Abstract
This paper surveys cover versions of Italian hits in Spanish and German. Using autoethnographic methods, it offers a retrospective examination of the 1970s and 1980s in Latin America and Germany, reflecting on the influence of Italian artists on the Latin American and German Schlager music scenes.
Zunächst hatte ich geplant, an dieser Stelle über die Darstellung Italiens in der deutschen Schlagermusik und in der Musik Lateinamerikas zu schreiben; darüber, wie Italien im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einem häufigen Thema in der populären Musik wurde.[1] Während der Recherchen wurde allerdings deutlich, dass das ursprünglich avisierte Thema in der Schlagerliteratur bereits nahezu erschöpfend behandelt worden ist, während es in der Literatur über populäre Musik in Lateinamerika kaum vorkommt. Was sollte ich also tun? Was sollte ich schreiben, um nicht zu wiederholen, was andere oder ich selbst im Falle des deutschen Schlagers bereits gesagt hatten? Und was hätte ich über ein solch komplexes Thema schreiben können, das bisher nicht die Aufmerksamkeit der lateinamerikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewonnen hatte? Ich wusste es nicht. Als ich die Lieder auswählte, die ich in diesem Aufsatz diskutieren werde, zeigte sich zudem, dass das Thema sich veränderte: hin zu Coverversionen von italienischen Liedern in der deutschen Schlagermusik und der balada romántica in Lateinamerika. In Anlehnung an Daniel Party definiere ich hier die balada romántica in der hispanischen Welt als eine Variante der sentimentalen Pop-Ballade.[2] Wie der deutsche Schlager ist sie ein äußerst konservatives, sentimentales Genre, das sich auf die heteronormative Liebe stützt. Da es sich um ähnliche Genres handelt, kann eine vergleichende Untersuchung meines Erachtens Aufschluss darüber geben, wie die Musikindustrie Strategien zur Anpassung eines Repertoires in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entwickelt hat.
Die folgenden Überlegungen sind einerseits autoethnographisch, andererseits beziehen sie sich auf meine Forschungen über die Schlagermusik (2008). Wenn ich „Autoethnographie“ sage, meine ich damit im Sinne von Caroline Ellis, Tony E. Adams und Arthur P. Bochner eine Schreibform, die persönliche Erfahrungen beschreibt und analysiert, um dadurch kulturelle Prozesse zu verstehen bzw. zu entziffern.[3] Die genannten Autoren vertreten die Meinung, dass eine Autoethnographie die Aspekte einer Biographie mit einem ethnographischen Bericht kombiniert. Der Autor oder die Autorin schreibt dabei zunächst retrospektiv über das eigene Leben. Dabei wird davon ausgegangen, dass die biographischen Erfahrungen dieser Person Teil der Vita einer kollektiven Gruppe sind, wodurch derartige autoethnographische Beschreibungen einen repräsentativen Charakter für die Gruppe erlangen.[4] Dementsprechend definiert Ellis das autoethnographische Schreiben folgendermaßen:
„Autoethnography refers to writing about the personal and its relationship to culture. It is an autobiographical genre of writing and research that displays multiple layers of consciousness … Back and forth autoethnographers gaze: they look through an ethnographic wide angle lens, focusing outward on social and cultural aspects of their personal experience; then, they look inward, exposing a vulnerable self that is moved by and may move through, refract, and resist cultural interpretation.“[5]
Der vorliegende Aufsatz wird daher über weite Passagen auf persönlichen Erinnerungen basieren, die ich um Gesprächsauszüge mit Freunden und Verwandten ergänzt habe. Der Text mag dadurch vielleicht etwas deskriptiv und sehr autobiographisch erscheinen, aber die hier beschriebenen Erinnerungen dienen als Grundlage dafür, einige Fragen bezüglich der Präsenz von italienischen Künstlerinnen und Künstlern in Lateinamerika aufzuwerfen. Ich werde mich nachfolgend auf zwei italienische Sänger konzentrieren, welche die populäre Musik Lateinamerikas in den 1970er bzw. 1980er Jahren stark beeinflusst haben: Nicola Di Bari und Raffaela Carrà. Meine Auswahl ist sicherlich subjektiv. Ich hätte in der Tat auf dem lateinamerikanischen Musikmarkt sehr erfolgreiche Künstler wie z. B. Eros Ramazzotti oder Gianna Nannini wählen können. Da ich aber keine Erinnerung an die Rezeption ihrer Musik besitze – ich verließ Lateinamerika bevor die beiden dort bekannt wurden –, wäre es für mich unmöglich gewesen, hierzu eine autoethnographische Perspektive einzunehmen. Die zwei Stücke, die ich hingegen hier behandeln möchte, sind „Vagabondo“ von Nicola Di Bari (1970) und „Luca“ von Raffaella Carrà (1978). Im Falle der deutschen Schlagermusik nehme ich Bezug auf die Forschungsliteratur zum deutschen Schlager sowie auf eigene Recherchen.
Es gibt eine lange Tradition von italienischen Sängerinnen und Sängern wie Caterina Valente oder Vico Torriani, die auf dem deutschen Markt sehr erfolgreich waren und dabei eine Art ‚italienische Exotik‘ verkörperten. Tatsächlich ist bereits viel über Italiennostalgie der Deutschen und Österreicher, gerade mit Bezug zu Mandolinen, geschrieben worden.[6] Hier versuche ich auf ein anderes Phänomen einzugehen, nämlich Coverversionen von italienischen Hits in deutscher Sprache. Covers sind seit einigen Jahren ein wichtiges Forschungsthema geworden.[7] George Plasketes zufolge sind Coverversionen nicht nur das Produkt ökonomischer Interessen seitens der Musikindustrie, sondern bilden auch einen Raum für die Verhandlung genrespezifischer oder kulturspezifischer Unterschiede.[8] Dies versuche ich zu zeigen, indem ich zwei Coverversionen italienischer Hits diskutiere: „Il tempo se ne va“ von Adriano Celentano (1980) und „Felicità“ von Al Bano und Romina Power (1982). Auf dieser Grundlage werde ich außerdem einige Fragen aufwerfen, die ich für zukünftige Forschungen über Italien im Schlager als relevant betrachte. Zuletzt werde ich einen kurzen Vergleich zwischen beiden Phänomenen vornehmen, sodass Ähnlichkeiten und Differenzen bei den Übersetzungen von Hits verdeutlicht werden.
Italien in Lateinamerika
Während meiner Kindheit in den 1960er Jahren hörte ich zu Hause immer Radio. Damals hatte ich noch keinen bewusst ausgeprägten Musikgeschmack. Es war üblich, dass es nur eine Musikanlage pro Haushalt gab. Dementsprechend hörte ich nur das, was meine Eltern oder älteren Geschwister hörten. Außerdem besaß ich über das Fernsehen Zugang zum musikalischen Angebot. In schwarz-weiß-Sendungen sah ich Künstlerinnen und Künstler aus den USA, Interpreten sogenannter música criolla (Musik von der peruanischen Küste) oder Bolerosänger aus Kuba und Mexiko, die damals diverse Erfolge in Lateinamerika feierten. Wenn ich an diese Zeit denke, kommen mir sofort Namen italienischer Interpreten wie Rita Pavone, Domenico Modugno, Salvatore Adamo oder Nicola Di Bari in Erinnerung. Sie waren berühmt und hatten eine enorme Präsenz auf dem kommerziellen Musikmarkt Lateinamerikas. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich irgendwann über diese Musik schreiben würde.
Wenn wir in der Musikwissenschaft an lateinamerikanische Musik denken, dann an Musikgattungen, die einen nationalen oder regionalen Charakter haben: Bolero, Tango oder Salsa. Eine kurze Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Themenfeld zeigt, dass die Musikwissenschaft den Fokus auf Traditionen gelegt hat, die eine identitätsstiftende Dimension haben. Mainstream-Musik[9] wurde hingegen häufig vernachlässigt, weil man dachte, dass diese keinen kulturellen Wert besitze. Dass das lateinamerikanische Publikum Musik aus anderen Ländern konsumierte, wurde in diesen Studien nicht einmal erwähnt. So berücksichtigen Bücher wie das von Dale A. Olsen und Daniel E. Sheehy herausgegebene „Garland Handbook of Latin American Music“ (2000) oder „Música Latinoamericana. Das Lexikon der lateinamerikanischen Volks- und Populärmusik“, herausgegeben von Egon Ludwig (2001),[10] die sogenannte balada romántica nirgends. Dementsprechend entgeht ihnen auch die enorme Präsenz italienischer Musik in Lateinamerika. Mainstreammusik war für die Forschungstradition nur dann interessant, wenn diese Musik eine exotisierende oder folkloristische Färbung hatte. Somit trägt die einschlägige Forschungsliteratur zu der Illusion einer selbstreferentiellen Musiktradition in Lateinamerika bei, die nicht mit meinen Erinnerungen an die musikalische Situation vor Ort übereinstimmt. Erst in den letzten Jahren hat die musikwissenschaftliche Erforschung der balada romántica in Spanien und Lateinamerika begonnen, vor allem in Bezug auf Fragen bezüglich der Geschlechterkonstruktionen.[11] Mein Aufsatz knüpft an diese neue Tendenz an, hebt den Einfluss der italienischen Musik auf die lateinamerikanische hervor und analysiert die Italienbilder, die maßgeblich durch die Präsenz bestimmter italienischer Künstler in Lateinamerika geprägt worden sind.
Eines der ersten Idole meiner Kindheit war der italienische Sänger und Liedermacher Nicola Di Bari. Di Bari wurde im Jahr 1940 in Zapponeta geboren. Seinen Durchbruch erreichte er im Jahr 1970, als er mit dem Lied „La prima cosa bella“ den zweiten Platz beim Festival di Sanremo, eines der berühmtesten Musikfestivals in Italien, gewann. Während der 1970er Jahre feierte Di Bari darüber hinaus mit spanischen Coverversionen seiner italienischsprachigen Hits großen Erfolg in Lateinamerika. Lieder wie „El corazón es un gitano“ (Das Herz ist ein Gitano), „Lisa de los ojos azules“ (Lisa, das Mädchen mit den blauen Augen), und „Trotamundo“ (Weltenbummler), „El último romántico“ (Der letzte Romantiker) erreichten hohe Positionen in den lateinamerikanischen Charts und werden bis heute stark rezipiert. Diese Lieder hinterließen auch tiefe Spuren in mir – nicht nur wegen der eingängigen Melodien, sondern auch wegen der Texte, die das Bild eines italienischen Mannes scharf konturierten. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass diese Aufnahmen nicht die Originalversionen waren. Ich behandele sie daher hier als das, was López-Cano als Bezugsversionen bezeichnet: Aufnahmen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt und zu einem bestimmten Zweck als Modell für den Vergleich mit einer anderen Version dienen, auch wenn sie nicht die Originalversion sind.[12]
Ein weiteres Kriterium für meine Analyse ist der von Philip Auslander vorgeschlagene Begriff musical persona. Wie Auslander demonstriert, performen Musikerinnen und Musiker nicht nur eine musikalische Darbietung, sondern auch eine Identität.[13] Auslander zeigt außerdem, dass sich die musikalische Persona von der privaten Persona unterscheidet, und dass sie in Abhängigkeit von sozialen Parametern, die für die jeweiligen Musikgenres charakteristisch sind, vom musikalischen und sozialen Umfeld sowie von den Selbstdarstellungen der Künstler konstruiert wird.[14] Diese Idee der musical persona lässt sich sehr gut auf Nicola Di Bari anwenden, der sich als romantischer Sänger präsentiert, als natürlich und introvertiert und daher als Künstler, der ‚authentisch‘ ist. Ein Teil dieser Authentizität beruht auf der Klangfülle von Di Baris Stimme: eine heisere Stimme, die den Schmerz und die Melancholie der Verse zum Ausdruck bringt. So vermittelt Di Bari mit seiner Performance die Illusion einer besonderen und ehrlichen Sensibilität, welche nicht charakteristisch für Mainstream-Sängerinnen und -Sänger ist. Im Folgenden wird dies anhand der spanischen Version seines Stücks „Vagabondo“ analysiert. Die Originalversion wurde im Jahr 1970 von RCA veröffentlicht.[15] Zunächst der Originaltext mitsamt der Übersetzung auf Spanisch:
Version auf Italienisch
Version auf Spanisch
Quando la gente dorme
scendo giù,
maglione sulle spalle
nella notte blu.
Nel cuore una chitarra,
nella mente cose strane,
e sul mio volto un po’
d’ingenuità.
Vagabondo, vagabondo,
qualche santo mi guiderà.
Ho venduto le mie scarpe
per un miglio di libertà.
Da soli non si vive
senza amore non morirò,
Vagabondo sto sognando,
delirando.
Le gambe van da sole, mm, mm
la strada sembra un fiume
Chissà dove andrà.
Neppure tu ragazza
sai fermare la mia corsa,
negli occhi tuoi non c’è
Sincerità.
Cuando la gente duerme
bajo yo,
chaqueta sobre el hombro
en la noche azul.
Amor y una guitarra,
y en la mente cosas raras
y en mis ojos hay
ingenuidad.
Vagabundo, vagabundo,
algún santo me guiará.
He vendido mis zapatos
por un poco de Libertad.
Mas, solo no se vive,
sin amor yo moriré.
Vagabundo, estoy soñando,
delirando.
Las piernas andan solas, mm, mm …
La calle es como un río
¿Quién sabe dónde va?
Tampoco tú, muchacha,
puedes cortar mi camino,
porque en tus ojos no hay
sinceridad.
„Vagabondo“ ist eine Art Hymne an die Freiheit des Mannes, des letzten Romantikers, der mit seiner Gitarre die Liebe besingt – in einer Welt, die zunehmend von der Technik beherrscht wird. Sowohl die musikalische Begleitung als auch der übersetzte Text geben die von Di Bari auf Italienisch eingespielte Version sehr treu wieder. Auch die Art und Weise, wie er singt, wird ohne große Unterschiede reproduziert, wobei er im Spanischen fast die gleiche Artikulation wie in seiner Muttersprache verwendet. Während das Stück zunächst als romantisches, heterosexuelles Liebeslied erscheint, gerät es im zweiten Teil zu einer Liebeserklärung an die männliche Freiheit, wenn dem Mädchen vorgeworfen wird, nicht in der Lage zu sein, die Freiheit und die Berufung des Sängers zu respektieren. Auf diese Weise vermittelt der Song „Vagabondo“ die Vorstellung eines Italieners, der leidenschaftlich liebt, aber noch leidenschaftlicher an seiner eigenen Freiheit hängt, was wiederum für den Mann einen Weg der Einsamkeit bedeutet, den er mit Stoizismus beschreitet.
Besonders interessant ist, dass die spanische Version des Refrains eine leichte Variation aufweist. Statt „senza amore non morirò“ („ohne Liebe werde ich nicht sterben“) singt Di Bari auf Spanisch „sin amor yo moriré“ („ohne Liebe werde ich sterben“), was mehr Spannung zwischen der Idee der romantischen Liebe und der individuellen Freiheit erzeugt. Das ändert übrigens nichts an dem Bild des einsamen, introvertierten Mannes, welches die musikalische Persona des Sängers prägt. Nicola Di Bari verkörpert somit das Image eines gefühlvollen und authentischen italienischen Künstlers, der aus dem Herzen über die eigenen Lebenserfahrungen singt.
Raffaella Carrà (1943–2021) ist eine der großen Diven der italienischen Musik. Als Sängerin, Komponistin, Produzentin, Fernsehmoderatorin und Choreographin feierte sie sowohl in Italien als auch in Lateinamerika großen Erfolg. Obwohl sie bereits in den 1970er Jahren zu Ruhm gelangte, erreichte sie den künstlerischen Höhepunkt ihrer Karriere erst ein Jahrzehnt später mit der Teilnahme an der Sendung „Millemilioni“ von Radiotelevisione Italiana, die in Italien, Großbritannien, der Sowjetunion, in Chile und Argentinien ausgestrahlt wurde. Seitdem war Carrà in Lateinamerika so präsent, dass sie 1982 zur „Königin“ des berühmten chilenischen Festivals „Viña del Mar“ erklärt wurde.[16] In diesem Jahrzehnt gelang es ihr, in Ländern wie Argentinien, Chile und Peru große Konzerte zu geben.
Seit den Anfängen ihrer Karriere wurden Raffaella Carràs Performances Gegenstand von Kontroversen, sowohl in Italien als auch in Lateinamerika. Als Tänzerin prägte sie Choreographien, die auf die Inszenierung von Sinnlichkeit setzten, was ihr einerseits die Begeisterung des Publikums einbrachte, andererseits Kritik von konservativen Teilen der Gesellschaft in Italien und den lateinamerikanischen Ländern. Carràs musical persona stand damit dem Bild der verführerischen Italienerin nahe, einer Femme fatale, die die Männer mit ihrer Schönheit bedrohte. In Liedern wie „Para hacer bien el amor“ (Um Liebe gut zu machen) oder „Lucas“ wagte sie über Tabuthemen wie Sexualität offen zu sprechen, was die Musikszene der balada romántica in Lateinamerika revolutionierte.
Ich entdeckte Raffaella Carrà in den 1980er Jahren, als ich aufhörte, Popmusik auf Spanisch zu hören, und mich mehr der lokalen Musikkultur meines Landes, Peru, widmete. Als Teenager fing ich an, Musik auf Spanisch, vor allem die balada romántica, zu meiden, weil sie in meinem sozialen Umfeld als Musik für Mädchen galt. Ich hörte mir daher Huaynos an: Protestlieder. Die balada romántica galt wie der deutsche Schlager als sehr konservativ, heteronormativ und affirmativ, und deshalb lehnte ich sie radikal ab. Aber Raffaella Carrà war etwas anderes. Die Sinnlichkeit ihrer Texte und ihrer Darbietung brachen so sehr mit der katholischen peruanischen Kultur, dass selbst jemand wie ich, der keinen Pop in spanischer oder italienischer Sprache hörte, von der Sängerin und ihren Liedern fasziniert war. Bevor ich auf den von CBS im Jahr 1978 veröffentlichten Song „Lucas“ eingehe, nachfolgend die italienische und die spanische Fassung des Liedes:
Version auf Italienisch
Version auf Spanisch
Non mi mandate a quel paese
Ma sono un poco fuori fase
Se non mi sfogo con qualcuno
Un giorno o l’altro scoppierò.
Era un ragazzo dai capelli d’oro
E gli volevo un bene da morire
Io lo pensavo tutto il giorno intero
senza tradirlo neppure col pensiero.
Ma un pomeriggio dalla mia finestra
Lo vidi insieme ad un ragazzo biondo
Chissà chi era, forse un vagabondo
Ma da quel giorno non l’ho visto proprio più.
Luca, Luca, Luca, Luca, Luca
Cosa ti è successo
Luca, Luca, Luca, Luca
Con chi sei adesso
Luca, Luca, Luca, Luca
Non si saprà mai.
Credevo di essere attraente.
Così mi ha detto tanta gente.
O lui non ha capito niente.
O c’è qualcosa che non va.
La historia sucedió de pronto
y todavía no la entiendo.
Si no te importa te la cuento,
tal vez me puedas ayudar.
Él era un chico de cabellos de oro,
yo le quería casi con locura,
le fui tan fiel como a nadie he sido
y jamás supe que le ha sucedido.
Porque una tarde desde mi ventana
le vi abrazado a un desconocido.
No sé quién era, tal vez un viejo amigo.
Desde ese día nunca más le he vuelto a vеr.
Lucas (Lucas), Lucas (Lucas), Lucas
¿Qué te ha sucedido?
Lucas (Lucas), Lucas (Lucas), Lucas
¿Dónde tе has metido?
Lucas (Lucas), Lucas (Lucas), Lucas
¡Nunca lo sabré!
Yo siempre me creía atrayente.
Así lo piensa mucha gente.
O él no me ha entendido nunca
o hay algo que no marchó bien.
Wie im vorherigen Fall wurden auch hier die musikalischen Arrangements nicht verändert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit Ausnahme der Gesangsspur dieselben Spuren verwendet worden sind. Im Gegensatz zum spanischen Cover des Liedes von Nicola Di Bari weist die Übersetzung von „Luca“ ins Spanische erhebliche Änderungen auf. Bereits die erste Strophe erscheint radikal verändert. Dort fordert die Ich-Erzählerin das Publikum auf, mit ihr einen Zweifel an ihrem Ex-Partner zu teilen. Die zweite Strophe bleibt fast unverändert und ist dem Thema der Treue zwischen Liebenden gewidmet. Zwei wesentliche Änderungen finden jedoch im Refrain statt; die erste betrifft die Personen, die Luca begleiten. So wird aus dem Vagabunden im italienischen Text, den Luca irgendwohin mitnimmt, im Spanischen ein alter Freund. Die Frage „Mit wem bist du gegangen?“ verwandelt sich auf Spanisch in „Was ist mit dir passiert?“. Während also in der Originalfassung die Homosexualität des Ex-Partners der Erzählerin klar ersichtlich ist, wird sie in der spanischen Fassung nur angedeutet.
All diese Veränderungen dämpfen jedoch nicht den sinnlichen Charakter der musical persona Raffaella Carrà. Die Pointe des Liedes ist also, dass die Ich-Erzählerin in keiner der Versionen akzeptieren kann, dass Luca(s) sie wegen eines Mannes verlassen hat, obwohl sie, wie viele ihr sagen, eine attraktive Frau ist. Die Italienerin erscheint also doch als Femme fatale, als eine verführerische Frau, auch wenn sie nicht immer ihre Ziele erreicht. Ebenso wichtig ist die Feststellung, dass diese Thematisierung der Homosexualität in einem sehr konservativen Umfeld – deshalb die bloßen Andeutungen in der spanischen Version – positive Resonanz in der Homosexuellenbewegung hatte. Das Lied hatte sogar eine identitätsstiftende Dimension für argentinische Schwule: „In dieser Zeit des Umbruchs“, sagt ein anonymer Rezensent des Buches „La historia de la homosexualidad en la Argentina“ („Die Geschichte der Homosexualität in Argentinien“) von Osvaldo Bazán, „wehte ein freiheitlicher Wind, sogar in Form der Liedtexte von Raffaella Carrà, einer wahren Ikone der argentinischen Schwulenbewegung.“[17]
Wenn die ins Spanische übersetzten italienischen Lieder eine authentische italienische Mentalität darzustellen scheinen, so handelt es sich bei der Schlagermusik, wie ich nun diskutieren werde, eher um die Wiedergabe idealisierter Bilder in der Tradition des deutschen Romantizismus.
Italienische Coverversionen und deutsche Schlagermusik
Marc Pendzich zufolge machte sich auch die deutschsprachige Musikindustrie Coversongs zunutze, um den Musikmarkt zu stärken.[18] Erfolgreiche Lieder aus anderen Ländern wurden ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht, in der Hoffnung, dass sie zum Hit würden. Gerade ‚exotische‘ Themen wurden zu einer beliebten Thematik in der Musik der Nachkriegszeit. Italien, Südsee, der Westen oder der sogenannte Orient gerieten zu Oberflächen, auf die Träume und eine gewisse Nostalgie projiziert wurden.
Italien ist ein stetig wiederkehrendes Thema in der deutschen Schlagerforschung. Immer wieder werden Italienschlager mit Eskapismus und Sehnsucht nach der Ferne assoziiert. So weist René Malamud darauf hin, dass Italien für die Deutschen zum Süden gehört, und dass es mit „strahlenden Tagen, milden, sternklaren Nächten, von lauen Winden, schweren Düften“ verbunden wird.[19] Elke Stöltling stellt diesbezüglich fest, dass Italien im Schlager verklärt und unreal bleibt, da dem Hörenden nur der Zauber von Italien angeboten wird:
„Dieser Zauber besteht aus den Vorstellungen, die um den geographischen Begriff ranken: Abenteuer, Zärtlichkeit, ‚romantisches‘ Gefühlserleben. So werden die Orte zur Projektion für all die unerfüllbaren Wünsche, die der Alltag nicht erlaubt, weil er Tatkraft und Wachheit verlangt. Das Land des Schlagers ist das ‚Traumland‘, wo das Glück realisiert wird …“.[20]
Gitarren und Mandolinen, Vollmond, Sehnsucht, Rotwein und Meer sind häufige Elemente der sogenannten Italienschlager; eine Art Schlager, in dem Italien bzw. Italienerinnen und Italiener thematisiert werden.[21] Laut André Port le roi kamen Italienschlager nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Mode.[22] Die Art und Weise aber, wie Italien besungen wurde, änderte sich rapide in der Nachkriegszeit, da Italien für die Deutschen nicht länger in der Ferne lag. Zwischen Rudi Schurickes „Capri-Fischer“ (1947), „Komm ein bisschen mit nach Italien“ von Peter Alexander, Caterina Valente und Silvio Francesco (1959) sowie „Zwei kleine Italiener“ von Conny Froboess (1962) lässt sich tatsächlich eine klare Entwicklung erkennen. War das erste Lied von der Phantasie des Komponisten und des Publikums getragen, sind die späteren Songs realistischer. Es ging nicht mehr darum, sich paradiesische Orte irgendwo am Mittelmeer vorzustellen, sondern darum, etwas über das Leben der Italienerinnen und Italiener in ihrer Heimat oder in Deutschland zu erzählen.[23] Angeblich wurden die Klischees schwächer, je mehr die Deutschen sich leisten konnten, Italien zu besuchen:
„Hatte der Italienschlager meist von immer wiederkehrenden Klischees erzählt, die René Carol bereits 1952 als ‚Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein / und Italiens blaues Meer im Sonnenschein‘ formuliert hatte, wechselte Mitte der fünfziger Jahre die Erzählperspektive der Schlager: Die meist amourösen Erlebnisse und Eindrücke wurden nun sehr persönlich geschildert, da die Schlagerkonsumenten in wachsender Zahl Italien tatsächlich kannten oder bald kennenlernen wollten.“[24]
Auch Herrwerth und Mezger sehen eine Wende zum Realismus in der Tradition des Italienschlagers, als Italien zu einem näher liegenden Urlaubsziel der Deutschen avancierte.[25] Dies erklärt allerdings nicht, warum Lieder über ein imaginiertes Italien immer noch erfolgreich sind, obwohl Menschen im deutschsprachigen Raum heute lieber andere Orte als Italien besuchen.[26] All diese Lesarten sind aus wissenschaftlicher Sicht genauso schwer zu verifizieren wie zu widerlegen. Klar zu sein scheint, dass Italienschlager sowohl reale als auch fiktive Aspekte Italiens thematisieren. Dazu kommt, dass diese Lieder häufig rassistische oder sexistische Ansichten über Italienerinnen und Italiener verbreiten, auch wenn Produzenten und Interpreten dies nicht bewusst intendieren mögen. Es ist allerdings symptomatisch, dass die Literatur zum deutschen Schlager den Selbstrepräsentationen von Italienerinnen und Italienern bisher wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Tatsächlich hat bislang niemand über Lieder geschrieben, die von italienischen Sängerinnen und Sängern in deutscher Sprache aufgenommen worden sind. Im Folgenden versuche ich daher zu zeigen, dass eine Analyse solcher Lieder durchaus von Belang für die Schlagerforschung ist. Meine Verbindung zu den letztgenannten Stücken ist selbstverständlich ganz anders als zu jenen italienischen Liedern, die ich während meiner Kindheit hörte. Im Gegensatz zu diesen waren deutsche Coverversionen italienischer Hits für mich nur Daten, die ich bei meinen Recherchen für meine Dissertation gefunden hatte. Deshalb habe ich keine besondere emotionale Bindung zu diesen Liedern entwickelt. Eine Auseinandersetzung damit lohnt sich auf jeden Fall, da diese Lieder zeigen, wie Menschen aus Italien gesehen werden wollten beziehungsweise wie sie ihr Image mit dem deutschen Publikum verhandelt haben.
Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen den für Lateinamerika und den für den deutschsprachigen Raum verzeichneten Fällen. Wie ich zeigen werde, weichen die Coverversionen für den deutschsprachigen Raum stärker von den Originalversionen ab als im Falle der spanischen Versionen. Dai Griffiths hat diese Art der Übersetzung, die durch Coverversionen erzeugt wird, „Identity in Motion“[27] genannt. Diese Beschreibung scheint zutreffend, insofern sie deutlich ausdrückt, dass Lieder durch Coverversionen in ihrer sozialen oder kulturellen Bedeutung adaptiert werden. Dies lässt sich gut am Beispiel der bereits erwähnten Stücke demonstrieren.
Adriano Celentano, 1938 geboren, ist eine zentrale Figur der italienischen Popkultur der Nachkriegszeit. Als Sänger, Songwriter, Musiker und Musicaldarsteller hat er die italienische Populärmusikkultur enorm beeinflusst. Dank der Synchronisationen seiner Filme in deutscher Sprache wurde Adriano Celentano in den 1970er Jahren im deutschsprachigen Raum weit bekannt. So gelang es ihm auch, seine Musik in italienischer Sprache in den deutschen Charts zu platzieren.[28] Der im Jahr 1980 aufgenommene Song „Il tempo se ne va“ ist einer der größten Hits von Celentano. Das Lied handelt vom sexuellen Erwachen eines jungen Mädchens und wird aus der Perspektive des Vaters gesungen. So beklagt der Vater die Geschwindigkeit, mit der die Zeit vergeht, die Dinge sich verändern und aus seiner Tochter ein Objekt der männlichen Begierde wird:
Italienische Version
Deutsche Version
Quel vestito da dov’è sbucato?
Che impressione vederlo indossato.
Se ti vede tua madre, lo sai,
questa sera finiamo nei guai.
È strano, ma sei proprio tu,
quattordici anni o un po’ di più.
La tua Barbie è da un po’ che non l’hai
e il tuo passo è da donna ormai.
Al telefono è sempre un segreto
quante cose in un filo di fiato,
e vorrei domandarti chi è,
ma lo so che hai vergogna di me.
La porta chiusa male e tu
lo specchio, il trucco e il seno in su,
e tra poco la sera uscirai
quelle sere non dormirò mai.
E intanto il tempo se ne va
e non ti senti più bambina.
Si cresce in fretta alla tua età,
non me ne sono accorto prima.
E intanto il tempo se ne va
tra i sogni e le preoccupazioni.
Le calze a rete han preso già
il posto dei calzettoni.
Farsi donna è più che normale
ma una figlia è una cosa speciale.
Il ragazzo magari ce l’hai
qualche volta hai già pianto per lui.
La gonna un po’ più corta e poi
Malizia in certi gesti tuoi
E tra poco la sera uscirai
Quelle sere non dormirò mai.
E intanto il tempo se ne va
E non ti senti più bambina
Si cresce in fretta alla tua età
Non me ne sono accorto prima.
E intanto il tempo se ne va
Tra i sogni e le preoccupazioni
Le calze a rete han preso già
Il posto dei calzettoni.
Dieses Kleid – also, ich würde sagen
Hat bisher deine Mutter getragen.
Wenn sie dich drin heut’ Abend erblickt,
ist sie wahrscheinlich nicht sehr entzückt.
Ich weiß, dass du schon vierzehn bist,
Wenn es auch unbegreiflich ist.
Man wird eben aus dir nicht mehr schlau,
Und dein Gang ist schon der einer Frau.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Noch gestern warst du meine Kleine,
Und heute wirst du angeseh’n,
Und man bewundert deine Beine.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Die Jahre reichen sich die Klinke.
Und du bist reizend anzuseh’n
Mit rotem Lippenstift und Schminke.
Und wann immer du am Telefon bist,
Ja, dann staun’ ich, was das für ein Ton ist.
Endlos lang machst du dir’s da bequem,
Und ich möchte doch wissen, mit wem.
Wahrscheinlich hast du einen Freund,
Hast seinetwegen schon geweint,
Und bald gehst du die Abende aus,
Und ich schlaf’ nicht und sorg’ mich zu Haus’.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Noch gestern warst du meine Kleine,
Und heute wirst du angeseh’n,
Und man bewundert deine Beine.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Die Jahre reichen sich die Klinke.
Und du bist reizend anzuseh’n
Mit rotem Lippenstift und Schminke.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Noch gestern warst du meine Kleine,
Und heute wirst du angeseh’n,
Und man bewundert deine Beine.
Es bleibt die Zeit für keinen steh’n,
Die Jahre reichen sich die Klinke.
Und du bist reizend anzuseh’n
Mit rotem Lippenstift und Schminke.
Wie in den vorherigen Fällen enthält auch „Es bleibt die Zeit für keinen steh’n“ (1980) Spuren der italienischen Version. Veränderungen finden primär auf textlicher Ebene statt. Obwohl der Sinn des Textes nahezu gleichbleibt, ist deutlich zu erkennen, dass die Übersetzung versucht, jede Anspielung auf die Sexualität des ‚erwachenden‘ Mädchens zu vermeiden. Das ist ein Phänomen, das ich bereits als charakteristisch für die Schlagermusik beschrieben habe: Sex so weit wie möglich auszublenden.[29] Die sexuellen Konnotationen des Originaltextes werden leicht modifiziert, so dass der Song den kulturellen Rahmen des deutschen Schlagers nicht überschreitet. Das Stück wird demzufolge nicht nur textlich, sondern auch kulturell übersetzt.
Die Entscheidung des Managements von Adriano Celentano, dieses Lied zu übersetzen, ist schwer zu verstehen. Nicht nur, weil Celentano aufgrund seines Akzents das Verständnis des Textes erschwert, sondern auch, weil die Übersetzung ihn von der musical persona entfernt, die er als italienischer Sänger etabliert hatte. In einem informellen Gespräch zum Thema sagten mir zwei Freunde, die Celentanos Filme gut kannten, wie seltsam es für sie gewesen sei, den Sänger mit einer schlechten deutschen Aussprache singen zu hören, da sie gewohnt waren, dass er in den synchronisierten Filmen korrektes Deutsch sprach.
Al Bano und Romina Power waren ein in Italien produziertes Musikduo. In den 1970er und 1980er Jahren erfreuten sich die beiden großer Beliebtheit in den deutschsprachigen Ländern. Obwohl „Felicità“ (1982) jahrelang als italienischer Hit im deutschsprachigen Raum kursierte, wurde der Song im Jahr 1982 von Conny und Jean auf Deutsch aufgenommen. Der Erfolg der deutschen Version war jedoch eher gering. Trotzdem veröffentlichten Al Bano und die deutschsprachige Schweizer Sängerin Francine Jordi, geboren 1977, im Jahr 2004 ein zweisprachiges Cover des Songs. Im Video zu sehen ist Al Bano, wie er den italienischen Teil singt, während die junge Francine auf Deutsch singt. Den Refrain singen sie gemeinsam auf Italienisch:
Felicità
È tenersi per mano andare lontano, la felicità
È il tuo sguardo innocente in mezzo alla gente, la felicità
È restare vicini come bambini, la felicità
Felicità.
Felicità
Dein Vertrauen zu spüren,
Dich zu berühren heißt felicità.
Und auch wenn wir verlieren,
alles riskieren heißt felicità.
Dich zum Lachen zu bringen,
mit Dir zu singen heißt felicità.
Felicità.
Felicità
È un bicchiere di vino con un panino, la felicità
È lasciarti un biglietto dentro al cassetto, la felicità
È cantare a due voci quanto mi piaci, la felicità.
Senti nell’aria c’è già
La nostra canzone d’amore che va
Come un pensiero che sa di felicità
Senti nell’aria c’è già
Un raggio di sole più caldo che va
Come un sorriso che sa di felicità.
Felicità,
Dir die Ängste zu nehmen,
mich niemals schämen heißt felicità.
Für Dich kämpfen und träumen
und manchmal weinen heißt felicità.
Dich auch blind zu erkennen,
mit Dir verbrennen heißt felicità,
felicità.
Felicità
È una spiaggia di notte, l’onda che batte, la felicità
È una mano sul cuore piena d’amore, la felicità
È aspettare l’aurora per farlo ancora, la felicità.
Senti nell’aria c’è già
La nostra canzone d’amore che va
Come un pensiero che sa di felicità
Senti nell’aria c’è già
Un raggio di sole più caldo che va
Come un sorriso che sa di felicità.
Dieses Lied weist die größten Veränderungen auf; zweifellos, weil es nicht dieselben Interpreten sind wie in der italienischen Originalversion. In der Version mit Francine Jordi wird der Text des Originals mit der von Conny und Jean aufgenommenen Übersetzung vermischt. Vermutlich beruht diese ungewöhnliche Mischung auf der Annahme, dass das deutsche Publikum kein Italienisch verstehe. Denn während die italienische Version das gute Leben feiert (natürlich einschließlich der unvermeidlichen Liebe), besingt die deutsche Version die romantische Liebe aus der Perspektive einer sich aufopfernden Frau. Auch hier werden zum einen italienische Klischees bedient, zum anderen Geschlechterstereotypen, die für den Konservatismus des deutschen Schlagers typisch sind.[30] Der Italiener erscheint als Mann, der das Leben aus einer hegemonialen Position heraus genießt, während die Frau diejenige zu sein scheint, die im Leben und in der Liebe Opfer zu bringen hat („für Dich kämpfen und träumen und manchmal weinen“, „mit Dir verbrennen“ usw.). Die Aufteilung der Sprachen nach Stimmen führt auch zu einer kulturellen Unterscheidung. Das Italienische erscheint als das Leidenschaftliche, das Deutsche als das Opfernde. Auf diese Weise wird die ideale Welt, die auch für orientalistische Darstellungen[31] typisch ist, rekonstruiert: Das Fremde wird in den Bereich des Irrationalen geschoben, damit das Deutsche im Bereich von Arbeit und Anstrengung bleibt.
Schluss
In diesem Aufsatz habe ich die Coverversionen italienischer Hits in spanischer und deutscher Sprache analysiert. Mit Hilfe autoethnografischer Methoden habe ich auf Momente aus den 1970er und 1980er Jahren in Lateinamerika zurückgeblickt, um über den Einfluss italienischer Künstler auf die lateinamerikanische Musikszene nachzudenken. Außerdem wurden die deutschen Versionen italienischer Hits analysiert. Durch den Vergleich der Modifikationen der Texte konnte gezeigt werden, dass die Übersetzungen zahlreiche Anhaltspunkte für die Analyse der Lieder unter dem Gesichtspunkt von Auslanders musical persona bietet. Was ist der Sinn von alledem?
Die abschließenden Fragen konzentrieren sich auf drei Aspekte, die mir von Belang für die weitere Erforschung italienischer Klischees in der populären Musik und für die Erforschung der Verkaufsstrategien der Musikindustrie scheinen:
1. Die erste Frage bezieht sich auf die Texte der Lieder und deren Übersetzung. In meinem Buch über den deutschen Schlager habe ich gezeigt, dass Übersetzung nicht nur eine Übertragung in eine andere Sprache, sondern auch in eine andere Mentalität bedeutet,[32] was z. B. auch Christina Richter-Ibañez im Falle von Shakira-Hits bearbeitet hat.[33] Wie sie es ausdrückt, sind Übersetzungen immer eine Verhandlung, eine Umschreibung des musikalischen und literarischen Textes, die Songs zugänglich für neue Kontexte machen sollen. Es gibt dabei auch einige musikalische Aspekte, die in die Codes der anderen Tradition übersetzt werden. Der Sound scheint zum Beispiel ‚heller‘ zu sein oder die Zusammensetzung der Begleitmusik wird variiert. Auch rhythmische Aspekte können sich verändern und daher analysiert werden. Weiterhin könnte man in das Feld der Rezeptionsforschung eintreten: Wie werden diese Coverversionen vom Publikum kulturell wahrgenommen?
2. Die zweite Frage betrifft die Konstruktion künstlerischer Persönlichkeiten. Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals auf das Konzept der musical persona verweisen: Was passiert, wenn ein Sänger oder eine Sängerin in einer anderen Sprache singt oder aufnimmt? Wie verändert das Singen in einer fremden Sprache die Klangfarbe der Stimme und wie beeinflusst dies die Konstruktion einer musical persona?
3. Die dritte Frage hat nichts mit Italien-Klischees zu tun, sondern mit den verschiedenen Strategien der Musikindustrie, das Publikum zu erreichen. Es wird oft behauptet, dass alle Produktionsprozesse im Sinne einer Standardisierung des Geschmacks homogenisiert würden.[34] Die hier vorgelegte, kurze Analyse zeigt jedoch das Gegenteil, nämlich dass sich die Musikindustrie an die Anforderungen des lokalen Marktes anpasst, wenn sie Coverversionen von Hits in anderen Sprachen produziert. Griffiths zufolge sind Coverversionen „Identitäten in Bewegung“. Mit ihnen werden mitunter Aspekte ideologischer, geschlechtsspezifischer oder sozialer Natur verhandelt.
4. Meine letzte Frage betrifft die Ähnlichkeit von Klischees über Italien in Lateinamerika und Deutschland. Wie ich gezeigt habe, wird der italienische Mann in beiden Fällen als Vertreter einer hegemonialen Männlichkeit dargestellt, nämlich als Mann, der zwar Stärke zeigt, aber auch sensibel und leidenschaftlich für seine Liebe und Freiheit eintritt. Die italienische Frau wird als attraktiv und verführerisch dargestellt – selbst in der deutschen Version von Francine Jordi, die die Rolle primär als aufopferungsvoll und kämpferisch definiert.
Die Untersuchung von italienbezogenen Klischees in der Populärmusik durch die Musikwissenschaft bietet interessante Studienfelder, die weiter zu erforschen sind. Diese ersten Überlegungen sollen ein Ausgangspunkt für spezifische Fälle von Liedern und ihre Anpassungen an verschiedene Märkte sein, die es eingehender zu untersuchen gilt.
© 2023 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.
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