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Beate von Miquel, Claudia Mahs, Antje Langer, Birgitt Riegraf, Katja Sabisch, Irmgard Pilgrim (Hrsg.): #Me too in Science

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Published/Copyright: November 10, 2025
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von Miquel Beate, Mahs Claudia, Langer Antje, Riegraf Birgitt, Sabisch Katja, Pilgrim Irmgard (Hrsg.): #Me too in Science. Reihe Geschlecht und Gesellschaft, Band 84. Wiesbaden Springer VS 2025, 258 S., € 89,99. https://doi.org/10.1007/978-3-658-45515-6


Grundlage des Buches #Me too in Science bildet eine Tagung, die im Jahr 2021 unter dem gleichnamigen Titel an der Universität Paderborn stattfand. Die Veranstaltung, ausgerichtet vom Marie Jahoda Center for International Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum sowie dem Zentrum für Geschlechterstudien der Universität Paderborn, bot insbesondere Expertise hinsichtlich juristischer Rahmenbedingungen zum Thema sexualisierte Diskriminierung und Gewalt (SDG) an Hochschulen sowie einen Einblick in existierende Best-Practice-Beispiele für Präventionsmaßnahmen. Der Band ist jedoch kein Tagungsband im üblichen Sinne. Die Herausgeberinnen haben die juristischen und praktischen Perspektiven um historische Annäherungen und Beiträge zum aktuellen Forschungsstand hinsichtlich SDG in der Wissenschaft erweitert.

Ein historischer Forschungsessay von Ursula Müller führt in die (Diskurs-)Geschichte des Themas ein und stellt die empirischen Ergebnisse eigener Studien aus drei Jahrzehnten vor. Heutigen Leser*innen dürfte deutlich werden, dass SDG in Arbeitsorganisationen und Hochschulen nicht erst mit der erweiterten #Me-too-Bewegung in den Fokus genommen wurde. Spätestens seit den 1980er-Jahren gab es zu der Frage einen feministischen Diskurs, der mit der weitverbreiteten Vorstellung aufräumte, es handele sich bei SDG um »fehlgeleitete Annäherungsversuche« (S. 18 f.). Die Machtverwobenheit war bereits damals klar. Die hier vorgestellte Forschung aus den Jahren 1987 bis 2000 zeigt sowohl für Arbeitsorganisationen als auch für Hochschulen, dass sexualisierte Übergriffe oder Belästigungen Platzanweiserfunktion haben und Kolleginnen oder Studentinnen entmutigen und aus männlich besetzten Räumen verdrängen sollen. Müller reflektiert zum Abschluss die damaligen Ergebnisse auf der Folie aktueller Herausforderungen. Diese Zusammenführung ist insgesamt sehr fruchtbar und stärkt nebenbei die Erinnerungspolitiken der Geschlechterforschung. Die Literaturanalysen von Annalisa Mattei und Andrea Zimmermann fügen dem umfangreichen Beitrag Müllers weitere historische Grundlagen hinzu. Mattei geht dabei bis zur Gründungsgeschichte der Universität zurück, um deren Konstruktion als »männlichen Raum« (S. 59) und »androzentrische Institution« (S. 65) nachvollziehbar zu machen. Der englischsprachige Beitrag von Zimmermann liefert einen internationalen Forschungsstand bis immerhin zum Jahr 2020.

Anke Lipinsky geht es in ihrem Beitrag um Präventionsstrategien gegen SDG an Hochschulen. Diese seien unter anderem auf eine »solide Wissensbasis« (S. 102) angewiesen. Am Beispiel des Verbundprojekts UniSAFE wird gezeigt, wie Prävalenzstudien dabei helfen können, für die Problematik an der eigenen Hochschule zu sensibilisieren und auf der Grundlage von konkreten Daten geeignete Maßnahmen zu schaffen. Damit »Awareness-Raising« nicht auf der Stufe eines bloß symbolischen Akts verbleibt, wird empfohlen, eine jeweils geeignete Datenbasis zu schaffen, sowohl in Bezug auf Vorfälle als auch im Hinblick auf die Nutzung von Angeboten der Hochschule und deren Wirkung. Dabei bleibt die Autorin allerdings nicht stehen. Sie beschreibt darüber hinaus ausführlich, wie ein reflexiver Strategieansatz im Vorfeld einer eigenen Prävalenzumfrage deren Sinn und Nutzen positiv beeinflussen kann. Wenn dies gelinge, könne eine hochschulweite Befragung »zu einem Bestandteil einer evidenzbasierten und umfassenden Präventionsstrategie« (S. 110) werden.

Die Beiträge von Ulrike Lembke und Vanessa von Wulfen beschäftigen sich mit rechtlichen Fragen. Es werden Regelungsdefizite und Lücken in der Gesetzeslage benannt und für den Hochschulkontext expliziert sowie SDG als Gesundheits- und Sicherheitsrisiko für Beschäftigte eingeordnet. Lembke stellt zunächst anschaulich den rechtlichen Diskurs zu »sexueller Belästigung« dar und ordnet den Begriff juristisch als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ein. Sodann konzentriert sie sich auf Regelungen und Praktiken im Hochschulkontext. Dabei wird deutlich, dass rechtliche Regelungen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ohnehin und zumal an der Hochschule viel zu kurz greifen. Es bleiben »Lücken im Rechtsschutz und Reformbedarf« (S. 133). Von Wulfen rückt dagegen das Potenzial arbeitsrechtlicher Argumente für den Hochschulkontext in den Fokus. Sie versteht arbeitsrechtliche Instrumente als gute Ergänzung zu einem »mehrschichtigen« (S. 149) Ansatz, der sowohl Gefährdung erfasst als auch Beschwerdeverfahren und Sanktionen vorsieht. Beide Autorinnen zeigen allerdings deutlich, dass die vorhandenen juristischen Möglichkeiten von den Hochschulen bislang nicht ausgeschöpft werden.

Die Beiträge im letzten Teil des Buches, die »aus der Praxis« berichten, bieten einen Einblick in die unterschiedlichen Bedarfe und Problematiken innerhalb von Fachkontexten wie der Physik, der musikalisch-künstlerischen Ausbildung und der Archäologie sowie in der Hochschullehre. Ein Beitrag stellt ein realisiertes Schutzkonzept vor.

Laura Heise beschäftigt sich mit Einfallstoren sexualisierter Gewalt in der »feldbasierte(n) Wissensproduktion« (S. 238) und stellt einen Zusammenhang zwischen der geringen Zahl von Archäologinnen und SDG im Rahmen der Feldarbeit her. Auf der Grundlage ihrer empirischen Studie wird tatsächlich ein erhebliches Ausmaß an sexueller Belästigung, die selbst erlebt und/oder beobachtet wurde, und deren Normalisierung sichtbar. Die Aggression geht dabei vorwiegend von männlichen Führungspersonen aus und richtet sich vor allem auf statusniedrigere Frauen. Die Autorin betrachtet ihre Ergebnisse als »ersten Einblick« (S. 244), der allerdings zeigt, dass sich weitere Forschung lohnen würde. Dezidiert auf die »Position der Bystander« geht der Beitrag von Valerie Dahl ein. Ihre Studie nimmt das Fach Physik stellvertretend für männerdominierte Bereiche in den Blick, ausgehend von der bereits belegten These, dass in diesen Umfeldern die gesundheitlichen Auswirkungen für Bystander besonders gravierend sind (S. 218). Ihre Ergebnisse einer qualitativen Befragung lassen überraschenderweise erkennen, dass es gerade die statushohen bzw. im Vergleich statushöheren Bystander sind, die bei einem erkannten Übergriff nicht intervenieren. Daraus zieht die Autorin jedoch keine weitreichenderen Schlüsse.

Die Lehre an Hochschulen war bislang kaum Gegenstand der Erforschung von SBDG, konstatieren Lina Knorr, Inga Nüthen, Heike Pantelmann und Tanja Wälty. Ihr Aufsatz bringt vor allem Praxisbeispiele zur Integration des Themas in die Lehre selbst ein und soll den Autor*innen zufolge auch »zur grundsätzlichen Debatte um die Verbesserung der Hochschullehre« (S. 186) beitragen. Die besondere Bedeutung von Grenzverletzungen in der Lehre zeigt sich an Kunst- und Musikhochschulen. Dort sollten daher, so Isabelle Sophie Heiss, unbedingt sensibilisierende Angebote in das Studium integriert werden. Dabei hat sie vor allem die Lernbiografie der Studierenden vor Augen: Das eigene Unterrichtsverhalten reproduziere häufig das selbst erlebte, wodurch sich vielfach übertrage, was als Entgrenzung gar nicht mehr wahrgenommen wird. Die emotionale und körperliche Ebene musikalisch-künstlerischen Einzelunterrichts, das besondere Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zur Lehrperson, die oft als »Idol« (S. 199) gesehen werde, sowie die »rezeptive Rolle« (S. 200) der Studierenden erschwere das Erkennen von Grenzverletzungen. Daher gehöre die Reflexion von »Nähe und Distanz« unbedingt ins Curriculum. Wie die Vermittlung aussehen kann, wird von der Autorin ausführlich dargelegt.

Das einzige Best-Practice-Beispiel im Buch, das die Umsetzung eines Präventionsprojekts an der Universität Vechta beinhaltet, ist, wie die Autorinnen Christina Plath und Tanja Meyer selbst einräumen, sehr »standortspezifisch« (S. 162), da es sich um eine Hochschule in einem ländlich-katholisch geprägten Umfeld handelt. Allerdings kann an dem dargestellten, sechs »Bausteine« umfassenden, evidenzbasierten Schutzkonzept nachvollzogen werden, wie sich ein solches einführen lässt, wenn es vorher eigentlich nichts gab – weder Awareness, Sensibilisierung und Empowerment-Ansätze noch Beratungs- und Beschwerdestellen. Und es zeigt sich außerdem am konkreten Fall, welche schwerwiegenden Nachteile es hat, wenn zentrale Anlaufstellen nicht entsprechend ausgestattet sind. So bietet die Universität Vechta »bedauerlicherweise ein Beispiel dafür, dass […] eine dauerhaft notwendige aufgabenbezogene Verankerung zur Thematik nicht möglich ist« (S. 168).

Das Buch gibt insgesamt einen guten Einblick in das Thema SDG in der Wissenschaft, indem es dessen unterschiedliche Dimensionen auffächert. Besonders hervorzuheben sind die Kapitel, die sich mit rechtlichen Fragen beschäftigen sowie solche, die eigene empirische Ergebnisse vortragen. Etwas redundant ist die in den einleitenden Abschnitten der einzelnen Beiträge häufig wiederholte Darstellung der (internationalen) Bearbeitung der Thematik SDG.

Published Online: 2025-11-10
Published in Print: 2025-11-25

©2025 Sandra Beaufaÿs, published by De Gruyter

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