Christian Laes / Irina Metzler (Eds.), „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. Turnhout, Brepols 2023

Justine Diemke

doi:10.1515/hzhz-2025-1004

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Christian Laes / Irina Metzler (Eds.), „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. Turnhout, Brepols 2023

Justine Diemke

Veröffentlicht/Copyright: 1. Februar 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Christian Laes, „Madness“ in the Ancient World. Innate or Acquired? From Theoretical Concepts to Daily Life. 2023 Brepols Publishers Turnhout , 978-2-503-60190-8, € 108,45

Seit über zehn Jahren setzen sich Altertumswissenschaftler mit seelischen Erkrankungen wie Manie, Melancholie oder Phrenitis auseinander. Trotz des bereits reichen Fundus an Forschungsliteratur wurden intellektuelle Beeinträchtigungen in diesen Studien weitgehend ausgeblendet. Einen Vorstoß in das weitgehend unbekannte Terrain der Disability Studies leistete Christian Laes, der die körperlichen und geistigen Behinderungen in den schriftlichen Quellen systematisch aufarbeitete. Gemeinsam mit Irina Metzler legt er nun eine erstmals interepochale und interdisziplinäre Studie zu geistigen Behinderungen vor, deren Untersuchungszeitraum von 3000 v. Chr. bis zum frühen Islam reicht.

In der Einleitung nimmt Laes das semantische Feld in den Blick. In der Liste von Wörtern, die dem Begriff „geistige Behinderung“ am nächsten kommen, steht das griechische μωρός (lat. morio), gefolgt vom lateinischen Wort fatuus. Die moriones wurden in der Regel als harmlos angesehen, selten ernst genommen und häufig als Objekte der Belustigung betrachtet. Dass Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung deswegen nicht immer stigmatisiert sein mussten, zeigt Chryssa Bourbou am Beispiel menschlicher Überreste wie Knochen und Zähne, aus denen sich verschiedene Informationen über die Lebensumstände, den Beruf und den Status der Verstorbenen deduzieren lassen. Alexandra F. Morris richtet den Blick auf Alexander den Großen und seinen Vater Philip II., bei denen sie eine chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) vermutet. Wie Medizinhistoriker längst bemerkten, sind seit 1865 mehr als 500 medizinische Studien über Alexanders vermeintliche Krankheiten erschienen (s. Karenberg/Moog, Next Emperor, Please!, 2004, 143–149), womit dem hellenistischen Herrscher mehr Diagnosen als selbst Aelius Aristides gestellt worden sind. Angesichts dessen wäre ein Verweis auf die Schwierigkeiten solcher retrospektiven Diagnosen, die Laes in seiner Einleitung kurz anreißt (S. 31), wünschenswert gewesen. Edgar Kellenberger begibt sich auf die Suche nach Hinweisen auf das Down-Syndrom in archäologischen Quellen. Eine mögliche Form der Krankheit möchte er im ägyptischen Gott Bes erkennen, worauf die sichtbare Zunge, der kurze Hals und die rundliche Statur des Gottes hindeuten könnten. Dem Vorkommen und der Bewertung von moroi in den Schriften des Neuen Testaments widmen sich Dominika Kurek-Chomycz und Emma Swai. Die Bezeichnungen für geistige Behinderungen erweisen sich hier als zweideutig, insofern weder zwischen akutem und dauerhaftem Zustand noch zwischen Torheit und Wahnsinn unterschieden wird. Olivia Milburn dehnt den Untersuchungsgegenstand auf das frühe und mittelalterliche China aus, wo Menschen mit einer geistigen Behinderung (kuang) aufgrund ihrer Ausgrenzung nur selten erwähnt werden. Ähnliche Ausgrenzungstendenzen lassen sich auch in der rabbinischen Literatur erkennen. Wie Lennart Lehmhaus an dem Begriff „shoteh“ zeigt, fehlt auch im rabbinischen Diskurs eine semantische Differenzierung zwischen Menschen mit geistiger Behinderung, chronischer Störung und akuter psychischer Erkrankung, sodass die Bedeutung der Begriffe oft nur aus dem Kontext erschlossen werden kann. Fotis Vasileiou fragt in seinem Beitrag nach intellektuellen Beeinträchtigungen in byzantinischen Quellen. Während die Betroffenen auch hier eine starke Marginalisierung erfahren, werden nur wenige Auserwählte durch göttliche Intervention von ihrer Erkrankung geheilt.

Zu einem negativen Befund gelangt Peter E. Pormann für die arabischen Quellen, in denen intellektuelle Beeinträchtigungen keinen Niederschlag gefunden haben. Irina Metzler liefert in ihrem Beitrag interessante Einsichten in die Bewertung geistiger Behinderungen in mittelalterlichen Quellen. Der letzte Beitrag von Edgar Kellenberger erörtert die unterschiedlichen Lebensweisen und Herausforderungen intellektuell eingeschränkter Menschen in heutiger und vormoderner Zeit.

Trotz unterschiedlicher Kulturkreise und Zeiträume lassen sich viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Bewertung von geistigen Behinderungen in vormodernen Gesellschaften feststellen. Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung bleiben in den Quellen weitgehend unsichtbar, weswegen ein interdisziplinärer Zugang zu diesem Forschungsfeld, wie die Beiträge in dem Sammelband überzeugend zeigen, besonders fruchtbar ist. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Forscher die vorgelegten Erkenntnisse erweitern und bereichern.

Online erschienen: 2025-02-01

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