Darina Blagoeva/Claudiu Pavel/Dominic Wittmer/Jacob Huisman/Francesco Pasimeni: Materials Dependencies for Dual-Use Technologies relevant to Europe’s Defence Sector. Luxemburg: Joint Research Centre of the European Commission, 2019
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Blagoeva Darina Pavel Claudiu Wittmer Dominic Huisman Jacob Pasimeni Francesco Materials Dependencies for Dual-Use Technologies relevant to Europe’s Defence Sector Luxemburg Joint Research Centre of the European Commission 2019
Im Wettbewerb um technologische Führung ist die Verfügbarkeit von Rohstoffen entscheidend. Dies betrifft nicht nur den zivilen Bereich, sondern auch den Verteidigungssektor, in dem zahlreiche Dual-Use-Technologien zum Einsatz kommen. Zu den Zukunftstechnologien, die schon genutzt und weiterentwickelt werden, zählen leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterien, die Brennstoffzelle und der 3D-Druck. Zu den zivilen und (potenziell) militärischen Anwendungen gehören Roboter und unbemannte Fahrzeuge bzw. Flugobjekte wie Drohnen. Für all diese Technologien werden zahlreiche, vor allem metallische, Rohstoffe benötigt, die in komplexen Wertschöpfungsketten gewonnen und weiterverarbeitet werden. Wenn die EU im hochtechnisierten Wettlauf mit den USA und ostasiatischen Staaten weiter mithalten will, muss sie sich ernsthaft Gedanken machen, ob sie künftig über die entsprechenden Rohstoffe und Technologien verfügt bzw. ob der Zugang zu diesen gewährleistet ist. Aus europäischer Sicht wäre es von strategischem Interesse, Versorgungsschwierigkeiten mit Hightech-Rohstoffen zu minimieren und möglichst viele industrielle Prozessschritte in Europa zu haben. Die Studie Materials Dependencies for Dual-Use Technology relevant to Europe’s Defence Sector kommt daher zum richtigen Zeitpunkt und stellt die richtigen Fragen. Fünf Schlüsseltechnologien (Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzellentechnologie, Robotik, Unbemannte Fahrzeuge/Flugzeuge und 3D-Druck) werden exemplarisch hinsichtlich ihrer Versorgungsrisiken entlang der zivilen und militärischen Wertschöpfungsketten verglichen. Am Ende jedes Kapitels werden politische Handlungsempfehlungen und Forschungsmöglichkeiten genannt. Das Thema zeigt, dass Rohstoffsicherheit, Technologie, Geopolitik und Ökonomie zusammengedacht werden müssen. Für jede der fünf untersuchten Schlüsseltechnologien müssen daher eigene Markt- und Risikoanalysen erstellt werden, was die Autoren anhand einer vierstufigen Wertschöpfungskettenanalyse tun.
Insgesamt sei die Lage für die EU sehr bedenklich. Bei allen Technologien herrschten auf mehreren Stufen mittlere oder hohe Versorgungsrisiken. Asiatische Unternehmen aus China, Südkorea und Japan produzierten derzeit den Großteil aller Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen. China sei zudem größter Produzent einer ganzen Reihe von wirtschaftskritischen Metallen. Die Rohstoffabhängigkeit der EU bei Seltenen Erden, Lithium, Kobalt und weiteren Elementen wird zutreffend als extremly high bezeichnet. Dementsprechend hoch ist auch die militärtechnologische Lieferabhängigkeit der EU von Asien. Keiner wisse, ob in Krisenzeiten Lieferengpässe auftreten könnten. Die Autoren machen jedoch am Beispiel Lithium deutlich, dass dieser Rohstoff nicht per se geologisch knapp ist, da ausreichend Reserven bekannt sind. Bei der Brennstoffzellentechnologie sei die Lage bei den Komponenten etwas besser. Trotz besorgniserregend hoher Rohstoffabhängigkeiten existierten in der EU technische Kapazitäten zur Aufbereitung der Materialien und bei der Komponentenherstellung – wesentliche Schritte vor dem Endprodukt.
Hier zeigten sich wie im Brennglas Europas Stärken und Schwächen: Stark in der industriellen Zwischenverarbeitung, aber schwach in der strategischen Rohstoffsicherung und bei den Endprodukten. Bei der zivilen Robotik – einer möglichen militärischen Schlüsseltechnologie in künftigen Konflikten – gehöre Europa neben Asien noch zu den führenden Endproduzenten. Die starke technologische Stellung Chinas zeige sich hier ebenso wie auch bei unbemannten Fahrzeugen, wo die Volksrepublik bei den zivilen Endprodukten weit vor Europa und Amerika liege. Bei autonomen Militärfahrzeugen und Unterseebooten seien die USA führend, bei Drohnen die USA und Israel. Andere Groß- und Regionalmächte mit großen Militärbudgets (China, Russland, Türkei) hätten in diesen Bereichen in den letzten Jahren stark aufgeholt.
Fazit der Studie ist, dass Europa auf allen Prozessstufen schnellstmöglich und koordiniert handeln muss, wenn es bei zivilen und militärischen Zukunftstechnologien nicht abgehängt werden will. Dazu gehörten vor allem langfristige Investitionen in Technologie und Forschung (allen voran Recycling und Substitution), aber auch die grundsätzliche politische Gestaltungsbereitschaft, Industrie-, Rohstoff-, Technologie- und Sicherheitspolitik künftig stärker organisatorisch zu verzahnen. Von alten Denkmustern wie dem, dass es der Markt allein schon richten werde, müsse man sich künftig wohl verabschieden. Das dürfte vor allem liberale Ordnungspolitiker der alten Schule schmerzen. Im harten industriellen Wettbewerb dominiere jedoch nur derjenige, der auch bereit sei, große finanzielle Ressourcen für Forschung, Entwicklung und Marktzugänge aufzuwenden. Wer künftig nicht über die entsprechenden Rohstoffe und Technologien verfügt, werde machtpolitisch geschwächt, möglicherweise sogar bedeutungslos.
Basierend auf diesen Erkenntnissen hat die neue „geopolitische“ EU-Kommission unter Ursula von der Leyen starke Argumente bei der Hand, um ihre strategischen Großprojekte Green New Deal und „strategische Autonomie“ effektiver zu verzahnen. Klimaschutz, Industrie- und Sicherheitspolitik sind nicht mehr verschiedene Politikstränge, sondern gemeinsame Säulen einer neuen, proaktiveren und selbstbehauptungsorientierten Europäischen Globalstrategie.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Ein schwieriger Partner: Deutschlands eigennützige Außenpolitik
- Multilateralismus in der deutschen Außenpolitik – eine Bilanz
- Bilanz der deutschen Russlandpolitik seit 1990
- Die friedenspolitische Ambivalenz deutscher Pipelinedeals mit Moskau – eine interdependenztheoretische Erklärung des russisch-ukrainischen Konfliktes
- Deutsche Sicherheitspolitik seit 1990: Auf der Suche nach einer Strategie
- Deutsche Verteidigungspolitik – Versäumnisse und nicht eingehaltene Versprechen
- Abrüstung und Nichtverbreitung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Beiträge des vereinten Deutschland
- Deutschlands neuer außenpolitischer Pragmatismus
- Kurzanalysen und Berichte
- Steht ein revolutionärer Wandel des Wahlmodus bei der US-Präsidentenwahl an?
- Ergebnisse internationaler strategischer Studie
- Russland
- Ergebnisse internationaler strategischer Studienn
- Duncan Allan: The Minsk Conundrum. Western Policy and Russia’s War in Eastern Ukraine. London: Chatham House, Mai 2020
- Pavel Baev: Transformation of Russian Strategic Culture. Impacts From Local Wars and Global Confrontation. Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), Juni 2020
- Wirtschaftliche Dimensionen internationaler Sicherheit
- Elizabeth Rosenberg/Peter E. Harrell/Ashley Feng: A New Arsenal for Competition. Coercive Economic Measures in the U.S.-China Relationship. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), May 2020
- Elisabeth Rosenberg/Jordan Tama: Strengthening the Economic Arsenal. Bolstering the Deterring and Signalling Effects of Sanctions. Washington, D.C.: Center for a new American Security (CNAS), Dezember 2019
- Darina Blagoeva/Claudiu Pavel/Dominic Wittmer/Jacob Huisman/Francesco Pasimeni: Materials Dependencies for Dual-Use Technologies relevant to Europe’s Defence Sector. Luxemburg: Joint Research Centre of the European Commission, 2019
- Rafiq Dossani/Jennifer Bouey/Keren Zhu: Demystifying the Belt and Road Initiative. A Clarification of its Key Features, Objectives and Impacts. Santa Monica: RAND Corp., Mai 2020.
- Naher Osten
- Anthony Cordesman: Iran and the Changing Military Balance in the Gulf. Net Assessment Indicators. Washington D.C.: Center for Strategic and International Studies, April 2020
- Muriel Asseburg: Wiederaufbau in Syrien. Herausforderungen und Handlungsoptionen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2020
- Cornelius Adebahr: Europe Needs a Regional Strategy on Iran. Brüssel: Carnegie Europe, Mai 2020
- Europa
- Andrea Boitani/Roberto Tamborini: Crisis and Reform of the Euro-Zone. Why do we disagree? Berlin: Friedrich Ebert Stiftung, März 2020
- John Springford/Christian Odendahl: Conference Report. Five challenges for Europe. London: Centre for European Reform, December 2019.
- Buchbesprechungen
- Buchbesprechungen
- Thomas G. Mahnken (Hrsg.): Net Assessment and Military Strategy. Retrospective and Prospective Essay. With an Introduction by Andrew W. Marshall. Armherst, New York: Cambria Press, 2020, 272 Seiten
- Lawrence Freedman: Ukraine and the Art of Strategy, Oxford: Oxford University Press, 2019, 233 Seiten
- Keith B. Payne: Shadows on the Wall: Deterrence and Disarmament. Fairfax, VA: National Institute Press, 2020, 187 Seiten
- Hanns W. Maull (Hrsg.): The Rise and Decline of the Post-Cold War International Order. Oxford: Oxford University Press, 2018, 346 Seiten
- Daniele Ganser: Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht. Zürich: Orell Füssli Verlag 2020, 400 Seiten
- Bildnachweise
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Ein schwieriger Partner: Deutschlands eigennützige Außenpolitik
- Multilateralismus in der deutschen Außenpolitik – eine Bilanz
- Bilanz der deutschen Russlandpolitik seit 1990
- Die friedenspolitische Ambivalenz deutscher Pipelinedeals mit Moskau – eine interdependenztheoretische Erklärung des russisch-ukrainischen Konfliktes
- Deutsche Sicherheitspolitik seit 1990: Auf der Suche nach einer Strategie
- Deutsche Verteidigungspolitik – Versäumnisse und nicht eingehaltene Versprechen
- Abrüstung und Nichtverbreitung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Beiträge des vereinten Deutschland
- Deutschlands neuer außenpolitischer Pragmatismus
- Kurzanalysen und Berichte
- Steht ein revolutionärer Wandel des Wahlmodus bei der US-Präsidentenwahl an?
- Ergebnisse internationaler strategischer Studie
- Russland
- Ergebnisse internationaler strategischer Studienn
- Duncan Allan: The Minsk Conundrum. Western Policy and Russia’s War in Eastern Ukraine. London: Chatham House, Mai 2020
- Pavel Baev: Transformation of Russian Strategic Culture. Impacts From Local Wars and Global Confrontation. Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), Juni 2020
- Wirtschaftliche Dimensionen internationaler Sicherheit
- Elizabeth Rosenberg/Peter E. Harrell/Ashley Feng: A New Arsenal for Competition. Coercive Economic Measures in the U.S.-China Relationship. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), May 2020
- Elisabeth Rosenberg/Jordan Tama: Strengthening the Economic Arsenal. Bolstering the Deterring and Signalling Effects of Sanctions. Washington, D.C.: Center for a new American Security (CNAS), Dezember 2019
- Darina Blagoeva/Claudiu Pavel/Dominic Wittmer/Jacob Huisman/Francesco Pasimeni: Materials Dependencies for Dual-Use Technologies relevant to Europe’s Defence Sector. Luxemburg: Joint Research Centre of the European Commission, 2019
- Rafiq Dossani/Jennifer Bouey/Keren Zhu: Demystifying the Belt and Road Initiative. A Clarification of its Key Features, Objectives and Impacts. Santa Monica: RAND Corp., Mai 2020.
- Naher Osten
- Anthony Cordesman: Iran and the Changing Military Balance in the Gulf. Net Assessment Indicators. Washington D.C.: Center for Strategic and International Studies, April 2020
- Muriel Asseburg: Wiederaufbau in Syrien. Herausforderungen und Handlungsoptionen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2020
- Cornelius Adebahr: Europe Needs a Regional Strategy on Iran. Brüssel: Carnegie Europe, Mai 2020
- Europa
- Andrea Boitani/Roberto Tamborini: Crisis and Reform of the Euro-Zone. Why do we disagree? Berlin: Friedrich Ebert Stiftung, März 2020
- John Springford/Christian Odendahl: Conference Report. Five challenges for Europe. London: Centre for European Reform, December 2019.
- Buchbesprechungen
- Buchbesprechungen
- Thomas G. Mahnken (Hrsg.): Net Assessment and Military Strategy. Retrospective and Prospective Essay. With an Introduction by Andrew W. Marshall. Armherst, New York: Cambria Press, 2020, 272 Seiten
- Lawrence Freedman: Ukraine and the Art of Strategy, Oxford: Oxford University Press, 2019, 233 Seiten
- Keith B. Payne: Shadows on the Wall: Deterrence and Disarmament. Fairfax, VA: National Institute Press, 2020, 187 Seiten
- Hanns W. Maull (Hrsg.): The Rise and Decline of the Post-Cold War International Order. Oxford: Oxford University Press, 2018, 346 Seiten
- Daniele Ganser: Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht. Zürich: Orell Füssli Verlag 2020, 400 Seiten
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