Home Pauli Järvenpää/Claudia Major/Sven Sakkov: European Strategic Autonomy. Operationalising a Buzzword. Tallinn: International Center for Defence and Security/Konrad Adenauer Foundation, 2019
Article Publicly Available

Pauli Järvenpää/Claudia Major/Sven Sakkov: European Strategic Autonomy. Operationalising a Buzzword. Tallinn: International Center for Defence and Security/Konrad Adenauer Foundation, 2019

  • Sven Morgen EMAIL logo
Published/Copyright: June 4, 2020

Reviewed Publication:

Järvenpää Pauli Major Claudia Sakkov Sven European Strategic Autonomy. Operationalising a Buzzword Tallinn International Center for Defence and Security/Konrad Adenauer Foundation 2019


Die Strategische Autonomie Europas ist schon seit den 1990ern ein gewichtiges Thema, jedoch machen vier miteinander verbundene Entwicklungen die aktuelle Relevanz des Konzepts deutlich. Die Rückkehr militärischer Machtpolitik an den Rändern Europas, die immer stärkere Verlagerung des politischen Fokus der USA weg von Europa, der Abstieg der westlich-liberalen Weltordnung und die internen Herausforderungen für den Zusammenhalt Europas führen dazu, dass das Konzept der Strategischen Autonomie verstärkt diskutiert wird. Die Autoren greifen diesen Diskurs auf, diagnostizieren jedoch, dass das Konzept bislang nicht genügend ausformuliert und umgesetzt wird. Hier setzt die Studie an, indem sie eine Operationalisierung des Begriffs „Strategische Autonomie Europas“ anbietet und daraus Handlungsempfehlungen für die politischen Akteure generiert.

Das Papier legt im ersten Teil den historischen Kontext dar, vor dem sich das Konzept der Strategischen Autonomie Europas entwickelt habe. Im zweiten Teil werden die Argumente für oder gegen ein Mehr an Strategischer Autonomie vorgestellt und diskutiert. Im dritten Teil wird das Konzept, mit Fokus auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, detaillierter ausgeführt und in ein Modell mit vier Dimensionen (politische, institutionelle, kapazitive sowie rüstungsindustrielle Autonomie) überführt. Diese Aufteilung erlaubt es, den aktuellen Stand der europäischen Autonomie festzustellen, kritische Fragen sowie Hindernisse zu identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Im Bereich der politischen Autonomie sei die Frage entscheidend, wer überhaupt mit „Europa“ gemeint ist, wer die Führung im Prozess zu mehr Autonomie übernehmen kann und welche strategischen Ambitionen damit überhaupt erreicht werden sollen. Die Autoren verweisen zu Recht darauf, dass zwischen europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union zu unterscheiden ist. Ein Umstand, der nach dem Brexit noch stärker ins Gewicht fallen wird. Ebenso spiele die NATO als Forum eine wichtige Rolle. Die Autoren plädieren hier für eine „EU+X“-Lösung. Bezüglich der Frage nach der Führung wird als wahrscheinlichstes Szenario eine eher informelle Zusammenarbeit von Frankreich, Deutschland und Großbritannien skizziert. Das „level of ambition“ für Europas Strategischer Autonomie sei aus der European Union Global Strategy abzuleiten und ziele auf Krisenmanagement und Stabilisierungseinsätze in Europas Nachbarschaft ab. Obwohl die EU über Artikel 42.7 ein Mandat für kollektive Verteidigung hat, werde diese Aufgabe klar bei der NATO verortet und sollte auf europäischer Ebene nicht autonom angegangen werden.

Bei der institutionellen Autonomie gehe es um die Exekutiv- und Führungsstrukturen, damit die selbst gesetzten Prioritäten auch umgesetzt werden können. Im Vergleich zur NATO seien diese Strukturen in Europa eher unzureichend ausgebildet. Auf die Frage, in welchem Rahmen Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden sollten, gäbe es verschieden Optionen: innerhalb der EU, durch einen stärkeren europäischen Teil innerhalb der NATO, oder durch eine kleinere Gruppe von einzelnen Staaten. Die Autoren argumentieren, dass es wahrscheinlich sei, dass die grundsätzlichen Entscheidungen bezüglich der europäischen Verteidigungspolitik nicht innerhalb von EU-Gremien, sondern in eher weniger formellen Formaten ausgehandelt und beschlossen werden.

Obwohl der Bereich der Kapazitäten essentiell für die strategische Autonomie sei, mangele es den Europäern immer noch an vielen militärischen Schlüsselfähigkeiten, um autonom handeln zu können. Hier liege die Verantwortung weiterhin bei den einzelnen Staaten. Die EU, die NATO oder andere Formate könnten nur Anreize setzen (z. B. durch PESCO) und eine koordinierende Aufgabe (z. B. durch den EU CDP oder den NATO Defence Planning Process) übernehmen. Damit jedoch Europa von der NATO unabhängig strategisch-autonom handeln könne, sei ein breiter Konsens aller beteiligten Staaten notwendig, damit die Verteidigungshaushalte entsprechend angepasst und die notwendigen Kapazitäten angeschafft werden können (ein Vorhaben, welches klar über das 2 %-Ziel der NATO hinausgehen würde). Solange dieser Konsens nicht bestehe, so die Verfasser, wird die Strategische Autonomie Europas an den unzureichenden Mitteln und Instrumenten scheitern.

Um Autonomie in den Bereichen Fähigkeiten und Kapazitäten herzustellen, sei auch ein Mindestmaß an Autonomie im Bereich der Rüstungsindustrie notwendig. Nur so könne sichergestellt werden, dass Europa technologisch auf dem neuesten Stand bleibt und der Nachschub entsprechend sichergestellt ist. Aufgrund der hohen Fragmentierung des Rüstungssektors liege auch hier das Heft des Handelns hauptsächlich bei den einzelnen Staaten. Auch hier könnten EU, NATO oder informelle Staatengruppen nur koordinierende Aufgaben übernehmen.

Um die Strategische Autonomie Europas zu erreichen, so die Verfasser, seien substantielle Entwicklungen in allen vier Dimensionen notwendig. Ebenso wird es entscheidend sein, sowohl den skeptischen europäischen Staaten als auch den amerikanischen Verbündeten deutlich zu machen, was Strategische Autonomie Europas wirklich bedeute: „freedom to act, not […] freedom from others.“ Die EU habe in diesem Prozess eine wichtige, aber nicht die führende Rolle. Sie müsse offen und flexibel genug sein, so dass innerhalb und außerhalb der EU einige wenige Staaten vorangehen und Führung übernehmen können. Ebenso sei auch nach dem Brexit eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Großbritannien anzustreben, da sich sonst das Kapazitätenproblem massiv verstärken würde. Neben der EU seien jedoch die einzelnen Staaten die Hauptverantwortlichen, wenn es um das Ziel der Realisierung der Strategischen Autonomie Europas geht.

https://icds.ee/european-strategic-autonomy-operationalising-a-buzzword/

Published Online: 2020-06-04
Published in Print: 2020-05-26

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Kriege und Kriegsgefahren im kommenden Jahrzehnt
  6. Nordkoreas Cyber-Krieg Strategie: Kontinuität und Wandel
  7. Afghanistan: Droht durch die „Friedensvereinbarung“ eine Vietnamisierung des Konflikts?
  8. Operative Anpassung von NATO-Streitkräften seit der Krim: Muster und Divergenzen
  9. Kurzanalysen und Berichte
  10. Clausewitz, Corbett und Corvetten – Great Power Competition durch die Augen eines Meliers
  11. Sicherheitspolitische Dilemmata der baltischen Staaten
  12. Was verrät uns das russische Großmanöver Tsentr-2019?
  13. Literaturbericht
  14. Russlands subversive Kriegsführung in der Ukraine
  15. Ergebnisse internationaler strategischer Studie
  16. Sicherheit in Nordeuropa
  17. Robert M. Klein/Stefan Lundqvist/Ed Sumangil/Ulrica Pettersson: Baltics Left of Bang. The Role of NATO with Partners in Denial-Based Deterrence. Stockholm: Strategic Forum, 2019
  18. Arseny Sivitsky: Belarus-Russia: From a Strategic Deal to an Integration Ultimatum. Philadelphia, PA: Foreign Policy Research Institute (FPRI), Dezember 2019
  19. Maria Domańska/Szymon Kardaś/Marek Menkiszak/Jadwiga Rogoża/Andrzej Wilk/Iwona Wiśniewska/Piotr Żochowski: Fortress Kaliningrad. Ever Closer to Moscow. Warschau: Center for Eastern Studies (OSW), November 2019
  20. Verteidigung im Rahmen der NATO
  21. Claudia Major: Die Rolle der Nato für Europas Verteidigung – Stand und Optionen zur Weiterentwicklung aus deutscher Perspektive. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
  22. Colin Smith/Jim Townsend: Not enough Maritime Capability. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  23. Pauli Järvenpää/Claudia Major/Sven Sakkov: European Strategic Autonomy. Operationalising a Buzzword. Tallinn: International Center for Defence and Security/Konrad Adenauer Foundation, 2019
  24. Russland
  25. Susanne Oxenstierna/Fredrik Westerlund/Gudrun Persson/Jonas Kjellén/Nils Dahlqvist/Johan Norberg/Martin Goliath/Jakob Hedenskog/Tomas Malmlöf/Johan Engvall: Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective, Stockholm: FOI, Dezember 2019
  26. Finish Ministry of Defence: Russia of Power. Helsinki, Juni 2019
  27. Pavel Baev: Russian Nuclear Modernization and Putin’s Wonder-Missiles. Real Issues and False Posturing. Paris: Ifri, August 2019
  28. Philip Hanson: Russian Economic Policy and the Russian Economic System. Stability versus Growth. London: Chatham House, Dezember 2019
  29. Globale Großmachtrivalität
  30. Angela Stent: Russia and China. Axis of Revisionists? Washington, D.C.: The Brookings Institution, February 2020
  31. Bruce Jones: China and the return of great power strategic competition. Washington, D.C.: The Brookings Institution, Februar 2020
  32. Chris Dougherty: Why America Needs a New Way of War. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  33. Patrick M. Cronin/Ryan Neuhard: Total Competition. China’s Challenge in the South China Sea. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Januar 2020
  34. Chinas Belt and Road Initiative und Europa
  35. Frank Jüris: The Talsinki Tunnel. Channeling Chinese Interests into the Baltic Sea. Talllin: ICDS, Dezember 2019
  36. Steven Blockmans/Weinian Hu: Systemic Rivalry and Balancing Interests: Chinese Investment meets EU Law on the Belt and Road. Brüssel: CEPS, März 2019
  37. Cyberspace
  38. Lillian Ablon/Anika Binnendijk/Quentin E. Hodgson/Bilyana Lilly/Sasha Romanosky/David Senty/Julia A. Thompson: Operationalizing Cyberspace as a Military Domain. Santa Monica, Cal.: RAND Corp., Juni 2019
  39. Beyza Unal: Cybersecurity of NATO’s Space-based Strategic Assets. London: Chatham House, Juli 2019
  40. Jean-Christophe Noël: What Is Digital Power? Paris: Ifri, November 2019
  41. Elsa B. Kania: Securing Our 5G Future. The Competitive Challenge and Considerations for U.S. Policy. Washington, D.C.: Center for a New American Security, November 2019
  42. Buchbesprechungen
  43. Rob de Wijk: De nieuwe wereldorde. Hoe China sluipenderwijs de macht overneemt (Die neue Weltordnung: wie China klammheimlich die Macht übernimmt) Amsterdam: Uitgeverij Balans 2019, 438 Seiten
  44. Sergio Fabbrini, 2019: Europe’s Future. Decoupling and reforming. Cambridge: Cambridge University Press, 180 Seiten
  45. Dmitry Adamsky: Russian Nuclear Orthodoxy. Religion, Politics, and Strategy. Stanford, Cal.: Stanford University Press, 2019, 376 Seiten
  46. David A. Haglund: The US “Culture Wars” and the Anglo-American Special Relationship. Cham, Switzerland: Palgrave Macmillan, 2019, 254 Seiten
  47. Sebastian Kaempf: Saving Soldiers or Civilians? Casualty-Aversion versus Civilian Protection in Asymmetric Conflicts. Cambridge: Cambridge University Press, 2018, 302 Seiten
  48. Bildnachweise
  49. Translated Articles (e-only)
  50. North Korea’s Evolving Cyber Strategies: Continuity and Change
Downloaded on 3.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-2015/html
Scroll to top button