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Duncan Allan: The Minsk Conundrum. Western Policy and Russia’s War in Eastern Ukraine. London: Chatham House, Mai 2020

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Published/Copyright: June 5, 2020

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Allan Duncan The Minsk Conundrum. Western Policy and Russia’s War in Eastern Ukraine London Chatham House Mai 2020


„Conondrum“ übersetzt man normalerweise als „Rätsel“. Was Duncan Allan, Research Associate im Russia and Eurasia Programm am Royal Institute for International Affairs (Chatham House) aber untersucht, ist kein Rätsel, das in den Minsker Abkommen vom September 2014 und Februar 2015 verborgen läge, sondern das Problem „zweier unvereinbarer Auslegungen der Souveränität der Ukraine“ und die Frage, ob „die Ukraine souverän ist, wie die Ukrainer behaupten, oder ob ihre Souveränität begrenzt werden sollte, wie Russland es verlangt“. Rätselhaft ist, wenn man diesen Begriff gebrauchen will, wie man mit diesem „unauflöslichen Widerspruch“ umgehen soll. Genau dies ist der Kern der Untersuchung Allans.

Der Autor führt aus, dass die Ukraine die Abkommen als Instrumente zur Wiederherstellung ihrer Souveränität in der folgenden Reihenfolge sieht: Waffenstillstand; ein russischer Rückzug aus der Ostukraine; Rückkehr der russisch-ukrainischen Grenze unter ukrainische Kontrolle; freie und faire Wahlen in der Donbass-Region und eine begrenzte Machtübertragung an die russischen Stellvertreterregime, die wieder integriert und den Behörden in Kiew unterstellt würden. Die Ukraine könnte ihre eigenen innen- und außenpolitischen Entscheidungen treffen.

Russland dagegen sehe in den Minsker Abkommen ein Mittel, um die Souveränität der Ukraine zu brechen. Seine Interpretation kehre Schlüsselelemente in der Abfolge der Aktionen um: Wahlen im besetzten Donbass würden stattfinden, bevor die Ukraine die Kontrolle über die Grenze zurückerlangt hätte. Darauf würde eine umfassende Autonomie der russischen Stellvertreterregime folgen, die die zentralen Behörden in Kiew lähmen würde. Die Ukraine wäre nicht in der Lage, sich effektiv zu regieren oder sich am Westen zu orientieren.

Allan liefert dann eine umfassende und überzeugende Analyse der Zielsetzungen des Kremls und seine seit 2014 laufende Anstrengungen, das politische System der Ukraine zu „föderalisieren“. Dem Titel der Studie entsprechend geht er auf die Hintergründe und die Inhalte der Minsk-1- und Minsk-2-Vereinbarungen ein. Dabei macht er klar, dass beide Dokumente in einer Situation militärischer Niederlagen der ukrainischen Streitkräfte entstanden, nachdem Moskau mit geschlossenen militärischen Verbänden von Interventionskräften von geschätzt rund 6.500 Mann in den Konflikt eingegriffen hatte.

Infolgedessen enthielten die Minsk-Dokumente Bestimmungen, die im Wesentlichen den russischen Vorstellungen und Forderungen entsprächen. Sie seien aber auch widersprüchlich, übertünchten grundlegende unterschiedliche Positionen und wiesen wichtige Lücken auf: Obwohl die Abkommen vom russischen Botschafter in der Ukraine, Michail Zurabov, unterzeichnet wurden, erwähnten sie Russland nicht − eine Auslassung, die der Kreml verwendet habe, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass es lediglich als ehrlicher Makler und Vermittler an einer „Konfliktlösung“ interessiert sei. Was ebenfalls in den Abkommen fehle, sei der Begriff „Souveränität“ in Bezug auf die Ukraine.

Die „Umsetzung der Minsker Abkommen“ bliebe dennoch das erklärte Ziel der westlichen Politik − ein Mantra für politische Entscheidungsträger, das laufend wiederholt werde. Die Umsetzung habe jedoch nur minimale Fortschritte gemacht. Aktivitätsschübe – wie zuletzt im Dezember 2019, als sich die Staatsoberhäupter des Normandie-Formats nach dreijähriger Pause trafen – hätten daran nichts geändert. Woran, fragt der Autor, liege das?

Eine der Antworten sei in vorherrschenden westlichen Ansätzen zur Problemlösung zu finden. Charakteristisch dafür sei die 2015 und 2016 vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier entwickelte und nach ihm benannte „Formel“. Diese sehe vor, im Donbass „im Wesentlichen“ freie und faire Wahlen abzuhalten, noch bevor die russischen Truppen abgezogen worden seien und Kiew die Kontrolle über die Grenze zurückerlangt hätte. Am selben Tag, an dem die Wahlen in Donbass abgehalten würden, sollte ein Sonderstatusgesetz erst vorläufig und dann dauerhaft gelten, wenn die OSZE/ODIHR eine Einschätzung veröffentlicht hätte, dass die Wahlen tatsächlich frei und fair gewesen seien. Im Herbst 2019 ging der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyj auf diese Formel ein, womit er eine explosive innenpolitische Reaktion auslöste, die ihn gezwungen habe, von seiner Absicht zurückzutreten. Er habe dann den einheimischen Kritikern versichert, dass er Wahlen in Donbass nicht zustimmen würde, solange sich dort russische Truppen aufhielten.

Für Allan sollte die Schlussfolgerung klar sein: Indem versucht werde, einen Mittelweg zwischen der ukrainischen und der russischen Position zu finden, riskierten Initiativen wie die Steinmeiers die Ukraine in eine neue Instabilität zu stürzen, aber Russland immer noch nicht zufrieden zu stellen. Implementierungsversuche seien gescheitert, weil sie auf Kompromissen beruhten. Diese könnten aber einen unlösbaren Widerspruch nicht lösen. Notwendig sei, dass westliche Regierungen ihr Ziel eindeutig als Verteidigung der Souveränität der Ukraine definierten und danach handelten.

https://www.chathamhouse.org/publication/minsk-conundrum-allan

Published Online: 2020-06-05
Published in Print: 2020-09-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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