Ehrhardt, Claus; Scialdone, Maria Paola (Hrsg.): Die deutsch-italienische Kommunikation. Theorie und Praxis der Interkultur. Münster: Waxmann, 2015. – ISBN 978-3-8309-2648-1. 186 Seiten, € 24,90.

Achim Seiffarth

doi:10.1515/infodaf-2017-0035

Article Publicly Available

Ehrhardt, Claus; Scialdone, Maria Paola (Hrsg.): Die deutsch-italienische Kommunikation. Theorie und Praxis der Interkultur. Münster: Waxmann, 2015. – ISBN 978-3-8309-2648-1. 186 Seiten, € 24,90.

Achim Seiffarth

Published/Copyright: June 27, 2017

Published by

Become an author with De Gruyter Brill

Author Information Explore this Subject

From the journal Informationen Deutsch als Fremdsprache Volume 44 Issue 2-3

Rezensierte Publikation:

Ehrhardt Claus; Scialdone Maria Paola (Hrsg.): Die deutsch-italienische Kommunikation. Theorie und Praxis der Interkultur. Münster: Waxmann, 2015. – ISBN 978-3-8309-2648-1. 186 Seiten, € 24,90.

Immer scheint alles mit Berlusconi zu beginnen. Der habe zur Zeit seiner Regierung zur Entfremdung zwischen Deutschland und Italien beigetragen, schreiben Claus Ehrhardt und Maria Paola Scialdone in ihrem Einleitungsartikel (7–13). Ob das so richtig ist, ob da nicht der beträchtliche Unterhaltungswert des Herrn (allzu häufig hatten Spiegel online und dergleichen Geschichten über ihn) und die Tatsache unterschlagen wird, dass Italien unter Berlusconi das deutsche Italienbild gerade bestätigte, sei hier nicht erörtert. Aber wenigstens, wie die Rolle Berlusconis in der nationalen und internationalen Presse denn zustande gekommen ist, wäre doch wohl zu erklären. Vorangegangene Regierungen waren ja nicht eben durch Effizienz und Unbestechlichkeit aufgefallen. Unter Craxi hatten gar ausgesprochen partyfreudige Minister wie De Michelis regiert. Was die Herren nachts oder auch tagsüber so trieben, wurde nur nicht in alle vier Himmelsrichtungen ausposaunt und deshalb nicht von der deutschen Presse aufgenommen. Eine mögliche Frage wäre dann, warum sich das mit Berlusconi änderte. Vielleicht hat Italien ja lieber über Berlusconi als über die Bestechlichkeit der alten Politiker (rechts und links) und ihrer Wähler – die wussten, was da vorging – reden wollen? Vielleicht hat Slavoj Žižek Recht und Berlusconi war einfach der erste Vertreter der neuen Pop-Politik? Das wird sich zeigen. Für wissenschaftliche Arbeiten wäre es schön, wenn sie nicht einfach an das anschlössen, was in der Zeitung steht.

Theoretisch nicht wirklich ausgearbeitet ist auch der erste Aufsatz des Buchs über „Interkulturelle Textbezüge in der Presse. Die Präsenz der Bildzeitung in den italienischen Printmedien“ (15–35) von Andrea Meta-Birk. Das ist ein interessantes Thema, denn, wie die Verfasserin anhand reichen und gut geordneten Materials zeigt: auch renommierte italienische Tageszeitungen behandeln die Bild-Zeitung als ernstzunehmende Quelle für die Berichterstattung über Deutschland. Das hat gewiss, wie Meta-Birk schreibt, mit einer allgemeinen Boulevardisierung der italienischen Tagespresse zu tun. Dass italienische Journalisten aber gar nicht zwischen Boulevard und ernster Presse unterscheiden könnten, weil es in Italien keine besondere Boulevardpresse gebe (29), ist nun allerdings eine überraschende Annahme. Hätten die Italiener also das Bestehen von Blättern wie La Notte, welche immerhin von 1953 bis 1995 erschienen ist, einfach übersehen? Kurz: das ausgebreitete Material zum Thema ist aufschlussreich, aber nicht zureichend erklärt. Ganz und gar ohne Italien-Bezug stellt dann der nächste Aufsatz von Claus Ehrhardt (37–59) dar, wie Depressionen von Fußballspielern („ein Tabu“: also kulturell aufschlussreich) in der deutschen Presse behandelt würden.

Doch dann geht es im Buch schließlich zum Thema Fremdsprachenunterricht mit Beiträgen, die für den täglichen Unterricht interessant sein dürften. Zunächst versucht Ulrike Reeg (61–73), allgemeine Begriffe wie „Scripts“ und „Frames“ (66 ff.) auf das interkulturelle Lernen abzustimmen. Sie schlägt vor, die Studenten sollten selbst die „Kulturgeprägtheit“ (65) eigener und fremder Äußerungen herausarbeiten und spielerisch im „Simulationsraum“ Fremdsprachenunterricht (65) erproben. Wie solcherart kulturelle Prägung im Unterricht fruchtbar gemacht werden kann, zeigt Ulrike A. Kaunzner (75–89). Sie lässt im Unterricht touristische Werbe- und Informationstexte nicht nur einfach übersetzen, sondern so übertragen, dass sie in der Zielumgebung ihre Funktion erfüllen können. Dabei sei auch „interkulturelles“ und „prozedurales Wissen“ (81) nötig, wozu die Verfasserin vor allem die Untersuchung von gelungenen oder verfehlten Paralleltexten in mehreren Sprachen vorschlägt. Praktisch interessant ist auch, was Ulrike Simon unter dem Titel „Werbespots im DaF-Unterricht“ (95–110) erörtert. Nach einer ausführlichen Besprechung von Begriffen wie „Stereotyp“ und „Image“ stellt sie zwei Fallbeispiele vor, die mit Gewinn im italienischen Deutschunterricht eingesetzt werden könnten, da diese nicht nur mit Stereotypen arbeiten, sondern sie auch spielerisch darstellen und in jedem Fall zu Klassengesprächen Anlass geben könnten.

Dasselbe gilt von vielen der Materialien, welche in Lehrwerken deutscher und italienischer Verlage zu finden sind. Doch wie Antonella Nardi in ihrem Aufsatz über „[i]nterkulturelle Spuren in DaF-Lehrwerken“ (111–134) herausstellt, sind anschließende Aktivitäten, welche auf ein „Zusammenwirken von deklarativem und prozeduralem Wissen“ (112) über die fremde Kultur hinarbeiteten und so etwas wie "interkulturelle Kompetenz" (111) fördern könnten, eher selten zu finden. Nardi hat sich auf die Suche nach allem begeben, was zur „Steuerung der Aufmerksamkeit der Lernenden“ und der „Entwicklung“ der Fähigkeit (113) beitragen könnte, interkulturell verständnisvoll sprachlich zu agieren. Sie stellt die Ergebnisse ihrer Auswertung von 381 Dokumenten in Zahlen dar. Die deutschen Lehrwerke seien etwa im Bereich der Sekundarstufe I homogener als die italienischer Verlage. Alles in allem seien die Bestrebungen in dieser Richtung nicht weit gelangt, wie die Verfasserin in Einzeluntersuchungen belegt. Bei der Darstellung von Grußformeln etwa fehlten im Allgemeinen die kontrastierenden Informationen. In anderen Fällen würden kulturelle Unterschiede zwar sichtbar, aber nur zum Einüben der Grammatik eingesetzt. Die Verfasserin macht mehrere Vorschläge, wie man im Unterricht die Materialien aus solchen Lehrbüchern nutzen kann, um kulturelle Auffälligkeiten in der Klasse zu thematisieren. Die von Nardi gezeigte Lücke in den Lehrwerken deutet darauf hin, dass es bislang an einer systematischen Behandlung der Frage fehlt, wie der Lernstoff mit Aufforderungen zum Nachdenken über kulturelle Unterschiede zu verbinden sei.

Zu einem solchen systematischen Bezug des Unterrichts auf interkulturelle Kompetenzen soll der von Anna Maria Curci vorgestellte (135–146) „Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen“ dienen, der 2004 bis 2007 entwickelt worden sei, aber bislang nicht in der gesamten Welt des europäischen Sprachenunterrichts anerkannt und berücksichtigt werde. Der Katalog sollte nach dem Willen der Autoren den Europäischen Referenzrahmen durch genauere Aufschlüsselungen der verschiedenen im interkulturellen Verkehr gebrauchten Kompetenzen ergänzen. Vielleicht ist dabei interessant, dass hier Grenzen zwischen Kulturräumen und Sprachfamilien berücksichtigt werden und verschiedene Grade des Spracherwerbs (für Sprachen derselben Familie etwa einfaches Verstehen der Fremdsprache) vorgesehen sind. Damit kehrte die Sprachlehre zum Teil auf alte Pfade zurück, nachdem mit dem Referenzrahmen ja die Unterschiede zwischen Sprachlehrtraditionen einfach fortgewischt worden waren (man denke nur an die verschiedene Rolle des Imperfekts im klassischen und im kommunikativen Sprachunterricht). Nützlich könne, so Curci, dieser zusätzliche Katalog auch deshalb werden, weil ihm in einer Datenbank beispielhaftes Unterrichtsmaterial nachgesandt worden sei. Sieht, wer Fremdsprachen lehrt, also vielleicht mit Furcht und Zittern das Aufkommen eines weiteren Katalogs von Kriterien (gedacht sei hier der denkwürdigen Unterscheidung von saper fare und saper essere), denen in der Kursplanung zu entsprechen wäre, findet er dort andererseits vielleicht erwünschte Hilfe. Die theoretische Grundlegung fällt allerdings auch hier etwas dünn aus. Sätze wie „investire nell'educazione plurilingue non è né un lusso, né un azzardo, ma la garanzia di una formazione realmente democratica“ (145) klingen eher nach Politikwerbung. Es könnte ja durchaus auch das Gegenteil wahr sein. Ein wenig in solche Gefilde wagen sich auch Hartmut Retzlaff und Ulrike Tietze in ihrem Beitrag über „Integriertes Sprach- und Fachlernen“ (147–158) vor. Zunächst geht es um verschiedene Projekte integrierten Lernens in Italien, welche in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in einzelnen Schulen und in deutsch-italienischen Schulpartnerschaften durchgeführt wurden (wobei die Kombinationen erstaunlich sind: Liceo classico und Gesamtschule? Istituto Tecnico und Gymnasium? Das ist wahrhaft Interkultur.). Da ging es um so interessante Dinge wie „Dürer in Italia“ (Material sei weiterhin verfügbar) und die Durchführung von wissenschaftlichen Experimenten in den Naturwissenschaften. Die richtigen Lehrer freilich auszubilden, wäre eine Forderung an die italienischen und deutschen Hochschulen. Wahrhaft mehrsprachig wird es an unseren Schulen erst zugehen, wenn alle Lehrer mindestens in einer Fremdsprache unterrichten können. Die Verfasser fordern daher doch nicht weniger als eine Hochschulreform.

Im letzten Beitrag (169–183) geht es wieder praktischer zu. Thema sind literarische Arbeiten von Italienern, die auf Deutsch schreiben. Die hier von Maria Paola Scialdone vorgeschlagenen Auszüge (es geht um Chrysanthemen, um Sehnsucht und um Befreiung) wären sicher mit Gewinn im Unterricht einzusetzen. Eine Gesamtbewertung des Buches von Ehrhardt und Scialdone könnte hier anschließen. Theoretisch mangelhaft, bietet es für Praktiker viele gute Anregungen.

Online erschienen: 2017-6-27

Erschienen im Druck: 2017-6-8

Articles in the same Issue

https://doi.org/10.1515/infodaf-2017-0035