Jan-Markus Kötter / Maria Osmers / Dorothea Rohde u. a. (Hrsg.), Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. Stuttgart, Steiner 2024

Björn Onken

doi:10.1515/hzhz-2025-1005

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Jan-Markus Kötter / Maria Osmers / Dorothea Rohde u. a. (Hrsg.), Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. Stuttgart, Steiner 2024

Björn Onken

Veröffentlicht/Copyright: 1. Februar 2025

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Aus der Zeitschrift Historische Zeitschrift Band 320 Heft 1

Rezensierte Publikation:

Jan-Markus Kötter, Zum Umgang mit Enttäuschungen in der Antike. 2024 Franz Steiner Verlag GmbH Stuttgart, 978-3-515-13611-2, € 58,–

Die Geschichte von Emotionen hat Konjunktur und mit diesem Tagungsband zeigt die Alte Geschichte, dass auch sie einen Beitrag dazu leisten kann. Grundlegende Gefühle wie Enttäuschungen lassen sich für die Antike in einigen Fällen offenbar durchaus nachvollziehen. Zunächst widmet sich Jan Timmer als Mitherausgeber der Aufgabe, aus einem Begriff der Alltagssprache eine analytische Kategorie zu schaffen. Seine für den Band erkenntnisleitende Definition lautet (S. 15): „Unter Enttäuschung soll eine Reaktion auf das Auseinandertreten von gehegter Erwartung und gemachter Erfahrung verstanden werden, die sich dadurch auszeichnet, dass dieses Auseinandertreten mit negativen Emotionen verbunden ist und eine bislang bestehende Kooperationsbereitschaft zur Disposition gestellt wird.“ Der Verweis auf die Kooperationsbereitschaft macht deutlich, dass es in dem Band weniger um persönliche Enttäuschungen etwa in Liebesdingen geht, sondern um den „politischen Raum antiker Gesellschaften“. Deshalb findet sich auch keine intensivere Beschäftigung mit philosophischen Strategien zur Enttäuschungsbewältigung, wie sie zum Beispiel die Stoa anbieten würde.

Katarina Nebelin analysiert in ihrem Beitrag die oligarchischen Umstürze in Athen, wobei sich als treibende Kraft nicht eine durch Misserfolge enttäuschte Bürgerschaft, sondern aristokratische Rädelsführer herausstellen, die die Gunst der Stunde nutzen. Nebelin erweitert dabei die obige Definition sinnvoll um Hoffnungen, die enttäuscht werden können. Christian Rollinger widmet sich der konfliktreichen Beziehung von Demetrios Poliorketes zu Athen. Die dabei entstandenen Enttäuschungen führt er vor allem auf missglückte Kommunikation zurück, ein Muster, das auch andernorts eine wichtige Ursache von Enttäuschungen ist. Dorothea Rohde schildert, wie die spartanischen Könige Agis IV. und Kleomenes III mit ihren Reformen enttäuschten, weil sie nicht den aristokratischen Erwartungen entsprachen. In einer überzeugenden Argumentation arbeitet sie heraus, dass die Motive der Könige vermutlich weniger in einer Förderung der Wohlfahrt der Polis lagen, sondern mit machtpolitischem Egoismus beschrieben werden sollten.

Uwe Walter kommt in seinem Beitrag zur politischen Wettbewerbskultur in der römischen Republik zu dem Schluss, dass es hier vielfältige Mechanismen zum Umgang mit Rückschlägen gab, sodass man nicht von Enttäuschungen als Systemelement sprechen sollte. Bernadette Descharmes nutzt Martial als Quelle zu den Beziehungen zwischen Patron und Klient, die in der Kaiserzeit so manche Enttäuschung mit sich brachten, insbesondere wenn bei den Klienten die wirtschaftlichen Erwartungen größer als die Renditen waren. Einem ähnlichen Problem widmet sich Lukas Jansen, der herausarbeitet, dass die Karriereerwartungen der Senatoren in der Kaiserzeit nicht erfüllt werden konnten, sodass sich Enttäuschungen ergaben. Damit sieht der Befund anders aus als der von Walter zur Republik. Zu divergierenden Ergebnissen kommen die Beiträge von Marian Nebelin und Rene Pfeilschifter, die sich der römischen Monarchie in der Kaiserzeit als Akzeptanzsystem zuwenden, dessen Stabilität von der Zustimmung durch Akzeptanzgruppen abhängt. Nebelin schreibt in seinen Überlegungen den Provinzialen in einem Mehrebenensystem den Status einer Akzeptanzgruppe zu und sieht damit die Begrenzung von Enttäuschungen dieser Gruppe durch höhere Ebenen als systemrelevant an. Pfeilschifter dagegen bleibt bei seiner schon früher geäußerten Position, dass die zivile Bevölkerung in den Provinzen keine Akzeptanzgruppe sei, nicht zuletzt weil die Städte in den Provinzen letztlich immer mehr Entscheidungen an höhere Ebenen delegierten. Maria Osmers weist in ihrem Beitrag auf die Enttäuschung der Jerusalemer Eliten hin, die der römische Statthalter Festus provozierte, als er Paulus nicht verurteilte, sondern zum Prozess nach Rom schickte. Dieses paradigmatische Verhaltensmuster trug zu den Spannungen im Vorfeld des Aufstandes von 66 n. Chr. bei. Eva Baumkamp geht auf die enttäuschte Gemeinde der Christen in Karthago ein, deren Bischof Cyprian sich der Verfolgung unter Kaiser Decius durch Flucht entzogen hatte. Infolgedessen wurde unter den Christen in Nordafrika kontrovers diskutiert, inwieweit er nach seiner Rückkehr sein Bischofsamt überhaupt noch ausüben konnte. Jan-Markus Kötter analysiert eine Kontroverse in der spätantiken Christenheit unter Beteiligung des Martin von Tour und Ambrosius von Mailand über das Verhältnis von Staat und Kirche. Henning Börm schließlich beschäftigt sich mit den Enttäuschungen gallorömischer Amtsträger in den letzten Jahren des weströmischen Reiches, in denen zuletzt 468 aufkeimende Hoffnungen auf ein Wiedererstarken des Kaisertums im Westen wenig später begraben werden mussten. Ganz anders ergeht es denen, die heute den vorliegenden Band lesen können: Von Enttäuschung keine Spur!

Online erschienen: 2025-02-01

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https://doi.org/10.1515/hzhz-2025-1005

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