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Artikulationen von Klasse und Geschlecht. Konzeptionelle Überlegungen

  • Mona Motakef EMAIL logo and Elisabeth Klaus
Published/Copyright: November 10, 2025
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Mit erhobenen Armen treibt eine Bäuerin die Aufständischen an. Als Titelbild für dieses Heft haben wir eine Radierung der Malerin, Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz von 1902 gewählt. Es zeigt ein Motiv aus den Bauernkriegen von 1524/25. Bei der Abgebildeten handelt es sich um Margarete Renner (1475–1535), von Kollwitz die »Schwarze Anna« genannt. Sie gehört zu den wenigen an den Revolten beteiligten Frauen, deren Namen überliefert sind. Kollwitz’ Darstellung markiert einen doppelten Bruch mit dominanten Geschichtsbildern. Zum einen interpretiert die Künstlerin die Bauernkriege nicht allein als Ereignis feudaler Gewaltgeschichte, sondern als Ausdruck sozialer Proteste. Zum anderen stellt sie explizit eine Frau in den Mittelpunkt, die sie zudem als Revolutionärin präsentiert. Damit schreibt Kollwitz der Revolte eine Perspektive ein, die in zeitgenössischen wie späteren Darstellungen meist unsichtbar blieb.

Die Verbindung von Klasse und Geschlecht zeigt sich hier in mehrfacher Hinsicht. Einerseits verweist Kollwitz in ihrer Radierung auf die soziale Dimension der Revolte. Die Bauernkriege werden zur Vorgeschichte proletarischer Kämpfe um politische und ökonomische Teilhabe. Andererseits verschiebt Kollwitz durch ihre Zentrierung auf eine weibliche Akteurin die männlich dominierte Erinnerungskultur sozialer Bewegungen. Kollwitz’ Werk veranschaulicht die Interdependenz von »Klassenkonflikt« und Geschlechterordnung. Soziale Emanzipation ist bei ihr ohne die Erfahrungen von Frauen und ihre Teilhabe nicht denkbar.

Mehr als ein Jahrhundert später stellt die US-amerikanische Arbeits- und Organisationssoziologin Joan Acker (2006) fest, dass vergeschlechtlichte und rassifizierte Ungleichheiten in kapitalistischen Gesellschaften zunehmend an gesellschaftlicher Legitimität verloren haben, klassenbasierte Ungleichheiten aber nach wie vor weitgehend als natürlich und notwendig gelten. Ob vergeschlechtlichte und rassifizierte Ungleichheiten heute tatsächlich illegitim sind – darüber ließe sich streiten. An der immer wieder neu entflammenden Bürgergelddebatte in Deutschland lässt sich eindrücklich beobachten, wie prekäre Lebenslagen als selbstverschuldet vermittelt werden. Zu großzügige Leistungen setzten falsche Anreize, so etwa die bekannte plakative Botschaft des CDU-Generalsekretärs. Menschen in prekären Lebenslagen müssten vielmehr dazu aktiviert werden, Erwerbsarbeit aufzunehmen. Den Sozialstaat, so Bundeskanzler Friedrich Merz, könnten »wir« uns nicht mehr leisten. Infolge solcher Botschaften wird Solidarität mit Menschen, die sich in prekären Lebenslagen befinden, diskreditiert und delegitimiert. Umgekehrt gilt in dieser politischen Debatte ein sehr hohes Vermögen in der Regel als Ergebnis individueller Leistungsbereitschaft und nicht als Ausdruck sozialer Ungleichheit (siehe auch Marlene Engelhorn in Heft 1/2025 der feministischen studien). Dagegen verweisen empirische Studien seit Jahrzehnten auf strukturelle Zusammenhänge, etwa: Viele Menschen erhalten soziale Leistungen nicht, weil sie keine Erwerbsarbeit leisten, sondern weil ihr Einkommen nicht zum Leben reicht (Dörre et al. 2013). In Deutschland steigt das Risiko von Prekarität insbesondere dann, wenn die Care-Infrastruktur Defizite hat, wenn also »privat« Angehörige gepflegt und Kinder versorgt werden müssen (Aulenbacher/Lutz/Schwiter 2021; Aulenbacher/ Riegraf/Theobald 2014; Wimbauer/Motakef 2020). Sorgeverantwortung übernehmen wiederum überwiegend Frauen. Das größte Armutsrisiko haben Alleinerziehende, und da Armutsrisiken im Laufe des Lebens kumulieren, sind ältere Frauen eine besonders armutsgefährdete Gruppe (Dackweiler/Rau/Schäfer 2020).

Klassenbasierte Ungleichheiten haben offenkundig nicht an Relevanz verloren (Mayer-Ahuja 2025) und zeigen sich deutlich, egal ob es um Einkommen, Arbeitsbedingungen, Klimatransformationen oder Bildungsungleichheit geht. Doch wie lässt sich bestimmen, was Klasse bedeutet? Wie kommt es, dass Konzepte wie »Klassenbewusstsein« und »Arbeiterklasse« an Bedeutung und identifikatorischer Kraft verlieren, aber gleichzeig das Interesse an Klassenanalyse und -kritik neu entfacht ist? Das große Interesse am Klassenbegriff bezeugen im deutschsprachigen Raum etwa die Wiederentdeckung von Erik Olin Wrights Klassentheorie (Wright 2023), die Auseinandersetzungen mit Andreas Reckwitz’ (2017) Konzeption von Klassen, in der er insbesondere kulturelle Lebensführungen verhandelt, sowie Auseinandersetzungen zu Klaus Dörres These einer demobilisierten Klassengesellschaft – unter Berücksichtigung der ökologischen Krise (Graf/Lucht/Lütten 2022), der ökologischen Transformation (Dörre et al. 2024) und der radikalen Rechten (Dörre 2020). Weitere Arbeiten liefern Befunde zu Klassenverhältnissen nach der Corona-Pandemie (Niehoff/Holst 2023) und diskutieren den Klassismusbegriff (Gamper/Kupfer 2023). Was in diesen Beiträgen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aber ausbleibt, ist die systematische Betrachtung des Zusammenwirkens von Klasse und Geschlecht.

Nachdem wir in Heft 1/2025 der feministischen studien Artikulationen geschlechtergebundener kultureller und sozialer Erfahrungen von Klasse, insbesondere mit Blick auf Affekte wie Scham oder Beschämung in den Blick genommen haben, richtet dieses Heft den Fokus auf konzeptionelle Überlegungen zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht. Unser Anliegen ist es, unterschiedliche Traditionslinien sichtbar zu machen und produktiv miteinander ins Gespräch zu bringen. Zum einen rufen wir vergessene oder marginalisierte Arbeiten von Klassikerinnen erneut ins Gedächtnis und arbeiten deren theoretische wie politische Relevanz für gegenwärtige Debatten heraus. Zum anderen versammeln wir Stimmen von Wissenschaftler*innen, die auf je eigene Weise an diese Fragen anschließen und sie für die Gegenwart einer veränderten kapitalistischen Gesellschaft aktualisieren. Reproduktionsarbeit steht wie zuvor dabei im Zentrum, wird aber nun eng verknüpft mit Migration und globalen, postkolonialen Verhältnissen. Ziel dieses Heftes ist es, die vielfach auseinanderstrebenden Diskussionen zusammenzuführen und die offenen Enden zu einem Geflecht zu verbinden, um im besten Fall neue Erkenntnisse auf die Interdependenzen von Klasse und Geschlecht zu eröffnen und neue Perspektiven darauf zu werfen. Dabei sind die Beiträge stärker als in anderen Heften vom Dialog geprägt, gehen auf Gespräche oder Diskussionen zurück, die stets ein starker Motor für feministische Erkenntnisprozesse waren. Die Auseinandersetzung zu den Wechselwirkungen von Klasse und Geschlecht in Bezug auf die gegenwärtige kapitalistische Vergesellschaftung beginnen Brigitte Aulenbacher und Tine Haubner . Beide beschäftigten sich seit Langem mit feministischer Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse, dem Wandel von Erwerbs- und Care-Arbeit, Intersektionen von Klasse, Geschlecht und »race« und sozialer Ungleichheit. In einem Dialog stellen sie ihre gemeinsamen und unterschiedlichen Akzente, theoretischen und empirischen Perspektiven heraus. Aulenbacher und Haubner diskutieren etwa die Vorzüge, aber auch die Grenzen des Intersektionalitätskonzepts und pointieren, wie sich marxistisch geprägte und vom Intersektionalitätskonzept geleitete Kapitalismus-Analysen unterscheiden. Schließlich diskutieren sie, ob überhaupt und falls ja, unter welchen Bedingungen Gleichheit in kapitalistischen Gesellschaften möglich ist.

Feministische Kämpfe gegen Klassismus, also gegen die Diskriminierung aufgrund von Klasse oder Klassenherkunft, stehen im Zentrum des Beitrags von Marie Kottwitz, Martina Witte, Brigitte Theißl, Francis Seeck und Tanja Abou. Die Autor*innen stellen frühe Ansätze feministischer Klassismuskritik vor, die in der feministischen – insbesondere von lesbischen Frauen getragenen – Arbeiter*innen-Klasse und im Schwarzen Feminismus entwickelt wurden und skizzieren Perspektiven für zukünftige Kämpfe. Dabei nehmen sie auf bell hooks Kritik Bezug, dass Frauen- und Geschlechterforscher*innen aufgrund ihrer bürgerlichen Klassenvorteile Konzepte entwickeln, die wenig Berührungspunkte mit den Lebensrealitäten ärmerer Frauen* haben. Die Autor*innen diskutieren, wie eine Kritik an einer feministischen Analyse aussehen kann, die Klasse und Klassismus noch zu wenig berücksichtigt, ohne die massive Infragestellung von Frauen- und Geschlechterforschung zu bedienen, die derzeit von rechten Gruppen betrieben wird.

Im Gespräch mit Silvia Federici, die die feministische Debatte der vergangenen Jahrzehnte maßgeblich geprägt hat, gehen wir der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Klasse und Geschlecht sowie die Formen kapitalistischer Vergesellschaftung verändert haben. Wir sprechen mit ihr darüber, wie sie die von ihr mitinitiierte »Lohn für Hausarbeit«-Kampagne der 1970er Jahre aus heutiger Sicht einschätzt und wie sie ihre damaligen Überlegungen in ihrem Konzept einer Politik der feministischen commons weiterentwickelt hat. Ein weiterer Schwerpunkt gilt den Hexenverfolgungen und der Funktion geschlechtsspezifischer Gewalt in der kapitalistischen Vergesellschaftung, zu deren Geschichte und Gegenwart – etwa angesichts des Aufwinds evangelikaler Bewegungen – Federici intensiv publiziert hat. Regionaler Bezugspunkt ist für Federici die USA, sie nimmt aber auch auf Entwicklungen in lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten Bezug. Ohne eine systematische Klassenanalyse sind feministische Bewegungen und Theoriebildungen nicht denkbar – so Federicis Fazit.

Wie erwähnt, möchten wir klassische Beiträge in Erinnerung rufen, weswegen wir in der Rubrik »Archiv« diesmal zwei Beiträge vorstellen. Der erste Beitrag stammt von einer Zeitgenossin von Käthe Kollwitz: Clara Zetkin. Wie in den Ausführungen von Federici oder Haubner deutlich wird, bildet die marxistische Klassenanalyse nach wie vor häufig den Ausgangspunkt, von dem aus Reproduktionsarbeit und die Stellung von Frauen im Kapitalismus analysiert werden. Im Kontext von Klasse und Geschlecht steht dafür vor allem der Name Zetkin. Wir drucken hier in Auszügen Zetkins auf dem SPD-Parteitag 1896 in Gotha gehaltene Rede ab, in der sie darlegt, dass die Situation von Frauen ein integraler Aspekt der kapitalistischen Entwicklung darstellt. Jede Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, die nicht die existentiellen Probleme der arbeitenden Frauen aufgriffe, müsse deshalb scheitern. In ihrer Rede an die Genoss*innen geht Zetkin der Entstehung der Frauenfrage in den unterschiedlichen Klassen nach. Der Befreiungskampf der proletarischen Frau unterscheide sich von dem der Frauen aus anderen Schichten, weil er nicht gegen die Männer der eigenen Klasse, sondern mit ihnen geführt werde. Folgerichtig fordert sie dazu auf, die Frauen für das sozialistische Projekt zu gewinnen und kritisiert gleichzeitig die Haltung vieler proletarischer Männer, die Arbeiterinnen als Schmutzkonkurrentinnen und Lohndrückerinnen sehen und sogar ein Verbot der Frauenarbeit fordern.

Als zweiten Archiv-Beitrag veröffentlichen wir einen Aufsatz der US-amerikanischen Soziologin Joan Acker aus dem Jahr 1988 »Class, Gender, and the Relation of Distribution«, ins Deutsche übersetzt und leicht gekürzt von Regine Othmer. Die Arbeits- und Organisationssoziologin, die für ihr Konzept der »gendered organization« bekannt geworden ist, rekapituliert darin zunächst Debatten zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht in den USA aus den 1970er und 1980er Jahren. Damals entdeckten Feministinnen die ökonomische Bedeutung der unbezahlten Hausarbeit von Frauen für die Reproduktion des Kapitalismus, die bisher nicht beachtet wurde. In einer weiteren Perspektive wurden Klasse und Geschlecht als zwei unterschiedliche Ausbeutungssysteme verstanden. Ob Patriarchatstheorie und Kapitalismusanalyse oder Hausarbeitsdebatte – für Acker haben beide Perspektiven große Lücken, weshalb sie eine Reformulierung des Klassenbegriffs vornimmt, indem sie neben Produktion und Reproduktion auch die Distribution zur Grundlage einer Klassenanalyse macht, in der feministisches und marxistisches Denken zueinander finden könnten. Acker erklärt, die »Klassenstruktur ist komplexer, wenn man sie unter dem Aspekt der geschlechtlichen Distribution und der geschlechtlichen Produktionsverhältnisse betrachtet, statt ausschließlich aus der Perspektive der Produktion«.

Wer das Heft durchblättert, stößt auf die Bilder von Elif Saydam, einem queeren in Berlin lebenden Künstler. Ihre Kritik an den Verhältnissen kommt auf leichten Sohlen und verstohlen daher, zwingt in der vordergründigen Lebensfreude zum Hinschauen und zur Reflexion. Verwegen vermischt die Künstlerin Symbole der Hochkultur mit jenen der Populärkultur. Miniaturmalerei trägt er auf ein banales Alltagsobjekt auf, für manche Ornamente und Farbflächen verwendet sie Blattgold, westliche Kunststandards bricht er durch die Vermischung mit anderen, etwa persischen Einflüssen auf. Wir zeigen Ausschnitte aus zwei Serien Saydams. Träger der ersten drei gezeigten Fotomalereien ist ein Küchenschwamm, Symbol für das Putzen und die Drecksarbeit, für bezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit, die meist Frauen verrichten. Die im Folgenden abgedruckten Späti-Arbeiten Saydams kreisen um die zahlreichen kleinen Läden und Büdchen Berlins mit Öffnungszeiten bis spät in die Nacht, die oft von Migrant:innen geführt werden. Den Hintergrund bilden Fotos, die Ausschnitte aus einem grauen Berlin mit Miethäusern und den Eingängen der Spätiläden zeigen, darauf wiederum dekorative Miniaturmalereien. Auf Saydams Bildern sind keine Menschen zu sehen, und trotzdem drücken sie Respekt für diejenigen aus, die die Drecksarbeit, die Service- und Carearbeit in unserer Gesellschaft verrichten.

In der Rubrik »Diskussion« erscheint ein Beitrag von Gundula Ludwig und Zoe* Ragna Steinsberger, der in der Debatte um die Rechte von trans* Personen und Politiken Stellung bezieht. Die Autor*innen argumentieren, dass im Widerstand gegen die Rechte von LGBTQI+ Personen, insbesondere von trans* Frauen affektive Allianzen zwischen rechten Positionen und geschlechteressentialistischen Feminist*innen bestehen. Die damit einhergehende Ablehnung und Delegitimierung etwa von trans* Lebensweisen offenbare deutliche Demokratiedefizite. Als Redaktion laden wir dazu ein, an diesen Beitrag anzuknüpfen und diese Debatte weiterzuführen.

Dass der Kampf für LGBTQI+ Rechte grundlegend mit demokratischen Freiheiten verbunden ist, zeigt die Budapest Pride Parade 2025, an der trotz Verbots 200.000 Personen teilgenommen haben. Welche Bedeutung hat die Pride Parade im Widerstand gegen die autokratische Regierung Viktor Orbáns? Diese und weitere Fragen erörtern wir »Im Gespräch« mit Judit Takács, einer Geschlechtersoziologin am »ELTE Centre for Social Sciences – Hungarian Academy of Sciences Centre of Excellence«. Sie resümiert: »To fight for the rights of LGBTIQ+ people today means insisting on the basic dignity of individuals in a context where those rights are increasingly weaponised and undermined«.

In einem Rezensionsessay, in dem unter anderem Clara Zetkin einen eher überraschenden Auftritt hat, bespricht Regine Othmer »Café Marx« von Philipp Lenhard, »Adornos Erben. Eine Geschichte aus der Bundesrepublik« von Jörg Später und den Sammelband »Im Schatten der Tradition. Eine Geschichte des IfS aus feministischer Perspektive«, herausgegeben von Christina Engelmann, Lena Reichardt, Bea S. Ricke, Sarah Speck und Stephan Voswinkel. Dabei entsteht der Umriss einer umfassenderen Geschichte der Mitarbeiterinnen des Instituts für Sozialforschung, die die Entwicklung der Kritischen Theorie entscheidend mit beeinflusst haben, von der einschlägigen Forschung aber bis heute häufig ignoriert oder marginalisiert werden.

Der thematische Schwerpunkt spiegelt sich auch im Rezensionsteil wider, in dem Martina Thiele Beiträge im Sammelband »Fernsehen und Geschlecht« und Anna-Christina Kainradl jene in »Home Care for Sale. The Transnational Brokering of Senior Care in Europe« vorstellen. Die Rezension von Marisol Sandoval schließt inhaltlich an die Rede von Clara-Zetkin an. Sandoval skizziert anhand des von Vincent Streichhahn herausgegebenen Bandes »Feministische Internationale Texte zu Geschlecht, Klasse und Emanzipation 1832–1936« die Entwicklung sozialistischer und kommunistischer Emanzipationstheorien in globaler Perspektive. Deutlich wird u. a., dass die Autorinnen über die Jahrzehnte hinweg die Anliegen der Frauen- und Arbeiter*innenbewegung als inhärent miteinander verwoben sahen.

Das Heft hält eine Überraschung bereit: Regine Othmer gehört seit nunmehr 40 Jahren dem Herausgeberinnengremium und der Redaktion der feministischen studien an, hat Entwicklungen der Zeitschrift begleitet und mitgetragen. Dafür sagen wir zusammen mit früheren Redakteurinnen »DANKE, liebe Regine!«.

Ein Ausstellungsbericht ist wiederum dem Thema Klasse und Geschlecht gewidmet. Birgitt Riegraf hat die bis zum Frühjahr in Berliner »Museum der Dinge« gezeigte Ausstellung: »Milieudinge. Von Klasse und Geschmack« besucht, sie fand manchen interessanten Alltagsgegenstand und das Fehlen einer genderkritischen Reflexion.

Gerade angesichts gegenwärtiger multipler Krisendynamiken – der Prekarisierung von Arbeit, der Care-Krise, der Klimakatastrophe, des neoliberalen Umbaus des Sozialstaats wie auch des Erstarkens autoritärer und rechter Bewegungen – zeigt sich, so unser Fazit, die Notwendigkeit, Fragen von Klasse und Geschlecht erneut zusammenzudenken. Feministische Forschung leistet hier einen unverzichtbaren Beitrag, indem sie die materiellen wie symbolischen Dimensionen von Macht und Herrschaft analysiert, mit dem Reproduktionsbegriff erweitert auf Ungleichheitsverhältnisse blickt, Arbeit nicht auf Lohnarbeit reduziert und schließlich an feministische Überlegungen kollektiver und solidarischer Praxen anknüpft (Federici in diesem Heft). Klassenverhältnisse sind in vergeschlechtlichte Reproduktionsverhältnisse eingelassen, während Geschlechterordnungen ihrerseits auch durch klassenförmige (Re-)Produktions- und auch Distributionsprozesse (so Acker in diesem Heft) geprägt werden.

Nicht zuletzt wünschen wir uns, dass die Artikulationen von Klasse und Geschlecht, die in diesem Heft zur Sprache kommen, nicht nur die theoretische Debatte vertiefen, sondern auch Impulse für emanzipatorische Perspektiven auf Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität eröffnen.

Literatur

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Published Online: 2025-11-10
Published in Print: 2025-11-25

©2025 Mona Motakef und Elisabeth Klaus, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Articles in the same Issue

  1. Gesamtheft 43 ②
  2. Frontmatter
  3. Artikulationen von Klasse und Geschlecht II
  4. Artikulationen von Klasse und Geschlecht. Konzeptionelle Überlegungen
  5. Von Männerquartetten und Abgehängten: Ein Gespräch über Gender, Race, Class im Kapitalismus
  6. Klasse oder was? Perspektiven einer klassismuskritischen queerfeministischen Politik
  7. »Feminist movement cannot put forward a perspective of social change without addressing the question of class«. Wages for Housework Campaign, witch-hunting today and feminist politics of the commons
  8. Archiv
  9. Clara Zetkin und die sozialistische Frauenemanzipationstheorie
  10. Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Gotha (16. Oktober 1896)
  11. Klasse, Geschlecht und Distributionsverhältnisse
  12. Bilder und Zeichen
  13. Elif Saydam – Lebensfreude gegen Klassismus, Rassismus und Sexismus
  14. Malereien aus den Schwamm- und Spätiserien
  15. Diskussion
  16. Die Unaushaltbarkeit demokratischer Kontingenz? Über Angriffe auf trans* Lebensweisen und Politiken als Angriffe auf Demokratie
  17. Im Gespräch
  18. »This year the Pride represented a tipping point« – the 2025 Pride Parade in Budapest, the restrictions of LGBTIQ+ rights and gender and queer studies in Hungary
  19. Dank
  20. Regine Othmer seit 40 Jahren bei den feministischen studien – wir gratulieren!
  21. Ausstellungsbericht
  22. »Milieudinge – von Klasse und Geschmack« und von Geschlecht?
  23. Rezensionsessay
  24. Bibliothekarinnen, Erbinnen, Feministinnen, Frauen- und Geschlechterforscherinnen im Institut für Sozialforschung zwischen 1923/24 und 2025
  25. Rezension
  26. Dagmar Hoffmann, Florian Krauß, Moritz Stock, (Hrsg.): Fernsehen und Klassenfragen
  27. Brigitte Aulenbacher / Helma Lutz / Ewa Palenga-Möllenbeck / Karin Schwiter (eds.), 2024: Home Care for Sale. The Transnational Brokering of Senior Care in Europe
  28. Vincent Streichhahn (Hrsg.): Feministische Internationale. Texte zu Geschlecht, Klasse und Emanzipation 1832–1936
  29. Katharina Hajek / Ina Kerner, Iwona Kocjan, Nicola Mühlhäuser: Gender Studies zur Einführung
  30. Beate von Miquel, Claudia Mahs, Antje Langer, Birgitt Riegraf, Katja Sabisch, Irmgard Pilgrim (Hrsg.): #Me too in Science
  31. Autorenverzeichnis
  32. Zu den Autor:innen
  33. Abstracts
  34. Abstracts
  35. Erratum
  36. Erratum zu: Sperk, Verena (2025): »Was hat uns Österreich gekostet?« Affektive Artikulationen von Klassen-, Geschlechter- und Migrationsverhältnissen in Ein schönes Ausländerkind
  37. Jahresinhaltsverzeichnis
  38. Jahresinhaltsverzeichnis
  39. Bestellformular
  40. Bestellformular
  41. Förderverein
  42. Förderverein
  43. Ausblick
  44. Ausblick auf die nächsten Hefte
Downloaded on 31.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/fs-2025-0026/html
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