Die vergleichende Betrachtung der südeuropäischen Revolutionen um 1820 steht seit geraumer Zeit im Fokus der politischen Kulturgeschichte, die jene einst vernachlässigten Erhebungen ausführlich analysiert und längst aufgewertet hat.[1] Warum also ein weiteres, zumal so umfangreiches Buch zu diesem Thema? Weil, um es vorwegzunehmen, genau diese fundierte und umsichtige Zusammenschau tatsächlich noch fehlte, welche die bisher vorwiegend im mediterranen und transatlantischen Rahmen betrachteten Revolutionen nun im Kontext weltweiter Parallelereignisse einer Neubewertung unterzieht, um das gemeinsame globale „Skript“ (S. 36, 193–196) dieser Erhebungen herauszuarbeiten. Es handelt sich in der Tat um einen großen Wurf, an dem der Autor ein Jahrzehnt gearbeitet hat.
Maurizio Isabella begründet die gemeinsame Betrachtung der um 1820 in Portugal, Spanien, Neapel-Sizilien, Piemont und Griechenland ausbrechenden Revolutionen mit einer Reihe analoger oder zumindest vergleichbarer Merkmale, die in einem Souveränitätsproblem und einer territorialen Krise zwischen Zentrum und Peripherie gründeten, ohne die monarchische Herrschaftsform selbst in Frage zu stellen (S. 17 f.). Weiterhin nimmt er die in der Verfassungskultur entwickelte Kommunikation zwischen den betroffenen Ländern zum Anlass für eine Erweiterung des Vergleichs um den Ansatz der „connected and transnational or trans-local history“ (S. 29), um die Interaktionen zwischen diesen Ländern und Regionen zu berücksichtigen. Bei der Umsetzung dieses methodischen Ansatzes stützt sich der Autor auf die Auswertung eines umfangreichen Quellenkorpus, das neben ausgewählten archivalischen Quellen aus Athen, Catania, Lissabon, London, Madrid, Mailand, Neapel, Palermo, Ragusa und Turin die namhaftesten Titel der Revolutionspublizistik (Periodika und Broschüren) aus den betreffenden Territorien umfasst. Die Betrachtung des historischen Geschehens gewinnt an Lebendigkeit durch den häufigen Perspektivwechsel des Autors – von der mediterranen Überschau zur Fokussierung auf einzelne Provinzen und Städte, ja sogar auf Plätze und andere mikrohistorische Foren in den betroffenen Territorien.
Die Gliederung des Werks reflektiert den komplexen methodischen Ansatz. So erleichtert die Überwindung einer rein geografisch ausgerichteten Kapitelstruktur (die ansatzweise nur in den Kapiteln 3, 4, 5 und 6 sowie im Epilog begegnet) zugunsten thematischer Schwerpunkte die vergleichende Zusammenführung der einzelstaatlichen Ausprägungen. Die nahezu in allen Kapiteln platzierten analytischen Synthesen (insbesondere in Gestalt hilfreicher „Introductions“ und „Conclusions“) erhöhen die Stringenz des narrativen Stils, der nach angelsächsischem Muster zur Lesbarkeit beiträgt. Isabella strukturiert seinen komparatistischen Argumentationsstrang entlang von vier thematischen Blöcken unterschiedlichen Umfangs (von Part I mit 220 bis Part IV mit 70 Seiten), denen die Einführung vorausgeht und ein Epilog nachfolgt. Historisches Bildmaterial illustriert gelegentlich die Darstellung. Ein umfangreicher Anhang mit ereignisgeschichtlicher Chronologie, einem nützlichen Glossar des griechischen, spanischen, italienischen und portugiesischen Politikvokabulars, einer Bibliografie der benutzten Archivbestände, gedruckten Quellen und Sekundärliteratur sowie einem kombinierten Sach-, Orts- und Personenindex beschließt das Werk.
Die Einführung erläutert zunächst den konzeptionellen Rahmen des Werks und begründet die gemeinsame Betrachtung der südeuropäischen Revolutionen in einem globalgeschichtlichen Vergleichskontext. Nach bewährtem Stil der angelsächsischen Historiographie nimmt sie dabei die zentralen Thesen vorweg, die es in den nachfolgenden Kapiteln zu verifizieren gilt. Mit den Hauptteilen des Werks dekliniert der Autor die vier zentralen Elemente durch, die alle Revolutionen vereinen: die führende Rolle des Militärs; die gewichtige Bedeutung der Verfassung und einer sich um sie ausbildenden, auch volkstümlichen Verfassungskultur; die explosionsartige Entfaltung einer politischen Öffentlichkeit; und die ungebrochene Relevanz von Kirche und Religion.
Zunächst veranschaulicht Part I den Erfahrungshintergrund der napoleonischen Kriege und den maßgeblichen Anteil des Militärs an den um 1820 in Spanien, Neapel-Sizilien, Portugal, Piemont und Griechenland ausbrechenden Revolutionen (Kapitel 1–5). Die südeuropäischen Militärs verfolgten mit ihren Pronunciamientos eine an die zivile Öffentlichkeit gerichtete Kommunikationsstrategie, die auf einem „revolutionären Skript“ (S. 36) oder Narrativ basierte, welches direkt an den um 1820 weit verbreiteten Mythos des vom Volk und der Armee getragenen antinapoleonischen Befreiungskampfes in Spanien anknüpfte. Nach ihren militärischen Erfolgen in den napoleonischen Kriegen trieb die Demobilisierung der wirtschaftlich angeschlagenen Restaurationsstaaten viele Armeeangehörige zusammen mit zivilen Konspirateuren in die Geheimgesellschaften, wo sie sich zu Revolutionären sozialisierten (Kapitel 1). Auch wenn die Pronunciamientos vor allem auf militärinternen Motiven beruhten, zielten deren Träger auf eine breitere Legitimation, indem sie durch intensive Kommunikationsmaßnahmen den Konsens der in- und ausländischen Zivilbevölkerung suchten; deren erfolgreiche Mobilisierung in Stadt und Land löste eine kontroverse Debatte über den Umgang mit der Nation und den breiteren Volksmassen aus (Kapitel 2). Zugleich wirkten die Pronunciamientos als Katalysator für die Eskalation interner Konflikte und Interessengegensätze (etwa in der seit den napoleonischen Agrarreformen schwelenden Domanialfrage), welche die anfängliche Unterstützung der (Land-)Bevölkerung für die Revolution untergruben und sich zeitweise in – von regulärem Militär, Guerilla-Einheiten und zivilen Kräften getragenen – Bürgerkriegen entluden, was die Mobilisierung der breiteren Bevölkerung und die Entfaltung neuer Öffentlichkeiten maßgeblich förderte (Kapitel 3). Somit endete der in allen betroffenen Ländern angesichts der drohenden Intervention der Restaurationsmächte ausgerufene nationale Verteidigungskrieg – mit Ausnahme des auf lange Sicht erfolgreichen Befreiungskampfes in Griechenland – mit einer Niederlage, da die nötige Volksunterstützung ausblieb, wofür der Autor die mangelnde Verfassungstreue der monarchischen Staatsspitze und die militärische Übermacht der habsburgischen bzw. französischen Interventionskräfte verantwortlich macht (Kapitel 4). Schließlich lösten die Revolutionen und ihre Niederschlagung transnationale Migrationsbewegungen im Mittelmeerraum aus, deren genauere Ursachenanalyse am Beispiel der Biographie dreier, im Revolutionsgeschehen Palermos anzutreffender Protagonisten (Sir Richard Church, Emmanuele Scordili, Andrea Mangiaruva) das differenzierte Bild einer zwischen Söldnertum, Revolutionsmigration und Vertreibung changierenden Wanderungsbewegung hervorbringt, der imperiale, liberale, gewinnorientierte oder einfach nur existentielle Motive zugrunde liegen konnten (Kapitel 5).
Im folgenden thematischen Block (Part II), welcher der Verfassung gewidmet ist, stehen weniger die engere Verfassungspolitik und das formale Verfassungsrecht als vielmehr die gelebte Verfassungskultur im Fokus (Kapitel 6–8). Insbesondere geht die Untersuchung hier der Frage nach, wie die Konstitutionalisierung das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den lokalen Gemeinschaften einerseits und dem Staat andererseits infolge der Gewährung politischer Grundrechte und der Entwicklung neuer politischer Praktiken der Teilhabe und des Sozialprotests veränderte. Als Ausdruck einer territorialen Krise zwischen Zentrum und Peripherie sowie zwischen miteinander konkurrierenden Regionen, die der Verbreitung der französischen Nationsidee und des Verwaltungszentralismus in napoleonischer Epoche geschuldet war, zielten die Revolutionen auf eine Reorganisation des Verhältnisses zwischen lokalen Gemeinschaften, Provinzen und Zentralstaat, wobei lokale Autonomieforderungen (Baskenland, Ligurien, Sizilien, Ägäische Inseln und Peloponnes) den nationalstaatlichen Souveränitätsanspruch in Frage stellten und die Revolutionsführer zu verfassungspolitischen Kompromissen veranlassten (Kapitel 6). Das im Urwahlgang – erstmals nach den spanischen Cortes-Wahlen von 1810 und 1813 sowie den napoleonischen Plebisziten – wieder nach allgemeinem Männerwahlrecht durchzuführende indirekte (nur in Portugal direkte) Wahlverfahren zum Nationalparlament machte die Parlamentswahlen zu einer lokalen Erfahrung, welche die lokalen Gemeinschaften zwar als konstituierendes Element der Nation bestätigte, im konflikthaften Wahlgeschehen und der anschließenden Parlamentsarbeit aber auch die Spannung zwischen Zentrum und Peripherie erhöhte (Kapitel 7). Über die Parlamentswahlen hinaus zeigte die Petitionsbewegung eine breite politische Mobilisierung der Bevölkerung in der Wahrnehmung und Verteidigung, aber auch unterschiedlichen Interpretation der Verfassung gemäß der sozialen oder auch nur persönlichen Interessenlage auf, was vor allem in der Domanialfrage (Fortbestand traditioneller Kollektivrechte am inzwischen privatisierten Staats- oder Kirchenbesitz) zum Ausbruch drängte (Kapitel 8).
Zur vertiefenden Betrachtung der bereits im Kontext der Pronunciamientos angesprochenen Kommunikationskampagnen (S. 93–113) untersucht Part III die neuen, durch die Verfassungsgebung in den betreffenden Ländern entstehenden Öffentlichkeiten, auf welche die Revolutionsträger durch eine gezielte Kommunikationspolitik und politische Volkspädagogik zum Zweck der Konsensstiftung Einfluss zu nehmen suchten, während diese Öffentlichkeiten zugleich das Aufkommen von Konflikten unter den Revolutionären selbst, von antirevolutionären Protestkulturen und von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen förderten (Kapitel 9–11). Die Revolutionen um 1820 führten im südeuropäischen Raum zur explosionsartigen Entfaltung von liberalen und konterrevolutionären Öffentlichkeiten, die wiederum eine grundsätzlich neue politische Mobilisierung in Stadt und Land generierten, deren Wirksamkeit noch für Jahrzehnte, nicht zuletzt in der öffentlichen Erinnerungskultur, spürbar bleiben sollte (S. 472, 474). Die Entfaltung einer revolutionären Öffentlichkeit verdankte sich der lebhaften Interaktion zwischen explosionsartig zunehmenden Druckmedien – 345 Periodika allein in Spanien (S. 352) – und mündlicher Kommunikation, wobei letztere traditionellerweise auch Gerüchte und Falschinformationen transportierte und dadurch die Konflikte verschärfte (Kapitel 9). Der Rückgriff auf traditionelle, der Kirche und Hofkultur, aber auch dem beruflichen Korporationswesen entlehnte öffentliche Rituale (Fest- und Denkmalkultur mit Prozessionen, Banketten und Gesängen sowie der nun öffentlichen Agitation der Geheimgesellschaften), ja die „Wiederaneignung“ (S. 393) und Neuerfindung von Religion nicht zuletzt durch die Carboneria (S. 413 f.), kennzeichnete sowohl die konsensuale Kommunikationspolitik der Revolutionsträger als auch die volkstümliche Protestkultur und die von den Handwerker- bzw. Seefahrerkorporationen in Madrid, Palermo und Hydra organisierten Aufstände (Kapitel 10). Zugleich entwickelte sich zum Teil noch unter dem Verfassungsregime (Spanien, Portugal) eine lebhafte und streitbare konterrevolutionäre Teilöffentlichkeit, in der sich der volkstümliche Protest sowohl mit der Verfassungsordnung als auch dem sukzessive restaurierten monarchischen Absolutismus kritisch auseinandersetzte, auch wenn das Volk von einer grundsätzlichen Parteinahme für den König erfüllt war (Kapitel 11).
In Anknüpfung an ähnliche Forschungserkenntnisse zur Aufklärungsepoche zeigt der letzte Hauptteil (Part IV) auf, wie die südeuropäischen Revolutionsführer um 1820 sich mit der katholischen und orthodoxen Kultur arrangierten, um die Beziehungen zwischen Religion und Politik im Zeichen der neuen Verfassungskultur neu auszuhandeln (Kapitel 12–13). Diese Aushandlung schlug sich längerfristig (mit signifikanter Abweichung nur in Piemont) in der Durchsetzung eines religiös definierten Nationsbegriffs nieder, der von der Nation als wesentlich homogener (katholisch oder orthodox geprägter) Gemeinschaft ausging, deren religiöse Verankerung es verfassungspolitisch durch Einschränkung der Presse-, Meinungs- und Glaubensfreiheit und kommunikationspolitisch durch eine enge Zusammenarbeit der liberalen Kräfte mit dem Klerus im Rahmen einer reformierten Kirche zu schützen galt (Kapitel 12). Die Reaktion der Kirche auf den an sie herangetragenen politisch-pädagogischen Auftrag fiel allerdings seitens des hohen und niederen Klerus sowie der Ordens- und Säkulargeistlichen äußerst differenziert aus: So verknüpften insbesondere die Mönche und Ordensbrüder (mit Ausnahme Siziliens und Griechenlands) ihre religiösen Praktiken mit einer konterrevolutionären Stoßrichtung, während sich die patriarchalische und episkopale Führungsebene zu keiner eindeutigen Haltung gegenüber der Verfassungsordnung durchringen konnte und sich – vor allem in Neapel-Sizilien – allein die Pfarrer als Vertreter bereits länger bestehender, nun aber intensivierter innerkirchlicher Reformbestrebungen in ihren Predigten, Zeremonien und Unterrichtsstunden auf die Seite der Revolution schlugen (Kapitel 13). Als „key interpreters“ für die Deutung der neuen politischen Ordnung (S. 547) traten die Geistlichen somit nicht nur als deren Verteidiger, sondern auch als deren Kritiker und Gegner auf. In diesem Zusammenhang überrascht die kreative Vielfalt, die der Klerus im Umgang mit Revolution und Verfassung entwickelte, um diese im Sinne seiner missionarischen oder millenaristischen Agenda und unter Anknüpfung an die sich zeitgleich belebende religiöse Volkskultur (Wundererscheinungen, Marienkult) zu nutzen (S. 564–558).
Ein Epilog führt die Ergebnisse des Werks zusammen, um diese dann anhand der Biografien von vier Revolutionären aus Griechenland, Portugal, Neapel-Sizilien und Spanien zu vertiefen. Deren postrevolutionäres Exil gab Anlass zu einer gründlichen, auch in Form eines transnationalen Federkriegs um die vermeintlich richtige Erinnerung ausgetragenen Reflexion über die persönliche Revolutionserfahrung („war of memory“, S. 570; „guerre des plumes“, S. 590). Mit dem in jener Memoirenliteratur aufscheinenden längerfristigen Erbe der Erhebungen von 1820 lenkt der Autor einen abschließenden Blick auf die Konturen einer transnationalen, ja paneuropäischen Öffentlichkeit. Dabei arbeitet er das für Jahrzehnte wirksame Erbe jener Revolutionserfahrung heraus, das bis in die 1870er Jahre hinein in der explizit politischen Rolle des Militärs, der anhaltenden Zentrifugalkraft der Lokalautonomie und der alles durchdringenden Bedeutung der religiösen Kultur spürbar blieb.
Mit dem vorliegenden Werk legt Maurizio Isabella in dreifacher Hinsicht einen wichtigen Beitrag vor: In erster Linie bietet die Darstellung eine äußerst differenzierte Analyse des in den Vergleichsländern feststellbaren Revolutionsgeschehens, was sich nicht zuletzt dem kenntnisreichen Umgang des Autors mit dem Literaturstand der betreffenden nationalen Historiographien verdankt – auf den er sich angesichts des komplexen methodischen Anspruchs eines multilateralen Vergleichs mit translokaler und transnationaler Perspektive auch zugegebenermaßen (S. xiii) in hohem Maße stützt. Manche zentrale These des Buchs erscheint also nicht als völlig neu. Auch wenn mitunter die Beschränkung auf den angelsächsischen Literaturmarkt auffällt (siehe etwa S. 1, Anm. 1; S. 2; S. 29), bildet die vergleichende Zusammenführung der in der bisherigen Literatur verstreut vorliegenden Ergebnisse eine wesentliche Leistung des vorliegenden Werks, das auf originelle Weise den „transformational moment“ (S. 605) jener Revolutionswelle von 1820 für die Verfassungs- und Revolutionsgeschichte verständlich macht. Eine zweite Stärke der Untersuchung liegt in der anschaulichen, vor allem auf die zeitgenössische Publizistik, die Parlamentsakten und die Polizeiberichte gestützten Schilderung des Verfassungslebens – etwa anlässlich der Parlamentswahlen (S. 305–322), des Petitionsaufkommens (S. 325–338), der mündlichen und gemeinschaftlichen Rezeptionspraktiken der neuen Druckmedien (S. 359–366), der rituellen Konsensstiftung und Verfassungsvermittlung (S. 380–410) –, womit es dem Autor gelingt, die Interpretation und Umsetzung der neuen Verfassungsordnung, mithin die gelebte Verfassungswirklichkeit, sichtbar und die verfassungsgeschichtliche Bedeutung jener Revolutionen um 1820 als – im Sinne Christopher Baylys – „constitutional moment of global liberalism“ (S. 27 f.) erst verständlich zu machen. In diesem Kontext erscheint der jeweils wohl durchdachte Prozess des Verfassungstransfers erst als Voraussetzung für die in jenen Ländern auflebende hybride populäre Verfassungskultur (S. 29). Innovativ ist drittens die im letzten Hauptteil IV geleistete differenzierte Berücksichtigung der jeweils vorherrschenden religiösen (ob katholischen oder orthodoxen) Kultur, die erfüllt war von der Ablehnung eines religiösen Pluralismus, der Konstitutionalisten wie Verfassungsgegnern gleichermaßen als Gefährdung für die Stabilität der Nation galt (S. 493). Detailliert veranschaulicht die Darstellung die religiöse Basis der Revolutionen, deren Konstitution nur infolge der Mitwirkung eines beachtlichen Teils der Kirchenvertreter, mitunter sogar auf höherer Führungsebene (S. 510–521), überhaupt erst umgesetzt werden konnte – als „in erster Linie katholisches Dokument“ (S. 518).
Einige Verkürzungen und manche Andeutung provozieren indes auch Nachfragen. So überrascht der undifferenzierte Befund eines „substantial popular support“ (S. 28) für die somit als nichtelitär markierten Revolutionen, in denen doch die unterschiedlichen revolutionären Ziele und sozialen Interessengegensätze zwischen einfachem Volk und Adel mitunter – etwa im wiederholt kurz gestreiften Volksaufstand Palermos im Juli 1820 (S. 170, 220) – mit blutiger Deutlichkeit zutage traten. Ähnliche Zweifel stellen sich bezüglich der unterstellten Parteinahme der neapolitanischen Verfassungsrevolution von 1820/1821 für die italienische Nationalidee ein (S. 16). Auch bezieht sich die den Anhang eröffnende Chronologie mit einiger Willkür auf den Zeitraum von 1806 (warum nicht 1796/1799?) bis 1831 (warum nicht 1848/1849?), wobei zumindest der Titel des Königs beider Sizilien (S. 608: Ferdinand I. und nicht Ferdinand IV.) unpräzise bleibt. Eine größere Herausforderung für die künftige Forschung bildet schließlich der Umstand, dass der eingangs angedeutete globale Horizont einer „umfassenden Weltkrise“ der politischen Souveränität (S. 2), die bei den heutigen Lesenden immerhin den Vergleich zur allgegenwärtigen Krise des westlichen Demokratiemodells zu evozieren vermag, im weiteren Verlauf der Darstellung nicht genauer ausgemessen wird. Mag die Identifikation eines über Europa hinausreichenden globalen Erbes der napoleonischen Kriege mit der Verschärfung der Souveränitätskrise nicht nur in Südeuropa, sondern eben auch in den europäischen Kolonien (Ceylon 1817/1818, Java 1825–1830, weiterhin Burma, Neuseeland, Tonga) noch plausibel erscheinen (S. 14), so bleibt doch der Erkenntnisgewinn einer bloßen zeitlichen Parallelisierung von Revolutionen in einem „globalen Süden“ (S. 9), der vom Indischen Ozean über die iberoamerikanische Welt bis nach Südeuropa reicht, sehr fraglich: Welche Schlussfolgerung lässt etwa der angedeutete Vergleich der republikanischen, gegen die Zentralgewalt Rio de Janeiros gerichteten Erhebung in Pernambuco (1817, 1821–1825) und der Gegnerschaft Catanias zum palermischen Separatismus in der Verfassungsrevolution Neapel-Siziliens 1820/1821 zu (S. 15)? Und bis zu welchem Grad in der politischen Hierarchie kann seitens der südeuropäischen Revolutionäre, die mehrheitlich in der politischen Realität ihrer Provinz verwurzelt waren, wirklich von einem Bewusstsein für den globalen Zusammenhang ihrer Agenda und einer Kenntnis der weltweiten und nicht nur transatlantischen Parallelereignisse (vom russischen Dekabristen-Aufstand zu den antikolonialen Erhebungen in Indonesien) ausgegangen werden (S. 17)?
Die eingangs postulierte „Provinzialisierung“ der Amerikanischen und der Französischen Revolution mündet in eine angedeutete Globalität der Revolutionen um 1820, womit Maurizio Isabella am Ende der Lektüre etliche neue Fragen aufwirft, welche die künftige Forschung zur weiteren Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand anregen mögen. Der dafür unverzichtbare Ausgangspunkt wird künftig dieses Buch sein, dessen facettenreiche Analyse das Ausmaß verständlich macht, in dem die südeuropäischen Länder und ihre Gesellschaften um 1820 – angesichts der Fragilität der Wiener Ordnung und im Kontext einer globalen Krise der politischen Souveränität – auf bis dahin noch nicht erfahrene Weise politisch mobilisiert wurden.
Rezension von
Maurizio Isabella, Southern Europe in the Age of Revolutions, Princeton/NJ-Oxford (Princeton University Press) 2023, 704 S., ISBN 978-0-691-18170-7, € 36,99.
© 2024 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
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- Processi pontifici in partibus. La giurisdizione papale delegata nel XIII secolo: alcuni casi in Puglia
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- Il rischio dei ‚Giusti‘
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- Fantasma totalitario e democrazia blindata
- Per un catalogo delle opere di Luigi Nono, con „pochi dati e alcune idee vagabonde sulla diversa natura della ‚tradizione‘ delle opere di Nono in quanto ‚testo‘“ e una cronologia
- Forschungsberichte
- L’identità dello Stato beneventano
- Dall’edizione cartacea alla pubblicazione su piattaforma
- Tagungen des Instituts
- Administration in Times of Crisis. The Roman Papacy in the Great Western Schism
- Apparati, tecniche, oggetti dell’agire diplomatico (secc. XIV–XIX)
- Nuove prospettive di ricerca su stato di eccezione e di emergenza. Un dialogo italo-tedesco
- (De)Constructing Europe. Tensions of Europeanization
- Circolo Medievistico Romano
- Circolo Medievistico Romano 2023
- Rezensionen
- Verzeichnis der Rezensionen
- Leitrezensionen
- Ist das „Mittelalter“ am Ende?
- L’Italia dal Settecento a oggi: un Sonderweg?
- 1820 – Eine Weltkrise der politischen Souveränität?
- Allgemein, Mittelalter, Frühe Neuzeit, 19.–21. Jahrhundert
- Verzeichnis der Rezensentinnen und Rezensenten
- Register der in den Rezensionen genannten Autorinnen und Autoren
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