Vidgren, Noora: Deutsch nach Englisch und Schwedisch. Subjektive Theorien finnischer DaF-Lernender über das Lernen von mehr als einer Fremdsprache und die zwischensprachliche Interaktion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2018 (Mehrsprachigkeit und multiples Sprachenlernen/Multilingualism and Multiple Language Acquisition and Learning). – ISBN 978-3-8340-1823-6. 299 Seiten, € 29,80.

Kathrin Wild

doi:10.1515/infodaf-2020-0084

Artikel Öffentlich zugänglich

Vidgren, Noora: Deutsch nach Englisch und Schwedisch. Subjektive Theorien finnischer DaF-Lernender über das Lernen von mehr als einer Fremdsprache und die zwischensprachliche Interaktion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2018 (Mehrsprachigkeit und multiples Sprachenlernen/Multilingualism and Multiple Language Acquisition and Learning). – ISBN 978-3-8340-1823-6. 299 Seiten, € 29,80.

Kathrin Wild

Veröffentlicht/Copyright: 17. April 2020

Veröffentlicht von

Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill

Informationen für Autor*innen Erkunden Sie dieses Fachgebiet

Aus der Zeitschrift Informationen Deutsch als Fremdsprache Band 47 Heft 2-3

Rezensierte Publikation:

Vidgren, Noora: Deutsch nach Englisch und Schwedisch. Subjektive Theorien finnischer DaF-Lernender über das Lernen von mehr als einer Fremdsprache und die zwischensprachliche Interaktion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2018 (Mehrsprachigkeit und multiples Sprachenlernen/Multilingualism and Multiple Language Acquisition and Learning). – ISBN 978-3-8340-1823-6. 299 Seiten, € 29,80.

Nora Vidgren erforscht in ihrer Dissertation „die Innensichten der finnischen Schülerinnen und Schüler zu ihrem Deutschlernen nach Englisch und Schwedisch und zur zwischensprachlichen Interaktion“ (Klappentext). Dazu untersucht sie aus Sicht der Schülerinnen, 1) welche Faktoren das Deutschlernen nach Englisch und Schwedisch beeinflussen und 2) was für eine zwischensprachliche Interaktion zwischen Deutsch und den früher gelernten Fremdsprachen und der Erstsprache Englisch existiert (vgl. 83).

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel sowie einen elektronisch verfügbaren Anhang. Nach dem einleitenden Kapitel zum Erkenntnisinteresse stellt die Autorin in Kapitel 2 den Hintergrund und die gegenwärtige Lage des Fremdsprachenlernens im schulischen Kontext in Finnland dar. Dazu beleuchtet sie den historisch-geopolitischen Rahmen für Finnisch und Schwedisch als Amtssprachen. Es folgen Ausführungen zum bildungspolitischen Rahmen, eine Einführung in das finnische Bildungssystem sowie in den überarbeiteten nationalen Rahmenlehrplan, der die Vorverlegung des schulischen Fremdsprachenlernens beinhaltet und das Schlagen von Brücken zwischen Sprachen thematisiert. Als soziokultureller Rahmen wird die Macht des Englischen dargelegt und wie diese dazu führt, dass weniger andere Fremdsprachen gelernt werden (können). In die gegenwärtige Lage des sukzessiven schulischen Fremdsprachenlernens in Finnland wird zunächst terminologisch eingeführt. Die Informationen zum vergleichsweise hohen Stundenumfang der Fremdsprachen in unterschiedlichen Klassenstufen werden um Tabellen mit Schülerzahlen für die einzelnen Schulfremdsprachen ergänzt. Deutsch ist die am häufigsten gelernte Fremdsprache nach Englisch und Schwedisch.

In Kapitel 3 setzt sich die Autorin mit der Mehrsprachenlernforschung auseinander. Zunächst findet eine Einordnung in die Terminologie statt. Die Termini Erwerben und Lernen werden als Kontinuum bezeichnet. Für die Betrachtungen des quantitativen Aspekts von Mehrsprachigkeit stellt die Autorin terminologisch problembewusst Verortungen/Konzeptionalisierungen von Mehrsprachigkeit mit exemplarischer Angabe entsprechender Publikationen vor. Sie selbst definiert Mehrsprachigkeit als „das Zusammenleben (Erwerb, Lernen, Gebrauch) von drei oder mehr als drei Sprachen“ (40). Auf der Basis einschlägiger Fachliteratur stellt sie den qualitativen Aspekt von Mehrsprachigkeit heraus. Für ihre Arbeit entscheidet sie sich für ein weites Verständnis von Mehrsprachigkeit und geht davon aus, „dass Mehrsprachigkeit ein Kontinuum ist und dass jede Person, die Kenntnisse in mehr als zwei Sprachen hat, ungeachtet des Kompetenzniveaus, mehrsprachig ist“ (41). Für die Bezeichnung des Forschungsfeldes wählt sie aus vier diskutierten Termini Mehrsprachenlernen und Mehrsprachenlernforschung in Anlehnung an Multilingual Acquisition aus. Die Autorin problematisiert die Sprachbenennung bei Mehrsprachigen und schließt sich selbst in der terminologischen Wahl dem linearen Modell, also der chronologischen Reihenfolge der erworbenen bzw. erlernten Sprachen, an. Das Entstehen des Forschungsfeldes wird erläutert. Im Forschungsüberblick zu Mehrsprachigkeit und zum Mehrsprachenlernen wird u. a. auf nicht beabsichtigte Sprachenwechsel eingegangen, ohne hierzu auf die einschlägige Literatur (Poulisse/Bongaerts 1994, Williams/Hammarberg 1998) zu verweisen. Der theoretische Teil schließt mit der Nennung verschiedener Modelle zu Mehrsprachigkeit, zum Mehrsprachenlernen und zur zwischensprachlichen Interaktion. Lediglich das Faktorenmodell nach Hufeisen wird ausführlicher beschrieben, da dieses als theoretischer Rahmen der Arbeit dient.

Kapitel 4 widmet sich dem Forschungsinteresse und der -methodik. Nach der Schilderung der eigenen Vorerfahrungen werden das Erkenntnisinteresse sowie die o. g. zwei Forschungsfragen, die durch die Aufgliederung in weitere Unterfragen spezifiziert werden, vorgestellt. Die forschungsmethodische Verortung erfolgt in das qualitative Paradigma. Die Autorin macht transparent, inwieweit die vorliegende Arbeit Gütekriterien explorativ-interpretatorischer Forschung erfüllt. Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) samt seiner Varianten und dem zweiphasigen Forschungsmodell wird erläutert. In diesem Zusammenhang wird der Schritt der explanativen Validierung kritisch betrachtet und die Adaption des FST für die durchgeführte Studie nachvollziehbar dargelegt. Es erfolgt eine schlüssige Begründung der Auswahl der Untersuchungsteilnehmer/innen und der Durchführung der Datenerhebung. Die Überlegungen zur Erhebung weiterer Daten sowie zur Triangulation sind reflektiert. Die Datenaufbereitung und -auswertung inkl. der einzelnen Schritte werden schlüssig erläutert, gleiches gilt für die Fallauswahl. Die Ausführungen zum thematischen Kodieren fallen knapp aus.

In Kapitel 5 werden die Datenauswertungsergebnisse präsentiert. Hier reflektiert die Autorin ihre Sprachenwahl bei der Ergebnisdarstellung erfreulich stark, denn diesem Aspekt wird in den meisten Publikationen wenig Beachtung geschenkt. In der Vorstellung von acht Einzelfallanalysen fallen strukturelle Schwächen auf. So gibt es z. T. Divergenzen zwischen dem sog. Motto, den Leitthemen und einigen darunter beschriebenen Auswertungsergebnissen sowie die Vorwegnahme von Forschungsdesiderata. Es fallen einige Unschärfen bei der Benennung weiterer Faktoren auf. Insgesamt wären ausführlichere und tiefergehende Analysen der einzelnen Fälle wünschenswert. Manche Angaben, insbesondere solche zu weiteren Faktoren, stehen für sich alleine und bieten Raum für weiteren Erkenntnisgewinn.

Nach der Darstellung der Einzelfälle erfolgt eine fallübergreifende Analyse, in der Gemeinsamkeiten überzeugend herausgearbeitet werden. Ein vergleichsweise hoher Zeit- und Arbeitsaufwand sowie eine ausgeprägte Motivation für das Deutsche im Gegensatz zum Schwedischen und damit zusammenhängende Lernziele – insbesondere kommunikative Kompetenz, pragmatischer Wert und Interesse – werden als fallübergreifende Faktoren, die das DaF-Lernen aus der Sicht der Schüler/innen prägen, identifiziert. Zwischen Motivation und Lernzielen wird terminologisch nicht weiter differenziert. Für den Aspekt der zwischensprachlichen Interaktion zwischen Deutsch und früher gelernten Fremdsprachen sowie der L1 wird festgestellt, dass die Schüler/innen sowohl absichtlich als auch unabsichtlich auf vorhandene Englisch- und Schwedischkenntnisse, jedoch nicht auf ihre Erstsprachen zurückgreifen. Die Lernreihenfolge spielt in den subjektiven Theorien der Untersuchungsteilnehmer/innen ebenso wenig eine Rolle wie die recency of use und die Aufenthaltsdauer im Zielsprachenland. Die Lernenden thematisieren vielmehr die wahrgenommene Nähe zwischen den Sprachen sowie das selbst empfundene Kompetenzniveau in den einzelnen Erst- und Fremdsprachen. Eine zwischensprachliche Interaktion erfolge vor allem bei niedrigem Kompetenzniveau sowie bei großer Ähnlichkeit zwischen den Sprachen. Der Faktor Fehlertoleranz wird nicht wörtlich von den Schüler/innen formuliert, die Autorin arbeitet diesen Faktor jedoch empirisch fundiert heraus. Rückgriffe auf das Englische und Schwedische erfolgen als Lern- und Kompensationsstrategie. Die abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse überzeugt.

Kapitel 6 dient der Diskussion der Studie und ihrer Ergebnisse. Die Erfüllung der Gütekriterien des qualitativen Forschungsparadigmas wird überzeugend dargelegt. Die beschränkte Reichweite aufgrund der geringen Anzahl an Untersuchungsteilnehmer/innen, wie es in qualitativ verorteten Studien üblich ist, wird eingeräumt. Dieses schmälert keineswegs die Relevanz der Erkenntnisse. Die Einbettung der Ergebnisse in die Forschungsliteratur fällt eher schmal aus, was auch daran liegen mag, dass im vorhergehenden Kapitel an einigen Stellen vorgegriffen wird. Die Reflexion der Ergebnisse hinsichtlich finnischer Rahmenlehrpläne sowie der Unterrichtspraxis sind gelungen. Den Abschluss bilden eine von Redundanzen geprägte Zusammenfassung, der angekündigte Ausblick wird kaum eingelöst.

Im elektronisch verfügbaren Anhand finden sich Kurzbeschreibungen der Untersuchungsteilnehmer/innen, die durchaus ihren Platz in Kapitel 5 hätten finden können. Des Weiteren ermöglicht der Anhang den Zugriff auf Paraphrasierungen der Strukturbilder in der Originalsprache Finnisch samt deutscher Übersetzungen, die Transkriptionen der Interviews in der Originalsprache Finnisch, den Interviewleitfaden, den Fragebogen zu (Sprachenlern-)Biographien, den Protokollbogen, die Einverständniserklärung und die LehrerInbefragung in der Originalsprache Finnisch.

Die große Zahl an Fußnoten (187) erschwert teilweise den Lesefluss, zumal sich viele Informationen geschickter im Text hätten integrieren lassen. Die Arbeit hätte von weniger, z. T. sehr kurzen Unterkapiteln profitiert. Ungenaue Formulierungen gibt es z. B. zu Angaben zum zeitlichen Abstand (120) und zum Median, bei dem es sich nicht um „eine typische Dauer“ (117, 122), sondern um den Zentralwert des Datensatzes handelt. Es fallen viele Redundanzen auf, z. B. bezüglich Informationen zu Schulstrukturen, Informationen zum Datenerhebungs- und Rekonstruktionsprozess, zur Pilotierung, Wiederholung der Forschungsfragen etc. Dieses soll aber nicht über die wohlverdiente Anerkennung der Forschungsleistung und ihrer überaus großen Transparenz hinwegtäuschen, denn für die vorgelegte Dissertation hat die Autorin eine große Datenmenge erhoben und aufbereitet. Deren Auswertungen gewähren spannende Einblicke in die subjektiven Theorien finnischer DaF-Lernender. Der Erkenntnisgewinn inspiriert zu weiterführender Forschung sowie Replikationsstudien in anderen Zusammenhängen.

Literatur

Poulisse, Nanda; Bongaerts, Theo (1994): „First Language Use in Second Language Production“. In: Applied Linguistics 15, 1, 36–57.10.1093/applin/15.1.36Suche in Google Scholar

Williams, Sarah; Hammarberg, Björn (1998): „Language Switches in L3 Production: Implications for a Polyglot Speaking Model“. In: Applied Linguistics 19, 3, 295–333.10.1093/applin/19.3.295Suche in Google Scholar

Online erschienen: 2020-04-17

Erschienen im Druck: 2020-04-08

Artikel in diesem Heft

https://doi.org/10.1515/infodaf-2020-0084