Fornoff, Roger: Migration, Demokratie, Werte: Politisch-kulturelle Bildung im Kontext von Deutsch als Zweitsprache. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 2018 (Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 100). – ISBN 978-3-86395-384-3. 293 Seiten, € 35,00.

Rico Ehren

doi:10.1515/infodaf-2020-0035

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Fornoff, Roger: Migration, Demokratie, Werte: Politisch-kulturelle Bildung im Kontext von Deutsch als Zweitsprache. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 2018 (Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 100). – ISBN 978-3-86395-384-3. 293 Seiten, € 35,00.

Rico Ehren

Veröffentlicht/Copyright: 17. April 2020

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Aus der Zeitschrift Informationen Deutsch als Fremdsprache Band 47 Heft 2-3

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Fornoff, Roger: Migration, Demokratie, Werte: Politisch-kulturelle Bildung im Kontext von Deutsch als Zweitsprache. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 2018 (Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 100). – ISBN 978-3-86395-384-3. 293 Seiten, € 35,00.

„Obwohl der Orientierungskurs neben dem sprachlichen Teil des Integrationskurses vermutlich die wichtigste integrationspolitische Fördermaßnahme des Bundes darstellt, ist er bislang nur in einem sehr geringfügigen Maße zum Gegenstand umfangreicher empirischer Analysen geworden“ (139).

Der Orientierungskurs zielt als bundesseitiges Angebot im Umfang von 100 Unterrichtseinheiten „auf die Vermittlung von Alltagswissen, Kenntnissen der deutschen Geschichte, Rechtsordnung und Kultur, sowie auf die Vermittlung von Werten“ (BMI 2016: 48) ab. Die Schlussfolgerung, dass der sogenannten Integrationsmaßnahme vor dem Hintergrund ihres Auftrags eine immense gesellschafts- und integrationspolitische Bedeutung zugeschrieben wird, steht im Widerspruch zum Fehlen empirischer Untersuchungen dieses Angebots. Analysen zu Akteur*innen und Interaktionen, zu curricularen Vorgaben sowie zum zugelassenen Lehrmaterial, aber auch hegemonie- und rassismuskritische Betrachtungen stellen nur einige Desiderate dar.

Fornoff diagnostiziert „den Aspekt der Demokratie- und Wertevermittlung“ (15) als ein solches Desiderat und nimmt dieses als Anlass für die Studie, welche als 100. Band der Reihe Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache veröffentlicht wurde und als Jubiläumsband die Dringlichkeit und Bedeutung einer weitgreifenden Analyse und Reflexion des Orientierungskurses deutlich macht. Im Rahmen der Untersuchung wurden Interviews mit Orientierungskurslehrkräften durchgeführt und ausgewertet. Das monographische Ergebnis ist in einen theoriegeleiteten und in einen empirisch-interpretativen Teil zu untergliedern. Diesen ist ein Umriss des Forschungsfeldes vorangestellt, in welchem bereits durchgeführte Studien vorgestellt werden.

Der erste Teil der Arbeit spannt den theoretisch-konzeptionellen sowie historischen Bezugsrahmen der Studie auf und geht dezidiert der Frage nach, „was Werte überhaupt sind, wie sie sich herausbilden und in welcher Hinsicht sie eine kulturelle und gesellschaftliche Relevanz beanspruchen können“ (15). Zunächst setzt sich Fornoff in den Kapiteln 2 Partikularismus und Universalismus: Zwei Integrationsmodelle und 3 Die bundesdeutsche Integrationspolitik und ihr verfassungstheoretischer Hintergrund mit dem Begriff „Integration“ auseinander. Im Rahmen der Gegenüberstellung partikularistischer und universalistischer Auffassungen von Integration verweist der Autor auch auf Debatten um eine sogenannte „deutsche Leitkultur“. Die Diskussion wird durch historisch-chronologische Bezüge zu integrationspolitischen Instrumenten erweitert. Fornoff attestiert der deutschen Integrationspolitik vor der sogenannten Flüchtlingskrise Bestrebungen, „dem Integrationsbegriff jede inhaltliche Schärfe zu nehmen“ (27) – indes sei jedoch „unschwer die Rückwendung zu einer tendenziell partikularistischen Auffassung von Integration“ (28) zu erkennen. Im Kapitel 4 Politisch-kulturelle Bildung als Herausforderung für das Fach Deutsch als Zweitsprache ergänzt der Autor zunächst das der Studie zugrunde liegende Desiderat um das Argument, dass die „landeskundlich-kulturwissenschaftliche [...] Ausrichtung des Faches Deutsch als Fremdsprache im Bereich DaZ im Grunde inexistent“ (34) sei. Fornoff richtet hierbei den Blick auf den schulischen sowie erwachsenenpädagogischen DaZ-Bereich: Ist die politisch-kulturellen Bildung in der Schule eine Querschnittsaufgabe, so fungiert in der Erwachsenenbildung der Orientierungskurs als „Baustein deutscher Integrationspolitik“ (36). Der Autor macht deutlich, dass neben landeskundlicher Wissens- und Kompetenzvermittlung vor allem affektive Lernziele an die Lerner*innen gerichtet sind. Dabei versäumt er es nicht, den rechtlich-curricularen Rahmen des erwachsenenpädagogischen Angebots zu skizzieren, Kritik zu äußern und die Notwendigkeit der Vermittlung politikdidaktischen Wissens in der Ausbildung von DaZ-Lehrer*innen zu verdeutlichen. Die Kapitel 5 Werte und Kultur. Theoriehistorische Perspektiven, 6 Werte und Demokratie und 7 Konzepte der Wertvermittlung diskutieren die Frage nach „kulturellen Werten“ und „kultureller Identität“ anhand kulturtheoretischer sowie wertephilosophischer und -ethischer Ansätze. Aufbauend auf der Klassifizierung von Werten als „Qualitäten, die man bestimmten Objekten, Verhältnissen oder Ideen zuschreibt“ (65), erfolgen eine Diskussion verschiedener Definitionsversuche in Abgrenzung zum Begriff „Norm“ sowie eine Darstellung von Werten des Grundgesetzes als der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung. Als Konzept wird neben schulischer Wertevermittlung sowie Demokratiepädagogik die politische Bildung – auch in der Einwanderungsgesellschaft – thematisiert. Methodisch-didaktische Überlegungen rahmen die Argumentation. Mit Bezug auf verschiedene Didaktiker*innen der politischen Bildung führt Fornoff den Beutelsbacher Konsens ein und hebt das Indoktrinationsverbot hervor – politische Bildung „ist folglich [...] prinzipiell ergebnisoffen“ (97). Der Autor stellt fest, dass sich entsprechende Angebote häufig (nur) an migrierte Menschen richten und verknüpft diese Erkenntnis in Anlehnung an Hall (1989) und Balibar (1992) knapp mit (neo-)rassistischen Realitäten. Der erste Teil der Monographie wird mit dem Kapitel 8 Konstruktivistische Pädagogik und Integration. Das Konzept des kulturbezogenen Deutungslernens im Kontext von Deutsch als Zweitsprache abgeschlossen. Fornoff knüpft hier mit Bezug auf Altmayers Überlegungen einen Zusammenhang zwischen Werteübernahmen oder -transformationen im Zuge von „Integration“ mit „affektbelasteten Prozessen der Identitätstransformation“ (130). Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Individuen Wahrheiten selbst konstruieren – und so „der Konstruktivismus Formen der Autonomie und Selbstverantwortung stärkt“ (135) und „als eine Strategie der Aufwertung und Selbstermächtigung des Subjekts verstanden werden kann“ (ebd.).

Die ausführliche Zusammenfassung des theoretischen Bezugsrahmens spiegelt das facetten- und umfangreiche Konzept wider, welches der qualitativen Untersuchung zugrunde liegt. Hervorzuheben ist der starke Bezug auf Modelle der politischen Bildung sowie den Beutelsbacher Konsens, der als eine wesentliche Grundlage des landeskundlichen Lernens im Umfeld von DaZ eingeführt wird. Fornoff argumentiert dabei mit Bezug auf einschlägige Politikdidaktiker*innen auch, welche Bedeutung der politischen Bildung schon in der Qualifizierung (angehender) Orientierungskurslehrkräfte zukommt.

Den zweiten Teil des Buches bilden die Darstellung und Auswertung des empirischen Materials. Fornoff führte insgesamt sieben Leitfadeninterviews mit Orientierungskurslehrer*innen und wertete diese durch eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) und Kuckartz (2016) aus. Die Studie rückt die Vermittlung demokratischer Werte als spezifischen Aspekt von Orientierungskursen ins Blickfeld. Im Mittelpunkt stehen dabei die Lehrkräfte. Herauszufinden, „ob die Lehrenden als ausgewiesene Praktiker*innen auf dem Feld migrationsbezogener politisch-kultureller Bildung [...] die curriculare Aufgabe der Wertevermittlung ausführen, wie ihre konkrete Praxis auf dem Feld aussieht, welche Erfahrungen sie bei der Vermittlungsarbeit machen und wie sie sich selbst in diesem Zusammenhang wahrnehmen“ (140), formuliert der Autor als Anliegen der Studie. Des Weiteren liegt der Fokus auf dem „Grad der Professionalität des Unterrichts“ (ebd.). Als Grundlage der Interviews wird ein Fragenkatalog aus zwölf Fragen vorgestellt. Im Kapitel 9 Empirische Studie: Demokratie- und Wertevermittlung im Orientierungskurs werden Interviews mit drei Befragten ausschnittsweise dargestellt und umfangreich interpretiert. Fornoff arbeitete dabei Kategorien heraus, die im Kapitel 10 Kategoriales Resümee, verdichtet zu den folgenden sechs Hauptkategorien, diskutiert werden: Kritik des Orientierungskurses, der sprachliche Aspekt, Demokratie- und Wertevermittlung, Wertekonflikte, die Selbstwahrnehmung der Lehrenden, die Wahrnehmung der Lernenden durch die Lehrenden (vgl. 255). In der Auseinandersetzung mit den Befunden bewertet der Autor mit Bezug auf das Indoktrinationsverbot des Beutelsbacher Konsens den Verdacht, Wertevermittlung sei „eine Art ideologische Manipulation und politische Stilllegung“ (260), als unberechtigt. Nicht zuletzt stellt dies eine gewisse Diskrepanz mit den hegemoniekritischen Untersuchungen im Umfeld der Migrationspädagogik dar.

Nicht nur die Inhaltsanalyse, sondern auch die Argumentation Fornoffs weist eine kritische Betrachtung des Orientierungskurses auf und bietet in der Formulierung eines kategorialen Resümees Anknüpfungspunkte für eine umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Angebot. Auffällig ist dabei die wiederholte Kritik am Abschlusstest Leben in Deutschland, die an mehreren Stellen der Monographie geäußert wird.

Das Buch kann als ein Plädoyer für politische Bildung sowie ihre Didaktik und Methodik für alle Akteur*innen des Orientierungskurses verstanden und geschätzt werden. Fornoff grenzt seine Studie bewusst von migrationspädagogischen Ansätzen ab, die das Heterogenitätsfeld Migration als soziale Konstruktion verstehen. Der Autor stellt fest, dass die Betrachtung aufgrund des Fokus auf die Lehrkräfte einseitig ist (vgl. 266 f.). Es ist daher zu wünschen, dass in anschließenden Publikationen hegemonie- und rassismuskritische Deutungsansätze – auch hinsichtlich institutionellen Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft – in die Analyse des empirischen Materials sowie in die Reflexion des zuschreibenden Charakters von Integrations- und Normalitätsvorstellungen stärker einbezogen werden. Ein kritisches Nachschlagewerk hierzu bieten Arndt und Ofuatey-Alazard (2011) an. Dies würde nicht zuletzt unterstreichen, dass sich die geforderte politisch-kulturelle Bildung an die Gesamtgesellschaft richtet. Verwiesen sei hier auch das Projekt Werdet doch bitte so wie wir gern wären (vgl. Heinemann 2018), welches den Deutschkurs in den Migrationsgesellschaften Deutschland und Österreich untersucht.

Literatur

Arndt, Susan; Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.) (2011): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv der deutschen Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast.Suche in Google Scholar

Balibar, Étienne (1992): „Gibt es einen »Neo-Rassismus«?“ In: Balibar, Étienne; Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation: Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument, 23–38.Suche in Google Scholar

BMI – Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (Hrsg.) (2019): Darstellung der Maßnahmen der Bundesregierung zur Sprachförderung und Integration. Aktualisierung 2019. Online: https://www.bmbf.de/files/P123772_Zarbock_Bundesregierung_Sprachförderung_barrierefrei_UA_FINAL.pdf (12. Dezember 2019).Suche in Google Scholar

Hall, Stuart (1989): „Rassismus als ideologischer Diskurs“. In: Das Argument, 178, 913–921.Suche in Google Scholar

Heinemann, Alisha M. B. (2018): Alles unter Kontrolle? Der Deutschkurs in der Einwanderungsgesellschaft. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 41, 79–92. Online: https://doi.org/10.1007/s40955-018-0106-8 (12. Dezember 2019).10.1007/s40955-018-0106-8Suche in Google Scholar

Kuckartz, Udo (2016): Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim: Beltz.Suche in Google Scholar

Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.10.1007/978-3-531-92052-8_42Suche in Google Scholar

Online erschienen: 2020-04-17

Erschienen im Druck: 2020-04-08

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2020-0035