Reviewed Publication:
Braumoeller Bear F. Only the Dead. The Persistence of War in the Modern Age Oxford Oxford University Press 2019 1 325

Seit Steven Pinker vor nunmehr fast 10 Jahren sein Monumentalwerk The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined veröffentlichte, galt es eigentlich als ausgemacht, dass die Gewalt zwischen Menschen und auch zwischen Staaten zunehmend abnimmt. Die zahlreichen inhaltlichen, aber auch statistischen Debatten, die im Anschluss an Pinkers Buch stattfanden, konnten allesamt die Hauptthese des Autors nicht widerlegen. Damit bildete Pinker den Schluss- und gleichzeitig Höhepunkt einer seit Mitte der 90er Jahre laufenden Debatte. Es galt seitdem als ausgemacht, dass die Menschheit friedlicher wird und Krieg ein auslaufendes Modell ist. Umso erstaunlicher ist es, dass Bear Braumoeller mit Only the dead. The persistance of war in modern age nunmehr eine Studie vorlegt, deren dezidierter Anspruch es ist, Steven Pinkert im Bereich der Internationalen Beziehungen und insbesondere im Bereich der Frage, ob Krieg ein Relikt aus der Vergangenheit ist, zu widerlegen. Und Bear Braunmoeller bringt dafür alle Voraussetzungen mit. Er ist ein quantitativ arbeitender Wissenschaftler und weiß, dass es drei Arten von Lügen gibt: „Lügen, verdammte Lügen und Statistiken“. Doch anders als man vermuten würde, liegt der Schwerpunkt von Braunmoellers Analyse nicht nur auf Statistik. Er zeigt über das gesamte Buch hinweg, dass er sich ebenso in der qualitativen Literatur zur Kriegsursachenforschung herausragend auskennt. Was ist nun Braunmoellers Argument. Es ist so einfach, wie überzeugend: Krieg nimmt weltweit gesehen als Form der politischen Auseinandersetzung zwischen sozialen Akteuren nicht deshalb ab, weil die Menschheit gelernt hat und „besser wurde“, sondern weil Großmächte ihre Beziehungen untereinander so „geregelt und verregelt“ haben, dass Krieg zwischen ihnen unwahrscheinlicher geworden ist.
Darüber hinaus, und das sei hier nur am Rande erwähnt, weißt Braunmoeller ebenso überzeugend nach, dass die gesamte Declining War-Schule statistischen Fehlschlüssen aufgesetzt ist, die aus der Anwendung traditioneller statistischer Methoden resultieren. Wichtig an Braumoellers Argumentation ist dabei die Ausgangsannahme, dass Kriege als eher seltene Ereignisse begriffen werden sollten. Aber anders als der Autor von „Gewalt“ (so der deutsche Titel von Pinkers Buch) begreift Braumoeller Kriege somit auch als statistische Anomalie. Mit Blick auf das zentrale Argument Pinkers, dass die Anzahl der Toten im Krieg beständig zurückgeht, argumentiert Braumoeller sehr überzeugend, dass Staaten seit geraumer Zeit weniger Soldaten gemessen an der Gesamtbevölkerung in die Schlacht ziehen lassen. Die immer geringer werdende Anzahl von Toten in Kriegen ist somit nicht auf eine generelle Friedfertigkeit der Menschheit zurückzuführen, sondern eher auf das Faktum, dass die Anzahl von Soldaten in Armeen nicht proportional zur steigenden Bevölkerung in Staaten gewachsen ist.
Und auch in einem weiteren Punkt argumentiert Braumoeller überzeugend gegen Pinker. Pinker sieht in der zunehmenden Proliferation internationaler Institutionen und regionaler Organisationen nach 1945 die Formierung sogenannter Zonen des Friedens, die langsam aber stetig auf dem Vormarsch sind. Braumoeller weist auf die Janusköpfigkeit dieser Zonen des Friedens hin. Denn während sie einerseits für ihre Mitglieder in der Tat die Konfliktwahrscheinlichkeit drastisch reduzieren, erhöhen ebendiese Zonen des Friedens, die Konfliktwahrscheinlichkeit zwischen ihren Mitgliedern und nicht-Mitgliedern.
Mithin Braumoellers Buch kann zurecht als eine Art Antipinker gelesen werden und er überzeugt statistisch wie auch qualitativ mit seinen Argumenten. Aber selbst für diejenigen, die von Braumoellers Argumenten nicht überzeugt sind, sollte dieses Werk Anlass dazu geben, kritischer mit Pinkers These umzugehen, dass die Aufklärung uns als Menschen friedfertiger gemacht hat.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Bildnachweise
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