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Finish Ministry of Defence: Russia of Power. Helsinki, Juni 2019

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Veröffentlicht/Copyright: 4. Juni 2020

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Ministry of Defence: FinishMinistryofDefence: Russia of Power Helsinki Juni 2019


Nach „Russia of Challenges“ (2008) und „Russia of Transformations“ (2012) nun „Russia of Power (2019)“ – unter diesem Titel legt eine finnische Arbeitsgruppe aus 40 Russlandexperten die bereits zur Tradition gewordene, dritte große Studie zu den sicherheitspolitisch relevanten Wandlungen Russlands in den jüngsten Jahren vor, auch diesmal federführend vom finnischen MoD beauftragt. Sie beschreibt, wie Russland in seine jahrhundertealte Großmacht-Rolle in Europa und der Welt wieder hineingewachsen ist, nicht zufällig, sondern geplant und gewollt. Vorweggenommen: Viel mehr Sachverstand kann man zu einer so komplexen Thematik auf ca. 180 Seiten nicht versammeln. Aber das verwundert nicht, denn Finnland hat eo ipso ein geographisch wie historisch vorprogrammiertes, vitales Interesse daran, über die russischen Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben.

Die Studie gliedert sich in 5 Hauptkomplexe: Die Außenpolitik Russlands, die Verteidigungspolitik unter Einschluss des Rüstungssektors, die innere Entwicklung des Landes, die Wirtschaft und schließlich ein ca. dreißigseitiger Ausblick („Russia’s Futures“), der vor allem an Szenarienbildung orientiert ist und im Sinne von „strategic foresight“ mögliche Entwicklungen bis 2040 durchdenkt. Die Grunderkenntnis der Studie, so schon eingangs, geht von der Beobachtung aus, dass Russlands gewollte Re-Etablierung als eine der weltweit führenden Großmächte vor allem Instabilität produziert hat, eine Einschätzung, der man sich angesichts von Syrien, Krim, Ost-Ukraine und weiteren Arenen wohl kaum verschließen kann. Ziel der Studie ist, besser zu verstehen, was warum und wie in Putin-Russland geschieht, oder in den Worten der Autoren, „(to) increase awareness and understanding of Russia“. Als ein zentrales Mittel dazu erscheint vor allem, auf allen Ebenen so viel wie möglich im Dialog miteinander zu bleiben, über wie auch mit Russland, beides nur unzureichend verwirklichte Desiderate.

Der erste Hauptabschnitt gliedert sich in drei Teile und beschreibt zunächst philosophische und politische Axiome russischer Außenpolitik in der Ära Putin (verortet bei den Schriften und Theorien von Ivan Ilyin et al). Hier geht es um das russische Grundverständnis von Selbstbehauptung und Machtpolitik wie auch um die Wege und Ziele strategischer Entscheidungsfindung. Sodann werden die praktischen Ziele und Methoden russischer Außenpolitik dargestellt und abschließend nach den Implikationen für Finnland befragt. Im Ergebnis konstatiert schon dieser Block klar: Russland folgt heute alten real- und machtpolitischen Denkfiguren, welche die eigene Stärke erhöhen wollen, insbesondere auch dadurch, dass sie Kontrahenten systematisch zu schwächen versucht.

Der zweite Komplex dreht sich um die militärische Fundierung der Wiederherstellung der russischen Großmachtrolle. Er beleuchtet eingangs das russische Verständnis von Krieg und dem Zweck militärischer Machtmittel, bevor er die aktuelle Militärpolitik beschreibt und die Ausstattungen der Kommandostrukturen wie auch der einzelnen Teilstreitkräfte darstellt. Dabei wird konstatiert, dass es Russland im Wesentlichen gelungen ist, die für 2020 angestrebte Ausstattung der Streitkräfte, wenn nicht mit 70 %, dann doch mit durchschnittlich ca. 60 % moderner Ausrüstung sicherzustellen. Insbesondere die von Russland für besonders wichtig erachteten strategischen Nuklearstreitkräfte sind bedeutend modernisiert worden. Es unterliegt keinem Zweifel, so die Autoren, dass Russland nach 20 Jahren Putinscher Herrschaft ein militärisch umfassend gestärkt aufgestelltes Land geworden ist im Vergleich mit der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts. Nach ausgiebiger Darstellung des Rüstungssektors und der russischen Beschaffungsprogramme, gehen die Autoren davon aus, dass Russland sein Rüstungstempo auch im Beschaffungsprogramm von 2020–2027 wird halten können. In Verbindung mit der konstatierten russischen Bereitschaft, militärische Gewalt dann auch einzusetzen, wenn dadurch wichtige politische Ziele erreicht werden können, sieht die Studie Nachbarn wie Finnland oder das Baltikum ernstlich bedroht – und empfiehlt als Reaktion die Entwicklung einer „comprehensive strategy“.

Der dritte Hauptabschnitt beschreibt die soziale Stabilität und die Bürgergesellschaft des Landes und klärt Fragen von Rechtsstaatlichkeit, Partizipation und Vertrauen in die Institutionen. Es kann nur im Westen überraschen, dass Putin und die Armee die beiden „Institutionen“ des Landes sind, zu denen die Bürger laut repräsentativer Umfragen größtes Vertrauen haben. Die Lektüre des Abschnittes wird insbesondere denen angeraten, die wenig oder nur Oberflächliches von Russland wissen, sicherlich die übergroße Mehrheit auch der politisch Interessierten Menschen im Westen. Ähnlich interessant ist auch der fünfte Teil zur Wirtschaft und demographischen Entwicklung Russlands.

Der letzte Studienteil ist hoch interessant, weil er mögliche Szenarien unter Beeinflussungsgrößen globaler Prozesse, von Klimawandel und diversen „weak signals“ beschreibt. Zusammenfassend kann eine unbedingte Leseempfehlung gegeben werden für alle, die das heutige Russland verstehen möchten.

https://julkaisut.valtioneuvosto.fi/handle/10024/161710

Published Online: 2020-06-04
Published in Print: 2020-05-26

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Kriege und Kriegsgefahren im kommenden Jahrzehnt
  6. Nordkoreas Cyber-Krieg Strategie: Kontinuität und Wandel
  7. Afghanistan: Droht durch die „Friedensvereinbarung“ eine Vietnamisierung des Konflikts?
  8. Operative Anpassung von NATO-Streitkräften seit der Krim: Muster und Divergenzen
  9. Kurzanalysen und Berichte
  10. Clausewitz, Corbett und Corvetten – Great Power Competition durch die Augen eines Meliers
  11. Sicherheitspolitische Dilemmata der baltischen Staaten
  12. Was verrät uns das russische Großmanöver Tsentr-2019?
  13. Literaturbericht
  14. Russlands subversive Kriegsführung in der Ukraine
  15. Ergebnisse internationaler strategischer Studie
  16. Sicherheit in Nordeuropa
  17. Robert M. Klein/Stefan Lundqvist/Ed Sumangil/Ulrica Pettersson: Baltics Left of Bang. The Role of NATO with Partners in Denial-Based Deterrence. Stockholm: Strategic Forum, 2019
  18. Arseny Sivitsky: Belarus-Russia: From a Strategic Deal to an Integration Ultimatum. Philadelphia, PA: Foreign Policy Research Institute (FPRI), Dezember 2019
  19. Maria Domańska/Szymon Kardaś/Marek Menkiszak/Jadwiga Rogoża/Andrzej Wilk/Iwona Wiśniewska/Piotr Żochowski: Fortress Kaliningrad. Ever Closer to Moscow. Warschau: Center for Eastern Studies (OSW), November 2019
  20. Verteidigung im Rahmen der NATO
  21. Claudia Major: Die Rolle der Nato für Europas Verteidigung – Stand und Optionen zur Weiterentwicklung aus deutscher Perspektive. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
  22. Colin Smith/Jim Townsend: Not enough Maritime Capability. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  23. Pauli Järvenpää/Claudia Major/Sven Sakkov: European Strategic Autonomy. Operationalising a Buzzword. Tallinn: International Center for Defence and Security/Konrad Adenauer Foundation, 2019
  24. Russland
  25. Susanne Oxenstierna/Fredrik Westerlund/Gudrun Persson/Jonas Kjellén/Nils Dahlqvist/Johan Norberg/Martin Goliath/Jakob Hedenskog/Tomas Malmlöf/Johan Engvall: Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective, Stockholm: FOI, Dezember 2019
  26. Finish Ministry of Defence: Russia of Power. Helsinki, Juni 2019
  27. Pavel Baev: Russian Nuclear Modernization and Putin’s Wonder-Missiles. Real Issues and False Posturing. Paris: Ifri, August 2019
  28. Philip Hanson: Russian Economic Policy and the Russian Economic System. Stability versus Growth. London: Chatham House, Dezember 2019
  29. Globale Großmachtrivalität
  30. Angela Stent: Russia and China. Axis of Revisionists? Washington, D.C.: The Brookings Institution, February 2020
  31. Bruce Jones: China and the return of great power strategic competition. Washington, D.C.: The Brookings Institution, Februar 2020
  32. Chris Dougherty: Why America Needs a New Way of War. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  33. Patrick M. Cronin/Ryan Neuhard: Total Competition. China’s Challenge in the South China Sea. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Januar 2020
  34. Chinas Belt and Road Initiative und Europa
  35. Frank Jüris: The Talsinki Tunnel. Channeling Chinese Interests into the Baltic Sea. Talllin: ICDS, Dezember 2019
  36. Steven Blockmans/Weinian Hu: Systemic Rivalry and Balancing Interests: Chinese Investment meets EU Law on the Belt and Road. Brüssel: CEPS, März 2019
  37. Cyberspace
  38. Lillian Ablon/Anika Binnendijk/Quentin E. Hodgson/Bilyana Lilly/Sasha Romanosky/David Senty/Julia A. Thompson: Operationalizing Cyberspace as a Military Domain. Santa Monica, Cal.: RAND Corp., Juni 2019
  39. Beyza Unal: Cybersecurity of NATO’s Space-based Strategic Assets. London: Chatham House, Juli 2019
  40. Jean-Christophe Noël: What Is Digital Power? Paris: Ifri, November 2019
  41. Elsa B. Kania: Securing Our 5G Future. The Competitive Challenge and Considerations for U.S. Policy. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  42. Buchbesprechungen
  43. Rob de Wijk: De nieuwe wereldorde. Hoe China sluipenderwijs de macht overneemt (Die neue Weltordnung: wie China klammheimlich die Macht übernimmt) Amsterdam: Uitgeverij Balans 2019, 438 Seiten
  44. Sergio Fabbrini, 2019: Europe’s Future. Decoupling and reforming. Cambridge: Cambridge University Press, 180 Seiten
  45. Dmitry Adamsky: Russian Nuclear Orthodoxy. Religion, Politics, and Strategy. Stanford, Cal.: Stanford University Press, 2019, 376 Seiten
  46. David A. Haglund: The US “Culture Wars” and the Anglo-American Special Relationship. Cham, Switzerland: Palgrave Macmillan, 2019, 254 Seiten
  47. Sebastian Kaempf: Saving Soldiers or Civilians? Casualty-Aversion versus Civilian Protection in Asymmetric Conflicts. Cambridge: Cambridge University Press, 2018, 302 Seiten
  48. Bildnachweise
  49. Translated Articles (e-only)
  50. North Korea’s Evolving Cyber Strategies: Continuity and Change
Heruntergeladen am 3.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-2017/html
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