Metzeltin, Michael; Bru Peral, Javier (Hrsg.): Landeswissen. Ein Methodenbuch. 2. Auflage. Wien: Praesens, 2018 (BachelorMasterStudies, 9). -- ISBN 978-3-7069-0912-9. 274 Seiten, € 22,30.

Arno Gimber

doi:10.1515/infodaf-2020-0055

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Metzeltin, Michael; Bru Peral, Javier (Hrsg.): Landeswissen. Ein Methodenbuch. 2. Auflage. Wien: Praesens, 2018 (BachelorMasterStudies, 9). -- ISBN 978-3-7069-0912-9. 274 Seiten, € 22,30.

Arno Gimber

Published/Copyright: April 17, 2020

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From the journal Informationen Deutsch als Fremdsprache Volume 47 Issue 2-3

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Metzeltin, Michael; Bru Peral, Javier (Hrsg.): Landeswissen. Ein Methodenbuch. 2. Auflage. Wien: Praesens, 2018 (BachelorMasterStudies, 9). -- ISBN 978-3-7069-0912-9. 274 Seiten, € 22,30.

Die Kulturwissenschaft hat sich längst als eigenständiges Fach in den Geisteswissenschaften etabliert und auch die Frage, ob sie oder die Landeskunde als Hilfswissenschaft in den Curricula des Fremdsprachenstudiums eingesetzt werden soll, wird seit Jahren ausführlich behandelt.^[1] Umso mehr verwundert es, dass die Herausgeber des vorliegenden Bandes, der in der Reihe BachelorMasterStudies des Wiener Praesens-Verlags erschienen ist, jetzt das Landeswissen und damit die Disziplin einer geografisch ausgerichteten Länderkunde kulturwissenschaftlich ausweiten wollen und versuchen, diese Begriffserweiterung methodologisch zu untermauern. Dabei gehen sie semiotisch vor und bemühen erneut den Diskursbegriff herauf. Dem Stand der Diskussion können sie damit im Grunde nichts Neues hinzuzufügen, was jedoch nicht Ziel eines Handbuchs (als solches versteht sich das Methodenbuch) ist.

Landeswissen ist ein Fachbegriff, der dem Bereich der Geografie entstammt und der Landschaftsräume, in denen der Mensch tätig ist, untersucht. Warum die Notwendigkeit besteht, ihn auf die Geisteswissenschaften auszuweiten, ist nicht ersichtlich, zumal die Autoren des Bandes willkürlich ausgewählte Aspekte der Landeskunde in das Untersuchungsspektrum aufnehmen und die historischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturelle Gegebenheiten des Landeswissens nur noch als Grundlagen ihrer Einzeluntersuchungen verstehen. Hätten sie nicht besser bei dem längst bewährten Begriff der Landeskunde bleiben und ihn einfach um bestimmte Teilaspekte aus dem Bereich des Landeswissens erweitern können?

Der Band ist in vier Blöcke gegliedert, wobei der vierte Teil („Anleitungen zur Textanalyse und Textinterpretation“) nur zehn Seiten umfasst und sehr schematisch und unvollständig in Stichwörtern Analysemodelle für Text- und Bildinterpretationen vorschlägt. Der dritte Teil hingegen bietet interessante Einblicke in verschiedene Fragestellungen in den romanischen Kulturen. Zwar kann man sich des Eindrucks einer wahllosen Zusammenstellung und einer recht willkürlichen Darbietung der verschiedensten Themen nicht erwehren, aber die einzelnen Kapitel sind, abgesehen von wenigen Ausnahmen, lesenswert. Der interessierte Student findet Informationen zur semiotischen Erfindung der spanischen Region Kantabrien, zur Film- und Fernsehlandschaft in Portugal (leider sehr kurz), zu den komplexen Landschaften Moldau und Moldawien, zu urbanen Hauptplätzen (hauptsächlich in Spanien und Lateinamerika) oder zur Geschichtsforschung in Rumänien. Er vermisst jedoch den roten Faden bei diesen Darbietungen. Die Einzeldarstellungen halten sich glücklicherweise nicht streng an die Vorgaben aus den ersten beiden Kapiteln, „Konzeptualisierungen“ und „Modellierungen“, des Bandes.

Im ersten Teil, wo es darum geht, die Kerngedanken des Landeswissens vorzustellen und seine Grenzen zu umreißen, klingt schon der erste Beitrag, der die Stellung des Menschen in seiner Umwelt behandelt, wie aus einer anderen Zeit. Über die Stellung und Funktion in der Familie liest man z. B.: „Die Stellung der Familienmitglieder bzw. auch der übrigen Hausgenossen, wie etwa der Dienstboten, beruht auf mehr oder weniger strengen Konvention [...]“ (19). Natürlich wird in dem Zusammenhang nur ein traditionelles Familienbild in Erwägung gezogen, als ob das 21. Jahrhundert noch nicht begonnen hätte. Der Eindruck verstärkt sich, wenn man im selben Beitrag die Ausführungen zur Moral (21) oder zu Konfliktaustragung und Kriegsführung (29) liest. Wie gut, dass der folgende Artikel, „Kein Landeswissen ohne Kulturbegriff“ (Ingo Pohn-Lauggas), ein aktuelleres Bild der Disziplin vermittelt, von interkultureller Differenz und transdisziplinärem Vorgehen in den Kulturwissenschaften spricht und eine interessante und für vertiefende Arbeiten brauchbare Bibliografie bereitstellt. Der Eindruck wird in dem folgenden Kapitel „Landschaft, Natur und Kultur“ (Javier Bru Peral) erneut relativiert. Davon ausgehend, dass der Mensch mit anderen Lebewesen zusammenlebt, mutet es seltsam an zu lesen, dass „jedes einzelne dieser Lebewesen [...] sich spezialisieren [muss], um so sein Überleben zu gewährleisten“ (49). Welchen Nutzen kann ein Student der Romanistik heutzutage aus solchen Überlegungen ziehen? Oder gar aus Sätzen wie „Der Bedarf an kultivierbarem Boden führt immer wieder zu kleineren und größeren Rodungen“ (52). Natürlich handelt es sich hierbei um Fragestellungen des Landeswissens, aber ist es heute noch sinnvoll, damit zu operieren?

Im Kapitel „Geopolitik“ (Javier Bru Peral/Sonja Kral/Michael Metzeltin) werden mehrheitlich heute dubiose Wissenschaftler vorgestellt: Friedrich Ratzel, der als Begründer der politischen Geographie gilt, war in der Deutschen Kolonialgesellschaft aktiv und die von ihm entwickelten Lebensraumideen wurde von den Nationalsozialisten übernommen. Seine Thesen werden unkritisch wiedergegeben. Zweifelsohne waren er und der schwedische Politologe Rudolf Kjellén (89) bedeutende Vertreter des Sozialdarwinismus. Kjellén gilt heute als Kriegstreiber und Rassist, die Tatsache, dass seine Thesen von den Beziehungen zwischen Staat und Lebensform referiert werden und dass Analogien zwischen Humanwissenschaften und Biologie hergestellt werden, lässt ebenso aufhorchen wie die Erwähnung von Karl Haushofers Weltpolitik von heute aus dem Jahr 1934. Natürlich ist Geopolitik genau das, aber schon allein aus wissenschaftlichen Gründen wäre es notwendig gewesen, eine kritische Sichtweise^[2] miteinzubeziehen. Die unkritische Übernahme dieses Gedankenguts mahnt auch bei der Lektüre anderer Kapitel zur Vorsicht.

Der zweite Teil des Buches, „Modellierung“, erweckt einen ähnlichen Eindruck. Das Kapitel „Didaktisierungsmöglichkeiten des landeskundlichen Faktorenmodells“ (Javier Bru Peral/Sonja Kral/Michael Metzeltin) zeigt deutlich, wie veraltet der Band in einigen seiner Aussagen wirkt: Natürlich zählen zu den Faktoren der Bewusstwerdung der eigenen Identität Gedanken wie „Wie verhalten sich Mehrheiten und Minderheiten in einem Land?“ oder „Wie werden nationale Identifikationsfiguren aufgebaut?“, aber worin besteht heutzutage die Relevanz einer Frage wie (129) „Welches sind die typischen Formen des Bodenanbaus?“

Grundsätzlich sei noch angemerkt, dass ein Band, in dem in einigen Artikeln die Autoren ausschließlich sich selber zitieren oder in einer Bibliografie zehn Einträge aus dem Internetportal Wikipedia (zumal ohne Angaben zum letzten Zugriff) aufgeführt werden, einem nur halbwegs wissenschaftlichen Anspruch nicht genügen kann. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Es bleibt der Eindruck eines irgendwie zusammengestückelten Werkes, das in vielen Bereichen unkritisch nicht nur überholtes, sondern ideologisch bedenkliches Gedankengut vorstellt.

Literatur

Altmayer, Claus (2007): „Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft -- Innovation oder Modetrend?“. In: Germanistische Mitteilungen 65, 7–21.Search in Google Scholar

Helmig, Jan (2007): „Geopolitik -- Annäherung an ein schwieriges Konzept“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 20–21, 31–37. Online: https://www.bpb.de/system/files/pdf/4EW2B1.pdf (12.10.2019).Search in Google Scholar

Lüsebrink, Hans-Jürgen; Röseberg, Dorothee (Hrsg.) (1995): Landeskunde und Kulturwissenschaft in der Romanistik. Theorienansätze, Unterrichtsmodelle, Forschungsperspektiven. Tübingen: Narr.Search in Google Scholar

Verein „Kritische Geographie“ (Hrsg.) (2001): Geopolitik. Zur Ideologiekritik politischer Raumkonzepte. Wien: Promedia. Search in Google Scholar

Online erschienen: 2020-04-17

Erschienen im Druck: 2020-04-08

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2020-0055