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Bibliothekarinnen, Erbinnen, Feministinnen, Frauen- und Geschlechterforscherinnen im Institut für Sozialforschung zwischen 1923/24 und 2025

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Published/Copyright: November 10, 2025
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Philipp Lenhard: Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule. C. H. Beck 2024, 624 S., € 34,00; Jörg Später: Adornos Erben. Eine Geschichte aus der Bundesrepublik. Suhrkamp 2024, 760 S., € 40,00; Christina Engelmann / Lena Reichardt / Bea S. Ricke / Sarah Speck / Stephan Voswinkel (Hrsg.): Im Schatten der Tradition. Eine Geschichte des IfS aus feministischer Perspektive. IfS Aus der Reihe 5. Bertz + Fischer 2025, 254 S., € 18,00.

Das Institut für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt am Main kann seit seiner Gründung nunmehr auf hundert Jahre zurückblicken. Zu diesem runden Jubiläum sind in den Jahren 2023, 2024 und 2025 einige Bücher erschienen, die sich ganz oder in Teilen der Geschichte des IfS aus einer bisher vernachlässigten geschlechtergeschichtlichen Perspektive zuwenden. Dies bedeutet, dass Lebensgeschichten und wissenschaftliche Beiträge von früheren Mitarbeiterinnen des Instituts stärker fokussiert werden als bisher geschehen.

Von Beginn an waren Frauen in die wissenschaftliche Arbeit des IfS eingebunden, zum Teil konnten sie im Institutsbetrieb auch wichtige Positionen besetzen. Sie selbst und ihre Leistungen wurden jedoch über mehrere Generationen hinweg kaum wahrgenommen, weder von den tonangebenden Mitarbeitern des Instituts noch in Publikationen zur Geschichte des IfS. Eines der Ziele der hier zu besprechenden Bücher ist, diese Mitarbeiterinnen zu würdigen und sie der Geschichte des IfS von der Weimarer Republik über die Emigration (Phillip Lenhard), seine Neugründung nach dem Krieg bis in die Zeit nach Adornos Tod (Jörg Später) einzuschreiben. In dem aus einem Gemeinschaftsprojekt am IfS selbst hervorgegangenen Sammelband (Christina Engelmann et al.) werden Netzwerke und Biographien von Mitarbeiterinnen des IfS verschiedener Generationen vorgestellt und das Institut wird als zentraler Ort für die Frauen- und Geschlechterforschung in der Bundesrepublik in den 1970er und 1980er Jahren gewürdigt.

Die mit über 600 bzw. über 700 Seiten mehr als doppelt so umfangreichen Bücher Café Marx und Adornos Erben stammen von Historikern, die sich bereits mit ihren Biographien von Siegfried Kracauer (Später 2016) und Friedrich Pollock (Lenhard 2019) im intellektuellen Umfeld des Instituts präsentiert haben. Beide begreifen sich als Chronisten der Institutsgeschichte und ihrer Protagonist:innen. Zu den sozialwissenschaftlichen und sozialphilosophischen Theorien, die im IfS entwickelt wurden, halten sie Distanz. Lenhard betont, dass seine »raumgeschichtliche Erzählung« von Personen, nicht aber von der kritischen Theorie handele, der nur ein Kapitel vorbehalten sei (Lenhard, 625 f.). Das Buch konzentriere sich »auf den Zeitabschnitt, in dem die Gründergeneration des Instituts gewirkt hat, und kommt erst in einem Ausblick am Ende des Buches auf das Nachleben ihres Wirkens zurück« (Lenhard, 16). Später wiederum möchte zeigen, dass es trotz aller berechtigten Zweifel eine »Frankfurter Schule« gab und auch »durchaus in Adornos Absicht [lag] eine Schule aufzubauen« (9). Er möchte diese Schule jedoch »nicht wissenschaftssoziologisch untersuchen« (13), sondern eine politische Ideengeschichte schreiben, die den Einfluss Adornos und seiner Schüler:innen – der zweiten Generation im IfS –, auf die Gesellschaft der Bundesrepublik darstellt. Beide Bücher wurden bereits ausführlich besprochen, hier geht es nur um Ausschnitte, die sich mit den Schicksalen von Wissenschaftlerinnen am IfS befassen.

Eine Institutsbegehung

Lenard beginnt mit seiner Geschichte schon vor der Gründung des IFS in dem Kapitel »Ein Marxistisches Institut entsteht« (1918 bis 1924) mit dem Abschnitt 1. »Lazarett und Schützengraben«, der vom Trauma des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Linken handelt. Der Autor eröffnet jedes Kapitel mit einen neuen Schauplatz, auf dem er seine Szenen arrangiert. Dass er physische und symbolische Räume als Gliederungsprinzip nutzt, macht seine Erzählung lebendig wie Filmszenen: So beginnt Kapitel II »Das ›Café Marx‹ des Prof. Grünberg« mit dem Abschnitt 6 »In der Bibliothek. Geschlechterverhältnisse und soziale Hierarchien« mit einer Szene, in der Felix Weil, neben seinem Vater Hermann der wichtigste Mäzen des IfS, enger Freund Max Horkheimers und Fritz Pollocks und späterer Kodirektor des Instituts, die Gäste bei der Einweihung des ersten Institutsgebäudes am 22. Juni 2024 stolz durch das Haus führt. Bei diesem imaginären Gang durch Direktoren- und Assistentenzimmer, Sekretariat, Übungsräume und Lesesaal bis zur Druckerei und Hausmeisterwohnung stellt der Verfasser en passant das damals noch stark marxistisch geprägte Programm des Instituts vor. Unter seinem ersten Direktor, dem Austromarxisten Carl Grünberg, spielte die Sammlung von Dokumenten der Arbeiterbewegung, was unter anderem zu Kooperationsbeziehungen des IfS mit dem Marx-Engels-Institut in Moskau führte.

So gelangen wir allmählich in das »Herz des Instituts«, die Bibliothek. Dort stoßen wir auf fünf Bibliothekarinnen, denen man den Kautsky-Spezialistin Karl Huber als Leiter vor die Nase gesetzt hatte. Die Frauen hätten Huber in ihren Fähigkeiten »kaum« nachgestanden, schreibt Lenhard und erklärt: »Dass sie sich der Leitung Hubers unterordnen mussten, lag ausschließlich an ihrem Geschlecht, wie ihre Biographien zeigen.« (279) Aha!

Es folgen Kurzbiographien: Christiane Sorge, geb. Sandler (1987), hatte 1913 den Professor der Nationalökonomie Kurt Gerlach geheiratet, der zuerst für den Posten als Direktor des IfS vorgesehen war, dann aber plötzlich starb. Sie kam nach einer Promotion in Köln und einer Ausbildung als Bibliothekarin an das IfS und arbeitete am Aufbau der Sammlung mit. Richard Sorge (1895–1944), der ehemalige Assistent Gerlachs, den sie nach der Scheidung geheiratet hatte, war ebenfalls am Institut tätig (242 f.). Im Oktober 1924 ging das Paar nach Moskau, wo Sorges Laufbahn als »Kundschafter« der Sowjetunion begann, während seine Frau Mitarbeiterin am Marx-Engels-Institut (MEI) wurde. 1926 trennte sie sich von Sorge und ging nach Deutschland zurück, die Ehe wurde 1932 geschieden. Nach 1933 emigrierte sie in die USA und arbeitete als Lehrerin an einem Frauencollege.

Rose Wittfogel, geb. Schlesinger (1889) war ebenfalls ausgebildete Bibliothekarin, sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie, war auch bildhauerisch tätig und gehörte ab 1919 der KPD an. Von 1921 bis zur Scheidung 1932 war sie mit dem Soziologen und Sinologen Karl August Wittfogel verheiratet. 1923 kam sie auf Anregung Felix Weils als Leiterin des Forschungsarchivs an das IfS. Dort blieb sie bis 1929 und ging 1931 zunächst als Leiterin des Forschungsarchivs des Internationalen Agrarinstituts nach Moskau. Anschließend arbeitete sie als Lektorin, musste 1938 die Erschießung ihres damaligen Lebensgefährten durch den NKWD erleben, wurde aus der Partei ausgeschlossen und später wieder aufgenommen. Von 1941 bis 1945 war sie als Lehrerin und Dozentin in Usbekistan tätig und blieb nach Kriegsende in der Sowjetunion. (166 ff.; 569 f.)

Neben Elisabeth (Lilli) Kracauer geb. Ehrenreich (1893–1971) führt Lenhard noch Clara Mackauer und Susanne Weisser als »Hauptbibliothekarinnen« an. Über letztere sei nicht viel bekannt, schreibt der Verfasser und kommentiert:

Dabei verrät Susanne Weissers Biographie viel über die zwischenmenschlichen Beziehungen am Institut. Vor allem die Bibliothek nämlich war auch ein Ort des Kennenlernens, ja sogar des Verliebens. Ob Siegfried Kracauer und Elisabeth Ehrenreich sich das erste Mal an der Ausleihtheke getroffen oder im Lesesaal zu flirten begonnen haben, wissen wir nicht. Möglich wäre es. (291)

Nach diesen Phantasien und einigen Seiten zu den Sammlungen und Privatbibliotheken, die das IfS später aufnehmen sollte, beendet der Autor den Abschnitt, ohne weiter auf die Geschlechterverhältnisse einzugehen, die er doch im Titel führt. – Nachzutragen bleibt, dass Lenhard noch eine ganze Reihe weiterer Mitarbeiterinnen des IfS auftreten lässt, z. B. Hilde Weiss (1900–1981), die 1927 bei Grünberg mit der Arbeit »Abbe und Ford. Pläne für die Errichtung sozialer Betriebe« promovierte und nicht nur zu dem großen Institutsprojekt über Autorität und Familie beitrug, sondern wie auch Anna Hartoch und Herta Herzog an der von Erich Fromm verantworteten Enquête über »Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reichs« mitarbeitete (324 f.). Aber es fällt ihm zu den Schicksalen dieser zum größten Teil jüdischen Wissenschaftlerinnen, die in der Sowjetunion, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten und in der Emigration in verschiedenen prekären Arbeitsverhältnissen harte Zeiten durchmachen und oft genug um das bloße Überleben kämpfen mussten, nicht so viel ein. In seinem geschlechtstypischen Bildarrangement im Innern des Hauses bleiben sie den Phantasien männlicher Bibliotheksbesucher überlassen.

Drei Erbinnen

Jörg Später will über »40 Jahre Jahre Frankfurter Schule berichten, 20 mit Adorno und 20 ohne ihn.« (11) Seine Darstellung beginnt 1947/50 in Frankfurt am Main mit der Neugründung des IfS nach der Rückkehr aus der Emigration und widmet sich mit der Generation der Studierenden nach dem Krieg, der zweiten Generation der Kritischen Theorie. Ihren Spuren geht der Verfasser im politischen und kulturellen Leben der Bundesrepublik anhand der Biographien von zwölf akademischen Schüler:innen und einem nichtakademischen Schüler Adornos bis 1990 nach. Die »aufgrund ihrer Funktion im Adorno-Orbit oder einer Rolle, die sie nach 1969 spielten« (11) von Später ausgewählten Teilnehmer seiner »kleinen Apostelgeschichte« (10) sind: Hermann Schweppenhäuser, Karl Heinz Haag, Alfred Schmid, Ludwig von Friedeburg, Gerhard Brandt, Helge Pross, Jürgen Habermas, Oskar Negt, Rolf Tiedemann, Herbert Schnädelbach, Regina Becker-Schmidt und Elisabeth Lenk. Alle diese Philosoph:innen, Soziolog:innen und Literaturwissenschaftler:innen haben bei Adorno studiert und/oder als Assistent:innen gearbeitet. Dazu kommt ein »außerakademischer« Schüler, Alexander Kluge, der vom »Zaungast am Frankfurter Hof« zu einem »angenommenen Sohn« Adornos wurde. Nach Adornos Tod haben sie sich über die Hochschullandschaft der Bundesrepublik verteilt und neue Schwerpunkte einer kritischen Wissenschaftspraxis eingerichtet. – »Adorno-Orbit« und »Apostel« sind Beispiele für Späters Bemühen, mit Stilmitteln Distanz gegenüber seinem Gegenstand zu halten. Einen Erkenntnisgewinn bringt der Apostelvergleich nicht.

Der Autor beschreibt im ersten Teil des Buches »Die Schulbildung« von der Rückkehr Adornos nach Frankfurt bis zu seinem Tod 1949–1969, die Neugründung des Instituts für Sozialforschung und die Installierung Horkheimers und Adornos als Professoren auf »Wiedergutmachungsprofessuren« (Später). Es folgt das Eintreffen der ersten Schüler:innen in der Philosophie ab 1950 und eine zweite Welle von Schüler:innen ab 1955 in der Soziologie – von diesem Zeitpunkt an konnte man in Frankfurt ein Diplom in Soziologie erwerben.

Helge Pross (1927 – 1984) kam 1954 als bereits promovierte Wissenschaftlerin an das Institut; 1955 erschien ihr Buch Die deutsche akademische Emigration nach den Vereinigten Staaten 1933–1941, die erste Studie zum Thema überhaupt, mit einem Vorwort von Franz Neumann, den sie in den USA kennen und lieben gelernt hatte. Pross wurde am IfS dringend für die Lehre gebraucht, zumal die Studierendenzahlen sprunghaft anstiegen und es an der Universität noch keinen Lehrstuhl für Soziologie gab. Für Regina Schmidt (1937–2024), die mit der zweiten Welle an das IfS kam, und wie Kluge zu einem »angenommenen Kind« der Adornos wurde, war Pross ein Vorbild: »Sie war schön, klug und wissenschaftlich erfolgreich.« (67) Pross veranstaltete Seminare über die Stellung der Frau in der Gesellschaft und sie kümmerte sich um das Fortkommen von Studierenden; so verhalf sie Schmidt zu einem Stipendium und später zu einer Assistentenstelle am IfS in Frankfurt, während sie Elisabeth Lenk (1937–2022) in Gießen, wo Pross 1965 Professorin geworden war, Unterschlupf auf einer Mitarbeiterinnenstelle in der Soziologie bot, die diese jedoch bald aufgab. Nach Adornos Tod war Pross es auch, die Lenks Arbeit Der springende Narziß. André Bretons poetischer Materialismus (1971) als literatursoziologische Dissertation annahm.

Später geht ausführlich auf die Lebensgeschichten der drei Frauen ein und widmet im dritten Teil des Buchs ein Kapitel den »Varianten des Feminismus« (409–432). Demnach engagierte Pross sich eher konservativ für Gleichberechtigung und Gleichstellung, war aber als medienaffine Publizistin ebenso erfolgreich wie »als Kolumnistin in der Zeitschrift Brigitte und vor allem mit regelmäßigen Auftritten und Kommentaren im Fernsehen.« (409) Ihre erste große Studie »Über Bildungschancen von Mädchen in der Bundesrepublik« erschien 1969, 1973 folgte eine zweite über »Gleichberechtigung im Beruf?«. So wurde sie zur »Mutter der Frauen-und Geschlechterforschung« in der Bundesrepublik, die sich ab 1974 auch an dem DFG-Schwerpunkt »Integration der Frau in die Berufswelt« beteiligte (414). In diesem Schwerpunkt entstanden weitere Projekte mit Christel Eckart, Ursula Jaerisch und Helgard Kramer am IfS in Frankfurt sowie am Institut für Psychologie der Universität Hannover, wo Regina Becker-Schmidt seit 1973 als Professorin lehrte.

Nach Stationen in Frankfurt, Paris und Berlin hatte ihre ehemalige Frankfurter Kommilitonin Elisabeth Lenk am dortigen Deutschen Seminar ab 1976 eine Professur inne. Ihre Sympathien für das Pariabewusstsein anstelle des Klassenbewusstseins und ihre Beschäftigung mit Fragen einer weiblichen Ästhetik animieren den Verfasser zu einem Exkurs in anarchistischere Gefilde des Feminismus der Zeit. Leider hat er hier zu wenig Sorgfalt walten lassen. Dass Späters flapsiger Ton ins Herablassende und Gönnerhafte umschlagen kann, haben schon andere Rezensent:innen bemerkt. Ein Beispiel dafür ist seine Sentenz zu dem Sozialphilosophen Oskar Negt, der nach dem Scheitern einer »Frankfurter Schule« in Hannover zur »politischen Alltagsarbeit« geraten habe: »Auch kleinere Brötchen sind Brötchen. Statt Frankfurter Schule hieß es nun eben Glockseeschule.« (341) In den Abschnitten zum zeitgenössischen Feminismus »Differenzerfahrung und weibliche Ästhetik« und »Doppelte Vergesellschaftung« kommen zu diesem Ton fehlerhafte Darstellungen hinzu. So heißt es, Regina Becker-Schmidt habe nicht in den feministischen studien publiziert, doch wird vermutet, dass sie 1988 bei dem Relaunch der Zeitschrift mit einem Schwerpunkt und mit »institutionellen Absicherungen« (gleich mehreren!) in Hannover, eine wichtige Rolle gespielt habe. All das trifft nicht zu! In der Zeitschrift selbst – etwa in den Heften 2/1985, 1/2018, 1/2022 – wäre es richtig nachzulesen gewesen! Der Verfasser nimmt es auch mit anderen Informationen nicht so genau: Die Urheberschaft der Werbeformel für die Schwarze Botin »Eine Zeitschrift für die Wenigsten« schreibt er nicht deren Herausgeberinnen Brigitte Classen und Gabriele Goettle zu, sondern ihrem Wiederentdecker Vukadinović. Hier hantiert er einfach zu viel mit Kolportage, Adjektiven und Attributen, die er wie ein Jongleur seine Bälle ständig in der Luft zu halten versucht.

Trotzdem hat Später die drei »Erbinnen« angemessen gewürdigt. Zum Ende des Kapitels zitiert er Becker-Schmidt in einer Fußnote mit der Äußerung, sie sei »methodisch und erkenntnistheoretisch – trotz feministischer Differenzen – doch auch Schülerin von Adorno und Horkheimer geblieben.« (432, Fn. 82) Und über Lenk heißt es an anderer Stelle, ihr »bedeutendster Lehrer hieß bei allem theoretischen Eigensinn noch immer Adorno.« (454) Was die Kritische Theorie und der Feminismus laut Später gemeinsam haben?

Wie alle Kämpfe um Anerkennung«, schreibt er, »wendet sich auch der Feminismus gegen einen Universalismus, der das Partikulare unterdrückt oder etwas Partikulares wie das bürgerliche (männliche) Subjekt als das Universale ausgibt. Gegen einen solchen Universalismus hat auch Adorno angeschrieben […]. Und noch etwas schweißt die Kritische Theorie und den Feminismus zusammen: Beide sind gescheitert – aber erfolgreich! Erfolgreich waren sie, weil sie immer noch gebraucht werden, im doppelten Wortsinn. Gescheitert sind sie, weil die Probleme, deretwegen sie entstanden, immer noch existieren. (432)

Darüber lässt sich diskutieren!

Aus der Werkstatt des IfS

Das Buch Im Schatten der Tradition, schreibt Sarah Speck in ihrer »Einleitung und Anleitung«, sei aus einem anlässlich des 100jährigen Jubiläums vom Institutskollegium des IfS initiierten Forschungsprojekt hervorgegangen. Dabei geht es »erstens um die Beleuchtung von Personen, die in den gängigen androzentrischen Narrativen nicht vorkommen« (8) und durch deren Ausblendung die Entwicklung der Frankfurter Schule bisher als reine Männergeschichte erscheint. Um jedoch die intellektuelle Arbeit nicht abermals als Leistung »singulärer Forscher:innenpersönlichkeiten darzustellen«, und damit bestimmte Tätigkeiten zu verdecken, müsse zweitens nach den Bedingungen von Sichtbarkeit gefragt werden. Zur Kritik stehen unter diesem Aspekt: »die Aufrechterhaltung der Sozialfigur des ›Genies‹, die Modi der Arbeitsteilung vielschichtiger Tätigkeiten sowie die damit verbundenen Abwertungen und die patriarchale Hierarchisierung im Kontext der Institutsarbeit« (9). Über diese Strukturen haben Sarah Speck und Stephan Voswinkel einen Artikel unter dem Titel »Im schönsten Sinne geholfen. Anmerkungen zur Ausblendung un/sichtbarer Arbeit« geschrieben (209–228). Mit dem Projekt insgesamt sollen drittens auch Wissensbestände kritisch beleuchtet und gesichert werden. So verstellt Speck zufolge die nachträgliche androzentrische Rezeption von Texten der Kritischen Theoretiker häufiger die Sicht auf Geschlechterfragen als diese selbst. Im deutschsprachigen, wie im internationalen Raum sei daher weitgehend unbekannt

dass hier [im IfS] die ersten großen und von öffentlicher Hand finanzierten empirischen feministischen Studien in den 1970er Jahren entstanden sind und Mitarbeiterinnen des Instituts wesentlich zur institutionellen Vorarbeit und akademischen Etablierung der Frauen- und Geschlechterforschung in der BRD beitrugen.« (11)

Um diesen verschatteten Teil der Geschichte des IfS geht es in dem Aufsatz von Bea S. Ricke »Von den Interessen der Frauen ausgehen. Die frühen Studien zur Frauenarbeit am Institut für Sozialforschung in den 1970er und 1980er Jahren« (152–177), für den die Autorin unter anderem Gespräche mit Christel Eckart und Karin Flaake führte, die beide an diesen Projekten beteiligt waren. Die Planung der Studien von Eckart, Flaake, Kramer und Jaerisch fiel in die »Aufbruchsphase« der Frauenforschung, schreibt Ricke, »die erste C4-Professur mit der Denomination ›Frauenarbeit in Produktion und Reproduktion‹ wurde 1987 an der Goethe-Universität Frankfurt mit Ute Gerhard besetzt«. (154) Auf die Berührungspunkte zwischen Neuer Frauenbewegung und dem IfS geht auch Lena Reichardt in ihrem Aufsatz zu »Autonomie und Artikulation« (179–192) ein.

Den genannten Studien widmet sich Stephan Voswinkel in einem interessanten Aufsatz »Reele Subsumtion und allgemeiner Arbeitsbegriff. Zum Verhältnis von Frauenforschung und Industriesoziologie« (193–208). Er stellt unter anderem dar, welche methodischen und begrifflichen Herausforderungen diese Studien für die »Mainstream-Männer-Industriesoziologie« beinhalteten, in der sie wahrscheinlich gerade deshalb lange nicht die gebührende Aufmerksamkeit fanden.

Als Keimzelle nicht nur des Instituts für Sozialforschung, sondern des westlichen Marxismus überhaupt gilt die »Erste Marxistische Arbeitswoche« in Geraberg im Jahre 1923. Der Aufsatz von Judy Slivi »Frauen in der Frühgeschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung« (31–49) kann gut als Ergänzung zu Café Marx gelesen werden, da Lenhard sich wie Slivi auf dieses Seminar bezieht. Sie widerspricht der verbreiteten Auffassung, die auf dem berühmt gewordenen Gruppenfoto dieses Treffens abgebildeten Frauen seien nur begleitende Ehefrauen und Freundinnen der anwesenden Wissenschaftler gewesen. Hede Massing, Hedda Korsch, Gertrud Alexander, Käthe Weil, Rose Wittvogel, Christiane Sorge und Margarete Lissauer hätten allesamt über das intellektuelle Rüstzeug und die formale Bildung verfügt, um sich aktiv an den Diskussionen zu beteiligen. Exemplarisch dafür stellt Slivi Margarete Lissauer geb. Eisenberg vor, eine »Heidelberger Wohnungsbeamtin und Leiterin eines Waisenamtes« (33), die geschiedene Frau eines Medizinprofessors, Mutter dreier Kinder, Pazifistin und Frauenrechtlerin, die 1920 mit einer Arbeit zum Begriff des ewigen Friedens bei Kant promoviert hatte. 1923 in Geraberg war sie in Begleitung des ungarischen Philosophen Béla Forgarasi. Sie war in seiner Studienzeit eine gute Bekannte Gershom Scholems gewesen, aus dessen Nachlass Slivi viele ihrer Informationen bezieht. Scholem zufolge starb Margarete Lissauer Mitte der 1920er Jahre als gläubige Kommunistin in Moskau. Ihr Todesdatum sei nicht gesichert, schreibt Slivi, wohl aber das ihres Sohnes, der mit 25 Jahren 1938 während des Großen Terrors in der Sowjetunion erschossen wurde.

Slivi geht auch auf die Bibliothekarinnen des IfS ein, von ihr erfahren wir, dass Clara Mackauer von 1928 bis zu ihrer Entlassung 1933 Leiterin der Bibliothek war. Sie vergisst auch nicht, die Sekretärinnen des zweiten Direktors des IfS, Max Horkheimer, vor dem Exil zu erwähnen: »Lilli Eickmeier und Juliette Favez. Letztere half nach dem Umzug des Instituts nach Genf 1933 bei der Flucht von Emigrant:innen aus Deutschland.« (41) Nach einem Abschnitt über die Studentinnen am IfS am Beispiel von Hilde Weiss, schreibt die Autorin in einem »Zwischenfazit« über die Mitarbeiterinnen:

Die Rekonstruktion ihrer Tätigkeiten und Werdegänge zeigt, dass das linke Umfeld, die sozialistische Frauenbewegung und die egalitären lebensreformerischen Ideale, die noch in der Vorkriegszeit ihren Ursprung hatten, nur wenig an den tradierten Geschlechterverhältnissen in Forschung und Institutsbetrieb geändert haben. […] Nicht für alle war die emanzipatorische Forschungs- und Theoriearbeit gleichermaßen mit egalitärer Partizipation an eben dieser verbunden. (44)

Wenig bekannt ist vermutlich, was Christina Engelmann ( 50–76) über die Freundschaft Felix Weils mit der von ihm verehrten Clara Zetkin schreibt: Weil habe keineswegs bloß in distanziertem Kontakt zu Akteur:innen der Arbeiterbewegung und der KPD gestanden. Die Lektüre des Erfurter Programms der SPD während seiner Beteiligung am Frankfurter Arbeiter- und Soldatenrat sei ein Wendepunkt seines Lebens gewesen. Und nachdem er Clara Zetkin im August 1919 in Tübingen bei einer Rede über das Rätesystem zum ersten Mal begegnet war, habe sie erheblichen Einfluss auf seine Politisierung gehabt. Ein Höhepunkt seiner Autobiographie ist die Schilderung, »wie er Zetkin vor einem Attentat durch nationalistische Studenten gerettet habe«, die ihn daraufhin »oft als ihren Lebensretter bezeichnete«. (59) Sie beobachtete auch das IfS mit Sympathie, so dass sie 1927 ihre Freundin Rosa Grimm für die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe des IfS zur Untersuchung des Sowjetischen Wirtschaftssystems unter Friedrich Pollock warb. Dieser, Felix Weil und Carl Grünberg seien »keine Schreier, aber treue Genossen, kenntnisreich, gebildet u[nd] von idealem Streben. Sie würden in F[rankfurt] einen kleinen Kreis prächtiger Menschen finden«, schrieb Zetkin als Empfehlung. Die Arbeitsbedingungen für Frauen am IfS habe sie allerdings positiver eingeschätzt als es der Realität entsprach (61). Engelmann, die später ausführlich auf »Berührungspunkte und Differenzen« zwischen der Kritischen Theorie in ihrer Frühphase und der proletarischen Frauenbewegung eingeht, bedauert, »dass eine intensivere Auseinandersetzung mit der geschlechtertheoretischen Perspektive der Frauenbewegung für die Gesellschaftsanalyse des Instituts« (62), nicht stattgefunden hat.

Der vergleichsweise schmale Sammelband Im Schatten der Tradition ist reich an Inhalten, die dazu anregen, den Spuren der Wissenschaftlerinnen am IfS, ihren Erkenntnissen, Forschungsgegenständen und -methoden weiter nachzugehen. Alle Beiträge, auch die hier bisher nicht genannten von Bruna della Torre: »Elisabeth Lenk, Theodor W. Adorno, and the avantgardes« (135–151), von Karin Stögner über »Else Frenkel-Brunswiks kritische Theorie der Geschlechterverhältnisse«( 116–134) sowie Barbara Umraths »Auseinandersetzung mit Geschlecht und Familie in den 1930er Jahren« anhand der Studien über Autorität und Familie (99–115) überzeugen durch den Ernst, mit der sie sich dem ambitionierten Vorhaben der Rekonstruktion einer geschlechtergerechten Geschichte des IfS samt all seinen Widersprüchen widmen. Diese Haltung bestimmt auch das am Ende des Bandes abgedruckte Gespräch des Arbeitskreises »Gender, Kinship, Sexuality« über Kritische und feministische Theorien, Perspektiven und Gegenwartsanalysen« (228–250).

Zum Schluss: In dem Aufsatz »Vom Roten Wien zur Frankfurter Schule?« (77–98) befasst sich Veronika Duma mit der österreichischen »feministisch-materialistischen Sozialforscherin Käthe Leichter«. Sie arbeitete von 1934 bis 1936 für das IfS im Exil. Laut Duma kommt sie in Publikationen zur Geschichte des IfS nicht vor, mit Ausnahme des Buches Die Frankfurter Schule von Rolf Wiggershaus (1986). Leichter kam aus einer jüdischen bürgerlich-liberalen Familie, sie hatte sich 1914 an der Wiener Universität für das Studium der Staatswissenschaften eingeklagt, konnte dort aber keinen Studienabschluss machen und promovierte daher 1918 bei Max Weber in Heidelberg. Ab April 1919 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Otto Bauers in der österreichischen Staatskommission für Sozialisierung. Ihr Kontakt zum IfS war über Grünberg entstanden, der sie als Assistentin nach Frankfurt holen wollte, nachdem er ihr früher in Wien beigebracht hatte, »Marx als Soziologen zu lesen und marxistische Soziologie zu betreiben« (81). Sie blieb jedoch im »Roten Wien«, leitete ab 1925 das Frauenreferat der Arbeiterkammer und gab 1930 ein Handbuch für Frauenarbeit in Österreich heraus, in das eine Reihe qualitativer und quantitativer Erhebungen zu den Lebensverhältnissen von Arbeiterinnen eingingen. Mit der Durchsetzung des Austrofaschismus kam 1934 das Ende des Frauenreferats. Leichter floh mit Mann und zwei Söhnen in die Schweiz, führte unter Jugendlichen Erhebungen für Studien zu Autorität und Familie durch, deren Ergebnisse in die von Horkheimer veröffentlichten Studien über Autorität und Familie eingingen, allerdings ohne korrekte Nennung der Autorin. Sie kehrte nach Wien zurück und fiel 1938 im Untergrund der Gestapo in die Hände, während ihrem Mann und ihren Söhnen die Flucht gelang. Sie kam ins Gefängnis, dann ins Konzentrationslager Ravensbrück, der Doktortitel wurde ihr 1939 von der Universität Heidelberg aberkannt. Am 17. März 1942 wurde sie in der Aktion 14f13 in die als Heil- und Pflegeanstalt getarnte NS-Tötungsanstalt Bernburg gebracht und mit anderen 1500 Jüdinnen bei einer »Versuchsvergasung« in einem Viehwaggon ermordet.

Nachdem Käthe Leichter lange Zeit gründlich vergessen war, wurde ab 1991 in Österreich zu ihrem Gedenken jährlich der Käthe-Leichter-Preis für Frauengeschichte der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung vergeben. Nach einer Unterbrechung von vier Jahren wurde die Verleihung des Käthe-Leichter-Staatspreises für Frauen- und Geschlechterforschung 2005 wieder aufgenommen und fortgesetzt. 2022 wurde der Preis vom zuständigen Ministerium als »Österreichischer Staatspreis für Frauen« vergeben; der Name Käthe Leichter war aus der Bezeichnung des Preises verschwunden. Vier weitere Käthe Leichter-Preise wurden in allgemeine »Frauenpreise« umgewandelt.

Published Online: 2025-11-10
Published in Print: 2025-11-25

©2025 Regine Othmer, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

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  42. Förderverein
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