Schenk, Klaus; Zeisberger, Ingold (Hrsg.): Fremde Räume. Interkulturalität und Semiotik des Phantastischen. Würzburg: Könighausen & Neumann, 2017. -- ISBN 978-3-8260-5446-4. 279 Seiten, € 39,80.

Tobias Akira Schickhaus

doi:10.1515/infodaf-2020-0073

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Schenk, Klaus; Zeisberger, Ingold (Hrsg.): Fremde Räume. Interkulturalität und Semiotik des Phantastischen. Würzburg: Könighausen & Neumann, 2017. -- ISBN 978-3-8260-5446-4. 279 Seiten, € 39,80.

Tobias Akira Schickhaus

Published/Copyright: April 17, 2020

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From the journal Informationen Deutsch als Fremdsprache Volume 47 Issue 2-3

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Schenk, Klaus; Zeisberger, Ingold (Hrsg.): Fremde Räume. Interkulturalität und Semiotik des Phantastischen. Würzburg: Könighausen & Neumann, 2017. -- ISBN 978-3-8260-5446-4. 279 Seiten, € 39,80.

Mit dem Titel des Sammelbandes erhalten Leser*innen auch eine Einladung zum interdisziplinären Brückenschlag: Fragen zur kulturellen Wechselwirkung gewinnen mit der Problematisierung des Phantastischen eine interessante und sehr lesenswerte Neuperspektivierung interkultureller Literaturforschung. Und damit ist der Sammelband ein Gewinn, denn besonders interkulturelle Literaturforschung zeichnet sich in ihrer bisherigen Fachgeschichte durch eine beachtliche Einseitigkeit aus: Liegen mittlerweile vielfältige Erkenntnisse kulturwissenschaftlicher Fragestellungen unter Berücksichtigung des Erzählens und zur Gattung des Romans vor, öffnet sich dieselbe Wissenschaft nur langsam den vielfältigen Perspektiven gattungsübergreifender und intermedialer Horizonte. Insofern ist die thematische Öffnung, die Schenk/Zeisberger mit der Verbindung vom Phantastischen und Interkulturellen anstoßen, sehr zu begrüßen.

Doch der Reihe nach: Die Beiträge des Bandes gehen aus dem Kolloquium Fremde Räume. Interkulturalität und Semiotik des Phantastischen hervor, das im November 2013 am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Technischen Universität Dortmund gemeinsam von Klaus Schenk und Ingold Zeisberger durchgeführt wurde. Der aus dem Kolloquium entstandene Sammelband konzentriert sich in drei thematischen Abschnitten auf die Phantastik der Moderne (107–164), Natur- und Stadträume des Phantastischen (165–228) sowie auf Phantastische Räume in der Kinder- und Jugendliteratur (229–276). Mag sich Leser*innen auf den ersten Blick noch der Eindruck des Additiven und Unvermittelten aufdrängen, erschließt sich nach der Lektüre des Vorworts rasch die editorisch schlüssige Idee: Ausgehend von Jurij M. Lotmans Theorie der Grenzüberschreitung gehen die Beiträge nämlich der Frage nach, „in welcher Beziehung Fremdes und Phantasie stehen können“ (7). Von besonderem Interesse ist dabei die Verschränkung semantischer und topographischer Aspekte des Fremden in der Phantastik und umgekehrt.

Eröffnet wird der Band mit theoretischen Vorüberlegungen zur phantastischen Literatur (13–106). Monika Schmitz-Emans diskutiert in ihrem Beitrag Phantastische Literatur: eine Herausforderung für die Literaturtheorie (13–30) die definitorische Schwierigkeit, das Phantastische vom Realistischen und Wirklichen abzugrenzen. Mit Verweis auf Tzvetan Todorovs Introduction à la littérature fantastique (1975), dem Bild des Phantastischen (1974) von Roger Caillois und Hans Blumenbergs Ausführungen in Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit im Roman (1969) arbeitet Emans konzise heraus, dass die mit einer Erzählung immer auch suggerierte Kohärenz gerade in der phantastischen Literatur von der Überraschung dargestellter Inkohärenz unterwandert wird (vgl. 21). Um literarische Prozesse dieser ambivalenten Beziehung rekonstruierbar zu machen, schlägt Emans den Begriff der „phantastischen Beschreibungsliteratur“ (25) vor.

Stefan Neuhaus zeigt in seinem Beitrag Von Sandmännern, Ungeziefern und Lindwürmern. Doppelt heterotopische Räume bei E. T. A. Hoffmann, Franz Kafka und Walter Moers (31–51) auf, wie viele Möglichkeiten es in der Literatur gibt, fiktive Spiegelungen von Realitäten mittels des Phantastischen zu gestalten. Dabei folgt Neuhaus dem 1967 verfassten und 1984 veröffentlichten Konzept der Heterotopie (35 f.) von Michel Foucault.

Ludwig Tieck brachte die Sprache des Phantastischen in der 1791/92 konzipierten und 1793 im Katalog der Frankfurter und Leipziger Michaelismesse erstmals angekündigten Erzählung Abdallah, oder das furchtbare Opfer, eine morgenländische Erzählung in drei Büchern zum Ausdruck; den Schritt vom Verstandsmäßigen zur Poesie zeichnet Tobias Lachmann in seinem Beitrag Seelenlandschaften. Gebiete des „Abenteuerlichen“, „Schrecklichen“ und „Wunderbaren“ in Texten Tiecks (51–76) nach. Während hier das literarisch Phantastische seinen Weg über die orientalistische Deskription zur Entautomatisierung alltäglicher Lebenswelten geht, verschiebt der Beitrag von Ingold Zeisberger die Perspektive auf kulturgeschichtliche Phänomene: In Fremdes in fremden Räumen. Alraunen bei Achim von Arnim und Hanns Heinz Ewers (77–104) widmet sich der Beitrag der Frage, warum gerade der Alraune -- oder auch bekannt als Mandragora -- das magische Potenzial literarischer Grenzüberschreitungen zugeschrieben wird.

Im zweiten Kapitel des Sammelbandes versammeln sich drei weitere, sehr lesenswerte Beiträge zur „Phantastik der Moderne“ (107–164). Hier wird -- ebenfalls in Anlehnung an Foucaults Begriff der Heterotopie -- Tod Brownings Spielfilm FREAKS (1932) von Eckard Pabst (145–164) besprochen. Zuvor diskutieren Marianne Wünsch (107–116) und Hans Krah (117–144) literarische Raumstrukturen zwischen dem Phantastischen, Mythologischen und der Arbeitswelt in ausgewählten Erzählungen von Howard Phillips Lovecraft (1890–1937) und Hans Richters Roman Der Kanal (1923). Darüber hinaus erarbeitet Hans Krah anhand der Texte Amadeus (John Knittel, 1939) und Der Tunnel (Bernhard Kellermann, 1913) eindrucksvoll heraus, wie sich Ideen transnationaler Großraumprojekte zur Kontinentenverschmelzung von Europa und Afrika als interkulturelle Utopien präsentieren; die dahinterstehende Ideologie jedoch bezweckt den allseits bekannten und hegemonialen Machterhalt durch Raubbau und Kolonisierung.

Von den großen gesellschaftlichen Utopien spannt Hans Richard Brittnacher den Bogen zur Natur: Mit der Wahl des Titels Phantastisches Gelände: Der Sumpf (165–180) liegt der Metaphorisierung in phantastischer Literatur ein sprichwörtlich düster fließender Raum zugrunde, denn Gelände ist dem Begriff nach erstmal nur unbebautes Terrain. Es kann trockengelegt, urbar gemacht und kolonisiert werden; Gelände kann aber auch in seinen künstlerischen Potenzialen einer Reflexion unterzogen werden. So ist uns der Sumpf als locus horriblis sowohl in Kriminalliteratur und phantastischer Literatur als Schwellenort narrativer Grenzüberschreitungen und dramaturgischer Brüche wohl bekannt. Aktuelle Beispiele diskutiert Brittnacher unter anderem anhand der US-amerikanischen Vampirserie TRUE BLOOD (Alan Ball, 2008–2014) und der Erzählung Teichlandschaft mit Erle und Weide (Clark Ashton Smith, 1948). Martin Nies widmet sich in seinem Beitrag der Stadt Venedig als räumliche[r] Manifestation des Fantastischen (181–204) und Klaus Schenk untersucht Zeit/Räume in der deutschsprachigen Phantastik Prags (205–228). Im vierten Abschnitt des Sammelbandes stehen phantastische Räume in der Kinder- und Jugendliteratur im Zentrum. Hier untersucht Ulf Abraham (229–248), wie raumbezogenes Erzählen als Vehikel für Sozialisation, Entwicklung und Identitätsfindung genutzt wird. Einen weiteren und sehr spezifischen Raum für phantastische Literatur präsentiert dann Maren Bonacker (249–276) in ihrem Beitrag über Bibliotheken in Kinder- und Jugendliteratur. Diese werden als verborgene und schwer durchschaubare Räume mit belebten Büchern und furchteinflößenden Bibliothekaren dargestellt.

Der Sammelband überzeugt durch seine umfang- und materialreichen Beiträge, die obendrein allesamt sehr gut geschrieben sind. Etwas schade ist hingegen, dass fast alle Autor*innen -- mit Ausnahme von Hans Krah -- einen großen Bogen um eine explizite Problematisierung der Interkulturalität machen. Dies verwundert, schließlich wird doch der Begriff im Untertitel des Sammelbandes hervorgehoben. Aber möglicherweise ist diese Kritik selbst zu gegenstandsbezogen, denn: Es ist die Stärke dieses Sammelbandes, dass die interkulturelle Dynamik durch die Wechselwirkung kultureller, topographischer und semantischer Aspekte dessen, was wir als fremd wahrnehmen, erörtert wird. Dabei gehen die Autor*innen trotz ihrer methodisch doch auffallend unterschiedlichen Ansätze allesamt sehr erkenntnisbezogen vor. Und das ist erfrischend!

Online erschienen: 2020-04-17

Erschienen im Druck: 2020-04-08

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2020-0073