Spaniel-Weise, Dorothea: Europäische Mehrsprachigkeit, bilinguales Lernen und Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme, 2018 (Studien zu Fach, Sprache und Kultur, 6). -- ISBN 978-3-7329-0488-4. 356 Seiten, € 49,80.

Hana Andrášová

doi:10.1515/infodaf-2020-0078

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Spaniel-Weise, Dorothea: Europäische Mehrsprachigkeit, bilinguales Lernen und Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme, 2018 (Studien zu Fach, Sprache und Kultur, 6). -- ISBN 978-3-7329-0488-4. 356 Seiten, € 49,80.

Hana Andrášová

Published/Copyright: April 17, 2020

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From the journal Informationen Deutsch als Fremdsprache Volume 47 Issue 2-3

Rezensierte Publikation:

Spaniel-Weise, Dorothea: Europäische Mehrsprachigkeit, bilinguales Lernen und Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme, 2018 (Studien zu Fach, Sprache und Kultur, 6). -- ISBN 978-3-7329-0488-4. 356 Seiten, € 49,80.

Die vorliegende Monographie von Dorothea Spaniel-Weise, zugleich auch Dissertationsschrift an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2018, greift ein sehr aktuelles sowie in Europa (und nicht nur in Europa) sehr sinvolles und in Schule und Unterricht brauchbares Thema der Mehrsprachigkeitsforschung auf. Mehrsprachigkeit, europäische Mehrsprachigkeitspolitik, Europakompetenz, europäische Identität und bilinguales Lernen sind Termini, zu denen in den letzten Jahren zahlreiche Monographien, Sammelbände, Beiträge etc. erschienen sind und zahlreiche Konferenzen in aller Welt veranstaltet wurden. Es sind Termini, die in der Didaktik Deutsch als Fremdsprache an allen germanistischen Instituten Europas fest verankert sind. In dieser Situation ist es gar nicht einfach, das Thema erneut anzuschneiden, eine neue Forschungsperspektive zu finden und der Öffentlichkeit etwas tatsächlich Neues vorzulegen. Von Anfang an also war die Ausgangssituation für das Verfassen einer solchen Dissertationsschrift nicht leicht.

Dorothea Spaniel-Weise weist gleich im einleitenden Kapitel darauf hin, dass es trotz Versuchen der euroäischen Sprachenpolitik um Wertschätzung der jeweiligen Nationalsprachen Entwicklungen gibt, die „dem Bestreben nach Ausbildung mehrsprachiger Kompetenzen bei EU-Bürgern zuwiderlaufen“ (19). Die Diskrepanz zwischen regionalen Profilen institutioneller schulischer Fremdsprachenangebote und Anwendungserfordernissen in fremdsprachigen Kommunikationssituationen interregionaler Zusammenarbeit zeigen sich nach Spaniel-Weise (vgl. 19) im Spannungsverhältnis der Umsetzung von Programmen zur Diversifizierung des Fremdsprachenunterrichts und dem Erlernen von Nachbarsprachen an Schulen Europas. Der Fokus auf das Erlernen der englischen Sprache als eines internationalen Kommunikations- und Verständigungsmittels in der schulischen Fremdsprachenausbildung führe ihres Erachtens zu Diskrepanzen zwischen Ideen und Modellen zur Sicherung europäischer Mehrsprachigkeit und konkreten Bildungs- und Erziehungsrealitäten (vgl. 20). In ihrer Arbeit hat sie sich entschieden, am Beispiel einer strukturschwachen ostdeutschen Grenzregion zu zeigen, welche Zusammenhänge es zwischen europäischer Mehrsprachigkeit und europäischer sowie nationaler Identitätszuschreibung in der aktuellen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und bildungspolitischen Situation gibt.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Nach dem ersten, einleitenden Kapitel, in dem -- genau im Einklang mit dem Usus für Dissertationsschriften -- die Ziele, der Inhalt sowie das methodische Vorgehen präsentiert werden, widmet sich Dorothea Spaniel-Weise im zweiten Kapitel gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für europäische Mehrsprachigkeit mit besonderem Augenmerk auf europäische Identität und europäische Sprachenpolitik in der deutsch-polnisch-tschechischen Grenzregion, wobei der Begriff „Grenzregion“ detailliert aufgegriffen, definiert und im Zusammenhang mit der Herausbildung einer „Grenzkompetenz“ als eines europäischen Identitätsverständnisses analysiert wird. Der Herausbildung multipler Identitäten dienen laut Spaniel-Weise diversifizierte Fremdsprachenkenntnisse, die von der Entwicklung wirksamer bildungspolitischer Instrumente abhängig sind. Und eben in diesem Punkt stellt die Autorin eine gewisse Diskrepanz zwischen postulierter europäischer und realisierter nationaler Bildungspolitik fest, präsentiert die Entwicklung der Sprachenpolitik in der untersuchten Grenzregion und postuliert Annahmen für ihre eigenkonzipierte Forschung, die davon ausgeht, dass „ein Mehr an Sprachen nicht automatisch zu einem Mehr an europäischer Identität führt“ (20).

Deswegen sammelt sie systematisch alle möglichen Belege für bilinguale Bildungsangebote aus dem ostdeutschen Grenzraum und listet Ergebnisse relevanter Studien zu bilingualen Schulmodellen auf. An Modellen bilingualen Lernens an zwei Schulen des Freistaates Sachsen -- dem binational-bilingualen Bildungsgang des Pirnaer Friedrich-Schiller-Gymnasiums sowie dem Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz -- versucht sie im Untersuchungszeitraum 2004 bis 2011 die Wechselwirkung zwischen Sprachenpolitik und Fremdsprachendidaktik darzulegen. Ab diesem Moment gelangt ihre Schrift in eine neue, originelle Dimmension der Betrachtung des bilingualen Lernens als Basis für die Entwicklung einer europäischen Kompetenz. Sehr detailliert und präzise werden die beiden aktuellen bilingualen Bildungskonzepte in Sachsen auf Grundlage einer Dokumentenanalyse, der Gespräche mit den Schulleitern sowie Projektkoordinatorinnen der beiden Schulen und der Sichtung der Konzeptdarstellungen in Informationsbroschüren für Eltern und Interessierte präsentiert.

Dorothea Spaniel-Weise will in ihrer empirischen Studie, die in den Kapiteln 4 und 5 vorgestellt wird, ermitteln, inwieweit Mehrsprachigkeit als Bildungsziel europäischer Sprach- und Bildungspolitik und Konstituente europäischer Kompetenz durch das Angebot bilingualer Bildungsgänge in den Nachbarsprachen Tschechisch und Polnisch gefördert wird (vgl. 193). Die Ergebnisse ihrer Studie deuten eindeutig darauf hin, dass bilingual-binationale Bildungsgänge mit dem Angebot der Nachbarsprachen Polnisch und Tschechisch in vielen verschieden Aspekten sehr erfolgreich sind. Spaniel-Weise hat Absolventinnen und Absolventen der beiden Schulen befragt und alle Antworten inhaltlich sowie statistisch sehr sorgfältig ausgewertet. Viele Ergebnisse konnten von Anfang an erwartet werden -- so etwa, dass als Hauptmotive des Schulbesuchs vor allem verbesserte Berufschancen gesehen werden, dass die Motivation der Schüler, die Nachbarsprache gut zu erlernen, hoch ist und dass die Schülerinnen und Schüler ein positives Europa-Bild haben und am ehesten zustimmen, sich als Europäer zu fühlen.

Trotzdem gibt es Schlussfolgerungen, die überraschend sind, neue Erkenntnisse bringen und für Bildungsangebote in Nachbarländern von Bedeutung sind. Spaniel-Weise stellt u. a. fest, dass die Inhalte im Sachunterricht nicht genügend auf das Nachbarland ausgerichtet sind und die Zustimmung zu Einsprachigkeitsmodellen mit Englisch als Lingua franca zunimmt. Die Ergebnisse der Absolventenbefragung machen auch deutlich, dass sich allein durch ein diversifiziertes Sprachenangebot bei den Schülerinnen und Schülern noch kein europäisches Bewusstsein herausbildet und mit einer positiven Einstellung zu Mehrsprachigkeit und Europa noch keine europäische Identitätszuschreibung erfolgen muss (vgl. 302). Als etwas überraschend kann man auch die Einschätzung des CLIL-Unterrichts durch die befragten Schülerinnen und Schüler betrachten, denn ihrer Meinung nach ist das Niveau des Unterrichts aufgrund der Reduktion der Inhalte oft zu niedrig. Aus diesem Grund haben sie das CLIL-Konzept überwiegend abgelehnt. Dorothea Spaniel-Weise stellt zudem fest, dass auch die Anforderungen an die Lehrkräfte teilweise zu hoch sind. Häufig benötigen sie dann Unterstützung durch verschiedene Fortbildungsmaßnahmen und gezielte Materialentwicklung. Da die Diskussionen um CLIL- bzw. CLILiG-Unterricht immer noch höchst aktuell sind, kann man Spaniel-Weises Beitrag zu diesem Thema als sehr wichtig erachten.

Die Arbeit von Dorothea Spaniel-Weise ist ein klarer Beweis dafür, wie komplex das Thema der Mehrsprachigkeit ist. Von allen bislang erschienenen Publikationen zu Mehrsprachigkeit unterscheidet sich das vorliegende Buch durch das besondere Augenmerk auf die regionale bzw. grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit im Zusammenhang mit der spezifischen Identitätsbildung und der europäischen Kompetenz im konkreten Dreiländergrenzraum. Die Autorin hat ein brauchbares Methodeninstrumentarium und einen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Lehr- und Arbeitsbedingungen an binationalen Schulen entwickelt, das die Bildungsträger in allen Ländern Europas ohne Weiteres einsetzen können, um bilingual-binationale Bildungsangebote ins Leben zu rufen. Die Übertragbarkeit ihrer Empfehlungen ist etwas, was man besonders hoch schätzen sollte.

Insgesamt bietet das Buch einen interessanten und forschungsbasierten Einblick in die Modelle des bilingualen Unterrichts und ist daher empfehlenswert für alle bildungspolitischen Akteure sowie für Lehrkräfte an Schulen in Grenzregionen nicht nur im untersuchten deutsch-polnisch-tschechischen Grenzraum, sondern in ganz Europa.

Online erschienen: 2020-04-17

Erschienen im Druck: 2020-04-08

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2020-0078