Reviewed Publication:
Rosenberg Elizabeth Harrell Peter E. Feng Ashley A New Arsenal for Competition. Coercive Economic Measures in the U.S.-China Relationship Washington, D.C. Center for a New American Security (CNAS) May 2020
Die Studie analysiert die amerikanische und chinesische Industriepolitik über den Zeitraum der zurückliegenden 25 Jahre, seit Gründung der WTO, bis an den aktuellen Rand. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Zäsur, die die Trump-Administration für die sino-amerikanischen Handelsbeziehungen bildet. Die Studie verwendet den titelgebenden Begriff der coercive economic measures (von zwei der Autoren bereits 2018 geprägt), unter denen sie wirtschaftspolitische Zwangsmaßnahmen (z. B. Sanktionen) verstehen, die sich auf alle Politikbereiche (Handel, Investitionen, Finanzströme) erstrecken können und mit dem Ziel ergriffen werden, eigene strategische Ziele zu erreichen oder das Gegenüber zu politischen Konzessionen zu veranlassen (S. 5). Diese werden im Folgenden kurz als restriktive Maßnahmen bezeichnet.
Bezogen auf die US-Industriepolitik gegenüber China stellen die Autoren eine Intensivierung und zugleich Diversifizierung des restriktiven Einsatzes von Zöllen, Exportkontrollen, Investitions- und Importbeschränkungen, Finanzsanktionen und gesetzgeberischen Maßnahmen fest. Letztere werden direkt China als neuer near-peer economy der USA gewidmet, z. B. die verstärkte Ahndung des Diebstahls geistigen Eigentums durch das US-Finanzministerium im Rahmen der sogenannten China-Initiative. Nach nur punktuellen Importzöllen der Obama-Administration (z. B. auf chinesische Solarpanels und Stahl), haben sich diese nach Berechnung der Autoren seit 2018 von durchschnittlich 3,1 % auf 21 % erhöht mit einem nur geringfügigen Rückgang auf 19 % seit dem Phase-1-Handelsabkommen beider Länder. Der seit 2018 bestehende Export Control Reform Act (ECRA) und die Ausweitung der Entity List des Handelsministeriums dienen der Untersagung von lizenzlosen Exporten industriell und militärisch nutzbarer US-Schlüsseltechnologien nach China (v. a. an Unternehmen, die KI-Überwachungstechnologien produzieren wie Megvii). Weiter wurden Investitionen aus China mit Verweis auf die nationale Sicherheit beschränkt, ein Beispiel ist die untersagte Übernahme eines US-Halbleiterproduzenten durch das Committee on Foreign Investment in the U.S. (CFIUS), das dem Finanzministerium untersteht. Zum Schutz von US-Wertschöpfungsketten und kritischen Infrastrukturen wurden Importbeschränkungen (z. B. für chinesische Drohnen) verhängt. Zielte die erste Runde der US-Importzölle noch auf Produkte mit wettbewerbskritischen emerging technologies (z. B. künstliche Intelligenz im Rahmen der Made in China 2025-Strategie), überlagerte sich dies in den folgenden Zollrunden mit politischen Zielen. Zur Verfolgung ökonomischer Ziele mit politischen Mitteln (z. B. bilaterale Handelsabkommen) treten politische Ziele hinzu, die mit ökonomischen Mitteln verfolgt werden. Zu letzteren zählen etwa der Einsatz von Exportkontrollen für US-Hochtechnologie und Finanzsanktionen, beides zur Ahndung des Verhaltens Chinas im südchinesischen Meer und Importbeschränkungen für Huawei-Produkte als Reaktion auf die Verletzung der US-Sanktionen gegen Iran.
Spiegelbildlich zu den USA haben sich auch die restriktiven Maßnahmen Chinas (jingji waijiao, ökonomische Staatsführung) intensiviert und werden zunehmend für außenpolitische Ziele eingespannt, v. a. betreffend seine Territorialkonflikte. Diese Maßnahmen sind zwar global ausgerichtet, u. a. im asiatischen Raum sowie gegen Canada und Australien, richten sich aber zunehmend nicht nur gegen Alliierte, sondern direkt gegen die USA. Im Unterschied zu den USA wurden sie aber meist informal (z. B. Verschleppung der Zollabfertigung) und eher reaktiv verhängt (z. B. die Replik auf US-Zölle auf 2/3 der chinesischen Exporte durch chinesische Zölle in etwa gleichem Umfang, also tit for tat, eine Vergeltung von Gleichem mit Gleichem). Informal wird auch Druck auf Unternehmen wie Microsoft, Dell und Samsung ausgeübt, indem die Vergabe von Marktlizenzen an die Non-Compliance mit Direktiven des US-Handelsministeriums gekoppelt wird. Zu den formalen, proaktiven Maßnahmen gehören eine Schwarzliste für Unternehmen und das Sozialkreditpunktesystem als Maß für Regel- aber auch Interessenkonformität, das einen hohen Punktestand von Unternehmen (in Kombination mit Technologietransfer) zur Voraussetzung für uneingeschränkten Marktzugang macht.
Auch wenn die gesamtwirtschaftlichen Schäden auf beiden Seiten gering sind (da Exportrückgänge durch Zuwächse in anderen Weltregionen kompensiert wurden), zeigen sich Wachstumsrückgänge auf sektorieller Ebene, etwa in der amerikanischen Landwirtschaft (20 %iger Anstieg der Farminsolvenzen zwischen 2018 und 2019) und dem amerikanischen produzierenden Gewerbe. Auch auf chinesischer Seite sind adverse Folgen der amerikanischen, aber auch der eigenen Industriepolitik zu verzeichnen. So haben die chinesischen Zölle zu einem nur noch fünfprozentigen Wachstum der chinesischen Industrieproduktion im Jahr 2019 geführt (17-Jahres-Tief). Gleichzeitig konnte China seine Wertschöpfung weiter von den USA entkoppeln, z. B. durch Ersatz von US-Komponenten in Huawei-Smartphones, wenn nicht durch eigene, dann zumindest durch Teile amerikanischer Hightech-Konkurrenten wie Taiwan und Japan. Auf eine abschließende Übersicht zur Bandbreite an restriktiven Maßnahmen folgt die an die US-Administration gerichtete Empfehlung einer rigorosen Analyse der eingesetzten Mittel (Kosten-Nutzen, Signal- und Zielklarheit) im Vorfeld eines möglichen Phase 2-Abkommens, wobei Finanzdienstleistungen besonderes Augenmerk gelten und die Industriepolitik mit sogenannten gleichgesinnten Staaten (u. a. Großbritannien, Deutschland, Israel, Südkorea, Japan) koordiniert werden soll.
Die Neujustierung des wirtschaftspolitischen Arsenals der USA erscheint weniger radikal als in der Studie beschrieben, wenn man bedenkt, dass (parallel zur Handelsliberalisierung) der Schutz des US-Inlandsmarktes eine jahrzehntelange Konstante des Entwicklungspfads der US-Industriepolitik der vergangenen 50 Jahre ist, wie Tassinari in Capitalising Economic Power in the US ausführt. Exportbeschränkungen werden zudem wesentlich häufiger gegen russische Unternehmen ausgesprochen als gegen chinesische (die aktuelle Entity List zeigt 318 Unternehmen aus Russland, 181 aus China und 135 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten). Die restriktive Politik der USA ist im Sinne von raising rival’s costs (bekannt aus dem US-Kartellrecht) auch selbstschädigend, aber verfolgt das Ziel eines Wettbewerbsvorteils auf lange Sicht, bezogen auf die Verteidigungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Außenpolitik. Das aktivierbare politische Kapital der USA bei seinen Verbündeten steht aber in einem zunehmenden Missverhältnis zum politischen Signalling der chinesischen Industriepolitik – wie auch die Studie betont. Beispielhaft ist die 17 plus 1-Initiative zu nennen, in der u. a. süd-/osteuropäische Staaten und der Westbalkan chinesische Positionen unterstützen. Das Risiko unklarer und fehlinterpretierter Signale muss als erheblich eingeschätzt werden.
https://www.cnas.org/publications/reports/a-new-arsenal-for-competition
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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