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Frieden um jeden Preis?

Beobachtungen zum Agieren Papst Alexanders III. in den Verhandlungen mit Kaiser Friedrich Barbarossa (1159–1177)
  • Stephan Pongratz EMAIL logo
Published/Copyright: November 14, 2023

Abstract

The Peace of Venice (1177), which ended the nearly twenty-year-long schism between Pope Alexander III and his opponents supported by Emperor Frederick I Barbarossa, has long been the subject of controversy among scholars, who focused initially on the concrete provisions of the treaty and more recently on the symbolic acts that affirmed it. This paper uses Alexandrian sources to concentrate on peace itself as the pope’s most important political goal: the biography of Alexander written by his cardinal Boso, the frescoes in the Lateran Palace painted after the victory, and other statements made by the pope himself and his supporters reveal his primary goal to be the restoration of unity and peace. This thinking may have been rooted in the Christian ethic of peace as well as in the enduring ideal of cooperation between pope and emperor. It offers an explanation for the pope’s willingness to compromise in Venice, often viewed with astonishment today, expressed through the choice of location, the staging, as well as personnel and material decisions. Alexander did not aim to supercede the emperor, nor to achieve victory on specific issues in detail; instead, his goal throughout the schism seems to have been a return to peace and cooperation.

Als ein Ereignis von europäischer Tragweite hat der Frieden von Venedig (1177) seit jeher die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden. Dort wurde nach fast zwanzigjähriger Kirchenspaltung das Schisma zwischen Papst Alexander III. und dessen von Kaiser Friedrich I. Barbarossa unterstützten Antipoden im Rahmen eines prächtigen Zeremoniells beigelegt. Der Höhepunkt der Inszenierung war die erste Begegnung der beiden Universalgewalten, als der Kaiser auf dem Markusplatz vor den thronenden Papst trat und ihm die Füße küsste.[1] Über die letzten zwei Jahrhunderte der Beschäftigung mit diesen Ereignissen hat sich der wissenschaftliche Zugang gewandelt: Während die ältere Forschung ihren Blick meist auf die vertraglich festgehaltenen Friedensbestimmungen richtete, um den Erfolg oder Misserfolg der vormaligen Streitparteien zu beurteilen, zielen jüngere Arbeiten auf das Zeremoniell und die symbolischen Handlungen ab, mit denen der Frieden selbst bekräftigt wurde. Ein bis vor wenigen Jahren unproblematisierter, folgenreicher Aspekt des wissenschaftlichen Diskurses war die Meistererzählung[2] von einem tiefgreifenden Konflikt von Papst und Kaiser, Kirche und Reich um die Herrschaft, die Barbarossas Agieren mit dem Investiturstreit und sogar der neuzeitlichen Säkularisation verband.[3] Die Vorstellung, dass die beiden Universalgewalten sich in erster Linie als Konkurrenten in einem Machtkampf verstanden und ihren jeweiligen Herrschaftsansprüchen zur Durchsetzung verhelfen wollten, prägt auch die moderne Rezeption des Friedens von Venedig: Obwohl es sich dabei um „ein gewagtes Spiel“[4] mit den Quellen handelt, wird oft auf Basis der konkreten Verhandlungsergebnisse die Frage nach den Siegern und Verlierern des Geschehens gestellt.[5] Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Papst Alexander mit seiner Anerkennung durch den Staufer einen Erfolg erlebte. Sein allerdings auffälliges Entgegenkommen gegenüber verschiedenen kaiserlichen Forderungen wird meist als Ausweis von Barbarossas diplomatischem Geschick interpretiert. Bei der Auseinandersetzung mit diesen Detailfragen wurde jedoch eine Bestimmung zu wenig gewürdigt: der Frieden selbst – obwohl die damit verbundene „Rückkehr zum Konsens“[6] als die wohl wichtigste Konsequenz der Ereignisse gelten kann: Papst und Kaiser fanden zu einer Form der Zusammenarbeit zurück, die beinahe zwanzig Jahre lang ausgeblieben war. Jenseits der retrospektiven Bewertung einzelner Verhandlungsergebnisse sollte zu einer Einschätzung der Geschehnisse von Venedig daher der Gesamtzusammenhang des Friedensschlusses in den Blick genommen werden. Der vorliegende Beitrag will dies für die Position Alexanders III. leisten und anhand der Quellen zu den Verhandlungen deutlich machen, dass der Frieden selbst das vordringliche Ziel des Papstes war.

Alexanders Ziele und Motive lassen sich nicht nur aus seinen Briefen[7] ableiten, sondern auch aus Kardinal Bosos Werk. Boso (gest. 1178), der in den Pontifikaten Hadrians IV. (1154–1159) und Alexanders (1159–1181) zu den einflussreichsten Personen an der Kurie zählte, verfasste in Anknüpfung an den älteren „Liber pontificalis“ eine Reihe von Papstviten, die von Leo IX. (1049–1054) bis in seine Gegenwart und damit in das Alexandrinische Schisma reichten.[8] Auf sein Geschichtswerk wirkte der zur Zeit der Abfassung herrschende Konflikt prägend: Hinter den Brüchen, Aussparungen und Schwerpunktsetzungen der Erzählung lässt sich deutlich Bosos Absicht erkennen, den bedrängten Pontifikat Alexanders historiographisch zu legitimieren. Dabei schreckte er nicht vor manipulierenden Eingriffen zurück, die uns viel über die kuriale Weltsicht und damit auch über Alexanders Verhandlungsposition verraten können.[9] Sein Werk bietet eine Alexandrinische Perspektive auf den gesamten Verlauf der Kirchenspaltung – und damit auch einen Zugang zum Friedensdiskurs an der Kurie. Im Folgenden sollen die einschlägigen Verhandlungen zwischen Kaiser und Papst in ihrer Darstellung durch die Alexandrinischen Quellen untersucht werden, um herauszufinden, inwieweit sich ein Friedenswille als entscheidender Antrieb Alexanders greifen lässt.

Vorangestellt sei ein knapper Überblick über die jahrzehntelange Auseinandersetzung der Universalgewalten:[10] Nach dem Tod Papst Hadrians IV. im September 1159 kam es in Rom zur Doppelwahl Alexanders III. und Viktors IV. Ersterer repräsentierte eine kuriale Strömung, die den von seinem Vorgänger angestoßenen Streit mit dem Reich weiterführen wollte, während Letzterer dem Staufer freundlich und sogar verwandtschaftlich verbunden war. Barbarossa versuchte zunächst, über die Ansprüche beider Kandidaten auf einem Konzil in Pavia (1160) entscheiden zu lassen, doch Alexander verweigerte sich der Teilnahme, sodass die demonstrative Anerkennung Viktors durch den Kaiser den Konflikt nicht beendete. Alexander floh nach Frankreich und erweiterte von dort aus sehr erfolgreich seine Obödienz in der christlichen Welt, während ein Versuch zur Klärung der Papstfrage durch Barbarossa und den französischen König scheiterte (1162). Die Spaltung der Kirche vertiefte sich, als der Staufer auch nach dem Tod Viktors IV. (1164) nicht einlenkte, sondern dessen Nachfolger Paschalis III. unterstützte und sogar per Eid versicherte, immer ihn und seine Nachfolger als Päpste anzuerkennen (1165). Dennoch war die Autorität der „Gegenpäpste“ nun geschwächt: Alexander kehrte nach Rom zurück und residierte dort 1165–1167, bis ihn Barbarossa mit Gewalt vertrieb. Da das siegreiche kaiserliche Heer noch in der urbs einer Ruhrepidemie zum Opfer fiel, blieben die Folgen dieser Katastrophe für den Papst begrenzt. Vielmehr näherten sich beide Seiten vorsichtig an, denn Barbarossa ging nach dem Tod Paschalisʼ III. (1168) auf Distanz zu dessen einflusslosem Nachfolger Calixt III. Stattdessen kam es zu ersten Verhandlungen mit den Alexandrinern bei Veroli (1170). Militärisch kämpfte der Kaiser in dieser Zeit gegen den Lombardenbund, eine Allianz oberitalienischer Städte, die gegen die Last der kaiserlichen Verwaltung aufbegehrten, deren Kampf sich aber mit dem Schisma vermengt hatte. Barbarossas Niederlagen bei Alessandria (1175) und Legnano (1176) dürften zu seiner Friedensbereitschaft beigetragen haben. In diesen Jahren kam es trotz anhaltender Kämpfe zu immer neuen Gesprächen, die schließlich in den Friedensschluss von Venedig einmündeten. Mit kaiserlicher Hilfe kehrte Alexander triumphal nach Rom zurück (1178). Die Geschichte des Schismas ist damit auch eine Geschichte zahlreicher Einigungsversuche in verschiedenen Gesprächsformaten – und dieser Wunsch, den Konflikt beizulegen, lässt sich in den Alexandrinischen Quellen konkret fassen.

Schon früh in der Alexandervita wurde Boso zum ersten Mal kreativ tätig, um die Friedensbereitschaft seines Protagonisten zu betonen: Kurz nach der Doppelwahl im September 1159 soll Alexander III. Barbarossa eindringlich gebeten haben, sich als frommer Christ nicht vom Bösen überwältigen zu lassen (Vgl. Röm. 21, 21), sondern sich an seine Liebe zur Kirche zu erinnern. Der Staufer habe darauf allerdings mit einem Wutausbruch reagiert und die päpstlichen Gesandten beinahe aufhängen lassen.[11] Dennoch soll Alexander bis zum allerletzten Augenblick damit gewartet haben, irgendetwas in Bezug auf das heraufdämmernde Schisma zu unternehmen: Angeblich erst nach dem Konzil von Pavia (1160), auf dem Barbarossa öffentlich Viktor IV. anerkannte, brachen die Alexandrinischen Legaten in die christianitas auf, um für ihren Kandidaten zu werben.[12] In Wahrheit war die Reihenfolge der Dinge eine andere: Alexander reagierte schnell und entsandte seine Boten schon lange vor der endgültigen Entscheidung des Kaisers, was zu seinem Erfolg nicht wenig beitrug.[13] In der Retrospektive war Boso offenbar bemüht, die Friedensbereitschaft seines Kandidaten herauszuarbeiten. Doch wollte er damit eine recht unpäpstliche Streitlust verdecken – oder sich vielmehr an den von Alexander selbst vermittelten Handlungsnormen orientieren, wie sie sich herausbildeten, nachdem der Staub der ersten Monate der Kirchenspaltung sich gelegt hatte?

Der Papst jedenfalls zeigte schon früh im Schisma eine bemerkenswerte Verhandlungsbereitschaft: Obwohl ihm in der Phase seines französischen Exils beinahe eine Begegnung mit dem Kaiser unter ungünstigen Bedingungen aufgezwungen worden wäre,[14] versuchte er bald darauf, über Kontakte im Reichsklerus Gespräche mit dem Staufer einzuleiten.[15] Auf dem großen Alexandrinischen Konzil in Tours (1163) wurden zwar sämtliche Schismatiker erneut exkommuniziert, der Kaiser davon jedoch ausgenommen.[16] In einem Brief an seine Parteigänger in der Salzburger Diözese nannte Alexander neben der Exkommunikation der Schismatiker die Förderung des Friedens in der Christenheit als wichtigstes Ziel der Synode.[17] Den Kaiser sollten die Salzburger zwar „ad ampliandam ac protegendam catholicam unitatem“[18] in seinen Aktionen behindern, er wurde aber offenbar gezielt nicht in die Riege der verdammungswürdigen Gegenspieler aufgenommen. In dem Sermon, mit dem der einflussreiche Bischof Arnulf von Lisieux das Konzil von Tours eröffnet hatte, taucht die unitas als zweites zentrales Schlagwort neben der libertas ecclesiae auf.[19] Während die Freiheit – verstanden als Freiheit des Papstes von einem weltlichen Urteil, wie Barbarossa es in Pavia angestrebt hatte[20] – auf einen Gegensatz zum Kaiser verwies, war die Einheit nur im Zusammenspiel der Mächte zu erreichen. Dazu passt es auch, dass Alexander stets darauf verzichtete, den Staufer als König oder Kaiser abzusetzen. Noch Gregor VII. war im Investiturstreit diesen Schritt gegangen. Bezeichnenderweise bleibt dieses Detail in Bosos Gregorvita unerwähnt, obwohl es im „Liber ad amicum“ Bonizos von Sutri, den der Kardinal als Quelle benutzte, durchaus zu finden war.[21] Schon in den frühen 1160er Jahren[22] scheint also sowohl in der öffentlich formulierten Zielsetzung als auch in der Handlungspraxis der Alexandriner eine auf Ausgleich und Frieden gerichtete Perspektive auf, die eine drastische Eskalation des Konflikts zu vermeiden suchte.

Diese Einstellung mag auch dazu beigetragen haben, dass Alexander die weitreichenden Angebote des byzantinischen Kaisers mit Zurückhaltung behandelte. Manuel Komnenos hatte immer wieder versucht, mit dem Papst und seinen Vorgängern Gespräche über eine mögliche Kirchenunion zu initiieren.[23] 1166/1167 erreichte eine Gesandtschaft die Kurie in Rom, wohin Alexander nach mehrjährigem Exil erst Ende 1165 erfolgreich zurückgekehrt war. Als einziger Gewährsmann für die Ereignisse beschrieb Boso die byzantinische Offerte, die mit militärischen Hilfszusagen einherging, recht wohlwollend. Als Preis soll Manuel freilich die Kaiserkrone aus den Händen des Papstes verlangt haben – und damit einen radikalen Bruch mit den römisch-deutschen Königen.[24] Entsprechende Verhandlungen zogen sich hin, bis 1167 eine weitere byzantinische Delegation dem Papst ihre Aufwartung machte. Alexander war zwischenzeitlich aus Rom vertrieben worden und trotz der Dezimierung des staufischen Heeres durch eine Ruhrepidemie in einer schwierigen Lage. Dennoch lehnte der Papst das Angebot ab, obwohl die Byzantiner dringend nötige Mittel für den Kampf gegen Barbarossa versprachen. Die von Boso kolportierte Antwort Alexanders ist vielsagend: Zwar habe sich der Papst bedankt und Manuel als allerchristlichsten Fürsten und ergebensten Sohn des heiligen Petrus geehrt, die Offerte aber als sehr kompliziert bezeichnet. Er könne und dürfe sie nicht annehmen, da er von Amts wegen („ex officio“) von Gott auf die Wahrung des Friedens verpflichtet sei.[25] Verschiedene gute Gründe wurden in der Forschung für diese Entscheidung angeführt: So wäre die Übertragung der Kaiserkrone ein riskanter Schritt ins Ungewisse gewesen,[26] der den herrschenden Konflikt eskaliert hätte, Alexander hätte sich selbst einen neuen Konkurrenten in Italien geschaffen[27] und sich zudem dem Vorwurf der Simonie ausgesetzt.[28] Man sollte die zeitgenössische Erklärung, die Boso als Sprachrohr der Alexandriner gab, aber nicht geringschätzen: Der Kardinal setzte die Wahrung des Friedens als oberste Maxime des päpstlichen Handelns und erwartete offenbar von seinen Adressaten Verständnis für diese Haltung.

Damit stellt sich die Frage, was an der Kurie eigentlich unter dem Begriff des Friedens (pax) verstanden wurde – mithin also, worauf Alexanders Politik abzielte. Unter pax war in der europäisch-christlichen Geistesgeschichte nicht ausschließlich eine kriegslose Zeit verstanden worden: Bisweilen galt der Begriff einem Gefühl innerer Harmonie als Eigenschaft von Mönchen und Asketen, aber auch einem wohlgeordneten Zusammenwirken der gesellschaftlichen Kräfte; immer ging es freilich um die Wiederherstellung eines gottgewollten Idealzustandes. Im Rahmen der Gottesfriedensbewegung ab dem 11. Jahrhundert versuchten kirchliche Amtsträger vermehrt, solche Forderungen gegenüber dem als kriegerisch empfundenen adeligen Laienstand politisch durchzusetzen. Auch das Papsttum bemühte sich bald um die pax ecclesiae, wodurch die Wahrung des päpstlichen Besitzstandes eine weitere mögliche Bedeutung des unscharfen Begriffes wurde.[29]

In Bosos älteren Viten taucht das Wort einige Male in verschiedenen Kontexten auf und bezeichnet überwiegend die Abwesenheit von Konflikten, meist in Bezug auf Auseinandersetzungen von Päpsten und Kaisern. Stets ist Friedensliebe dabei eine positiv konnotierte Eigenschaft.[30] Die Überwindung des Krieges durch ein Reich des Friedens war natürlich bereits eine hoffnungsvolle Botschaft der Urkirche gewesen. Mit dem päpstlichen Führungsanspruch ging für die Nachfolger Petri daher seit jeher die schwierige Pflicht einher, den Frieden in der christlichen Welt zu sichern.[31] Konsequenterweise bemühten sich die Päpste des Hochmittelalters regelmäßig um die Schlichtung von Konflikten, an denen sie nicht direkt beteiligt waren.[32] Eine besonders drastische Form des Friedensverlustes stellten freilich Papstschismen dar, die schließlich nicht nur das körperliche, sondern auch das seelische Heil der Gläubigen gefährden konnten. Es ist wohl kein Zufall, dass Boso die Viten gleich dreier durch Antipoden geprüfter Päpste mit einem Verweis auf friedliche Zustände beschloss: Alexander II. (1061–1073) und Calixt II. (1119–1124) sollen beide in pace gestorben sein – im Falle von Calixt ausdrücklich „in dem Frieden, den er selbst der Kirche mit Gottes Hilfe geschaffen hatte“.[33] Auch anlässlich des Sieges von Innozenz II. (1130–1143) über Anaklet II. (1130–1138) soll durch die Mühen und die Macht des Papstes ein Frieden in der Stadt geherrscht haben, desgleichen sich niemand erinnern konnte.[34] Erfolgreiche Schismapäpste galten also als Friedensstifter; statt des Triumphs über den Gegner, den etwa noch Calixt II. durch den erzwungenen Schandritt seines besiegten Antipoden auf einem Esel betont hatte,[35] rückt die Wiederherstellung einer harmonischen, einträchtigen Lebenswelt in den Mittelpunkt der Darstellung. Da Alexander III. Boso überlebte, hatte der Biograph nicht die Gelegenheit, ihm ein friedliches Ende anzudichten.[36] Interessanterweise geschah eben dies allerdings beim Grabmal des Papstes: Alexanders Epitaph verliert kein Wort über das Schisma, sondern inszeniert den Verstorbenen als einen heiligengleichen, souveränen Lenker von Stadt und Erdkreis, der sich aufgrund seiner Tugenden eine glückliche Erhöhung verdient habe.[37] Angesichts der zwischenzeitlichen Annäherung der Kurie an Friedrich Barbarossa bestand 1181 offenbar kein Interesse daran, den vergangenen Konflikt als wesentliches Charakteristikum von Alexanders Pontifikat zu betonen.[38] Wichtiger als die Erinnerung an den Sieg über den Staufer erschien den Zeitgenossen die friedliche Eintracht, die ihm folgte. Wäre es vermessen, eine solche Prioritätensetzung auch hinter den Entscheidungen des lebenden Alexanders zu vermuten?

Die genannten Deutungen Bosos wurden wohlgemerkt schon vor dem Friedensschluss niedergeschrieben, denn der Kardinal führte sein Werk im Rahmen von Alexanders zwischenzeitlichem Aufenthalt in Rom (Ende 1165–1167) bis zu dessen triumphalem Einzug, um nach der erneuten Vertreibung spätestens Mitte der 1170er Jahre neu anzusetzen und die zwischenzeitlichen Ereignisse nachzutragen. Erst der finale Abschnitt etwa ab der Schlacht von Legnano (1176) dürfte im Wissen um den Ausgang des Konflikts geschrieben worden sein.[39] Boso legte also schon früh sein Augenmerk auf Frieden und Versöhnung als übergeordnete Ziele des Papstes; seine Perspektive trägt dazu bei, die Verhandlungsstrategie der Alexandriner zu erklären, die schließlich nach Venedig führte. Im Jahr 1170 definierte der Papst gegenüber den Rektoren des Lombardenbundes die gemeinsamen Kriegsziele als die Verteidigung von Frieden und Freiheit („pace ac libertate tuenda“).[40] Kurz zuvor hatten in Veroli Gespräche stattgefunden, an denen die lombardischen Verbündeten Alexanders nicht beteiligt gewesen waren; Alexanders Schreiben diente also womöglich dem Zweck, die Wogen zu glätten.[41] Doch auch im Verlauf der letztendlich erfolgreichen Verhandlungen von 1175–1177 zog der Papst den Ärger der Lombarden auf sich, indem er allzu bereitwillig das Gespräch mit dem Kaiser suchte: Nach dem Bericht Romualds von Salerno sollen seine empörten Alliierten dem Pontifex vorgehalten haben, „dass ihr es uns schuldet, einen euch vom Kaiser dargebotenen Frieden ohne uns nicht nur nicht anzunehmen, sondern ihn noch nicht einmal anzuhören“.[42] Zwar betonten Alexander brieflich[43] und Boso historiographisch[44] die angebliche Mühe des Papstes um die Einbeziehung der Verbündeten, doch kommt man nicht umhin, eine große bilaterale Gesprächsbereitschaft der Kurie festzustellen. So riskierte Alexander im Sommer 1176 bewusst schwere Verstimmungen mit den Lombarden, indem er Geheimverhandlungen mit dem Kaiser aufnahm, obwohl erst ein Jahr zuvor ein Gesprächsversuch in Pavia gescheitert war.[45] Bezeichnenderweise verschwieg Boso die geheimen Absprachen und erzählte stattdessen von einer tiefen charakterlichen Wandlung Barbarossas nach der Niederlage bei Legnano, durch die echter, frommer Friedenswille in ihm erweckt worden sei.[46] Auch der Misserfolg dieser sommerlichen Initiative verhinderte nicht, dass im Herbst 1176 eine neue, offizielle Verhandlungsrunde einsetzte, die schließlich in den sogenannten Vorvertrag von Anagni mündete, der die Lombarden wohl erwartungsgemäß verstimmte.[47] Es lässt sich daher festhalten, dass Alexander immer wieder – nämlich 1170, 1175 und zweimal 1176 – bereit war, politische Kosten auf sich zu nehmen, um die Friedensgespräche zu erneuern. Ein entschiedeneres Bemühen um die Einbeziehung der Verbündeten hätte den Prozess vermutlich nicht zum Scheitern gebracht, ihn aber zweifellos verlangsamt – aus dieser Perspektive wirkt Alexanders Vorgehen geradezu ungeduldig.

Freilich ließe sich argumentieren, dass die Eile des Papstes logisch aus dem Versuch folgte, die günstigen Rahmenbedingungen für einen möglichst gewinnbringenden Friedensvertrag zu nutzen, denn immerhin war der Kaiser durch die Niederlage bei Legnano militärisch geschwächt.[48] In der Tat muss der Vorvertrag von Anagni als ein machtpolitischer Erfolg der Kurie gelten: Alexander erreichte nicht nur seine Anerkennung durch den Staufer und eine Friedensgarantie für sich und seine Verbündeten, sondern konnte sich auch im Hinblick auf die umstrittenen weltlichen Herrschaftsrechte im Patrimonium Petri fast völlig durchsetzen.[49] Doch diese Bedingungen hatten keinen Bestand – der endgültige Vertrag, auf den man sich ein Jahr später in Venedig einigen sollte, fiel deutlich günstiger für den Kaiser aus. Die Kompromisse, die Alexander einging, sind vermutlich der Grund dafür, dass sein Chronist die zwischenzeitlich in Anagni erreichten Erfolge gar nicht verzeichnete, um keine Fallhöhe zu schaffen.[50] Gleichwohl hielt der Papst weiterhin an dem Abkommen fest, auch nachdem er nicht mehr all seine Forderungen durchsetzen konnte. Es lohnt sich, die Vielzahl der Punkte aufzuführen, in denen Alexander binnen Jahresfrist nachgab.

Einer der wenigen von Boso konkret erwähnten Streitpunkte war die Frage der Ortswahl für die persönliche Begegnung von Papst und Kaiser. Dabei dürften neben der symbolischen Bedeutung des Treffpunktes[51] auch pragmatische Sicherheitsbedenken eine Rolle gespielt haben. Boso zufolge präferierten die Lombarden Bologna, Piacenza, Ferrara oder Padua, Barbarossa aber Pavia, Ravenna oder Venedig. Alexander soll sich schließlich für Venedig entschieden haben, da beide Seiten diese Stadt, die an dem Konflikt kaum beteiligt gewesen war, sicher betreten könnten. Zudem seien die Venezianer in der Lage, während der Verhandlungen die Sicherheit aller Beteiligten zu garantieren.[52] In der Tat wäre eine offen parteiische lombardische Stadt der jeweils benachteiligten Seite wohl kaum zu vermitteln gewesen – es ist aber dennoch bemerkenswert, dass der Papst sich zuungunsten seiner Verbündeten auf einen Vorschlag der Gegenseite einließ. Der Schluss liegt nahe, dass Alexander bereit war, bei der Planung der von seinem Kontrahenten ungeliebten Begegnung einige Abstriche zu machen, um ein gutes Einvernehmen mit dem Staufer zu schaffen.[53]

Weitere Hinweise in diese Richtung liefert das eingangs erwähnte, gut erforschte Zeremoniell des Treffens von Venedig. Offenbar griff der berühmte Fußfall Barbarossas auf dem Markusplatz in der Tat Motive des Rekonziliationszeremoniells auf, das der Staufer eigentlich wie jeder andere reuige Sünder zu durchlaufen hatte, – die Szenerie unterschied sich aber in einigen markanten Punkten davon: So musste der Kaiser nicht barfuß gehen und war bereits zuvor auf dem Lido von einigen Kardinälen wieder in die Kirche aufgenommen worden. Letzteres Detail machte einen entscheidenden Unterschied, denn es bedeutete, dass Barbarossa sich die Rekonziliation nicht erst durch öffentliche Buße verdienen musste, sondern die Selbstdemütigung freiwillig leistete, was den Charakter des Geschehens zu seinen Gunsten veränderte.[54] Die Kurie, die sich stets um ein Rekonziliationszeremoniell als elementaren Bestandteil des Friedensschlusses bemüht hatte,[55] ließ sich also letztlich auf eine Inszenierung ein, die es dem Kaiser ersparte, „als reuiger Sünder vor den Papst treten“[56] zu müssen. Auch der Stratordienst, den Barbarossa dem Papst am Folgetag leistete, scheint eher zurückhaltend gestaltet worden zu sein. Dieses Ritual war mit der gescheiterten Begegnung von Sutri (1155), als es zwischen dem Staufer und Alexanders Vorgänger Hadrian IV. zum Dissens über Details des Bügeldienstes gekommen war,[57] ein Politikum geworden: Zwar gelang es der Kurie damals, Barbarossa zu einer Wiederholung des Rituals zu bewegen, doch schlugen die Ereignisse hohe Wellen und brachten den Päpsten etwa seitens des Regularkanonikers Gerhoch von Reichersberg den Vorwurf ein, allzu selbstherrlich Ehrendienste einzufordern und damit den Widerwillen der Kaiser geradezu zu provozieren.[58] Dass Alexander nun wie sein Vorgänger von Barbarossa mit dem Stratordienst geehrt wurde, stellte dementsprechend einen großen Erfolg dar, der allerdings gleichzeitig auch kritische Reaktionen befürchten ließ. Dementsprechend nutzte man die Gelegenheit nicht, den Triumph überschwänglich zu inszenieren: Dem Augenzeugen Romuald von Salerno zufolge führte der Kaiser das Pferd des Papstes nur ein kleines Stück am Zügel.[59] Nach Bosos Bericht soll Alexander den Dienst sogar rundheraus abgelehnt und die Bereitschaft des Kaisers für die Tat selbst genommen haben.[60] Offenbar begnügte sich die Kurie gezielt mit einem zurückhaltenden Procedere, das auch dem Staufer leichter zu vermitteln gewesen sein dürfte. Alexander selbst berichtete in Briefen an seine Parteigänger ebenfalls nicht konkret von der Ausführung des Rituals, sondern wählte die kryptische Formulierung, dass der Kaiser ihm alle schuldige Ehre geleistet habe.[61]

Aber nicht nur bei der Inszenierung des Friedens, sondern auch in Fragen der Ämterbesetzung war der Papst zu zahlreichen Konzessionen bereit. Ein wichtiges Thema der Verhandlungen war der Umgang mit der schismatischen Kirchenhierarchie, die sich in den letzten Jahrzehnten im kaiserlichen Einflussbereich etabliert hatte. Hier waren durchaus drastische Lösungen denkbar – zuletzt hatte Innozenz II. die Kardinäle seines besiegten Kontrahenten öffentlich gedemütigt und aller Ämter enthoben.[62] Alexander war dem Kaiser und seinen Parteigängern allerdings schon im Vorvertrag von Anagni „bis an die Grenze der vom Kirchenrecht vorgesehenen Möglichkeiten“[63] entgegengekommen, als er die Gültigkeit der schismatischen Weihen zumindest unter bestimmten Bedingungen anerkannte.[64] Besonders der Erhalt der Würden seiner wichtigsten Unterstützer war eine Sache des kaiserlichen honor, um den Barbarossa sich nach Otto von St. Blasien bemühte.[65] Es gelang dem Staufer, die Ansprüche Christians von Buch auf das Erzbistum Mainz und Philipps von Heinsberg auf das Erzbistum Köln von Alexander bestätigen zu lassen. Damit entschied sich der Papst gegen die konkurrierenden Ansprüche seines eigenen Parteigängers Konrad von Wittelsbach auf diese Ämter, der stattdessen mit dem nächsten frei werdenden Erzbistum abgefunden werden sollte. Auch Alexanders entschiedenem Unterstützer Adalbert III., der von Barbarossa erst nach langen Kämpfen vom Salzburger Erzbistum vertrieben worden war[66] und der in Venedig persönlich für seine Sache eintrat, brachte das Abkommen kein Glück: Der Papst ging auf seine Bitten nicht ein und versagte ihm die Unterstützung, da ihm die Huld des Kaisers immer noch fehle.[67] Während der „Gegenpapst“ und seine Kardinäle mit einer Abtei bzw. mit den Positionen, die sie vor dem Schisma bekleidet hatten, durchaus großzügig abgefunden wurden, opferte Alexander also wiederholt die Interessen prominenter Alexandriner im Reichsklerus, um Barbarossa entgegenzukommen.[68]

In Sachfragen zeigte der Papst sich ähnlich kompromissbereit: Im Vorvertrag von Anagni war es der Kurie noch gelungen, Barbarossa zum weitgehenden Verzicht auf seine Herrschaftsansprüche in Mittelitalien zu bewegen. Alle Regalien und Besitzungen des heiligen Petrus sollten dem Papsttum restituiert werden.[69] Dieser Paragraph taucht im Abkommen von Venedig aber nur in verwässerter Form auf: Nun ist die Rede von einer Rücksichtnahme auf das ius imperiale und von einer Verpflichtung des Papstes, selbst auch kaiserlichen Besitz zurückzugeben.[70] Dieses Nachgeben Alexanders, das sicherlich das Ergebnis zahlreicher Gespräche auf verschiedenen Ebenen gewesen sein wird, wurde von Boso in Form einer einzigen Dialogszene erzählerisch zugespitzt. Erst als Barbarossa Mitte September 1177 vom Pontifex die Erlaubnis zur Abreise aus Venedig erbat, soll das Thema überhaupt zur Sprache gekommen sein: Dabei forderte Alexander den Staufer angeblich auf, ihm die Regalien des heiligen Petrus im Einklang mit den Vereinbarungen von Anagni zu restituieren. Zwar soll der Kaiser dies grundsätzlich zugesagt, sich im Hinblick auf bestimmte Gebiete, nämlich die Mathildischen Güter und die Grafschaft Bertinoro, aber geweigert haben. Angesichts der Vertragslage soll diese Haltung beim Papst Anstoß erregt haben. Doch um nicht darüber den Frieden der Kirche zu stören („ne tamen occasione ista pax Ecclesie turbaretur“) habe er sich schließlich darauf eingelassen.[71] Der Frieden genoss demnach Priorität vor der Durchsetzung der geltenden, vorteilhaften Vertragsbestimmungen. Ähnlich soll sich die Kurie wenig später erneut entschieden haben, denn Barbarossa begab sich von Venedig aus direkt nach Bertinoro, vertrieb die päpstliche Besatzung und nahm die Burg selbst in Besitz. Alle Ermahnungen und Bitten Alexanders sollen erfolglos geblieben sein. An der Kurie habe man sich trotz dieser Ungerechtigkeit allerdings dazu entschieden, nicht schärfer zu reagieren, um nicht den Frieden und die allernützlichste Einheit von Kirche und Reich zu gefährden („ne tamen occasione huius iniure recens pax et utilissima Ecclesie atque imperii concordia dissolveretur“).[72]

Kurzum: Alexander zeigte sich in den Gesprächen mit Barbarossa außerordentlich kompromissbereit und machte bereitwillig Zugeständnisse, um einen stabilen Friedensschluss zu erreichen. Nicht allein bei seinem Biographen Boso, sondern auch bei Romuald von Salerno scheint ein unbedingter Friedenswille als Movens des päpstlichen Handels in Venedig auf: So berichtet der Chronist, dass Alexander angesichts der schwer überbrückbaren Differenzen zwischen der kaiserlichen Delegation und seinen lombardischen Verbündeten bereit war, den eigentlich geplanten Friedensschluss zwischen diesen Akteuren zurückzustellen und durch einen bloßen Waffenstillstand zu ersetzen, um den Gesamtfrieden leichter erreichen zu können.[73] Ein anderes Mal lässt Romuald Barbarossas empörte Unterhändler dem Staufer gegenüber betonen, dass Alexander so sehr am Frieden interessiert sei, dass er dafür sogar die weite Reise nach Venedig auf sich genommen habe.[74] Angesichts der Tatsache, dass Alexander – gestützt auf den restlichen orbis – immerhin schon 18 Jahre ohne kaiserliche Zustimmung amtierte, ließe sich pragmatisch vermuten, dass auch das zukünftige Wohl des Papstes nicht gänzlich von einem Konsens mit ihm abhing. Aber ganz offenbar lag dem Pontifex viel an der Einigung mit dem Staufer. Darauf weisen nicht nur Alexanders Briefe aus Venedig hin, die einen klaren Fokus auf die Wiederherstellung von Frieden und Eintracht legen,[75] sondern auch die Fresken, die nach der Rückkehr der Kurie nach Rom (1178) im Lateran gemalt wurden. In gleich zwei verschiedenen, heute nur noch durch Sekundärüberlieferung greifbaren Bildfolgen gedachte man des überwundenen Schismas und stellte die Ereignisse als Höhepunkt von Alexanders Pontifikat dar.[76] Im Gegensatz zu einem Bildprogramm jüngeren Datums, das im 14. Jahrhundert in der Basilika zu besichtigen war, trat Barbarossa in einer kurz nach den Ereignissen entstandenen Darstellung im Lateranpalast nicht etwa als besiegter Gegner in Erscheinung, sondern als reumütiger Monarch, der zu Frieden und Eintracht mit der Kirche zurückfand.[77] Noch im 13. Jahrhundert sollte in SS. Quattro Coronati die idealtypische Einheit von Kaiser und Papst auf ähnliche Weise bildhaft beschworen werden: Der dortige Freskenzyklus zeigt Kaiser Konstantin mit Papst Silvester I. (314–335), der den Monarchen vom Aussatz heilt und zum Dank die Herrschaft über Rom vermacht bekommt, in harmonischem Zusammenwirken.[78] An der Kurie stand nach der Beilegung des beinahe zwanzigjährigen Schismas also nicht etwa die Abrechnung mit dem kaiserlichen Gegenspieler im Vordergrund – vielmehr erkannte man den eigenen Triumph offenbar in der Versöhnung der beiden Universalgewalten.

Manche Eigenart von Bosos historiographischem Stil erklärt sich auf diese Weise: So machte der Kardinal für Schwierigkeiten und Misstöne nicht etwa den Kaiser verantwortlich, sondern mehrfach eine ominöse Fraktion von Friedenshassern („hiis qui oderant pacem“), die am kaiserlichen Hof Einfluss gehabt haben soll.[79] Eigentlich war es der Kaiser selbst, der zum Stolperstein der Verhandlungen zu werden drohte, indem er hinter dem Rücken seiner eigenen Delegation agierte, um die sich abzeichnenden Friedensbedingungen in seinem Sinne zu verbessern;[80] für Bosos Erzählung von der frommen Wandlung des bisherigen Antagonisten musste freilich ein Sündenbock her. Bemerkenswert ist das framing des Kardinals: Er zeichnete die gegnerische Gruppierung nicht etwa als verbohrte Häretiker, was angesichts des langen Schismas augenscheinlich nahe gelegen hätte. Stattdessen nannte er sie Friedensfeinde und offenbarte damit ein Weltbild, in dem die (Wieder-)Herstellung der Eintracht zwischen Kaiser und Papst das zentrale Thema der Gespräche von 1175–1177 war. Dass für ein so hehres Ziel im Zweifel auch Kompromisse in Kauf zu nehmen seien, hatte er Alexander III. bereits in den 1160er Jahren gewissermaßen ins Stammbuch geschrieben: In seiner Vita Paschalisʼ II. (1099–1118) beschrieb Boso nämlich die Diskussionen, die bei der Synode von Guastalla (1106) nach dem Ende des Wibertinischen Schismas um den Umgang mit den schismatischen Weihen geführt wurden. Angesichts des Mangels an rechtgläubigen Priestern nach der langen Kirchenspaltung bestimmte demnach die Notwendigkeit des christlichen Friedens („christiane pacis necessitas exigit“) einen milden Umgang mit den ehemaligen Schismatikern.[81] Obwohl Boso persönlich in dieser Frage offenbar ein Freund härterer Strafmaßnahmen war,[82] gewichtete er die Herstellung des Friedens höher.

Fazit

Im Spiegel dieser Einblicke in die kuriale Prioritätensetzung erscheint die Verhandlungsstrategie Alexanders III. in einem neuen Licht: Das Nachgeben der Kurie in vielen Sachfragen, aber auch im Bereich der Ortswahl sowie der rituellen Inszenierung der Begegnung ist nicht im Sinne eines Gewinner/Verlierer-Schemas etwa als geringe Milderung der kaiserlichen Niederlage,[83] Ausweis von Barbarossas Verhandlungsgeschick[84] oder impliziter Hinweis auf die realpolitische Machtlosigkeit des Papsttums[85] zu verstehen. Vielmehr zeichnet sich ab, dass die Einigung selbst das wesentliche Ziel Alexanders war. Wohl auf beiden Seiten herrschte ein dringender Friedenswunsch, der Sachfragen in den Hintergrund rücken ließ: Was in Venedig nicht einträchtig zu lösen war, wurde recht nonchalant der Verantwortung eines Schiedsgerichts übergeben – das vermutlich niemals zusammentrat.[86] Erfolg oder Misserfolg verband ein parteiischer Beobachter wie Boso nicht mit solchen Detailfragen, sondern mit dem Frieden selbst. Der Kardinal gab aus seiner Perspektive eben nicht die Schwäche seines Protagonisten preis, indem er dessen Nachgeben im Streit um die Mathildischen Güter und Bertinoro erwähnte:[87] In Bosos Darstellung hatte Alexander gerade durch den Sinneswandel des Kaisers einen Erfolg erzielt, der schwerer wog als territoriale Einzelfragen. Die Kompromisse taten dieser Deutung keinen Abbruch, sondern sollten die Friedensliebe des Papstes und die Tragfähigkeit der wiederhergestellten Einheit demonstrieren – der Frieden selbst ist der Erfolg, den der Pontifex in mustergültiger Erfüllung seiner Amtspflichten erreicht haben soll.

Womöglich war es dem Papst auch ein persönliches Anliegen, die Krise noch vor seinem Tod zu einem Ende zu führen; das bereits von der Frühkirche tradierte Konzept der Friedenswahrung als päpstlicher Aufgabe schuf jedenfalls den ideologischen Rahmen, um die Einigung mit dem schismatischen Kaiser als Desiderat zu begreifen. Darüber hinaus dürfte es freilich das immer noch sehr lebendige Ideal der Zusammenarbeit der beiden Universalgewalten gewesen sein, das eine Erneuerung von fruchtbaren Beziehungen zwischen Kaiser und Papst geboten erscheinen lassen musste.[88] Im Widerspruch zur älteren Meistererzählung vom Gegensatz zwischen Papst und Kaiser lässt sich im Alexandrinischen Blick auf die Verhandlungen kein Interesse an der Demütigung und Unterwerfung des Kontrahenten, sondern eines an der erneuerten einträchtigen Zusammenarbeit erkennen. Eine solche Interpretation des Geschehens wurde im Anschluss nicht nur auf einem Lateranfresko und in Alexanders Briefen von der Kurie umgesetzt, sondern auch im Rahmen von Bosos Bericht: Der Kardinal bemerkt ausdrücklich, dass Barbarossa in Venedig wieder die Zusammenarbeit mit dem Papst aufnahm, sich um die Rückerstattung der päpstlichen Regalien bemühte und Druck auf den letzten „Gegenpapst“ ausübte.[89] Alles soll gemeinschaftlich geregelt („concorditer ordinatis atque dispositis“), Frieden und Harmonie zwischen Kirche und Reich wiederhergestellt worden sein[90] – ein Sprachgebrauch, der den Triumph von Venedig in der Kooperation mit dem vormaligen Gegner erkennt. Alexander und sein Umfeld hatten in erster Linie die Wiederherstellung der Eintracht mit dem Staufer im Sinn, nicht etwa die Durchsetzung bestimmter konkreter Forderungen – abgesehen einzig von der persönlichen Anerkennung Papst Alexanders durch den Staufer, die als zentrale Streitfrage nicht zur Debatte stand.[91] Diese Haltung mag zu den Erfolgen der kaiserlichen Diplomatie in einigen Sachfragen beigetragen haben, die die Forschung seit langer Zeit verwundert zur Kenntnis nimmt. Darüber sollte freilich nicht aus dem Blick geraten, dass Alexander III. durch den Friedensschluss selbst sein Hauptziel erreichte: Der im Streit gewählte Papst legitimierte durch seine Anerkennung seitens des Kaisers sowie der folgenden Beilegung des Schismas seine Position nachhaltig und wurde seinen Amtspflichten gerecht.[92] Danach, nicht etwa nach einer langfristigen Stärkung des Papsttums gegenüber dem Kaisertum, hatte seine Kurie in der Auseinandersetzung stets gestrebt.

Published Online: 2023-11-14
Published in Print: 2023-11-08

© 2023 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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