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Boris Ganichev, Integrating Imperial Space. The Russian Customs System in the 19th Century. (Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Vol. 26.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023

Published/Copyright: February 1, 2025
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Rezensierte Publikation:

Boris Ganichev, Integrating Imperial Space. The Russian Customs System in the 19th Century. Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Vol. 26. 2023 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-525-30208-8, € 60,–


Die Etablierung moderner Zollsysteme im 19. Jahrhundert, die an die Stelle der bunten Vielfalt von Binnenzöllen und indirekten Steuern innerhalb eines Territoriums ein von inneren Handelshemmnissen befreites einheitliches Zollgebiet mit einer gemeinsamen Zollaußengrenze setzten, hatte nicht nur eine ökonomische und fiskalische, sondern auch eine signifikante politische Bedeutung: Die Schaffung einheitlicher und geschlossener Zollgebiete veränderte die Raumwahrnehmung der beteiligten Akteure, insbesondere staatlich-bürokratischer Eliten, wirtschaftlicher Akteure sowie – im Zeitalter des rasanten Ausbaus moderner Kommunikationsmedien – einer wachsenden gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Damit unterstützte sie den Ausbau und die Konsolidierung staatlicher, nationaler und imperialer Räume. Zugleich waren die Schaffung einheitlicher Zollgebiete und die Zolltarifpolitik immer auch Mittel der Auseinandersetzung im Bereich staatlicher Innen- und Außenpolitik.

Diese Phänomene sind unter anderem für den 1834 gegründeten Deutschen Zollverein oder die um 1850 entwickelten Pläne Österreichs für eine Mitteleuropäische Zollunion bereits intensiv untersucht worden. Einen weiteren wichtigen Baustein für dieses Forschungsfeld liefert nun die vorzügliche Studie von Boris Ganichev über die Entwicklung des Zollsystems im Russischen Reich im 19. Jahrhundert. Sie ist zugleich ein Beitrag zu der seit einigen Jahren intensivierten Forschung zu Imperien im 19. Jahrhundert, die nicht mehr pauschal in modernisierungsgeschichtlicher Perspektive als rückständig, ja als auf Dauer nicht lebensfähig gegenüber der neuen Organisationsform des modernen Nationalstaats angesehen werden. Die vorliegende Studie sieht sich im Kern als Beitrag zur Untersuchung der durch grundlegende Reformen geprägten Transformationsphase Russlands nach der Niederlage im Krimkrieg 1856, indem sie am Beispiel des Zollwesens nach dem Zusammenhang zwischen Ökonomie, Raum und imperialer Herrschaft fragt. Es soll nachgezeichnet werden, wie bestimmte Gruppen im Russischen Reich den imperialen Wirtschaftsraum wahrnahmen und veränderten sowie welche Zukunftsentwürfe sich daraus ablesen lassen (vgl. S. 12 f.).

Der Autor führt seine Fragestellung in sieben Kapiteln aus, wobei die ersten beiden Kapitel einen Überblick über zentrale Entwicklungen in der Zollpolitik Russlands im 19. Jahrhundert geben, während die übrigen Kapitel einzelne Fallbeispiele präsentieren, die – mit Ausnahme des im siebten Kapitel behandelten, weitgehend autonomen finnischen Wirtschaftsraums – im asiatischen Teil Russlands angesiedelt sind. Diese Schwerpunktsetzung verdeutlicht, dass die Arbeit ausdrücklich keinen wirtschafts- oder finanzgeschichtlichen Schwerpunkt hat, denn in beider Hinsicht stand der asiatische Teil Russlands deutlich hinter dem vergleichsweise stark industrialisierten und in intensiven Handelsbeziehungen zu Europa stehenden europäischen Teil zurück. Es geht vielmehr um den Wandel der Raumwahrnehmungen gerade im Hinblick auf die peripheren, mit eigenen Zollsystemen ausgestatteten Regionen. Dieser Wandel wurde durch die russische Expansion nach Osten und die damit verbundene Ausdehnung des Wirtschaftsraums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts massiv vorangetrieben. Hinzu kamen technische Entwicklungen, insbesondere der Eisenbahnbau und die Telegraphenverbindungen, welche den imperialen Raum in der Wahrnehmung schrumpfen ließen.

In Kapitel eins beschreibt der Autor wichtige Akteure und Entwicklungen in der russischen Zollpolitik im 19. Jahrhundert, mit besonderem Blick auf den europäischen Teil Russlands, der als Referenzpunkt für die Zollpolitik im asiatischen Teil diente. Das zweite Kapitel nimmt die Auflösung der Orenburglinie in den Blick. Diese bildete zunächst die östliche Zollgrenze Russlands, wurde mit der staatlichen Expansion aber immer mehr zu einer Binnenzolllinie, die den neuen Vorstellungen eines einheitlichen imperialen Raumes entgegenstand. Ähnlich verhielt es sich mit dem Protektorat Buchara (Kapitel 3), dem Vizekönigreich Kaukasien (Kapitel 5) oder der weitgehend autonomen finnischen Zollregion (Kapitel 7). Aber auch groß angelegte Freihandelsprojekte wie die geplanten Freihäfen an den Mündungen der sibirischen Flüsse Ob’ und Enisej ins Nordmeer (Kapitel 4) oder die transkaukasische Transitroute (Kapitel 6) standen bei der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewinnenden national-konservativen Öffentlichkeit im Verdacht, fremden Interessen zu dienen und die Einheit des Imperiums zu gefährden.

In seiner gut strukturierten und überlegt argumentierenden Studie gelingt es dem Autor, die Wechselwirkungen von Zollpolitik, Raumwahrnehmung und imperialer Herrschaft sichtbar zu machen, ohne einer einseitigen teleologischen Perspektive zu verfallen. Vielmehr werden die Eigenlogiken der „idiosynkratischen“ (etwa S. 28) Zollregime einzelner Regionen gut herausgearbeitet und dem Ideal eines einheitlichen imperialen Wirtschaftsraums gegenübergestellt.

Online erschienen: 2025-02-01

© 2025 by Walter de Gruyter, Berlin/Boston

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  22. Anthony A. Barrett / J. C. Yardley, The Emperor Caligula in the Ancient Sources. Oxford, Oxford University Press 2023
  23. Guy MacLean Rogers, For the Freedom of Zion. The Great Revolt of Jews against Romans, 66–74 C. E. London, Yale University Press 2021
  24. Clare Rowan, Tokens and Social Life in Roman Imperial Italy. Cambridge, Cambridge University Press 2023
  25. Andrew Wilson / Nick Ray / Angela Trentacoste (Eds.), The Economy of Roman Religion. Oxford, Oxford University Press 2023
  26. Heinz Erich Stiene (Bearb.), Die Gründungsgeschichte der Abtei Brauweiler. Fundatio monasterii Brunwilarensis. Köln, Böhlau 2024
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  28. Anna Paulina Orłowska, Johan Pyre. Ein Kaufmann und sein Handelsbuch im spätmittelalterlichen Danzig. Darstellung und Edition. (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Bd. 77.) Köln, Böhlau 2020
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  30. Marc A. Forster, Keeping the Peace in the Village. Conflict and Peacemaking in Germany, 1650–1750. Oxford, Oxford University Press 2024
  31. Georg B. Michels, The Habsburg Empire under Siege. Ottoman Expansion and Hungarian Revolt in the Age of Grand Vizier Ahmed Koeprulu (1661–76). Montreal, QC, McGill-Queen’s University Press 2021
  32. Jane Webster, Materializing the Middle Passage. A Historical Archaeology of British Slave Shipping, 1680–1807. Oxford, Oxford University Press 2023
  33. Manja Quakatz, Osmanische Kriegsgefangene im Römisch-deutschen Reich im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag 2023
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  35. Martin Jeske, Ein Imperium wird vermessen. Kartographie, Kulturtransfer und Raumerschließung im Zarenreich (1797–1919). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
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  40. Heinrich August Winkler, Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989. München, Beck 2023
  41. Katja Hoyer, Im Kaiserreich. Eine kurze Geschichte 1871–1918. Hamburg, Hoffmann und Campe 2024
  42. Mischa Suter, Geld an der Grenze. Souveränität und Wertmaßstäbe im Zeitalter des Imperialismus 1871–1923. Berlin, Matthes & Seitz 2024
  43. Benno Gammerl, Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. München, Hanser 2023
  44. Horst Möller, Deutsche Geschichte – die letzten hundert Jahre. Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie. München, Piper 2022
  45. Martin Platt (Hrsg.), Auf der Suche nach Sicherheit? Die Weimarer Republik zwischen Sicherheitserwartungen und Verunsicherungsgefühlen. (Weimarer Schriften zur Republik, Bd. 23.) Stuttgart, Steiner 2024
  46. Christhardt Henschel, Jeder Bürger Soldat. Juden und das polnische Militär (1918–1939). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2023
  47. Jürgen Court, Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bd. 4: Institute und Hochschulen für Leibesübungen 1925–1933. (Studien zur Geschichte des Sports, Bd. 29.) Münster, Lit 2023
  48. Manfred Görtemaker, Rudolf Hess. Der Stellvertreter. Eine Biographie. München, Beck 2023
  49. Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“. Göttingen, Wallstein 2021
  50. Gabriele Anderl / Linda Erker / Christoph Reinprecht (Eds.), Internment Refugee Camps. Historical and Contemporary Perspectives. Bielefeld, Transcript 2022
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  52. Jacob Tovy, Israel and the Question of Reparations from Germany. Post-Holocaust Reckonings (1949–1953). Berlin/Boston, De Gruyter 2023
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  55. Habbo Knoch, Im Namen der Würde. Eine deutsche Geschichte. München, Hanser 2023
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