Cerri, Chiara; Jentges, Sabine (Hrsg.): Raumwahrnehmung, interkulturelles Lernen und Fremdsprachenunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2015 (Perspektiven Deutsch als Fremdsprache, 31). – ISBN 978-3-8340-1529-7. 162 Seiten, € 16,00.

„Wie lässt sich die Wahrnehmung des urbanen Raumes in den Fremdsprachenunterricht integrieren und wie kann dabei Interkulturalität als Schlüsselkompetenz vermittelt werden?“ (3). Diese beiden Fragen liegen dem Sammelband zugrunde. Seine Grundlage ist das Erasmus Intensivprogramm (IP) Tracing European Space: Language, Culture and Identity, das 2014 an der Freien Universität Berlin stattfand. 13 Dozentinnen und 47 Studierende aus sechs europäischen Ländern arbeiteten zwei Wochen zusammen. Ziel des Projekts war die Entwicklung von praxisnahen Unterrichtsmodulen für den Bereich der Fremdsprachendidaktik, in denen das Raumparadigma aufgegriffen wird. Zudem sollte eine internationale und institutionenübergreifende Kooperation von DozentInnen aus dem Hochschulbereich und der universitären LehrerInnenausbildung angeregt werden. Ziel des Sammelbandes ist es, Neugierigen Orientierungshilfe bei der Organisation eines solchen Projektes zu bieten (7). Sehr gelungen ist die Mischung aus einführender Theorie und Praxisbeispielen, die sich aus der Struktur des Berliner Treffens mit Impulsreferaten und Workshops ergibt.

Im ersten Beitrag „Fremde und eigene Gewässer“ geben Adamczak-Krysztofowicz (Polen), Jentges (Niederlande) und Stork (Deutschland)^[1] eine kurze Einführung in das Thema Interkulturalität, indem sie drei verschiedene Kulturbegriffe (Kulturen sind homogen, Kulturen sind heterogen, Kulturbegriff ist überflüssig) darstellen, interkulturelles Lernen umreißen (es gibt „bis dato keine verbindliche Definition“, 18) und das Projekt verorten. Dabei gehen sie davon aus, dass interkulturelles Lernen in jeder Begegnung von internationalen Lernenden, so auch in jedem Erasmus-Intensivprogramm, eine wichtige Rolle spielt und interkulturelle Kompetenz immer mindestens die kognitive, die affektive und die pragmatische Dimension als Teilkompetenzen umfasst (20/21). In der Darstellung von sechs Aktivitäten – erprobt in den Plenarveranstaltungen – geben sie praktische Beispiele für die theoretischen Positionen. Angenehm für die PraktikerInnen unter den LeserInnen sind weiterführende Quellenangaben, ergänzende Hinweise zur Umsetzung sowie Aufgabenblätter im Anhang. In ihrem Fazit kommen die Autorinnen zu dem Schluss, dass interkulturelles Lernen gerade durch z. B. Programme wie das Erasmus IP gefördert werden sollte, und regen die Entwicklung spezifischer Lehrmaterialien und flexibler Kompendien an, „so dass sich sowohl Teilnehmende als auch Lehrende flexibel in eigenen und fremden Gewässern zurechtfinden“ (26).

Cerri (Deutschland) und Dausend (Deutschland) führen im zweiten, auch eher theoretischen Artikel „‚Raum‘ – Mehrperspektivischer Zugang zu einem vermeintlich eindimensionalen Begriff“ mit dem Begriff spatial turn in das Raumparadigma ein, nach dem Raum nicht mehr als „rein physisch-materieller, stabiler und genau beschreibbarer Behälter“ (33) gesehen wird. Sie stellen Raum-Auffassungen aus mehreren Perspektiven und verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vor (v. a. aus dem Bereich der Soziologie (36 ff.) und der Geographie und Kulturwissenschaften (38 ff.)), die vor allem durch den Gedanken verbunden sind, dass Raum in Wechselwirkung mit den in ihm lebenden Individuen steht und der Begriff von Raum konstruiert wird (35). Veranschaulicht werden die verschiedenen Konzepte durch gelungene, selbst erstellte mental maps (40, 41,42). Diese theoretischen Ansätze werden in Unterrichtsbeispielen für den Fremdsprachenunterricht praktisch umgesetzt. In den ersten beiden Vorschlägen werden das Kulturraum-Modell und geographische Raumansätze am Beispiel des Fachwerks in Marburg dargestellt (43 ff.), im zweiten Teil geht es um die Einbindung von Street Art im Fremdsprachenunterricht durch das Modell SEE-GET-USE (47 f.). Fazit: Durch die Einbeziehung solcherart verschiedener Raum-Perspektiven können im Fremdsprachenunterricht Pauschalisierungen vermieden werden und Studierende können den Schritt von der subjektiven Wahrnehmung zu einer tieferen Betrachtung gehen.

Durch diese beiden Grundlagen-Beiträge ist der theoretische Rahmen umrissen. Die folgenden Beiträge entstanden aus der Praxis auf der Basis von Workshops, die in Berlin im Rahmen des IP jeweils eine Woche durchgeführt wurden. Gemeinsam war ihnen die handlungsorientierte Ausrichtung. Die Teilnehmenden hatten nach einer eigenständigen Erarbeitung der jeweiligen Fundamente die Aufgabe, eigene Unterrichtskonzepte zu entwickeln.

Löwe (Schweden) und Scharnowski (Deutschland) plädieren in ihrem Beitrag „‚Wem gehört die Stadt?‘ Die Aneignung von Stadträumen in Jugendbuch und Film der DDR: Insel der Schwäne“ für einen Einsatz von originalen filmischen und literarischen Darstellungen der DDR. Durch die künstlerische Präsentation des Alltagslebens in der DDR, die gleichzeitig auch das staatlich erwünschte Leben im Sozialismus widerspiegelt, können die Lernenden von heute die aktuelle Gesellschaft Deutschlands besser verstehen und einschätzen. Für den Einsatz im Unterricht wurde eine zentrale Sequenz über die Zerstörung eines Spielplatzes aus Buch, Filmszenarium und freigegebener Filmfassung ausgewählt, die nach Meinung der Autorinnen als Vorwegnahme der Wende 1989 interpretiert werden kann (62). Gerade weil die Stadt als Lebensraum in soziologischen und kulturtheoretischen Diskursen eine bedeutende Rolle spielt, ist dieses Thema für eine kulturkontrastive und interkulturelle Erörterung im Fremdsprachenunterricht besonders geeignet.

In ihrem Workshop-Projekt „Stadt als Museum“ kombinieren die drei Autorinnen Delhey (Niederlande), Okonska und Schäfer (Deutschland) zwei Ansätze ihrer Heimatuniversitäten: Den Essener Ansatz zur Sprachdidaktik im Museum (68 f.) und den Nijmegener Ansatz, der interkulturelles Lernen mit der Wahrnehmung des urbanen Raumes verbindet (Stadt als urbanes Palimpsest, 70 f.). Aus beiden Ansätzen wurde ein Workshop-Konzept erstellt (71 ff.), das die Durchführung der fünf Workshop-Tage detailliert beschreibt. Ein eigenes Kapitel wird dem Besuch in der Gemäldegalerie gewidmet, bei dem insbesondere die Beobachtung geschult werden sollte. Ausgewählte Skizzen der Studierenden und ein selbstverfasstes Gedicht demonstrieren die Ergebnisse. Mit den auf diese Art ganzheitlich geschulten Sinnen haben die Studierenden dann den urbanen Raum Berlin erkundet und ihre Projekte erarbeitet. Die Ergebnisse beschreiben die Autorinnen als heterogen, was sie v. a. aus den unterschiedlichen Voraussetzungen und Vorkenntnissen der TeilnehmerInnen erklären. Sie leiten aus dem Empfinden der Zeitknappheit im Workshop die Forderung nach einer intensiven Begleitung der handlungsorientierten Gruppenarbeit ab (80).

Auch Dausend (Deutschland) verbindet in ihrem Beitrag „Orte entdecken – Welten beschreiben: Street Art als Impuls für kulturelle und sprachliche Diskurse im Fremdsprachenunterricht“ die Elemente Kunst, die Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum und den fremdsprachlichen Kontext. In ihrem sehr gut strukturierten Artikel führt sie zunächst umfassend unter dem Titel „Orte entdecken“ in Street Art ein, eine Kunstform im öffentlichen Raum, die zwar alle kennen – aber eben nicht unbedingt als Kunst wahrnehmen. Street Art wird vor allem klassifiziert als „Interaktion zwischen Individuen“ oder als Medium, durch das Informationen weitergegeben werden (89). Damit eignet es sich nach Dausend besonders, im fremdsprachlichen Unterricht sprachliche und kulturelle Reflexionsprozesse anzuregen sowie die Lernenden zu sprachlicher Produktion zu motivieren. In ihrem zweiten Teil „Welten beschreiben: Ein universitäres Praxismodul zu Street Art im kompetenzorientierten Unterricht“ werden zunächst der Berliner Workshop und seine Ergebnisse dargestellt. Dabei werden Anregungen für den Einsatz von Street Art im universitären Bereich (Workshop), in der Schule (Beispiel: Englischunterricht, 10. Klasse) und in einer Summer School (Beispiel: DaF-Unterricht für 13–15-Jährige) gegeben. Als besonders vorteilhaft erwies sich „der hohe Aufforderungscharakter der Werke“ (94), der Lernende verschiedener Kompetenzniveaus zu einem authentischen Sprachgebrauch animierte und dadurch auch zu einer Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen im geschützten Raum des Unterrichts führte, die als gelungene Vorbereitung auf die außerschulische Realität gesehen werden kann.

Die Herausgeberinnen Cerri (Deutschland) und Jentges (Niederlande) stellen in ihrem Aufsatz „Erlebter Raum, erlebte Kultur. Räume als Schlüssel zum landeskundlichen Lernen im Fremdsprachenunterricht“ das neue Raumkonzept nach dem spatial turn noch einmal grundsätzlich als Alternative zu herkömmlichen, aber auch neueren kulturwissenschaftlichen Theorien zur Landeskunde vor. In einem ersten Schritt beschreiben sie Raumkonzepte im faktisch-kognitiven (99 ff.), im kommunikativen (102 ff.) und im interkulturellen (104 ff.) Ansatz und belegen die dort vertretenen Thesen anschaulich mit kopierten Lehrbuchbeispielen (100 ff.). Es bleibt das Desiderat einer praxistauglichen Theorie für die Landeskunde-Didaktik. In einem weiteren Schritt kontrastieren sie dann Altmayers kulturwissenschaftliche Deutungsmuster, die sie als repräsentative Theorie der letzten zehn Jahre betrachten, mit einem Raumansatz, der Konzepte aus der Soziologie und der Geographie nutzt. Das Neue hierbei sehen sie v. a. darin, dass dort theoretisch fundiert und reflektiert alle Dimensionen des Raumes und alle „Facetten von landeskundlichen Aspekten produktiv, gewinnbringend und zeitgemäß“ (110) berücksichtigt werden. Das Konzept der Erlebten Landeskunde weist schon viele unterrichtspraktische Ideen auf. Es lässt sich nach Meinung der Autorinnen leicht in das theoretische Gebäude des Raumkonzeptes einordnen. Wie der Raumansatz im Fremdsprachenunterricht umgesetzt werden kann, wird an Beispielen von Aufgaben und Ergebnissen des Workshops dargestellt, die auch wieder sehr plastisch mit Auszügen aus Aufgabenblättern (111, 115), Beispielphotos (112), Ergebnisplakaten (113) u. a. belegt werden. Die Einbeziehung von Raumkonzepten in den Landeskundeunterricht stellt sich so als ein relativ schnell vermittelbares, theoretisch fundiertes Konzept dar, das Lehrpersonen nach einer kurzen Einführung „intuitiv in ihrem eigenen Unterricht umsetzen können.“ (117)

Der Titel des folgenden Beitrags von Adamczak-Krysztofowicz (Polen) und Stork (Deutschland) spricht für sich: „Denkmal? Denk mal!“ Hier werden Fremdsprachenlernende „auf der Spur von Erinnerungen an Personen im (urbanen) Raum“, so der Untertitel, begleitet. Im Fokus des Artikels stehen Personendenkmäler als Teil der Erinnerungskultur im (urbanen) Raum (122). Sie sind zunächst schweigsam und müssen anhand vorgegebener Fragen entschlüsselt werden, z. B.: Wessen wird erinnert? Wo wird erinnert? Wie und wozu wird erinnert? (123). In der muttersprachlichen Geschichts- oder Deutschdidaktik gibt es schon Vorschläge für den Unterricht mit Denkmälern. Sie werden hier kurz umrissen und können nach Meinung der Autorinnen leicht für den DaF-Unterricht nutzbar gemacht werden. Auf dieser Grundlage werden Zielsetzungen und Aufbau des Workshops dargestellt. In der Gruppe wird nach einem Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas herausgearbeitet, wie das Thema Denkmal im Fremdsprachenunterricht im Hinblick auf Interkulturalität umgesetzt werden kann. Dabei werden Prinzipien der Lehrmaterialentwicklung anhand der Analyse von Beispiellehrmaterial erarbeitet (127). Im anschließenden praktischen Teil wird exemplarisch der Unterrichtsentwurf einer Studierendengruppe zu Denkmälern von Willy Brandt und Konrad Adenauer vorgestellt (129 f.), der die Vermittlung deklarativen landeskundlichen Wissens, Wortschatzarbeit, Leseverstehensförderung, Sprachproduktion und eine kritische Reflexion der Rolle/Funktion von Denkmälern umfasst. Hilfreich für eine Adaption sind die aufgeführten Aufgabenblätter für die Kleingruppenarbeit sowie ein Vergleichsraster (130). Durch bewusste und angeleitete Wahrnehmung von Denkmälern aus dem bzw. in dem zielsprachlichen Raum können DaF-Lernende, so das Fazit, sprachlich, interkulturell und landeskundlich viel lernen (131).

„Bilder, Texte, Filme und Gegenstände der 1920er und 1930er Jahre im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Das Beispiel Berlin“ sind das Thema des letzten Beitrags „Vergangene städtische Räume medial erfahren und didaktisch nutzen?“ von Badstübner-Kizik und Janachowska-Budych (beide Polen). Durch eine Beschäftigung mit medialen Darstellungen von vergangenen städtischen Räumen in literarischen Texten, in Filmen und auf Bildern sowie durch die Arbeit mit einem öffentlichen Lernort (Museum) lernen die Studierenden, die Potentiale dieser Räume für einen kulturell und medial sensiblen Fremdsprachenunterricht sowie die fremdsprachliche Kulturdidaktik wahrzunehmen. Im Workshop wurden in einem ersten Schritt („Vergangene Räume sehen und hören“, 138 ff.) zwei wichtige zeitgenössische Filmdokumente in Ausschnitten behandelt: Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt (Ruttmann 1927) und Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer 1930). Anhand von film-, sprach- und kulturdidaktischen Aufgaben wurden v. a. die Sprachproduktion gefördert und cultural awareness aufgebaut. Die Grundlage für den zweiten Schritt („Vergangene Räume (er)lesen“, 141 ff.) waren Ausschnitte aus historisierenden Stadtkrimis. Schon vor Kursbeginn hatten die TeilnehmerInnen die Texte gelesen; sprachlich und inhaltlich wurden sie anhand von vorgegebenen Fragen erarbeitet und ihr Potential für die Erschließung von Vergangenheit diskutiert. Für den dritten Schritt („Vergangene Räume erleben“, 143 ff.) wurde eine Ausstellung im Märkischen Museum besucht, die ebenfalls durch Aufgaben vorbereitet und begleitet wurde. Abschließend wurden aus den so gewonnenen Erfahrungen Didaktisierungsvorschläge für eigene Unterrichtskontexte erarbeitet (146 f.). In diesem Workshop allerdings wurden von den Gruppen lediglich Ziele, Zielgruppen, Inhalte, Ablauf etc. festgelegt; die konkreten Ausarbeitungen erfolgten in einem Zeitraum von zwei Monaten von den Heimatuniversitäten aus. Die beiden exemplarischen Vorschläge haben einen Film (Sonnenallee) und einen Museumsbesuch als Grundlage (147 ff.). Eine umfassende Dokumentation der Evaluation gibt eine differenzierte Einschätzung der TeilnehmerInnen (150 ff.) wieder. In ihrem „vorsichtigen“ Fazit halten die Autorinnen „das Erleben fremdsprachiger (vergangener) Räume im Sinne einer Freilegung konkreter historischer Schichten einer vor Ort greifbaren Gegenwart für möglich“ (153). Inwieweit ein solches Konzept aber ortsunabhängig durchgeführt werden kann, sollte in weiteren Projekten empirisch erforscht und überprüft werden.

Fazit: Dieser Sammelband stellt den in der Fremdsprachendidaktik noch neuen Ansatz der Raumauffassung in den Mittelpunkt. Er wird von sehr unterschiedlichen Seiten theoretisch und in der praktischen Umsetzung beleuchtet. In ihrer Einführung sagen die Herausgeberinnen, dass nach überwiegender Meinung der Teilnehmenden die interkulturelle Kompetenz in vielfacher Weise gefördert wurde. Die verschiedenen Konzeptionen und Vorstellungen der Dozentinnen von Raum und Raumwahrnehmung ließen sich dagegen nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Dies wiederum wird nicht als Problem gesehen, sondern zeigt, „dass es möglich ist, das Wagnis einzugehen und die unterschiedlichsten Zielstellungen miteinander zu verbinden“ (7). Das Buch bietet eine herausragend gute Verbindung von Theorie und Anwendung. Es ist logisch gegliedert und gibt einen überzeugenden Eindruck davon, dass und wie ein neues Konzept umgesetzt werden kann. Ein Blick in die Literaturlisten macht deutlich, dass alle Autorinnen miteinander vernetzt und Expertinnen auf ihren Gebieten sind. Das drückt sich auch in den Unterrichtsbeispielen, Zusatzmaterialien und Verweisen auf weitere Informationen aus. Der Band sei TheoretikerInnen, die eine neue Theorie weiter entwickeln wollen, ebenso empfohlen wie PraktikerInnen (wie der Rezensentin), die ein neues Konzept kennenlernen und ggf. im Unterricht einsetzen möchten.