Gerücht gehört, dass nachts auf obersten Befehl das Zeughaus ausgeräumt und „Gewehrladungen auf Spreekähnen nach Spandau“ verschifft werden sollten. In der Tat entdeckten er und seine Mitstreiter auf einem Kahn unter Brennholz verborgenes Gut.[62]

Auch wenn nun einige Wertgegenstände evakuiert worden waren, so blieb die Sicherheit des königlichen Hofes im Schloss weiterhin gefährdet. Der Befehl zur Einrichtung einer Bürgerwache war noch am selben Tag ergangen. Am späteren Nachmittag sollte sie im Schloss eintreffen. Prinz Friedrich Wilhelm und seine Schwester kamen kurzzeitig bei Oelrichs unter und fuhren am frühen Abend weiter ins sichere Potsdam.[63] Später wurden neue Gerüchte in der Stadt bekannt: Männer der Bürgerwehr hätten gesehen, wie Fässer mit Geld auf einem Wagen aus dem Schloss geleitet wurden.[64] Auch hatte sich die Nachricht verbreitet, dass der Prinz von Preußen auf die Demonstranten schießen lassen wollte, so dass seine Auslieferung vehement eingefordert wurde. Der Thronfolger galt entsprechend als besonders gefährdet. Am Abend des Tages wurden er und seine Frau Augusta durch einen Seiteneingang aus dem Schloss geführt. Er flüchtete zunächst zu dem im Ministerium des Innern tätigen Julius von Schleinitz, wohnhaft nahe Potsdam, und sodann nach Spandau.[65] Oelrichs, der den Prinzen von Preußen noch bis London begleiten sollte, berichtete über die dortige Situation:

„Der Prinz fuhr allein nach Spandau wo er […] gleich zum Oberst von Döring, Kommandeur des Garde-Reservebataillons, schickte, um durch diesen in die Zitadelle zu kommen, die für alle Zivilisten unzugänglich war, weil der Staatsschatz unter Aufsicht des Ministers von Thiele [sic!], bewacht durch zwei Bataillone des Alexander-Grenadierregiments, auf dem Hof der Zitadelle unter freiem Himmel aufgestapelt lag.“[66]

In der Tat sollen die Grenadier-Bataillone des Regiments am 19. März 1848 nach Französisch Buchholz und am Tag darauf nach Spandau marschiert sein.[67] Nicht nur der Prinz von Preußen und die wertvollen Papiere, sondern auch der Staatsschatz waren also nach Spandau gelangt. Der General-Adjutant des Königs Friedrich Wilhelm von Rauch berichtete, dass schon am Abend des 21. März die ehemaligen Minister nicht mehr im Schloss erschienen mit Ausnahme von Thile, der „noch vielfach mit dem Ordnen und dem Abschluß seiner Geschäfte“ zu Gange war.[68] Von Thile hatte also seinen Posten wie vereinbart geräumt.

In Berlin befanden sich noch weitere Wertsachen. Dies legt auch ein Kommentar des ehemaligen Ministers des Innern Ernst von Bodelschwingh nahe, von dem von Prittwitz berichtete. Von Bodelschwingh hatte seinen Ministerposten ebenfalls am 19. März niedergelegt[69], sich mit seiner Familie am Tag darauf nach Potsdam zurückgezogen und war dort in der Dienstwohnung des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg von Meding untergekommen. Am 21. März wurde dort wohl auch bekannt und diskutiert, dass der Staatsschatz durch von Thile aus Berlin verbracht worden war.[70] Fast spöttisch legte von Prittwitz nun dar, wie von Bodelschwingh ihm in Potsdam den Vorschlag unterbreitete, mit entleerten Protzen, also den Wagen zum Transport von Geschützen, und einer Kavallerieeinheit nach Berlin zu gehen. Sein Plan war, „das Gold aus dem königl. Schatze [zu] holen und schnell wieder zurück[zu]kehren“. Für von Prittwitz war dies schlicht ein Abenteuer.[71]

Tatsächlich war aber noch eine Überführung nötig und sollte am 20. März durchgeführt werden. Immer noch fanden Versammlungen in der Stadt statt. Das Palais des Prinzen von Preußen war zwar nicht geplündert und zerstört, aber als „National-Eigenthum“ deklariert und so auch in großen Lettern beschriftet worden. Derweil wurde bekannt, dass Ludwik Mierosławski und andere polnische Gefangene amnestiert wurden. Sie hatten für einen polnischen Staat gekämpft und waren im Rahmen des Polenprozesses 1847 verurteilt worden. Zur Feier der Freilassung bewegte sich ein Menschenzug durch die Stadt, den der König von seinem Balkon am Schloss öffentlich grüßte.[72] Auch diese Gelegenheit sollte genutzt werden, wie der ehemalige Hilfsbote des Polizeipräsidenten Julius Wagner rückblickend berichtete. Als er rund zehn Jahre darauf wegen Unzuverlässigkeit entlassen worden war, schilderte Wagner die Begebenheit als Beweis für seine Ehrhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Er führte zu seiner Verteidigung an, dass ihm am 20. März der Auftrag erteilt worden war,

„vier Kisten nach dem Potsdamer Eisenbahnhof zu schaffen. Es war der Augenblick, in welchem die aus dem Zellengefängnis befreiten Polen mit Mieroslawski an der Spitze, umgeben vom tobenden Volke, sich vor dem Schloß befanden. […] Denn welches Unglück wäre geschehen, wenn dem rasenden Volke bekannt wurde: dort schafft man die Kronjuwelen, hier das Privatvermögen Seiner Majestät des Königs fort, und somit das Zeichen gegeben wurde, daß Seine Majestät sich zur Flucht vorbereiteten. Ich kam glücklich durch die tobende Menge nach dem Potsdamer Bahnhof, wo der bereits verstorbene Rechnungsrat Matton die Kisten in Empfang nahm.“[73]

Der Rechnungsrat Ludwig Matton war nicht nur im Ministerium des Königliches Hauses als Buchhalter für die Kron-Fideikommiss-Casse tätig, sondern war zugleich auch im Ministerium der Finanzen als Buchhalter für die General-Staats-Casse eingesetzt.[74] Ein umfassendes Verzeichnis über die am 20. März nach Potsdam überführten Schmucksachen der Königin haben die Kammerfrau der Königin Therese Clauce und die Garderobenfrau der Königin Caroline Conrad unterzeichnet. 89 verschiedene Objekte, darunter Armbänder, Broschen, Ohrringe, waren dort angeführt. Gelistet wurden zudem einige Stücke aus dem Eigentum Seiner Majestät des Königs und aus dem Königlichen Tresor. Zu Letzterem gehörten auch ein Etui, in dem unter anderem enthalten waren: ein Paar Ohrringe und ein „einzelner ganz großer Brillant“. Das Verzeichnis wurde an den wirklich Geheimen Rath von Massow gesandt, der im Ministerium des Königlichen Hauses für die Hof-Kammer-Angelegenheiten zuständig war. Clauce und Conrad baten darum, dass die entsprechenden Kästen nur in ihrer Gegenwart geöffnet werden.[75] Durch von Massow ist bekannt, dass folgend ein Teil der „Kr. Juw. mit den Beständen des Kr. Fid. Comm. Schatzes in Potsdam“ lagerte. Wie auch der Prinz von Preußen gelangten weitere Vermögensbestände alsbald nach London.[76]

II. Überführung der Bestände nach London

In der Zwischenzeit hatte sich die Meldung in Berlin verbreitet, dass sich der Prinz von Preußen in der Zitadelle versteckt hielt. Er konnte dort nicht bleiben. In der Nacht vom 20. auf den 21. März 1848 fuhr er zunächst unbemerkt auf die Pfaueninsel.[77] Nach dem Abzug einiger Truppenteile von Berlin nach Potsdam[78] ging General von Prittwitz weiter von der Annahme aus, dass „die Insel Potsdam [und] die Verbindung mit Spandau, derjenige Punkt sei, der eventuell dem Könige und der Regierung den größten Schutz gewähren“.[79] Doch wie sicher war der Staatschatz in Spandau? Augenscheinlich war dort nicht genügend Munition vorhanden, so dass eine weitere Verlagerung anstand.[80] Auch das Alexander-Grenadierregiment bezog nun Kantonnement bei Potsdam.[81]

Noch weilte der König in Berlin.[82] Am 21. März kündigte er an, dass er zu Pferde unter den Demonstranten erscheinen werde. Er ritt ab 11 Uhr durch die Stadt, um den Arm ein breites Band mit den deutschen Farben. Nach Zeitungsberichten erklärte der König dabei, dass er sich zur Rettung der deutschen Freiheit und Einheit berufen fühle. Dieser Ritt als Zeichen des Einlenkens des Königs diente sicherlich auch zur Spaltung der Demonstranten.[83] Der König selbst unterschied grob zwischen Bürgern und Gesindel.[84] Von der Öffentlichkeit derweil unbemerkt und unter konspirativen Umständen übermittelte nun der Registrator im Königlichen Hof-Marschall-Amt Dohme persönlich dem immer noch in der Zitadelle weilenden Lange die Nachricht, er solle sich mit den von ihm betreuten Gütern an die Preußische Gesandtschaft in London wenden. Laut Dohmes Kenntnis, sollen davon allerdings „keine Pretiosen“, sondern einzig Familiendokumente, Papiere, Andenken usw. betroffen gewesen sein. Dohme gab Lange entsprechend weitere Anweisungen für die Reise und auch seine Legitimationspapiere, die Dohme in einem Proviantkorb versteckt hatte.[85] Eine Überführung zumindest dieser Gegenstände und Papiere nach London war nun besiegelt.

Weitere „Secreta der Jahre 1848, 1849“ finden sich in den Akten des Wirklichen Geheimen Oberregierungsrats und Direktor der Archive Georg Wilhelm von Raumer wieder. Dieser war im Ministerium des Königlichen Hauses für die dortige erste Abteilung verantwortlich, die unter anderem den Krontresor betreute. In den Unterlagen von Raumers ist eine Aufstellung des Rechnungsrates Geiling überliefert, der als Kontrolleur für den Krontresor Verantwortung übernahm. Er zeigt auf, welche weiteren Vermögen am 21. März nach Potsdam gelangten. Es handelte sich dabei um einen Wert von rund 4,7 Millionen Talern, der neben barem Geld (74 000 Talern aus dem „Tresor“) unter anderem die Staatsschuldscheine (280 000 Taler) – als Nachweis der Leihgabe an den Staat[86] – oder die Allensteiner Kreis-Obligationen (Anleihen, 200 000 Taler) enthielt.[87] Möglicherweise war an der Verlagerung auch der Polizeipräsident von Minutoli beteiligt.[88]

Berlin stand derweil im Zeichen der Trauer. Der große Leichenzug mit den Gefallenen der letzten Tage fand am 22. März statt. Er hielt vor dem königlichen Schloss und Friedrich Wilhelm IV. zeigte sich auf seinem Balkon. Es dauerte drei Stunden, bis sich der Leichenzug im Friedrichshain versammelt hatte, wo die Beerdigung um 14 Uhr auf dem Friedhof der Märzgefallenen stattfand.[89] Sowohl der Prinz von Preußen als auch Teile der Kronjuwelen und weitere Juwelenbestände waren nun unterwegs in Richtung England, jedoch auf unterschiedlichen Wegen. Finanziert wurde das Unterfangen zunächst mit der Unterstützung des Dessauer Bankiers Moritz Cohn.[90] Oelrichs begleitete den Prinzen an seinem Geburtstag auf seiner Reise oder vielmehr Flucht nach London, damit dieser dort Königin Victoria über die Ereignisse in Berlin Bericht erstatten konnte. Er schilderte rückblickend ausführlich die Abenteuer und Umstände der Fahrt. Der Prinz von Preußen hatte Oelrichs gegen ein Uhr mitgeteilt, dass er nach England reisen werde. Oelrichs solle die Dienerschaft mit der Bagage nach Hamburg per Eisenbahn schicken und sich abends um acht Uhr mit ihm treffen. Oelrichs tat wie geheißen und beauftragte die Bediensteten im Hamburger Streit’s Hotel unterzukommen, wo er zu ihnen stoßen wollte.[91]

Die Hintergründe über die Verlagerung der Güter sind aus zweiter Hand bekannt. Sie sollen durch von Bergh und zwei Kammerfrauen der Königin, darunter Therese Clauce (und vermutlich Caroline Conrad), mit der Eisenbahn nach Hamburg gebracht worden sein. Sie erreichten die Stadt in der Nacht des 22. März. Kammerdiener Lange folgte am Mittag des nächsten Tages.[92] Insgesamt soll es sich um einen verlagerten Bestand von mehr als zwanzig Kisten, darin „die Kronjuwelen, andre [sic!] Kostbarkeiten und ein Theil des Schatzes“, gehandelt haben. In diesem Kontext wurde wohlgemerkt von einer Überführung des „Hausschatzes“ und nicht des Staatsschatzes berichtet[93], doch ist durchaus fraglich, ob überhaupt umfangreiche Geldbestände nach England gelangten. Über die verlagerten Güter legt erneut das Dokument aus den Akten von Massows mit dem Titel „März 1848“ Rechenschaft ab, in dem es ausschließlich heißt:

„Theil der Kr. Juw. und Juw. U. Schmuck aller Art I. M. d. K. in England bei der Gesandsch. dahin gebracht durch Hauptm. v. Bergh, Kammer. Lange, [...] Übrige Kr. Juw. mit den Beständen des Kr. Fid. Comm. Schatzes in Potsdam“.[94]

Eine Verbringung von Geldern nach England wurde in dem Kontext nicht erwähnt.

Am Tag nach seiner Ankunft suchte der Adjutant von Bergh den preußischen Gesandten in Hamburg von Hänlein auf. Dieser wollte die Kisten nicht in seine Wohnung bringen lassen, da er Aufsehen befürchtete und auch am Bahnhof konnten sie nicht bleiben. Von Hänleins Gattin allerdings war mit einem böhmischen Kaufmann bekannt, womöglich einem Glashändler mit Namen Scheinert, der die Kisten annahm und sie sodann nach England verschiffte, vermutlich noch am selben Abend um 23 Uhr.[95] Von Bergh begleitete die Sendung. Von Hänlein stellte ihm hierfür einen Kurierpass nach London aus und übergab ein Schreiben an den preußischen Gesandten Christian Karl Josias von Bunsen. Clauce kehrte nach Berlin zurück.[96] Von Bergh fuhr sodann per Schiff nach Kingston upon Hull an der nördlichen Ostküste Englands. Zwischen Hamburg und Hull war mit einer Fahrzeit von 40 bis 50 Stunden, also rund zwei Tagen, zu rechnen. Dort angekommen, ließ er die „Bagage und die Juwelen“ – also „die Kronjuwelen sowie den Privatschmuck der Königin und der Prinzessinnen“ – beim Zoll im Custom House zurück und begab sich nach London.[97]

Der Prinz von Preußen und Oelrichs waren in der Zwischenzeit verschiedentlich aufgehalten worden und hatten sich auf dem Weg sogar getrennt, um eine Preisgabe ihrer Identität zu vermeiden. Kurz vor Hamburg verließen beide den Zug und suchten eine Unterkunft auf.[98] Indes vermutete der preußische Generalkonsul in Hamburg William O’Swald[99], dass der Prinz von Preußen alsbald dort eintreffen würde. Versuche, diesen am Bahnhof abzupassen, schlugen fehl. Dort erfuhr er allerdings von der Bahndirektion, dass zwei Männer zuvor in Bergedorf den Zug verlassen hatten. Tatsächlich traf O’Swald dort am 24. März um zwei Uhr morgens auf die prominenten Reisenden und nahm den Prinzen von Preußen zu sich auf sein Grundstück, damit dieser am nächsten Tag mit dem Dampfer John Bull unter dem Schutz der englischen Flagge nach London fahren konnte. In Streit’s Hotel traf Oelrichs derweil wie verabredet auf das Personal des Prinzen von Preußen und seinen persönlichen Diener, die sich zur Abreise bereit halten sollten. Er selbst kam im Hamburger Hotel de l’Europe unter. Das Schiff fuhr wie geplant ab und der Prinz von Preußen erreichte am 27. März London. Er wurde von Bunsen im preußischen Gesandtschaftspalais untergebracht. Im Custom House in London war noch sein Eigentum abzuholen. Es war dort zwischengelagert und kleinlichst durchsucht worden. Im Laufe des Tages erreichte auch von Bergh unerwarteterweise die Stadt. Er schilderte dem Prinzen von Preußen die Problematik zum Verbleib des wertvollen Guts, wie Oelrichs festhielt:

„Die Frage, wo die Juwelen aufbewahren, machte große Sorge, denn wenn sie nach England eingeführt werden müssen, hätten sie versteuert werden müssen, was enormes Geld gekostet haben würde, und ebensowenig konnten sie ohne höheren Befehl so lange in dem Zollhause von Hull verbleiben.“[100]

Hilfreich war in der Folge die Unterstützung des britischen Außenministers Lord Palmerston[101], der ermöglichte, dass die Juwelen in Hull „unter Königs Verschluß“ bleiben konnten[102].

III. Letztwillige Verordnung vom April 1849

Stimmt es nun, wie Varnhagen von Ense schreibt, dass die Wertbestände bis März 1849 noch immer nicht auf das Festland zurückgekehrt waren?[103] Als wahrscheinlicher kann gelten, dass die Rückkehr des Guts mit derjenigen des Prinzen von Preußen aus London organisiert wurde. Diese stand in Zusammenhang mit der Einrichtung der in Folge der Revolution erwirkten preußischen Nationalversammlung, die eine preußische Verfassung ausarbeiten sollte. Sie war auf der Ebene des Königreich Preußens das politische Pendant zur Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche, die eine „Verfassung des deutschen Reiches“ erarbeitete. Nachdem am 1. Mai 1848 jeweils die Wahlen zur preußischen und deutschen Nationalversammlung abgehalten worden waren[104], erklärte das preußische Staatsministerium dem König, dass die Rückkehr des Prinzen von Preußen besonders erstrebenswert sei. Die Symbolik seiner Präsenz schien notwendig, um die Legitimität des verfassungsgebenden Prozesses zu unterstreichen:

„Für den Zeitpunkt nun, wo die Vereinbarung der Staats-Verfassung zu Stande gekommen sein wird, erachten wir es für unerläßlich, daß Seine Königliche Hoheit als der Nächste am Throne, zu deren feierlicher Anerkennung anwesend sei. Aber auch während ihrer Berathung durch die Versammlung ist es erforderlich, jedem Zweifel, jeder Deutung zu begegnen, wozu die Abwesenheit Seiner Königlichen Hoheit Veranlassung geben könnte.“[105]

Daraufhin kündigte der König am darauffolgenden Tag öffentlich an, dass ein Major Laue als erster Adjutant des Prinzen von Preußen ernannt worden war und den Auftrag erhalten hatte, ihn zur Rückkehr aufzufordern. Für den Verbleib der evakuierten Güter war zudem relevant, dass Oelrichs in diesem Zuge eine andere Bestimmung zugeteilt worden war.[106] Genauer wird seine Frau, die die aufgezeichneten Mitteilungen ihres Mannes auch mit den Briefen an sie zur Publikation ergänzte: Am 16. Mai erfuhr ihr Mann, dass sein Aufenthalt in London bald enden sollte. Seine Aufgabe sei es als Kabinettskurier gewesen, die Krondiamanten wieder nach Preußen zu überführen. Er reiste über Köln direkt nach Potsdam und informierte dort Friedrich Wilhelm IV. in Sanssouci und anschließend die Prinzessin von Preußen im Stadtschloss über seine Ankunft. Sein Aufenthalt in Potsdam währte nur kurze Zeit: Schon vier Tage darauf wurde Oelrichs in Flensburg Teil des Hauptquartiers des Fürsten Radziwill.[107] Ein Brief Helmuth von Moltkes, der – zunächst kommissarisch – ab 1848 als Abteilungsvorsteher im Großen Generalstab tätig war, bestätigt den Wechsel Oelrichs in den Norden. Am 2. Juli 1848 schrieb er seiner Frau:

„Berlin bietet einen traurigen Anblick. Die Schloßwache und das Brandenburger Tor sind mit Bürgern besetzt. Militär sieht man nur sehr wenig. […] Der ganze Hof ist in Potsdam, auch die Oelrichs, deren Mann in Holstein.“[108]

War nun also alles wieder an Ort und Stelle zurückgekehrt? Immer wieder kamen Gerüchte der Bereicherung des Königshauses während der Märzereignisse 1848 auf. Vorwürfe der Veruntreuung standen schon 1848 in der preußischen Nationalversammlung zur Debatte. Als klar wurde, dass der preußische Staatsschatz entleert und eine Zwangsanleihe nötig geworden war, wurden Fragen nach dem Verbleib der Vermögen Gegenstand der Debatte. In der Sitzung am 7. Juli 1848 wurde von dem linken Abgeordneten Alexander Grebel[109] in der preußischen Nationalversammlung ein Antrag zur Vorlage der Bücher und Belege der Finanzverwaltung und des Staatsschatzes gestellt: Die Finanzlage müsse offengelegt werden, schließlich sei der Staatsschatz „Eigenthum der Nation, an ihm kleben Tausende von Bluts- und Schweißtropfen“.[110] In der Tat war die Finanzlage bedenklich. Angesichts entleerter Staatskassen kündigte Finanzminister David Hansemann Steuererhöhungen an. Grob legte er dar, dass aufgrund von Einnahmeeinbußen und höhreren Ausgaben rund 16 Millionen Taler aufzubringen wären. Während sich Ende des Jahres 1847 noch 15,5 Millionen Taler im Staatsschatz befunden hatten, waren davon nun einzig 2,5 Millionen Taler verblieben.[111] Hansemanns diesbezügliche Denkschrift wurde über eine Flugschrift verbreitet, die weitere Aufrechnungen zu den damaligen Finanzen öffentlich machte.[112] Schon damals fielen bei der Aufstellung Ungereimtheiten zwischen verschiedenen Berechnungen ins Auge, die sich jedoch bei genauer Analyse dadurch erklärten, dass Hansemann bei seiner Aufstellung die Staatsschuldscheine dazugerechnet hatte.[113]

Am 5. Dezember 1848 wurde die preußische Nationalversammlung aufgelöst und seitens des Königs eigenmächtig erstmals eine Verfassung für den Preußischen Staat festgesetzt.[114] Für den Umgang mit den königlichen Juwelenbeständen sind indes die Ereignisse im Frühjahr 1849 auf Bundesebene ausschlaggebender. Nach den abgeschlossenen Beratungen zur Verfassung hatte die Frankfurter Nationalversammlung am 3. April 1849 eine Delegation nach Berlin gesandt, um Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Der König gab zu verstehen, dass er das Angebot sehr wohl schätzte, er für diesen Schritt indes das Einverständnis der gekrönten Fürsten und der freien Städte benötigen würde. Deren Aufgabe wäre es nun, die von der Nationalversammlung beschlossene Verfassung zu prüfen.[115] Eine entsprechende Circular-Note folgte. Die Reaktion des Königs wurde angesichts der politischen Kräfteverhältnisse von der Delegation als Absage ihres Ansinnens interpretiert, sie hoffte aber gleichwohl auf eine Revision seiner Entscheidung und wartete entsprechend ab. Daraus erwuchs sodann eine Bedenkzeit von gut einer Woche, um auf Rückmeldung der anderen deutschen Regierungen zu warten.[116] Aufgrund seiner politischen Überzeugungen wollte Friedrich Wilhelm IV. dieses Angebot nicht annehmen, war sich aber gleichzeitig der politische Brisanz seiner Absage bewusst, nach der ein erneuter revolutionärer Aufstand drohte. Dass der König zu dieser Zeit Sorge um sein Leben hatte und folglich auch finanzielle Aspekte seines Ablebens geregelt wissen wollte, deutet seine letztwilligen Verordnung vom 13. April 1849 an. In dieser vermachte Friedrich Wilhelm IV. seiner Gemahlin nicht nur seine Schatullbestände, sondern auch

„alle Gegenstände an Gold und Silber, an Juwelen, Schmuck und Geschmeide, sowie alle Kunstsachen, sie mögen sich befinden, wo sie wollen [...] ohne Unterschied, ob ich sämtliche [...] Sachen selbst angeschafft habe, oder ob Mir solche durch Schenkung, Testament oder sonst zur freien Disposition zugefallen sind“.[117]

Seine Gattin durfte über diese nach dem Tod Friedrich Wilhelms IV. frei verfügen, der verbleibende Bestand fiel nach ihrem Tode an den Nachfolger der Krone.[118]

Die Ereignisse spitzten sich in der Tat zu. Die auf Grundlage der oktroyierten Verfassung gewählten Volksvertreter in der Zweiten Kammer[119] stimmten am 21. April 1849 für die Annahme der Reichsverfassung und keine Woche später für die Aufhebung des weiterhin andauernden Belagerungszustandes in Berlin. Der Bruch mit den politischen Ansichten des Königs war unverkennbar. Am 27. April 1849 löste Friedrich Wilhelm IV. die Zweite Kammer auf, da sie sich in außenpolitische Fragen involviert hatte und vertagte zudem die Erste Kammer.[120] Die Abweisung der Verfassung und Kaiserwürde wurden am Tag darauf offiziell durch den preußischen Ministerpräsidenten (und Onkel des Königs) Graf von Brandenburg als definitiver Entschluss Friedrich Wilhelms IV. übermittelt.[121] Aufkommende revolutionäre Bestrebungen, auch im Zuge der Reichsverfassungskampagne, wurden niedergeschlagen.[122] Verlagerungsaktionen, die mit denen des zurückliegenden Jahres vergleichbar waren, erschienen nun nicht nötig. Auch wenn es 1848/49 nicht zu einer Konstitutionalisierung auf Ebene des Bundes gekommen war, so trat zumindest für Preußen 1850 eine erneuerte Verfassung in Kraft, die bis zum Ende des Königreichs 1918 Bestand haben sollte. So war Friedrich Wilhelm IV. der erste preußische König überhaupt, der einen Schwur auf eine Verfassung ablegte.[123]

IV. Fazit

Eine Sicht auf die 1848er Revolution in Preußen aus Netzwerkperspektive erlaubt einen vertieften Einblick in die Gemengelage am königlichen Hof. Während in der bisherigen Forschung materielle Aspekte eher randständig erschienen, so wird durch diesen Fokus besonders deutlich, wie zentral diese für die beteiligten Akteure gewesen waren. Inwiefern die Sorge um das Vermögen am preußischen Hof mit der Entwicklung der politischen Lage korrelierte und zur Ergreifung notwendig erscheinender Maßnahmen führte, zeigte sich beispielsweise, als Friedrich Wilhelm IV. öffentlich in Dialog mit der Bevölkerung trat und zugleich nach der Darstellung seines Neffen unter anderem die Silberkammer unter Geheimhaltung fortgeschafft wurde. Deutlich wird angesichts dieser streckenweise abwartenden, vielleicht auch halbherzigen und vor allem zweigleisigen Politik, welche Handlungsoptionen das unter Druck stehende Königshaus in den Märztagen 1848 im Schloss besaß und welche politischen Botschaften nach außen kommuniziert wurden. Dass die Gefahrenlage in abgemilderter Form bis 1849 fortbestand, unterstreicht die letztwillige Verordnung des Königs im Zuge der Ablehnung der deutschen Kaiserkrone. Durch die Einbindung einer Objektperspektive in der Analyse lassen sich somit zusätzliche Anhaltspunkte für die Beurteilung der Gemütslage im Königshaus gewinnen wie auch die dortige strategische Abwägung der Reaktionsmöglichkeiten noch eingehender nachvollziehen.

Der Blick auf die materiellen Dimensionen in der 1848er Revolution gibt zudem weiteren Aufschluss über die Gütertrennung am preußischen Hof, deren Charakteristika auch durch historisch vergleichende Dimensionen der Netzwerkanalyse ersichtlich werden: Dass eine Absonderung der Wertbestände des Staates von anderen Vermögen unter verschiedenen Bezeichnungen im preußischen Königshaus erfolgte, war historisch gesehen genauso wenig neu, wie dass gemeinsam für die unterschiedlichen Vermögen Sorge getragen wurde. Diese Konstellation lässt sich mindestens bis zu Friedrich II. zurückverfolgen, der als absolutistscher König eine Kassentrennung anstrebte und sich so beispielsweise selbst ein Gehalt auszahlte. Im Siebenjährigen Krieg ließ er 1757 durch seine Etatminister Vermögenswerte, darunter neben den wichtigsten Papieren auch „Tresor [unter Friedrich II. Gelder des Staates][124], Argenterie, golden Service, Juwelen und alle übrige Mir und der Familie zuständige pretiöse Sachen“ zur Sicherheit nach Magdeburg verlagern.[125] Ähnliches wurde im Zuge der Napoleonischen Kriege unter Friedrich Wilhelm III. praktiziert. Entsprechend beschloss der große Staatsrat im Oktober 1806, dass Geldbestände und Unterlagen der Kassen wie auch der Domänen, Justizämter etc. nach Stettin (Szczecin) und Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) überführt werden sollten.[126] Der Abtransport von „Königl. Silber, Pretiosen, Papieren“ wurde damals unter anderem von dem interimistischen Gouverneur Berlins Graf von der Schulenburg organisiert.[127] Auch im Zuge der 1848er Revolution erfolgten Planungen zur Auslagerung der verschiedenen Wertbestände streckenweise gemeinsam. Dies hatte – wie bereits festgehalten – zu Vermutungen über Veruntreuungen geführt. Angesichts der hier dargestellten Entwicklungen erscheint die Angabe der Zeitschrift „Der Sozialdemokrat“ gleichwohl nicht plausibel, dass Gelder des preußischen Staatschatzes nach London gelangten, in der Bank von England angelegt und nicht rücküberführt wurden.[128] Vielmehr ist davon auszugehen, dass einzig ein Teil der Kronjuwelen und weitere Juwelen sowie Schmuck nach London verbracht wurden. Jenes wird nicht nur durch die Berichte der Beteiligten, sondern zusätzlich auch durch die Angaben zur finanziellen Unterstützung des Bankiers Cohn plausibilisiert, nach denen es um die Finanzlage des Prinzen von Preußen bei der Reise nach London zunächst tendenziell schlecht bestellt war. Ob nun – wie es in der DDR-Geschichtswissenschaft hieß – mit dem „von der preußischen Reaktion geraubten Geld die achtundvierziger Revolution in Preußen und in Deutschland militärisch bezwungen“[129] worden war, bleibt gleichwohl eine Frage der Perspektive: Durchaus ist der Staat unter Friedrich Wilhelm IV. mit Truppen geschützt worden, die aus Staatsgeldern bezahlt worden waren. Letztlich war der Sieg jedoch ein politischer gewesen, bei dem den Demonstranten zunächst entgegengekommen und dadurch die Bewegung gespalten wurde. Dennoch hatte die Revolution eine nachhaltige Veränderung der Konstitution des preußischen Staates erwirkt.

Ersichtlich wird insgesamt, dass die Integration von Dingen in die historische Betrachtung zu einem Erkenntnisgewinn beitragen kann und neue Perspektiven auf bereits bekannte Ereignisse ermöglicht. Dass sich die Begebenheiten 1848/49 unter Rückgriff auf Objekte auch gänzlich anders erzählen lassen, zeigt nicht nur der eingangs erwähnte, fiktive Pflasterstein, sondern ebenfalls ein Blick in das Hohenzollern-Museum. Zu einer Büchse im Gewehrschrank hieß es auf einem von Wilhelm I. selbstgeschriebenen Etikett: „Diese Büchse wurde am 25. Juni 1849 vom 8. Jäger-Bataillon erbeutet und von mir noch in Durlach selbst angekauft.“[130] Verwiesen wurde hier auf das Gefecht bei Durlach am 25. Juni 1849 als Teil der Badischen Revolution.[131] Auch hier wird deutlich, wie sich anhand der kleinsten Dinge umfassende Fragen – beispielsweise nach der erinnerungspolitischen Bedeutung der Revolution im Hause Hohenzollern – aufwerfen lassen. Dies ist durchaus als Plädoyer zu verstehen.

Zusammenfassung

Dass die Einbeziehung von materiellen Gesichtspunkten in die Analyse von historischen Ereignissen neue Aspekte in der Betrachtung derselben aufdecken kann, wird in dem vorliegenden Aufsatz anhand der Sicherung der Wertbestände am preußischen Hof während der Revolution 1848/49 aufgezeigt. Grundlegend ist diesbezüglich zwischen dem Staatsschatz sowie den Vermögen der Krone bzw. des königlichen Hauses zu unterscheiden. Anhand vielfältiger Stellungnahmen aus dem Umkreis des Hofes lassen sich Einzelheiten der Verbringung dieser Vermögen aus Berlin unter höchster Geheimhaltung rekonstruieren. Der damalige Prinz von Preußen – Bruder Friedrich Wilhelms IV. und späterer Kaiser und König Wilhelm I. – sah sich im Zuge der Zuspitzung des revolutionären Verlaufs genötigt, nach England zu reisen. Die Überführung auch der Kronjuwelen folgte. Im Zuge der Stabilisierung der politischen Lage kehrten diese vermutlich im Folgejahr nach Preußen zurück. Die letztwillige Verordnung Friedrich Wilhelms IV. vom April 1849 bald nach der Kaiserdeputation gibt weiterführende Hinweise auf die angespannte Gemütslage am Hof. Insgesamt lassen sich durch den verstärkten Fokus auf Objekte in der Darstellung nicht nur vertiefte Einblicke in die Abwägung von Handlungsoptionen durch das Königshaus in Reaktion auf die Entwicklung der Revolution geben, sondern auch aufzeigen, dass konkrete Belege für den später vorgebrachten Vorwurf der Veruntreuung zu dieser Zeit fehlen.

Widmung

Der Aufsatz entstand im Kontext einer Dissertation über die Tabatièren Friedrichs II. am Europäischen Kolleg der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Online erschienen: 2025-02-01

© 2025 Walter de Gruyter, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

Articles in the same Issue

  1. Frontmatter
  2. Aufsätze
  3. Wann ist ein Mann ein (Ehe-)Mann? Der Nachweis gleichgeschlechtlicher Ehen und der Geschlechtsfluidität in der römischen Kaiserzeit
  4. Dort schafft man die Kronjuwelen fort ... Objekt-Perspektiven auf die 1848er Revolution
  5. Historische Forschung – Archiv – Verwaltung. Eine zu entdeckende Dreiecksbeziehung als Schicksalsgemeinschaft in digitalen Zeiten
  6. Notker Hammerstein (1930–2024)
  7. Im Blick der Historie
  8. Rezensionen
  9. Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer (Eds.), Historical Culture by Restitution? A Debate on Art, Museums, and Justice. Köln, Böhlau 2023
  10. Aram Mattioli, Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA. Stuttgart, Klett-Cotta 2023
  11. Simon J. Barker / Christopher Courault / Javier Á. Domingo et al. (Eds.), From Concept to Monument. Time and Costs of Construction in the Ancient World. Papers in Honour of Janet DeLaine. Oxford, Archaeopress 2023
  12. Christian Laes / Irina Metzler (Eds.), „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. Turnhout, Brepols 2023
  13. Jan-Markus Kötter / Maria Osmers / Dorothea Rohde u. a. (Hrsg.), Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. Stuttgart, Steiner 2024
  14. Daniel Fallmann, Der Rand der Welt. Die Vorstellungen der Griechen von den Grenzen der Welt in archaischer und klassischer Zeit. (Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachbarn, Bd. 220.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
  15. Irene F. de Jong / Miguel John Versluys (Eds.), Reading Greek and Hellenistic-Roman Spolia. Objects, Appropriation and Cultural Change. Leiden, Brill 2023
  16. Giustina Monti (Ed.), Alexander the Great. Letters: A Selection. Liverpool, Liverpool University Press 2023
  17. Ian Worthington, The Last Kings of Macedonia and the Triumph of Rome. Oxford, Oxford University Press 2023
  18. Christian Marek, Rom und der Orient. Reiche, Götter, Könige. München, Beck 2023
  19. Paul V. Kelly, The Financial Markets of Roman Egypt. Risk and Return. Liverpool, Liverpool University Press 2023
  20. Christian Meier, Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wilfried Nippel und Stefan Rebenich. Bd. 1: Zur römischen Geschichte. Stuttgart, Steiner 2024
  21. Francisco Pina Polo (Ed.), The Triumviral Period. Civil War, Political Crisis and Socioeconomic Transformations. (Libera Res Publica, Vol. 2. Monografías sobre aspectos institucionales, políticos, sociales económicos, historiográficos, culturales y de género en la Républica romana.) Universidad de Zaragoza 2020
  22. Anthony A. Barrett / J. C. Yardley, The Emperor Caligula in the Ancient Sources. Oxford, Oxford University Press 2023
  23. Guy MacLean Rogers, For the Freedom of Zion. The Great Revolt of Jews against Romans, 66–74 C. E. London, Yale University Press 2021
  24. Clare Rowan, Tokens and Social Life in Roman Imperial Italy. Cambridge, Cambridge University Press 2023
  25. Andrew Wilson / Nick Ray / Angela Trentacoste (Eds.), The Economy of Roman Religion. Oxford, Oxford University Press 2023
  26. Heinz Erich Stiene (Bearb.), Die Gründungsgeschichte der Abtei Brauweiler. Fundatio monasterii Brunwilarensis. Köln, Böhlau 2024
  27. Monumenta Germaniae Historica (Hrsg.), Monumenta Germaniae Historica. Cronica Aule regie. Die Königsaaler Chronik. Hrsg. von Anna Pumprová und Libor Jan unter Mitarbeit von Robert Antonín, Demeter Malaťák, Libor Švanda und Zdeněk Žalud. (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, Bd. 40.) Wiesbaden, Harrassowitz 2022
  28. Anna Paulina Orłowska, Johan Pyre. Ein Kaufmann und sein Handelsbuch im spätmittelalterlichen Danzig. Darstellung und Edition. (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Bd. 77.) Köln, Böhlau 2020
  29. Holger Th. Gräf / Andreas Tacke (Hrsg.), Von Augsburg nach Frankfurt. Der Kupferstecher Johann Philipp Thelott (1639–1671). Marburg, Historische Kommission für Hessen 2022
  30. Marc A. Forster, Keeping the Peace in the Village. Conflict and Peacemaking in Germany, 1650–1750. Oxford, Oxford University Press 2024
  31. Georg B. Michels, The Habsburg Empire under Siege. Ottoman Expansion and Hungarian Revolt in the Age of Grand Vizier Ahmed Koeprulu (1661–76). Montreal, QC, McGill-Queen’s University Press 2021
  32. Jane Webster, Materializing the Middle Passage. A Historical Archaeology of British Slave Shipping, 1680–1807. Oxford, Oxford University Press 2023
  33. Manja Quakatz, Osmanische Kriegsgefangene im Römisch-deutschen Reich im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2023
  34. Martin Biersack, Geduldete Fremde. Spaniens Kolonialherrschaft und die Extranjeros in Amerika. (Campus Historische Studien, Bd. 82.) Frankfurt am Main, Campus 2023
  35. Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
  36. Boris Ganichev, Integrating Imperial Space. The Russian Customs System in the 19th Century. (Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Vol. 26.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
  37. Anne-Marie Kilday / David Nash, Beyond Deviant Damsels. Re-evaluating Female Criminality in the Nineteenth Century. Oxford, Oxford University Press 2023
  38. Andrea Pühringer / Martin Scheutz (Hrsg.), Die Kurstadt als urbanes Phänomen. Konsum, Idylle und Moderne. (Städteforschung. Reihe A: Darstellungen, Bd. 104.) Köln, Böhlau 2023
  39. Andreas Bohne, Studenten und Alte Herren im kolonialen Rausch. Burschenschaften und Kolonialismus vom Vormärz bis zur Gegenwart. (Global- und Kolonialgeschichte.) Bielefeld, Transcript 2024
  40. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989. München, Beck 2023
  41. Katja Hoyer, Im Kaiserreich. Eine kurze Geschichte 1871–1918. Hamburg, Hoffmann und Campe 2024
  42. Mischa Suter, Geld an der Grenze. Souveränität und Wertmaßstäbe im Zeitalter des Imperialismus 1871–1923. Berlin, Matthes & Seitz 2024
  43. Benno Gammerl, Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. München, Hanser 2023
  44. Horst Möller, Deutsche Geschichte – die letzten hundert Jahre. Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie. München, Piper 2022
  45. Martin Platt (Hrsg.), Auf der Suche nach Sicherheit? Die Weimarer Republik zwischen Sicherheitserwartungen und Verunsicherungsgefühlen. (Weimarer Schriften zur Republik, Bd. 23.) Stuttgart, Steiner 2024
  46. Christhardt Henschel, Jeder Bürger Soldat. Juden und das polnische Militär (1918–1939). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
  47. Jürgen Court, Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bd. 4: Institute und Hochschulen für Leibesübungen 1925–1933. (Studien zur Geschichte des Sports, Bd. 29.) Münster, Lit 2023
  48. Manfred Görtemaker, Rudolf Hess. Der Stellvertreter. Eine Biographie. München, Beck 2023
  49. Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“. Göttingen, Wallstein 2021
  50. Gabriele Anderl / Linda Erker / Christoph Reinprecht (Eds.), Internment Refugee Camps. Historical and Contemporary Perspectives. Bielefeld, Transcript 2022
  51. Sebastian Rojek, Entnazifizierung und Erzählung. Geschichten der Abkehr vom Nationalsozialismus und vom Ankommen in der Demokratie. Stuttgart, Kohlhammer 2023
  52. Jacob Tovy, Israel and the Question of Reparations from Germany. Post-Holocaust Reckonings (1949–1953). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
  53. Jan Ruhkopf, Institutionalisierte Unschärfe. Ordnungskonzepte und Politisches Verwalten im Bundesvertriebenenministerium 1949–1961. Göttingen, Wallstein 2023
  54. Rob Waters, Colonized by Humanity. Caribbean London and the Politics of Integration at the End of Empire. Oxford, Oxford University Press 2023
  55. Habbo Knoch, Im Namen der Würde. Eine deutsche Geschichte. München, Hanser 2023
  56. Kyrill Kunakhovich, Communism’s Public Sphere. Culture as Politics in Cold War Poland and East Germany. Ithaca, NY, Cornell University Press Services 2023
  57. Mathieu Dubois, Die liberale Kraft Europas. Die Soziale Marktwirtschaft in der Europapolitik der Bundesrepublik, 1953–1993. Bielefeld, Transcript 2024
  58. Stefan-Ludwig Hoffmann, Der Riss in der Zeit. Kosellecks ungeschriebene Historik. Berlin, Suhrkamp 2023
  59. Detlev Brunner, Einheit und Transformation. Deutschland in den 1990er Jahren. Stuttgart, Kohlhammer 2022
  60. Eingegangene Bücher
  61. Eingegangene Bücher
Downloaded on 3.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/hzhz-2025-0002/html
Scroll to top button