Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Gotha (16. Oktober 1896)
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Clara Zetkin

Abgeordnete auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im September 1910 in Magdeburg. In der Mitte Clara Zetkin zusammen mit Rosa Luxemburg und Käte Duncker.
Berichterstatterin Frau Zetkin – Stuttgart: Durch die Forschungen von Bachofen, Morgan und anderen scheint es erwiesen, dass die soziale Unterdrückung der Frau mit der Entstehung des Privateigentums [1] zusammenfällt. Der Gegensatz innerhalb der Familie zwischen dem Mann als Besitzer und der Frau als Nichtbesitzerin wurde die Grundlage für die wirtschaftliche Abhängigkeit und die soziale Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts. In dieser sozialen Rechtlosigkeit liegt nach Engels eine der ersten und ältesten Formen der Klassenherrschaft, er sagt: »Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat.« [2] Trotzdem konnte von einer Frauenfrage im modernen Sinn des Wortes nicht die Rede sein. Erst die kapitalistische Produktionsweise hat gesellschaftliche Umwälzungen gezeitigt, welche die moderne Frauenfrage entstehen ließ; sie schlug die alte Familienwirtschaft in Trümmer, die in der vorkapitalistischen Zeit der großen Masse der Frauenwelt Lebensunterhalt und Lebensinhalt gewährt hatte. Wir dürfen freilich auf die alte hauswirtschaftliche Tätigkeit der Frauen nicht jene Begriffe übertragen, die wir mit der Tätigkeit der Frau in unserer Zeit verbinden, den Begriff des Nichtigen und Kleinlichen. Solange die alte Familie noch bestand, fand die Frau in derselben einen Lebensinhalt durch produktive Tätigkeit, und daher kam ihre soziale Rechtlosigkeit ihr nicht zum Bewusstsein, wenn auch der Entwicklung ihrer Individualität enge Schranken gezogen waren. Die Zeit der Renaissance ist die Sturm- und Drangperiode des Erwachens der modernen Individualität, die sich nach den verschiedensten Richtungen voll und ganz ausleben kann. Da treten uns Individualitäten entgegen, riesengroß im Guten und Bösen, die die Satzungen von Religion und Moral mit Füßen traten und Himmel und Hölle in gleicher Weise verachteten; wir finden Frauen als Mittelpunkt des gesellschaftlichen, des künstlerischen, des politischen Lebens. Und trotzdem nicht die Spur einer Frauenbewegung. Das ist umso charakteristischer, als zu jener Zeit die alte Familienwirtschaft zu zerbröckeln anfing unter dem Einfluss der Arbeitsteilung. Tausende und Tausende von Frauen fanden ihren Lebensunterhalt und -inhalt nicht mehr in der Familie. Aber diese Frauenfrage, soweit davon die Rede sein konnte, wurde damals so viel wie möglich gelöst durch Klöster, Stifte, Ordensgesellschaften. Die Maschinen, die moderne Produktionsweise grub dann aber nach und nach der eigenen Produktion im Haushalt den Boden ab, und nicht für Tausende, sondern für Millionen von Frauen entstand nun die Frage: Wo nehmen wir den Lebensunterhalt her, wo finden wir einen ernsten Lebensinhalt, eine Betätigung auch nach der Gemütsseite? Millionen wurden jetzt darauf verwiesen, Lebensunterhalt und Lebensinhalt draußen in der Gesellschaft zu finden. Da wird ihnen bewusst, dass die soziale Rechtlosigkeit sich der Wahrung ihrer Interessen entgegenstellt, und von dem Augenblicke an ist die moderne Frauenfrage da. Wie die moderne Produktionsweise arbeitet, die Frauenfrage weiter zu verschärfen, dafür einige Zahlen. 1882 zählte man in Deutschland auf 23 Millionen Frauen und Mädchen, 5½ Millionen erwerbstätige Frauen, das heißt, fast ein Viertel der weiblichen Bevölkerung konnte seinen Lebensunterhalt nicht mehr in der Familie finden. Nach der Volkszählung von 1895 hat in der Landwirtschaft im weitesten Sinne die Zahl der erwerbstätigen Frauen seit 1882 um mehr als 8 Prozent zugenommen, in der Landwirtschaft im engeren Sinne um 6 Prozent, während gleichzeitig die Zahl der erwerbstätigen Männer um 3 beziehungsweise 11 Prozent abgenommen hat. [3] Auf dem Gebiet der Industrie und des Bergbaus haben die erwerbstätigen Frauen um 35 Prozent zugenommen, die Männer nur um 28 Prozent; im Handel die Zahl der Frauen sogar um mehr als 94 Prozent, die der Männer nur um 38 Prozent. Diese trockenen Zahlen sprechen weit beredter von der Dringlichkeit der Lösung der Frauenfrage, als es überschwängliche Deklamationen tun könnten.
Aber die Frauenfrage ist nur innerhalb jener Klassen der Gesellschaft vorhanden, welche selbst Produkte der kapitalistischen Produktionsweise sind. Wir finden deshalb keine Frauenfrage in den Kreisen der Bauernschaft mit ihrer, wenn auch stark eingeschränkten und durchlöcherten Naturalwirtschaft. Wohl aber finden wir eine Frauenfrage innerhalb derjenigen Klassen der Gesellschaft, die die eigensten Kinder der modernen Produktionsweise sind. Es gibt eine Frauenfrage für die Frauen des Proletariats, des Mittelbürgertums und der Intelligenz und der oberen Zehntausend; je nach der Klassenlage dieser Schichten nimmt sie eine andere Gestalt an.
Wie ist die Frauenfrage bei den Frauen der oberen Zehntausend gestaltet? Die Frau der oberen Zehntausend kann vermöge ihres Besitzes ihre Individualität frei entfalten, sie kann leben, wie es ihren Neigungen entspricht. Als Ehefrau aber ist sie noch immer vom Manne abhängig. Die Geschlechtsvormundschaft früherer Zeiten hat sich als Überbleibsel hinübergerettet ins Familienrecht, wo noch immer der Satz gilt: Und er soll dein Herr sein. Und wie ist die Familie der oberen Zehntausend beschaffen, in der die Frau dem Manne rechtlich unterworfen ist? Schon bei ihrer Gründung entbehrt eine solche Familie der sittlichen Voraussetzung. Nicht die Individualität, sondern das Geld entscheidet über ihre Schließung. Da heißt es: Was das Kapital zusammenfügt, das soll eine sentimentale Moral nicht scheiden. (Bravo) So gelten in der Heiratsmoral zwei Prostitutionen für eine Tugend. Dem entspricht auch die Art und Weise des Familienlebens. Wo die Frau nicht mehr zur Pflichtleistung gezwungen ist, wälzt sie ihre Pflichten als Gattin, Mutter und Hausfrau auf bezahltes Mietpersonal ab. Wenn die Frauen jener Kreise den Wunsch hegen, ihrem Leben einen ernsten Inhalt zu geben, so müssen sie zunächst die Forderung der selbstständigen, freien Verfügung über ihr Eigentum erheben. Diese Forderung steht deshalb im Mittelpunkt der Forderungen, welche die Frauenbewegung der oberen Zehntausend erhebt. Diese Frauen kämpfen für die Verwirklichung dieser Forderung gegen die Männerwelt ihrer Klasse genau den nämlichen Kampf, den die Bourgeoisie gegen alle bevorrechtigten Stände gekämpft hat, einen Kampf um die Beseitigung aller sozialen Unterschiede, welche auf dem Vermögensbesitz begründet sind. […]
Wie zeigt sich nun die Frauenfrage in den klein- und mittelbürgerlichen Kreisen und innerhalb der bürgerlichen Intelligenz? Hier ist es nicht der Besitz, welcher die Familie auflöst, hier sind es wesentlich die Begleiterscheinungen der kapitalistischen Produktion. In dem Maße, wie diese ihren Triumphmarsch vollzieht, wird das mittlere und das kleine Bürgertum mehr und mehr zugrunde gerichtet. Innerhalb der bürgerlichen Intelligenz führt wieder ein anderer Umstand zur Verschlechterung der Lebensbedingungen: Das Kapital bedarf der intelligenten und wissenschaftlich geschulten Arbeitskräfte, es hat deshalb eine Überproduktion an Proletariern der Kopfarbeit begünstigt und dazu beigetragen, dass die frühere angesehene und einträgliche gesellschaftliche Stellung der Angehörigen liberaler Berufe mehr und mehr schwindet. In demselben Maße nimmt aber die Zahl der Eheschließungen immer mehr ab, denn während auf der einen Seite die materiellen Grundlagen verschlechtert sind, steigen auf der anderen Seite die Ansprüche des einzelnen an das Leben, und da überlegt es sich der Mann jener Kreise selbstverständlich zweimal und dreimal, ehe er sich zur Ehe entschließt. Die Altersgrenze für die Gründung einer eigenen Familie wird immer höher hinaufgeschraubt, und der Mann wird umso weniger zur Eheschließung gedrängt, als in unserer Zeit genug gesellschaftliche Einrichtungen dem Hagestolz ein behagliches Leben, auch ohne legitime Frau, ermöglichen. Die kapitalistische Ausbeutung der proletarischen Arbeitskraft sorgt schon durch Hungerlöhne dafür, dass ein großes Angebot von Lustdirnen der Nachfrage nach denselben seitens der Männerwelt entspricht. So nimmt die Zahl der unverheirateten Frauen in mittelbürgerlichen Kreisen immer mehr zu. Die Frauen und Töchter jener Kreise werden in die Gesellschaft hinausgestoßen, um sich eine Existenz zu gründen, die ihnen nicht nur Brot verschafft, sondern auch ihren Geist zu befriedigen vermag. In diesen Kreisen ist die Frau dem Manne nicht gleichberechtigt als Besitzerin von Privatvermögen, wie in den höheren Kreisen, sie ist auch nicht gleichberechtigt als Proletarierin, wie in den Proletarierkreisen, die Frau jener Kreise muss vielmehr ihre wirtschaftliche Gleichstellung mit dem Mann erst erkämpfen, und sie kann das nur durch zwei Forderungen, durch die Forderung auf gleiche Berufsbildung und durch die Forderung auf gleiche Berufstätigkeit für beide Geschlechter. Dies bedeutet wirtschaftlich nichts anderes als die Verwirklichung der Gewerbefreiheit und die freie Konkurrenz zwischen Mann und Frau. Die Verwirklichung dieser Forderung entfesselt einen Interessengegensatz zwischen den Frauen und Männern des Mittelbürgertums und der Intelligenz. Die Konkurrenz der Frauen in den liberalen Berufen ist die treibende Kraft für den Widerstand der Männer gegen die Forderungen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Es ist die reine Konkurrenzfurcht; alle sonstigen Gründe, die gegen die geistige Frauenarbeit geltend gemacht werden, das kleinere Gehirn der Frau, ihr angeblich natürlicher Beruf als Mutter sind nur Vorwände. Dieser Konkurrenzkampf drängt die Frau dieser Schichten dazu, politische Rechte zu verlangen, damit sie im politischen Kampfe alle Schranken niederreißen kann, die ihrer wirtschaftlichen Betätigung noch entgegenstehen.
Ich habe hiermit nur das ursprüngliche, rein wirtschaftliche Moment gezeichnet. Wir würden der bürgerlichen Frauenbewegung Unrecht tun, wenn wir sie nur auf rein wirtschaftliche Motive zurückführen wollten. Nein, sie hat auch eine tiefernste geistige und sittliche Seite. Die bürgerliche Frau verlangt nicht nur ihr eigenes Brot, sondern sie will sich auch geistig ausleben und ihre Individualität entfalten. Gerade in diesen Schichten finden wir jene tragischen, psychologisch interessanten Noragestalten, wo die Frau es müde ist, als Puppe im Puppenheim zu leben, wo sie teilnehmen will an der Weiterentwicklung der modernen Kultur; und sowohl nach der wirtschaftlichen als nach der geistig sittlichen Seite hin sind die Bestrebungen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen vollständig berechtigt.
Für die proletarische Frau ist es das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals, unaufhörlich Rundschau zu halten nach den billigsten Arbeitskräften, das die Frauenfrage geschaffen hat Dieses Ausbeutungsbedürfnis hat eine reaktionäre, aber auch eine revolutionäre Seite: indem es die Gesellschaft umwandelt aus einer Gesellschaft von Arbeitsbienen und Arbeitsdrohnen in eine Gesellschaft von lauter Arbeitern. Dadurch ist auch die Frau des Proletariats einbezogen in den Mechanismus des wirtschaftlichen Lebens unserer Zeit, ist sie in die Werkstatt, an die Maschine getrieben worden. Sie ist herabgestiegen in das wirtschaftliche Leben, um dem Manne einige Hilfe im Erwerb zu bringen, und die kapitalistische Produktionsweise verwandelte sie in eine Schmutzkonkurrentin; sie wollte Wohlstand in die Familie bringen, und als Folge zog eine größere Not in die proletarische Familie ein; die Proletarierfrau wurde selbsttätig erwerbend, weil sie ihren Kindern das Leben sonniger und freundlicher gestalten wollte, und sie wurde ihren Kindern zum großen Teil entrissen. Sie wurde dem Mann als Arbeitskraft vollständig gleich: Die Maschine machte die Muskelkraft überflüssig, und überall konnte die Frauenarbeit sich mit den gleichen Ergebnissen für die Produktion betätigen wie die Männerarbeit. Und da sie eine billige Arbeitskraft war und vor allen Dingen eine willige Arbeitskraft, die nur in den seltensten Fällen wagte zu löcken wider den Stachel [4] der kapitalistischen Ausbeutung, so haben die Kapitalisten die Möglichkeit vervielfältigt, um die industrielle Frauenarbeit in der höchsten Stufe anwenden zu können. Die Frau des Proletariers hat infolgedessen ihre wirtschaftliche Selbständigkeit errungen. Aber wahrhaftig! sie hat sie teuer erkauft und hat praktisch für den Augenblick nichts dabei gewonnen. Wenn im Zeitalter der Familie der Mann das Recht hatte – denken Sie an das kurbayrische Recht – gelegentlich mäßig die Frau mit der Peitsche zu züchtigen, so züchtigt sie der Kapitalismus jetzt mit Skorpionen. Damals wurde die Herrschaft des Mannes über die Frau gemildert durch die persönlichen Beziehungen, zwischen Arbeiter und Unternehmer aber gibt es nur ein Warenverhältnis. Die Frau des Proletariats hat ihre wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt, aber weder als Mensch noch als Frau, noch als Gattin hat sie die Möglichkeit, ihre Individualität voll ausleben zu können. Für ihre Aufgabe als Gattin, als Mutter bleiben ihr nur die Brosamen, die die kapitalistische Produktion ihr vom Tische fallen lässt.
Deshalb kann der Befreiungskampf der proletarischen Frau nicht ein Kampf sein wie der der bürgerlichen Frau gegen den Mann ihrer Klasse; umgekehrt, es ist der Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse. Sie braucht nicht darum zu kämpfen, gegen die Männer ihrer Klasse die Schranken niederzureißen, die ihr bezüglich der freien Konkurrenz gezogen sind. Das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals und die Entwicklung der modernen Produktionsweise nahmen ihr diesen Kampf vollkommen ab. Umgekehrt, es gilt, neue Schranken zu errichten gegen die Ausbeutung der proletarischen Frau, es gilt, ihr ihre Rechte als Gattin, als Mutter wiederzugeben und zu sichern. Das Endziel ihres Kampfes ist nicht die freie Konkurrenz mit dem Manne, sondern die Herbeiführung der politischen Herrschaft des Proletariats. Hand in Hand mit dem Manne ihrer Klasse kämpft die proletarische Frau gegen die kapitalistische Gesellschaft. Allerdings stimmt sie auch den Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung zu. Aber sie betrachtet die Erfüllung dieser Forderungen nur als Mittel zum Zweck, damit sie gleich ausgestattet an Waffen mit dem Proletarier in den Kampf ziehen kann.
Die bürgerliche Gesellschaft steht den Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, das beweisen die Reformen, die auf dem Gebiet des Privat- wie des öffentlichen Rechtes in verschiedenen Staaten schon zu Gunsten der Frau eingeführt sind. Wenn es in Deutschland so besonders langsam mit diesen Reformen geht, so liegt die Ursache einmal in dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf in den liberalen Berufen, den die Männer fürchten, zumal es sicher ist, dass die Kopfarbeiter immer mehr ins Lager der Sozialdemokratie abrücken, und zweitens in der sehr langsamen und schwächlichen Entwicklung der bürgerlichen Demokratie in Deutschland, die unter dem Bann der Klassenfurcht vor dem Proletariat ihrer historischen Aufgabe nicht gerecht wird. Sie fürchtet, dass die Durchführung solcher Reformen nur der Sozialdemokratie Vorteil bringt. Je weniger eine bürgerliche Demokratie sich hypnotisieren lässt von dieser Furcht, desto bereiter ist sie zu Reformen. Das sehen wir an England. England ist das einzige Land, das noch eine wirklich kraftvolle Bourgeoisie besitzt, während die deutsche Bourgeoisie in schlotternder Furcht vor dem Proletariat darauf verzichtet, auf politischem und sozialem Gebiet zu reformieren. Dazu tritt für Deutschland noch die weit verbreitete spießbürgerliche Auffassung; der Philisterzopf des Vorurteils hängt dem deutschen Bürgertum schwer im Nacken. Gewiss ist die Furcht der bürgerlichen Demokratie sehr kurzsichtig. Wird den Frauen die politische Gleichberechtigung gewährt, so wird an den tatsächlichen Machtverhältnissen nichts geändert. Die proletarische Frau geht ins Lager des Proletariats, die bürgerliche ins Lager des Bürgertums. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen durch sozialistische Anläufe in der bürgerlichen Frauenbewegung, die nur so lange auftreten, wie sich die bürgerlichen Frauen als Unterdrückte fühlen.
Je weniger nun die bürgerliche Demokratie ihre Aufgabe begreift, desto mehr ist es Sache der Sozialdemokratie, für die politische Gleichberechtigung der Frau einzutreten. Wir wollen uns nicht besser machen, als wir sind. Nicht um die schönen Augen eines Prinzips stellen wir diese Forderung auf, sondern im Klasseninteresse des Proletariats. Je mehr die Frauenarbeit ihren verhängnisvollen Einfluss auf die Lebenshaltung der Männer ausübt, desto brennender wird die Notwendigkeit, sie in den wirtschaftlichen Kampf einzubeziehen. Je mehr der politische Kampf eingreift in die Existenz jedes einzelnen, desto dringender wird die Notwendigkeit, dass auch die Frau teilnimmt am politischen Kampfe. Das Sozialistengesetz hat Tausenden von Frauen erst klargemacht, was die Worte Klassenrecht, Klassenstaat und Klassenherrschaft bedeuten, hat Tausende von Frauen erst das Bedürfnis gelehrt, sich über die Macht aufzuklären, die so brutal in das Familienleben eingriff. Das Sozialistengesetz hat eine Arbeit geleistet, die Hunderte von Agitatorinnen nicht zu leisten imstande gewesen wären, und wir sind dem Vater des Sozialistengesetzes sowie allen Staatsorganen, die an seiner Durchführung beteiligt waren, vom Minister bis zum Schutzmann hinab, aufrichtig dankbar für ihre unfreiwillige agitatorische Tätigkeit. Und da wirft man uns Sozialdemokraten Undankbarkeit vor! (Heiterkeit) […]
Erst die sozialistische Gesellschaft löst den Konflikt, der heutigentags gezeitigt wird durch die Berufstätigkeit der Frau. Wenn die Familie als wirtschaftliche Einheit verschwindet und an ihre Stelle die Familie als sittliche Einheit tritt, wird die Frau als gleichberechtigte, gleich schaffende und gleich strebende, mit dem Manne vorwärtsschreitende Gefährtin ihre Individualität als Mensch zusammen ausleben, gleichzeitig aber auch ihre Aufgabe als Gattin und Mutter im höchsten Maße erfüllen können. In der Gesellschaft des Neuhellenismus wird es ihr auch möglich sein, ihre Individualität zu einem harmonischen Kunstganzen, ihr Leben zu einem Kunstwerk zu gestalten; und diese Gesellschaft wird sich auf dem ganzen Erdball gestalten, sie wird sich nicht aufbauen auf der Sklaverei von Menschen; sie hat zur Voraussetzung die Sklaverei von Stahl und Eisen, die Leistungen der von der menschlichen Erkenntnis gebändigten Naturkraft. Und die Sozialdemokraten schreiten vorwärts; aber erst, wenn die Masse der Frauen zu ihnen hält, können sie sagen: Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! [5] (Stürmischer Beifall und Händeklatschen)
Quelle: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Gotha vom 11. bis 16. Oktober 1896. Berlin: Expedition der Buchhandlung Vorwärts, 160–164, 167–168. https://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1896.pdfs (08.07.2025).
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Artikel in diesem Heft
- Gesamtheft 43 ②
- Frontmatter
- Artikulationen von Klasse und Geschlecht II
- Artikulationen von Klasse und Geschlecht. Konzeptionelle Überlegungen
- Von Männerquartetten und Abgehängten: Ein Gespräch über Gender, Race, Class im Kapitalismus
- Klasse oder was? Perspektiven einer klassismuskritischen queerfeministischen Politik
- »Feminist movement cannot put forward a perspective of social change without addressing the question of class«. Wages for Housework Campaign, witch-hunting today and feminist politics of the commons
- Archiv
- Clara Zetkin und die sozialistische Frauenemanzipationstheorie
- Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Gotha (16. Oktober 1896)
- Klasse, Geschlecht und Distributionsverhältnisse
- Bilder und Zeichen
- Elif Saydam – Lebensfreude gegen Klassismus, Rassismus und Sexismus
- Malereien aus den Schwamm- und Spätiserien
- Diskussion
- Die Unaushaltbarkeit demokratischer Kontingenz? Über Angriffe auf trans* Lebensweisen und Politiken als Angriffe auf Demokratie
- Im Gespräch
- »This year the Pride represented a tipping point« – the 2025 Pride Parade in Budapest, the restrictions of LGBTIQ+ rights and gender and queer studies in Hungary
- Dank
- Regine Othmer seit 40 Jahren bei den feministischen studien – wir gratulieren!
- Ausstellungsbericht
- »Milieudinge – von Klasse und Geschmack« und von Geschlecht?
- Rezensionsessay
- Bibliothekarinnen, Erbinnen, Feministinnen, Frauen- und Geschlechterforscherinnen im Institut für Sozialforschung zwischen 1923/24 und 2025
- Rezension
- Dagmar Hoffmann, Florian Krauß, Moritz Stock, (Hrsg.): Fernsehen und Klassenfragen
- Brigitte Aulenbacher / Helma Lutz / Ewa Palenga-Möllenbeck / Karin Schwiter (eds.), 2024: Home Care for Sale. The Transnational Brokering of Senior Care in Europe
- Vincent Streichhahn (Hrsg.): Feministische Internationale. Texte zu Geschlecht, Klasse und Emanzipation 1832–1936
- Katharina Hajek / Ina Kerner, Iwona Kocjan, Nicola Mühlhäuser: Gender Studies zur Einführung
- Beate von Miquel, Claudia Mahs, Antje Langer, Birgitt Riegraf, Katja Sabisch, Irmgard Pilgrim (Hrsg.): #Me too in Science
- Autorenverzeichnis
- Zu den Autor:innen
- Abstracts
- Abstracts
- Erratum
- Erratum zu: Sperk, Verena (2025): »Was hat uns Österreich gekostet?« Affektive Artikulationen von Klassen-, Geschlechter- und Migrationsverhältnissen in Ein schönes Ausländerkind
- Jahresinhaltsverzeichnis
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- Förderverein
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- Ausblick
- Ausblick auf die nächsten Hefte
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