Reviewed Publication:
Klein Robert M. Lundqvist Stefan Sumangil Ed Pettersson Ulrica Baltics Left of Bang. The Role of NATO with Partners in Denial-Based Deterrence Stockholm Strategic Forum 2019
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden russischen Invasion der baltischen Staaten als umstritten gilt, ist die Vorbereitung auf solch einen Fall eine der derzeit größten Herausforderungen für die Planungen der NATO. Das Autorenteam der vorliegenden Studie, bestehend aus US-amerikanischen und schwedischen Militärangehörigen und Wissenschaftlern des Center for Strategic Research (CSR) sowie der Swedish Defence University (SEDU), behandelt in ihrer Analyse das breite Spektrum an Herausforderungen in der Ostseeregion und untermauert insbesondere die Relevanz des Aspektes der Abschreckung. Die Autoren machen deutlich, dass sich jedwede (Verteidigungs-) Strategie hinsichtlich eines potentiellen Konfliktes mit Russland im Ostseeraum auf eine totale Eskalation, sowohl in ihrem horizontalen wie vertikalen Spektrum, vorbereiten muss. Diese Kalkulationen sollten zudem den möglichen Einsatz an (taktischen) russischen Nuklearwaffen berücksichtigen.
Während der Abschreckungsbegriff im sicherheitspolitischen Diskurs häufig übergreifend genutzt und nicht tiefer reflektiert wird, liefern die Verfasser zu Beginn ihrer Studie, nebst einer prägnanten Erläuterung der Rahmenbedingungen und vorhandenen russischen militärischen Fähigkeiten, eine übersichtliche Aufschlüsselung der wesentlichen Abschreckungsoptionen gegenüber Russland.
Einerseits wird Abschreckung durch Strafe bzw. Vergeltung – deterrence through punishment – als Handlungsoption dargestellt. Ein Angriff wäre in solch einem Fall mit einer Reaktion des Angegriffenen und entsprechenden physischen Kosten auch für den Aggressor verbunden. Im vorliegendem Fall bezieht sich das Kostenrisiko auf Hochwertziele (innerhalb) Russlands, auf welche im Zuge eines Gegenangriffs abgezielt werden würde. Da diese Option nicht regional beschränkt ist, birgt sie das Risiko der geographischen Ausweitung des Konfliktes, aber auch einer etwaigen nuklearen Eskalation, was ebenfalls zu einer Steigerung der Kosten, jedoch aller Parteien, führen würde. Diese offensiv ausgerichtete Abschreckungsstrategie wird von den Autoren allerdings solange im Baltikum für unzureichend angesehen, wie Russland davon ausgehen kann, dass die NATO zu derartigen Vergeltungsmaßnahmen – konventionell oder nuklear – nicht in der Lage ist. Daneben wird besonders die regionale militärische Übermacht russischer Truppenkonzentration als erhebliches Hemmnis für NATO-Gegenschläge aufgeführt.
Die Autoren plädieren aufgrund dessen für die andere Abschreckungsoption: denial-based deterrence. Im Rahmen dieser defensiv geprägten Strategie soll der Angriff des Aggressors nicht bloß unwahrscheinlich, sondern auch besonders unrentabel und darüber hinaus auch als langfristig nicht haltbar unterbunden werden. Um dies zu erreichen müssen die Verteidiger in der Lage sein, dem Angreifer die unverhältnismäßig hohen Kosten seines Handelns von Beginn einer Aggression an vor Augen zu führen. In diesem Fall wird mit verstärkten NATO-Verteidigungsfähigkeiten nicht bloß ein möglicher Konflikt verlangsamt, sondern gleichsam der Kostenanteil für etwaige russische Militäroperationen erhöht. Während ein reaktiver Angriff (punishment), so die Autoren, die NATO vor politische wie militärische Entscheidungsschwierigkeiten stellen würde, sollte das Verteidigungskonzept mit denial-Elementen die erste Wahl sein – nicht zuletzt, weil dadurch der Status quo im besten Fall verteidigt, ansonsten aber auch wiederhergestellt werden könnte. Zusätzlich könnten offensive Operationen gegebenenfalls als Option herangezogen werden, sofern diese im Konfliktfall als notwendig erscheinen würden.
Um diese Art der defensiv orientierten Abschreckung zu erreichen sprechen sich die Autoren besonders für den Ausbau einer eigenen A2/AD-Zone (anti-access/area-denial), mindestens aber für die Verstärkung mit dafür notwendigen Verteidigungselementen, wie beispielsweise mobilen Langstrecken-Präzisionswaffen und mobiler Artillerie, sowie Elementen der Luft- und Küstenverteidigung, aus. Im Detail werden in der Studie diesbezüglich unterschiedliche Handlungsempfehlungen ausgeführt, die sich auf vier unterschiedliche Elemente beziehen: See-, Boden-, und Luftkriegführung, sowie auf den Einsatz von Spezialeinheiten.
Zur Untermauerung ihrer Argumente wählen die Autoren das passende Beispiel einer Strategie der „Einigelung“, an welcher sich insbesondere die baltischen Staaten orientieren sollten: der Igel verteidigt sich nicht, indem er seinem Aggressor innerhalb dessen Stärken entgegentritt, sondern dadurch, dass seine Verteidigung den Angreifer gleich von seinem Vorhaben Abstand halten lässt. Selbst bei einem Durchbruch der Defensive würde es sich für diesen noch schwieriger gestalten, sein Opfer zu schlucken oder zu verdauen, so die Analogie.
Mit dieser Darstellung gelingt den Verfassern nicht bloß eine übersichtliche Studie über aktuelle Fähigkeiten und Risiken in der Ostseeregion, sondern sie hebt die Bedeutung einer regionalen denial-based deterrence hervor. Wichtig ist dabei die Demonstration der eigenen Verteidigungsfähigkeiten im Sinne von Abschreckung: die NATO-„Frontstaaten“ müssen diese im Zuge aktiver Kommunikation hervorheben und auch als policy-tool einsetzen, sodass alle Seiten über die unrentablen Konsequenzen eines Konfliktes in der Region im Klaren sind.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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