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Cornelius Adebahr: Europe Needs a Regional Strategy on Iran. Brüssel: Carnegie Europe, Mai 2020

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Published/Copyright: June 5, 2020

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Adebahr Cornelius Europe Needs a Regional Strategy on Iran Brüssel Carnegie Europe Mai 2020


Mit der Inauguration Donald Trumps im Januar 2017, veränderte sich auch die politische Gemengelage im Nahen und Mittleren Osten. Vom einseitigen Austritt der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran, über die einseitige Parteiergreifung im Konflikt zwischen Israel und Palästina bis hin zum unkoordinierten Rückzug der US-Truppen aus Syrien. All dies verdeutlichte den Akteuren in Europa, dass man nunmehr eine neue, eigene Agenda in der Region anstreben muss, will man in direkter Näher nicht noch mehr Konflikte eskalieren sehen. Diesem Denken schließt sich auch Cornelius Adebahr, Nonresident Fellow am Carnegie Institute Europe und Associated Fellow bei der DGAP, in seiner Studie an und betrachtet dabei insbesondere das Verhältnis zum Iran.

Nachdem der Autor einen Blick auf den Iran in Zeiten von COVID-19 und Sanktionen wirft, sieht er zunächst gewisse Parallelen zwischen den jeweiligen Konkurrenten USA und Iran, da in beiden Staaten die Regierungen unter Druck stehen und mit den Folgen des Coronavirus zu kämpfen haben. Eine kurze Beleuchtung der Konfliktherde in der Region wird daraufhin kurz skizziert, wobei Adebahr aufzeigt, dass es vor allem die USA seien, die den Druck auf die jeweiligen Konfliktstaaten erhöhten und das Konfliktpotential somit noch ansteigen liessen. Die Folgen dieser Auseinandersetzungen hätten jedoch vor allem die anliegenden EU-Staaten zu tragen: Sei es in Form von höherem Migrationsdruck oder in Form von terroristischen Anschlägen – beides führe bis heute zu internen Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedern der Europäischen Union.

Als Folge dieser Umstände gibt die Studie einen Eindruck von den wichtigsten Zielen der EU im Umgang mit dem Iran, welcher auf der einen Seite als komplizierter und teils auch aggressiver Akteur in der Region wahrgenommen wird, aber auch als pragmatischer und kooperationsoffener Partner betrachtet werden müsse. Vordergründig seien daher die Ziele der EU wie folgt: 1. Den Iran von einer Atombombe abhalten; 2. einen direkten zwischenstaatlichen Konflikt des Iran mit anderen Staaten in der Region vermeiden; 3. die Akteure der Europäischen Union als präsent und handlungsfähig vor Ort zu zeigen.

Ein erster Triumph zur Erfüllung dieser Ziele stellte dabei das JCPOA, das Atomabkommen mit dem Iran ab dem Jahr 2016 dar. Mit ihm sei es gelungen, eine nukleare Aufrüstung in der Region vorerst zu stoppen und gleichzeitig den moderaten Kräften im Iran wirtschaftlich eine Alternative zu bieten. Somit stelle das Scheitern des Abkommens einen großen Rückschlag für die europäische Außenpolitik in der Region dar. Infolge des Drucks aus Washington sei zudem kaum mehr eine einheitliche außenpolitische Initiative der EU-Staaten in der Region erkennbar. Das Scheitern des JCPOA sei allerdings nicht nur auf das Austreten der USA zurückzuführen, sondern auch auf die Nicht-Einbeziehung regionaler Akteure in die Übereinkunft und auf ein Missverständnis vieler Regierungen und der Öffentlichkeit hinsichtlich der Funktion des JPCOA. Denn anders als oftmals Proklamiert, sei das Abkommen kein Friedensplan zur Beilegung regionaler Konflikte gewesen, sondern eher ein Nichtverbreitungsabkommen. Somit konnte das Abkommen nur bedingt die hohen Erwartungen erfüllen, die einige Beobachter hier hatten.

Aufgrund des vorläufigen Scheiterns des JCPOA fordert Adebahr einen neuen Ansatz in der EU-Außenpolitik. Ihm geht es laut der Studie dabei nicht nur um eine Modifikation des JCPOA, sondern vielmehr um einen größeren Ansatz unter Einbeziehung regionaler Akteure. Das bestehende JCPOA solle weiterhin als Verhandlungsbasis dienen und die noch vorhandenen Reste reaktiviert bzw. aufrechterhalten werden. Dafür sei es auch notwendig, den Handel mit dem Iran unter Umgehung der US-Sanktionen wieder hochzufahren, um den innen- und außenpolitischen Druck von Teheran zu nehmen, welches sich ansonsten zunehmend radikalisieren würde. Diese neue Initiative durch die Europäer sei laut der Studie notwendig, da auch bei einer möglichen Wiederwahl Trumps, die US-Regierung unter dem Druck Israels, der VAE und Saudi-Arabiens kaum eine Lockerung gegenüber dem Iran vollziehen würde.

Gleichzeitig müssten die Akteure der Europäischen Union und insbesondere die sogenannten E3-Staaten (Deutschland, Großbritannien und Frankreich) an einer neuen Mediation zwischen den jeweiligen Blöcken auf beiden Seiten des Golfs hinwirken. Unter dem Titel einer Regionalisierung der europäischen Außenpolitik spricht sich die Studie unter anderem für einen gemeinsamen Ansatz in der Nichtverbreitungspolitik aus. Denn sowohl die Türkei als auch die Emirate, Saudi-Arabien und auch Ägypten rüsteten immer stärker im nuklearen Sektor auf – wenn auch bislang nur auf ziviler Ebene. Insbesondere die USA, Russland und Südkorea würden auf eine stärkere Kommerzialisierung der atomaren Branche in der Region drängen, um ihre eigenen Produkte anbieten zu können. Dass dabei das Ziel einer militärischen Nutzung nicht ausgeschlossen wird, zeigen nicht nur die Äußerungen Recep Erdogans oder Mohammad bin Salmans.

Um solch einen Prozess der nuklearen Aufrüstung zu verhindern und ein regionales Nuklearabkommen anzustreben, wäre es im ersten Schritt notwendig, dass alle Partnerstaaten in solch einer Übereinkunft folgende Punkte festhalten: 1. Die allgemeine Anerkennung der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) als Überwachungsbörde; 2. die Schließung und das Verbot von Schwerwasserreaktoren, die theoretisch zur Anreicherung von waffenfähigen Plutonium dienen könnten; sowie 3. die allgemeine Begrenzung der Anreicherung von Uran. Auch der Handel und die Ausrüstung mit nuklearer Technologie und deren Materialien müsse unter Kontrolle stehen. Um dies zu erreichen, müssten auch China und Russland in den Prozess mit einbezogen werden, da beide Staaten im ständig UN-Sicherheitsrat sitzen und zunehmend in der Region im Bereich der nuklearen Aufrüstung im zivilen und militärischen Sinne aktiv sind.

Begleitet werden sollte dieser Proliferationsansatz jedoch auch durch einen konventionellen Vermittlungsansatz, etwa durch eine Plattform des ständigen regionalen Dialogs. Die Kerngruppen würden hierbei vor allem die GCC-Staaten, der Irak und der Iran bilden. Darüber hinaus gäbe es, wie Abebahr vorschlägt, diverse Staaten mit Beratungs- und Beobachtungscharakter. Dauerhaft würden so China, Russland, die Türkei und Ägypten mit einbezogen werden, während Staaten wie Indien, Südkorea oder Japan nur bei Fragen des Seerechts oder der nuklearen Abrüstung einbezogen werden müssten. Israel würde zunächst explizit nicht mit einbezogen werden, da eine zu große Blockadehaltung wahrscheinlich wäre und auch die Problematik des Nahostkonflikts nicht hilfreich in dem Prozess sei.

Wie die letzten Monate der Spannungen in der Straße von Hormuz gezeigt haben, würde eine der ersten anzugehenden Problematiken die Standardisierung des Seerechts in der Region sein. Hierzu wäre es notwendig, dass es zunächst zu einer Ratifizierung der UN-Seerechtscharta durch alle Partnerstaaten kommt, was im Falle des Irans und der VAE noch nicht geschehen ist.

Laut Adebahr liegt der folgenreichste Schritt, den die EU bei alledem tun müsste, in der Positionierung der europäischen Akteure entgegen der derzeitigen US-Außenpolitik in der Region. Weder hätten die USA bis heute die UN-Seerechtscharta anerkannt, noch habe Washington, insbesondere unter der jetzigen Regierung, ein Interesse daran, dass die Konflikte im Irak oder gegenüber dem Iran beigelegt werden. Vor allem die sicherheitspolitisch fragwürde „Politik des maximalen Drucks“ der USA gegenüber dem Iran stehe dem entgegen. Somit ist es aus Sicht Adebahrs unabdingbar, dass die europäischen Akteure deutlich souveräner auftreten und erstmalig seit dem JPCOA wieder einen gemeinsamen Ansatz verfolgen müssen. Schließlich liege es im Interesse aller EU-Staaten, dass den konfliktreicheren Entwicklungen der letzten Jahre entgegengewirkt wird.

https://carnegieeurope.eu/2020/05/13/europe-needs-regional-strategy-on-iran-pub-81769

Published Online: 2020-06-05
Published in Print: 2020-09-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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