Dittmann, Alina; Giblak, Beata; Witt, Monika (Hrsg.): Bildungsziel: Mehrsprachigkeit. Towards the Aim of Education: Multilingualism. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2015 (Mehrsprachigkeit als Chance, 1). – ISBN 978-3-86583-945-9. 372 Seiten, € 29,00.

Seit 2009 stehen LehrerInnen und HochschuldozentenInnen im Rahmen des Netzwerks „Konsortium Mehrsprachigkeit als Chance“ miteinander im Austausch über Forschungsergebnisse aus Praxis und Theorie der Schulentwicklung, über Bildungskonzepte und über didaktisch-methodische Vorgehensweisen.

Im vorliegenden ersten Band der Reihe Mehrsprachigkeit als Chance wurden die neuesten Forschungsergebnisse der Mitglieder des Konsortiums, eingeladener ExpertenInnen und anderer in diesem Feld tätiger KollegInnen zusammengetragen. Die Artikel geben den state of the art der Förderung der Mehrsprachigkeit wider und es ist ein spannendes und unbedingt lesenswertes Buch entstanden.

Die Schwerpunkte des Bandes sind:

1. Umgang mit Mehrsprachigkeit im Kindergarten, in der Schule und Hochschule;

2. Bildungskonzepte für die Förderung von Minderheitensprachen, Zweitsprachen und Fremdsprachen;

3. Bildungssprache und fachsensibler Fachunterricht;

4. Mehrsprachigkeit in der Übersetzerausbildung.

Den Umgang mit Mehrsprachigkeit in Schule und Hochschule beleuchtet unter diesem Schwerpunkt zunächst Ursula Neumann, indem sie darstellt, dass das Einwanderungsland Deutschland bislang in seinen Bildungsinstitutionen wenig bis gar nicht die Ressourcen der Mehrsprachigkeit nutzt. Sprachvielfalt wird eher als Behinderung denn als Gewinn gesehen und die nicht-deutschsprachigen Kinder werden angehalten, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen und ihre Muttersprachen möglichst hinter sich zu lassen. Neumann stellt dieser Auffassung Projekte der Uni Hamburg gegenüber, in denen die Mehrsprachigkeit aktiv genutzt und der Umgang mit ihr in die Lehrerbildung einfließt.

Im folgenden Aufsatz von Wojciech Kunicki kritisiert der Autor die Entwicklungen der Auslandsgermanistik in Polen. Die Studierenden könnten kaum noch Deutsch auf einem bildungssprachlichen Niveau, sie hätten kaum noch Lust, den Lektürekanon eigenständig abzuarbeiten (die Lektüre muss überwiegend in den Vorlesungen erarbeitet werden), die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Hochschulen deckten sehr häufig den DaF-Unterricht ab, anstatt Fragestellungen der Germanistik mit den Studierenden zu erörtern. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass man sich darüber klar werden muss, ob und wie man sich in einem Studium wie z. B. der Germanistik überhaupt mit fremden Kulturen auseinandersetzen will und wenn ja, wie und mit welchen Inhalten diese Auseinandersetzung im Sinne des Umgangs mit Mehrsprachigkeit Früchte tragen kann.

Zofia Chłopek befasst sich im Folgenden mit der Frage, wer eigentlich die LernerInnen von Dritt- und weiteren Sprachen sind. Sie gibt dann einen Überblick über einige relevante Forschungsstudien, die zeigen, dass LernerInnen von Drittsprachen besondere Merkmale aufweisen, die ihnen das Lernen noch weiterer Sprachen erleichtern könnten. Sie beschreibt dabei sechs Charakteristika, die dies bewirken könnten: sprachliche Vielfachkompetenzen, eine große Menge an konzeptuellen und emotionalen Repräsentationen, kognitive Vorzüge, metalinguistische, metapragmatische und metakognitive Bewusstheit.

Marta Wisniowska beschreibt, dass der Erwerb einer Tertiärsprache – hier Deutsch nach Englisch in Polen – auf Ressourcen des Erwerbs der ersten Fremdsprache zurückgreift und sich somit anders vollzieht. Didaktisch gesehen kann man hier besonders das Konzept der Sprachbewusstheit einsetzen, um den Erwerb der Tertiärsprache zu verbessern.

Ähnlich sieht es Aleksandra Łyp-Bielecka, die sechs Argumente für den Latein-Unterricht anführt, der als erster Fremdsprachenunterricht Fähigkeiten des Lernenden aktivieren kann, die ihm die weiteren Fremdsprachen zu erwerben erheblich erleichtern können: Latein ist eine „gerechte“ – neutrale – Sprache; Lateinunterricht fördert kulturelle Offenheit; er ermöglicht Einsicht in die Grundlagen vieler aktueller Systeme; er fördert die kognitiven und sprachanalytischen Fähigkeiten; er ermöglicht dadurch eine Verbesserung der Kenntnisse der Mutter- und weiterer Fremdsprachen; er bietet die grammatische und lexikalische Grundlage weiterer Sprachen und erleichtert so deren Erwerb.

Den Schwerpunkt Bildungskonzepte leitet Heidi Rösch mit ihrem Text „Sprach(en)bewusstheit als Sprachbildungskonzept“ ein. Sie plädiert hier für eine sprach(en)sensible Bildung, in der die interlingualen Bezüge zwischen Sprachen bewusst gemacht und genutzt werden.

Sandra Kringels beschreibt in ihrem Aufsatz, wie die Förderung der Mehrsprachigkeit in der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien nachhaltig, differenziert und adaptiv an die jeweiligen Lernergruppen durchgeführt wird, wo die Menschen schon rein geographisch gesehen nicht anders können als multilingual zu sein (sie wohnen nah zu Wallonien, Flandern, Holland und Luxemburg). Vom Kindergarten an wird Mehrsprachigkeit gelebt und gefördert, dies zieht sich durch bis in die Hochschule. Die Autorin beschreibt die enorme pädagogische, fachliche und organisatorische Herausforderung und Verantwortung für Bildungsträger, den SchülerInnen die vielfachen Sprachkompetenzen mit auf den Weg zu geben und dadurch den interkulturellen Dialog und ein gelungenes Zusammenleben zu fördern.

Magdalena Angerer-Pitschko beschreibt am Beispiel der LehrerInnenausbildung der PH Kärnten, wie ein konstruktiver und wertschätzender Umgang auch mit Minderheitensprachen, wie wir sie auf Grund der Migrationsbewegungen immer häufiger im Klassenraum haben, ausgebildet werden kann. Ihr geht es darum herauszustellen, wie nicht nur die Minderheitensprachen, sondern auch die Minderheitenkulturen und -konzepte im Unterricht aufgenommen werden und im Sinne der Chance, die in der Heterogenität liegt, als „interkulturelles Lernen“ umgesetzt werden können.

Markus Kübler beschreibt die Diskussion um das frühe Fremdsprachenlernen in der Schweiz, in der Argumente für das frühe Englisch-Lernen den Argumenten des frühen Nachbar-Sprachenlernen gegenüberstehen. Er bemängelt dabei vor allem, dass Erkenntnisse über das frühe Lernen einer Fremdsprache wenig umgesetzt werden, nach denen die frühen Lerner den späteren Lernern nichts voraus haben, wenn sie nicht entsprechend (z. B. durch immersiven Unterricht) geschult werden.

Petra Fuková und Barbara Gęsicka befassen sich in den nächsten beiden Beiträgen mit der Motivation von SchülerInnnen beim Erlernen einer zweiten Fremdsprache. Erstere beschreibt dabei, wie die Einstellung der Lehrenden auf die Motivation der Lernenden beim Lernen von Deutsch nach Englisch Einfluss nimmt, zweitere beschreibt Ergebnisse einer empirischen Studie zur Verbesserung der Schreibkompetenz polnischer Abiturienten in Englisch.

Małgorzata Kamińska weist auf die wichtige Rolle der Individualisierung im Fremdsprachenlernprozess hin. Besonders werden hier die Differenzierung der Lehrmethoden, der Unterrichtsinhalte und der Arbeitsformen sowie des Unterrichtstempos betont.

Um das Schreiben in Muttersprache und Fremdsprache geht es bei Monika Witt, die dafür plädiert, als Lehrkraft ins Gespräch mit den Lernenden über deren Schreibarbeit zu kommen. Sie erfährt dabei von den Problemen und Gedanken der Schreibenden, besonders wenn emotionales Klima, Schreiberperspektive und Elemente des epistemischen Schreibens als Aspekte des Schreibens in den Blick kommen. Über das Schreiben und den Schreibprozess zu reflektieren haben die Studierenden von Witt als höchst hilfreich und wichtig empfunden.

Beata Giblak stellt in ihrem Beitrag das breite Themenspektrum des Regionalunterrichts im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts in Schlesien vor und beschreibt, wie motivierend die in einzelnen Orten noch vorhandenen Gedächtnisorte oder Spuren der Wirkung einzelner Personen in der Gegend, in der sie leben, auf die Lernenden wirken können. Dies spiegelt sich auch z. B. in der Breite der Themen in vielen Diplom-Arbeiten wider, die sich zum Teil auf kaum wissenschaftlich erforschte Aspekte beziehen.

Elisabeth Gessner und Horst Paul Kuhley stellen in ihrem Artikel vier Entwicklungsfelder des Sprachenlernens unter dem Aspekt der Bildungssprache dar, die für Bildungs- und Ausbildungszwecke erworben werden muss. Ihr Handlungsfeldkonzept für das Sprachenlernen von Fachkräften ist situativ, kontrastiv und zielbezogen und unterscheidet zwischen Berufssprache, Fachsprache, Fachsprache in der Öffentlichkeit und der elaborierten Sprache des Privatlebens. Auch sie erheben wie andere AutorInnen dieses Bandes die Sprachbewusstheit zum Lernprinzip. In ihrem Beitrag beschreiben sie beispielhaft die Handlungsfelder Wirtschaft, Medizin und Lehrerbildung.

Im dritten Themenblock des vorliegenden Bandes geht es speziell um die Bildungssprache und den sprachsensiblen Fachunterricht.

Zunächst gibt Josef Leisen in seinem aus meiner Sicht zentralen Aufsatz in diesem Band einen aktuellen Überblick über den Stand der Überlegungen zum gemeinsamen Fach- und Sprachlernen. Leisen postuliert hier nochmals ausdrücklich den sprachsensiblen Fachunterricht als das Unterrichtskonzept, das den Herausforderungen des heterogenen, mehrsprachigen Klassenraums gerecht wird. Dabei weist er darauf hin, dass die Fachsprache nicht die Sprache des Fachlernens ist, dass im Fachunterricht verschiedenste Sprachen gesprochen werden – von der Alltagssprache über die Bildsprache zur Bildungssprache. Er beschreibt zudem die Leitlinien des Sprachlernens im Fach als: 1. Sprache im Fach wird erlernt durch sprachliches Handeln, 2. Sprache im Fach entwickelt sich langsam und kumulativ und 3. Sprache im Fach entwickelt sich durch das Bewältigen von sprachlichen Handlungssituationen. Ein solcher Unterricht muss professionell gestaltet werden und erfordert Lehrkräfte, die Grundlegendes über Sprachlernprozesse, Sprachprobleme und methodische Möglichkeiten wissen.

Alina Dittmann erläutert die Facetten des Begriffs Bildungssprache im Kontext des Erst- und Zweitsprachenunterrichts und stellt dieses Sprachregister ausführlich dar. In ihrer Darstellung von ausgewählten Maßnahmen für die Ausbildung einer differenzierten Sprachkompetenz führt Dittmann eine Reihe von Studien und didaktischen Ausarbeitungen zum Erwerb der Bildungssprache an, die eine reichhaltige Fundgrube für die Durchführung des sprachsensiblen Fachunterrichts darstellen.

Auf die Möglichkeiten von außerunterrichtlichen Lernangeboten im Ganztagsbereich der Grundschulen geht Maria Hummel in ihrem Aufsatz ein. Sie stellt eine empirische Untersuchung über die Möglichkeiten der integrierten Sprachförderung dar und untersucht, in welchen Situationen und mit welchem Gesprächsverhalten seitens der Lehrkräfte in Lernsituationen am besten und nachhaltigsten bildungssprachliche Fähigkeiten von den SchülerInnen erworben werden könne.

Im Folgenden zeigen Eva Engeli et al. anhand einer Studie, dass die Binnendifferenzierung von Sachtexten Verstehensleistungen besonders bei schwachen SchülerInnen verbessern können. Für diese Gruppe stellen komplexe Texte eine große Hürde beim Aufbau von Konzepten über bestimmte Unterrichtsthemen dar. Jedoch kann laut den Studienergebnissen diese Maßnahme nur im Zusammenhang mit einem sprachsensiblen Fachunterricht letztlich den Lernerfolg auch der schwachen SchülerInnen sichern.

Im dritten Themenblock des Buches geht es um die Mehrsprachigkeit in der Übersetzerausbildung.

Hier wird von Marcin Walczyński die Rolle des Übersetzers in der mehrsprachigen Welt und die Folgen für die Übersetzerausbildung erläutert. Der Autor stellt zunächst den interaktiven und kommunikativen Aspekt der Übersetzertätigkeit dar. Der Autor beschreibt dazu die unterschiedlichen Rollen des Übersetzers und die verschiedenen Umfelder seiner Arbeit. Auch die Problematik des Engagements und gleichzeitiger Neutralität wird erörtert. Aus diesen Aspekten ergeben sich verschiedene didaktische Handlungsfelder in der Ausbildung, die in die Weiterentwicklung der Ausbildungsprogramme einbezogen werden sollten. Im letzten Aufsatz dieses Bandes befasst sich Julian Maliszewski mit der Problematik des Simultanübersetzens im polizeilichen und gerichtlichen Kontext. Hierbei betont er ausdrücklich die Wichtigkeit der Kenntnisse des juristischen Jargons zusätzlich zur interpretatorischen Kompetenz des Übersetzers.

Die vorliegende Aufsatzsammlung ist durchgehend spannend zu lesen und weist eine aus meiner Sicht sehr gute Mischung aus theoretischen Betrachtungen, didaktischen Vorschlägen und der Darstellung neuester Studien auf. Sie ist auf jeden Fall für den Einsatz im Studienfach DaZ sehr geeignet, und man kann gespannt auf den nächsten Band dieser Reihe sein.