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Asseburg Muriel Wiederaufbau in Syrien. Herausforderungen und Handlungsoptionen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten Berlin Stiftung Wissenschaft und Politik April 2020
Seit 2011 wütet in Syrien nun schon der Bürgerkrieg, der im Laufe der Jahre weiter an politischen und militärischen Verlagerungen und Dynamiken dazugewonnen hat. Nachdem der sogenannte Islamische Staat zurückgedrängt und territorial zusammengeschrumpft worden ist, setzt die Studie den Ausgangspunkt der Analyse darauf, dass der Bürgerkrieg bereits militärisch zugunsten des Regimes entschieden worden ist. Es wird klar differenziert, dass zwar die gewaltsamen Auseinandersetzungen weiterhin anhalten, die EU und ihre Mitgliedsstaaten sich aber nun einer politischen Realität gegenüberfinden, in der ein Engagement für den Wiederaufbau in Syrien keinen Regimewechsel als Prämisse haben kann.
Dieser Umstand wird dadurch verstärkt, dass das Regime den Wiederaufbau als Fortsetzung des Bürgerkrieges gezielt nutzt, um Patronagenetzwerke aus Regimeunterstützern auszubauen und begrenzte Gelder spezifisch im Sinne einer politökonomischen Ratio einzusetzen. In diesem Sinne werden sowohl Investments als auch humanitäre Hilfen nur dort zugelassen, wo die Assad-Regierung davon profitiert.
Im regionalen und internationalen Kontext zeigt die Studie auf, dass die Interessen der Regional- und Großmächte deutlich auseinandergehen, sodass Russland und Iran sich wie gewohnt auf der Seite der Assad-Regierung wiederfinden und die USA und Türkei weiterhin auf einen Regimewechsel pochen. Abgesehen vom ökonomisch-motivierten Pragmatismus Chinas fehle es den pro-Regime Akteuren jedoch an substantiellen finanziellen Ressourcen, um den Wiederaufbau alleine stemmen zu können. So wird anhand von Zahlen (UN, Weltbank etc.) zwar aufgezeigt, wie schwerwiegend die Kriegsschäden, Verluste an Humankapital und menschlicher Entwicklung sind, jedoch wird auch darauf hingewiesen, dass die genaue Erfassung ohne vollumfänglichen Zugang ins Land nur grob vorgenommen werden kann. Große Hürden des möglichen Wiederaufbaus und möglicher Rückkehr seien zum einen die hohen Kriegsschäden und die Kontamination ganzer Landstriche mit Minen und Sprengsätzen, und zum anderen die Angst von potentiellen Rückkehrern vor politischer Verfolgung, Rechtlosigkeit und Zwangsrekrutierung.
Neben dem europäischen Engagement in der Anti-IS-Koalition sind die EU und ihre Mitgliedsstaaten bei weitem der größte Geber von humanitärer Hilfe, die jedoch gemäß ihrer Syrien-Strategie eng an die politische Öffnung geknüpft ist. Diese binäre Aufstellung der Kondition, dass ohne politische Zugeständnisse des Regimes kein Wiederaufbau erfolgen kann, sei gerade aufgrund dieser Starre mehr und mehr erodiert. Daher werden in der Studie folgende Handlungsempfehlung ausgesprochen:
Die EU müsse sich mit der Realität abfinden, dass das oberste Ziel der Führungsriege um Assad eine Regimekonsolidierung ist und diese daher nur begrenzt als zuverlässige Partnerin für Wiederaufbau fungieren kann.
Eine Effektivierung der Hilfen aus Europa müsse erfolgen. Dazu kann der bereits vorhandene Joint Programme Mechanism für Syrien ausgebaut werden.
Der europäische Beitrag zur Rehabilitation von Basisinfrastruktur sollte nicht vom politischen Verhalten des Regimes, sondern prinzipiell allein vom Bedarf der Bevölkerung abhängen.
Die politische Öffnung des Regimes sollte nicht die Bedingung für Hilfen sein, sondern uneingeschränkter Zugang zur bedürftigen Bevölkerung ein Weg zur politischen Öffnung und Einflussnahme der EU sein. Hierbei müsste also der More for More-Ansatz ausbuchstabiert und definiert werden, welche Maßnahmen politisch konditioniert werden sollten und welche nicht.
Sanktionen müssten differenzierter vorgenommen werden, sodass humanitäre Hilfen und wirtschaftliche Erholung nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Die Bedingungen für eine würdevolle und sichere Rückkehr seien nicht gegeben, daher müssten feste und verbindliche Prozeduren für die Rückkehr etabliert werden, um Rückkehrer vor der Willkür und Repressalien durch das Regime zu schützen.
All diese Handlungsempfehlungen können oberflächlich betrachtet als eine Zuwendung hin zum Regime verstanden werden, daher weist die Autorin dezidiert darauf hin, dass eine völlige Normalisierung ausgeschlossen werden sollte.
Vielmehr zielt das Hauptargument der Studie darauf ab, das Engagement der EU weg von der politischen Konditionierung hin zur Bedarfskonditionierung umzudrehen. Somit sollten Individuen der Führungsriege von Assad zwar weiterhin die volle Breitseite von Sanktionen (Einfrieren von Konten etc.) zu spüren bekommen, aber die ohnehin nach Syrien fließenden Hilfen und Ressourcen gezielter und strategischer genutzt werden, um die starre politische Haltung des Regimes aufzuweichen.
Die Hauptthese der Studie deckt sich grundsätzlich mit den hervorgebrachten Argumenten, allerdings finden sich in jedem Argument, insbesondere zum Funding-Mainstreaming und dem politischen Umgang mit Syrien, eine ganze Bandbreite von innereuropäisch divergierenden Interessen, die zwar angeschnitten aber nicht im Detail ausdifferenziert werden.
https://www.swp-berlin.org/publikation/wiederaufbau-in-syrien/
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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